Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 09.11.2011, Az.: L 3 KA 105/08

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
09.11.2011
Aktenzeichen
L 3 KA 105/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45137
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 10.09.2008 - AZ: S 16 KA 150/06

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zum fehlenden Rechtsschutzbedürfnis einer Klage, mit der die Berichtigung eines durch den Disziplinarausschuss einer Kassenärztlichen Vereinigung gefertigten Protokolls begehrt wird, das für die Rechtmäßigkeit der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sein kann.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 10. September 2008 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Berichtigung eines Sitzungsprotokolls des Disziplinarausschusses der Beklagten.

Der Kläger nimmt als Facharzt für Urologie mit Praxissitz in E. an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Am 12. Januar 2006 fand mit dem Kläger und seinem damaligen Praxisgemeinschaftspartner Dr. F. eine mündliche Verhandlung vor dem Disziplinarausschuss der Beklagten (Bezirksstelle G.) statt. Gegenstand des Disziplinarverfahrens war das Abrechnungsverhalten der Praxispartner, die seit dem 31. Dezember 1997 in Praxisgemeinschaft praktizierten. Aufgefallen war die hohe Patientenidentität der Praxisgemeinschaftspartner im Zuge der Betreuung mehrerer Altenheime. Mit Beschluss vom 12. Januar 2006 wurde dem Kläger und seinem Praxispartner ein Verweis erteilt. Im Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 12. Januar 2006 heißt es auf Seite 2 im 3. Absatz:

"Den formellen Verstoß gegen geltendes Recht akzeptierten die Betroffenen, bestanden aber darauf aufzunehmen, dass ihre ärztliche Tätigkeit verantwortungsvoll gewesen sei."

Mit Schreiben vom 19. Februar 2006 beantragte der Kläger beim Disziplinarausschuss, das Protokoll zu berichtigen und Absatz 3 auf Seite 2 wie folgt neu zu fassen:

" Die Betroffenen waren auch nach der Diskussion der Ansicht, dass ihr Verhalten rechtmäßig war. Als sie feststellten, dass die KV dazu eine andere Auffassung vertritt, hätten sie ihr Verhalten gleichwohl umgehend geändert. Außerdem betonten die Betroffenen, dass sie ihre ärztliche Tätigkeit sehr verantwortungsvoll ausgeübt hätten, indem sie ganz regelmäßig Hausbesuche bei den Heimbewohnern gemacht hätten."

Das Protokoll gebe den Inhalt des Gesprächs und die Aussage des Klägers an dieser Stelle falsch wieder. Der Kläger habe zu keiner Zeit "den Verstoß gegen geltendes Recht akzeptiert", sondern im Gegenteil auch zum Schluss der Diskussion noch einmal seine Überzeugung betont und wörtlich erklärt:

"Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass das, was wir getan haben, richtig war. Als wir aber merkten, dass die KV das problematisch findet, haben wir uns sofort bemüht, das abzustellen."

Mit Beschluss vom 23. Februar 2006 lehnte der Disziplinarausschuss den Antrag auf Protokollberichtigung ab, weil das beanstandete Protokoll Gang und Inhalt der Verhandlung gedrängt, gleichwohl aber richtig wiedergebe. Ein Antrag auf wörtliche Protokollierung sei nicht gestellt worden.

Am 13. März 2006 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Hannover Anfechtungsklage gegen den Beschluss des Disziplinarausschusses vom 12. Januar 2006 erhoben; dieses Verfahren (Az: S 16 KA 266/08 ZE) ruht derzeit.

Am 9. Mai 2006 hat der Kläger außerdem Klage beim SG Hannover erhoben, mit der er seinen Antrag auf Protokollberichtigung weiterverfolgt hat. Zur Begründung hat er ausgeführt, das falsche Protokoll habe präjudizierende Wirkung für das laufende Plausibilitätsprüfverfahren des Klägers und seines Praxispartners wegen einer angeblich zu hohen Patientenidentität in den Quartalen I/2002 bis III/2003. Für den Kläger belaufe sich die daraus resultierende streitige Honorarforderung auf über 24.000,- Euro. Das Sitzungsprotokoll des Disziplinarausschusses, das weder vorgelesen noch genehmigt worden sei, entspreche nicht den Tatsachen. Die Klage sei - trotz der gegen den Disziplinarbeschluss erhobenen Klage - auch zulässig, da beide Klagen formal unterschiedliche Beschlüsse beträfen. Wäre nur der die Disziplinarmaßnahme aussprechende Beschluss vom 6. Februar 2006 angefochten worden, wäre der die Protokollberichtigung ablehnende Beschluss bestandskräftig geworden.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10. September 2008, dem Kläger zugestellt am 15. September, als unzulässig abgewiesen. Der Kläger habe bereits eine Anfechtungsklage gegen den Disziplinarbeschluss erhoben, in deren Rahmen inzident über die gleichen Sach- und Rechtsfragen zu entscheiden sei. Ein Anspruch auf Änderung einzelner Elemente bestehe nicht.

Der Kläger hat am 15. Oktober 2008 Berufung gegen den Gerichtsbescheid erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Vorliegend gelte der Rechtsgedanke des § 314 Zivilprozessordnung (ZPO), wonach der Inhalt des Protokolls maßgeblich sei. Der vorliegend falsche Protokollinhalt könne nicht im Verfahren über die verhängte Disziplinarmaßnahme berichtigt werden

Der Kläger beantragt,

1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 10. September 2008 und den Beschluss des Disziplinarausschusses vom 23. Februar 2006 aufzuheben und

2. die Beklagte zu verurteilen, das Protokoll der Sitzung des Disziplinarausschusses vom 12. Januar 2006 auf Seite 2 Absatz 3 zu berichtigen und wie folgt neu zu fassen:

" Die Betroffenen waren auch nach der Diskussion der Ansicht, dass ihr Verhalten rechtmäßig war. Als sie feststellten, dass die KV dazu eine andere Auffassung vertritt, hätten sie ihr Verhalten gleichwohl umgehend geändert. Außerdem betonten die Betroffenen, dass sie ihre ärztliche Tätigkeit sehr verantwortungsvoll ausgeübt hätten, indem sie ganz regelmäßig Hausbesuche bei den Heimbewohnern gemacht hätten.",

3. hilfsweise,

die Sache an das Sozialgericht Hannover zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrer Rechtsauffassung fest, dass die Klage unzulässig ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Gerichtsakten S 16 KA 266/08 ZE und S 16 KA 199/08 und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.

Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage erweist sich als unzulässig.

Der Zulässigkeit der Klage steht das mangelnde Rechtsschutzbedürfnis entgegen. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn das angestrebte Ergebnis auf anderem Weg einfacher und schneller oder effizienter erreicht werden kann (Rennert in Eyermann, VwGO, 13. Aufl, Vor §§ 40-53 Rn 12; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl, Vor § 51 Rn 16). Das ist hier der Fall. Denn der Kläger kann die inhaltliche Überprüfung der Richtigkeit des streitbefangenen Sitzungsprotokolls im Rahmen der schon im März 2006 (unter dem Az S 16 KA 266/08) erhobenen Klage gegen die verhängte Disziplinarmaßnahme überprüfen lassen.

Der Disziplinarausschuss ist verpflichtet, über den Verlauf der mündlichen Verhandlung ein Protokoll anzufertigen. Das ergibt sich aus § 6 Abs 2 S 4 Disziplinarordnung der Beklagten. Da das das Sozialverwaltungsverfahren regelnde Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) keine Vorschriften über die Protokollierung von Ausschusssitzungen enthält, kann insoweit ergänzend auf § 93 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) zurückgegriffen werden. § 93 VwVfG beinhaltet eine Konkretisierung der allgemeinen Pflicht zur Führung vollständiger und wahrheitsgetreuer Akten. Eine wörtliche Wiedergabe (Wortprotokoll) der in der Sitzung gemachten Ausführungen ist grundsätzlich nicht erforderlich, vielmehr genügt ein Ergebnisprotokoll (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl, § 93 Rn 4). Die schriftliche Festlegung des wesentlichen Inhalts der Sitzung dient vor allem der Beweissicherung zu Verlauf und Ergebnissen der Sitzung des Ausschusses. Die Niederschrift ist öffentliche Urkunde iSd § 415 Zivilprozessordnung (ZPO) (Bonk/Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl, § 93 Rn 1 u 2).

Nach § 415 Abs 1 ZPO begründen Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind (öffentliche Urkunden), vollen Beweis des beurkundeten Vorganges, wenn sie über eine vor der Behörde oder der Urkundsperson abgegebenen Erklärung errichtet sind. Nach Abs 2 der Vorschrift ist jedoch der Beweis, dass der Vorgang unrichtig beurkundet ist, zulässig. Damit kann in Gerichtsverfahren, in denen der Inhalt einer öffentlichen Urkunde von Bedeutung ist, der Beweis angetreten werden, dass die beurkundete Erklärung nicht oder nach Zeit, Ort oder Inhalt anders abgegeben worden ist (Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl, § 415 Rn 6, vgl auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl, § 415 Rn 11). Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gegenbeweis gelingen kann, müssen Gerichte, für die der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, dem sogar von Amts wegen nachgehen (Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> NVwZ 2005, 1441, 1444 [BVerwG 14.10.2004 - BVerwG 6 B 6.04]); bei der Beweisführung ist zudem - entgegen § 445 Abs 2 ZPO - eine Parteivernehmung zulässig (BVerwG aaO). Für ein eigenständiges Klageverfahren über die Richtigkeit der öffentlichen Urkunde besteht angesichts dieser Rechtslage kein Rechtsschutzbedürfnis (ebenso: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht <OVG>, Beschluss vom 4. Juli 2008 - 3 So 13/08 - juris). Dies gilt auch im vorliegenden Fall, so dass die Richtigkeit der Beurkundung (zB) im Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Disziplinarmaßnahme geklärt werden kann. Denn diese beruht maßgeblich auf der streitbefangenen Protokollaussage des Klägers, den formellen Verstoß gegen geltendes Recht zu akzeptieren, so dass die korrekte Wiedergabe dieser Aussage für das Disziplinarverfahren von zentraler Bedeutung sein dürfte.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Disziplinarausschuss den Protokollberichtigungsantrag mit gesondertem Beschluss vom 23. Februar 2006 abgelehnt hat, der mangels Anfechtung gemäß § 77 SGG bindend werden könnte. Denn selbst wenn der Beschluss als Verwaltungsakt anzusehen ist, beschränkt sich dessen Regelung darauf, dass ein Anspruch auf Protokollberichtigung oder -neufassung durch den Disziplinarausschuss verneint wird. Dagegen wird in ihm nicht verbindlich festgestellt, ob das Protokoll inhaltlich richtig war bzw welche Erklärung der Kläger tatsächlich abgegeben hat. Soweit der Disziplinarausschuss dabei seine Meinung kundtut, das Protokoll gebe "Gang und Inhalt der Verhandlung gedrängt, gleichwohl aber richtig" wieder, handelt es sich dabei nur um die Begründung des Beschlusses, die an einer etwaigen Bestandskraft nicht teilhätte. Nur eine derart enge Auslegung entspricht im Übrigen den genannten rechtlichen Vorgaben des § 415 Abs 2 ZPO.

4. Aus den vorstehenden Erwägungen kann auch der Hilfsantrag keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1, 52 Abs 2 Gerichtskostengesetz (GKG).