Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 17.11.2011, Az.: L 14 U 13/10

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
17.11.2011
Aktenzeichen
L 14 U 13/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45142
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 17.12.2009 - AZ: S 7 U 110/05

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 17. Dezember 2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 9. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2005 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die bei dem Kläger diagnostizierte Erkrankung beider Ellenbogengelenke eine Berufskrankheit nach Nr. 2103 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK).

Der im Jahre 1942 geborene Kläger arbeitete nach Tätigkeiten als Zimmerer und Einschaler in der Zeit von September 1985 bis Juli 2003 mit Unterbrechungen als Bauwerker im Straßen- und Tiefbau für die Fa. H. Bau GmbH in I. (Landkreis J.). Nachdem er Anfang 2004 an einer Arthrose der Ellenbogengelenke erkrankt war, die der Orthopäde Dr. K. in seinem Bericht an die Beklagte vom 19. Februar 2004 auf die berufliche Tätigkeit im Tiefbau zurückführte, prüfte die Beklagte die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nr. 2103 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - Erkrankungen durch Erschütterungen bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen - (im Folgenden: BK 2103).

In einem ihm seitens der Beklagten übersandten Fragebogen gab der Kläger am 1. April 2004 an, in der Zeit vom 1. September 1985 bis 30. September 2002 beim Pflastern, der Rohrverlegung und beim Setzen von Bordsteinen ca. 3 bis 4 Stunden pro Tag mit Boschhammer, Rüttler, Presslufthammer und Schnellschlagstampfer tätig geworden zu sein. Der Geschäftsführer der Fa. H., Dipl.-Ing. L., gab gegenüber der Beklagten in einem Fragebogen am 17. Juni 2004 an, dass der Kläger "hin und wieder" mit Pressluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Geräten gearbeitet habe.

Nachdem ihr Beratungsarzt Dr. M. nach Auswertung von Röntgenaufnahmen der Ellenbogengelenke des Klägers, auf denen sich ausgeprägte arthrotische Veränderungen darstellten, mit Stellungnahme vom 15. Mai 2004 eine BK 2103 aus arbeitsmedizinischen Gründen für möglich gehalten hatte, ermittelte die Beklagte über ihren technischen Aufsichtsdienst (TAD) die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK. Der TAD-Mitarbeiter Dipl.-Ing. N. errechnete auf der Grundlage eines am 25. August 2004 geführten Gesprächs mit dem Kläger eine durch dessen berufliche Tätigkeiten im Straßenbau erreichte Gesamtdosis durch Schwingungsbelastungen des Hand-Arm-Systems von 1,775 x 106 (Wert nach dem Berechnungsansatz des Arbeitsmediziners Prof. Dr. O. mit multiplikativer Verknüpfung der Expositionsdauer und der Schwingungsintensität). Dieser Wert ergebe sich aus den Tätigkeiten des Klägers im Straßenbau in der Zeit von September 1985 bis September 2002. Der Kläger sei hierbei häufig im Kanalbau eingesetzt gewesen und habe zeitweise Stemmarbeiten durchgeführt, Rohrleitungen aus Steinzeug und Beton verlegt sowie alle anfallenden Zuarbeiten erledigt. Sporadisch habe er Kleinradlager bedient. An etwa 60 Tagen pro Tag habe er je 2 Stunden mit druckluftbetriebenen Stemm- und Abbruchwerkzeugen gearbeitet, was sich auf insgesamt ca. 2.000 Stunden summiere (Technische Stellungnahme vom 27. August 2004).

Mit Bescheid vom 9. November 2004 lehnte die Beklagte sodann einen Anspruch des Klägers auf Sozialleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen dessen Beschwerden im Bereich der Schulter und Ellenbogen ab. Eine BK 2103 liege mangels Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht vor. Erforderlich hierfür wäre nach dem vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) herausgegebenen Merkblatt für die BK 2103 (BArbBl. 3/2005, S. 51) eine mindestens 2-jährige Expositionszeit. Nach weiteren arbeitsmedizinischen Erkenntnissen sei eine regelmäßige tägliche Expositionszeit (Einwirkungen einer Mindestschwingungsstärke) von mindestens einer Stunde an mindestens 55 Arbeitsschichten pro Jahr erforderlich, um von einer Gefährdung ausgehen zu können. Es müsse eine Einwirkungsdauer von ca. 2.500 Stunden vorliegen. Aus diesen Grundwerten abgeleitet, müsse sich ein "Richtwert" der Gesamtbelastungsdosis der einwirkenden Schwingungsstärken von DvH 2,2 x 106 ergeben. Diesen Wert unterschreite der Kläger.

Hiergegen legte der Kläger unter Vorlage einer Bescheinigung der Fa. H. vom 16. November 2004, wonach er zu seiner schweren Tätigkeit täglich ca. 1,5 - 2 Stunden Arbeiten mit Verdichtungsgeräten (Rüttlern) und Vibrationsstampfern habe ausführen müssen, Widerspruch ein. Diese Tätigkeiten habe die Beklagte nicht berücksichtigt. Stemmarbeiten habe er jahrelang unter Zuhilfenahme eines Kompressors durchgeführt.

Den Widerspruch wies die Beklagte nach Einholen einer ergänzenden Stellungnahme des TAD vom 6. Dezember 2004, laut dem das Bedienen von Bodenverdichtern keine gefährdende Tätigkeit im Sinne der BK 2103 darstelle, mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2005 als unbegründet zurück. Die Anerkennung einer BK 2108-2110 wegen der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers hatte sie zuvor ebenso abgelehnt (Bescheid vom 10. Februar 2005) wie die Anerkennung einer BK 2301 (Bescheid vom 11. Januar 2005) und einer "Wie-BK" für dessen Gonarthrose (Bescheid vom 27. Januar 2005).

Der Kläger hat am 28. Juli 2005 beim Sozialgericht (SG) Stade Klage erhoben und zur Begründung unter Vorlage weiterer Bescheinigungen der Fa. H. (vom 15. Dezember 2006, 2. April 2007 und 2. Juni 2008) vorgetragen, dass er täglich durchschnittlich 4,5 Stunden mit schweren Rüttelmaschinen gearbeitet habe.

Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide verteidigt und unter Vorlage einer Stellungnahme ihres TAD vom 8. Februar 2007 vorgetragen, dass die vom Kläger über Deichseln und Bügel geführten Bodenverdichter nur Schwingungen oberhalb von 50 Hertz verursachten, woraus sich keine gefährdende Einwirkung im Sinne der BK 2103 ergebe. Ein berufsbedingter Schädigungsmechanismus an Knochen und Gelenken werde entsprechend dem Merkblatt zur BK 2103 erst dann angenommen, wenn vorrangig Vibrationen tiefer Frequenzanteile von 8 bis 50 Hertz über die Handgriffe auf das Hand-Arm-Schultersystem übertragen würden.

Das SG hat auf Antrag des Klägers ein arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten des Prof. Dr. P. - Universitätsmedizin Q. - vom 21. Mai 2008 eingeholt. Dieser hat unter Berücksichtigung eines radiologischen Zusatzgutachtens des Prof. Dr. R. vom 20. Mai 2008 ausgeführt, dass bei dem Kläger sich erstmals auf Röntgenaufnahmen aus dem Jahre 1999 zeigende, das Altersmaß überschreitende Arthrosen an beiden Ellenbogengelenken vorlägen, die dem typischen Bild einer beruflich verursachten Arthrosis deformans im Sinne der BK 2103 entsprächen. Die demselben Formenkreis zugehörigen, im Jahre 2003 diagnostizierten Schulterbeschwerden seien hingegen annähernd altersentsprechend und erfüllten damit nicht die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der BK.

Das SG hat in seiner Sitzung vom 17. Dezember 2009 den Kläger persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen L. und N.. Der Kläger hat dabei angegeben, dass er ca. 3 bis 4 Stunden täglich mit Geräten gearbeitet habe. 50 % seien auf Rüttler und Stampfer entfallen, 50 % auf Pressluft- und Boschhämmer. Der Zeuge L. hat ausgesagt, dass der Kläger überwiegend am Rüttler gearbeitet, aber auch Kompressoren, also Stemm- und Abbruchwerkzeuge bedient habe. Er habe ca. 4,5 Stunden pro Tag Geräte bedient.

Mit Urteil vom 17. Dezember 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es habe sich angesichts der widersprüchlichen Angaben des Klägers und des Zeugen L. nicht davon überzeugen können, dass der Kläger in ausreichendem Maße mit druckluftbetriebenen Stemm- und Abbruchwerkzeugen gearbeitet habe. Die Bedienung von Rüttelmaschinen stelle keine schädigende Einwirkung im Sinne der BK 2103 dar.

Der Kläger hat gegen das ihm am 30. Dezember 2009 zugestellte Urteil am 1. Februar 2010, einem Montag, Berufung eingelegt, mit der er neben der Anerkennung der BK 2103 zunächst auch die Gewährung einer Verletztenrente für diese BK beansprucht hat. Er macht geltend, dass er werktäglich mindestens 4 Stunden an Maschinen gearbeitet habe. Die Abbrucharbeiten mit druckluftgetriebenen Stemm- und Abbruchwerkzeugen stellten bei den täglichen Arbeiten im Straßen- und Tiefbau den überwiegenden Zeitaufwand gegenüber Einebnungsarbeiten mit Rüttlern dar. Weit überwiegend habe er die Abbrucharbeiten der kilometerlangen Gossen an Straßen in seiner Arbeitskolonne alleine durchgeführt, während die Einebnungsarbeiten von mehreren Kollegen erledigt worden seien. Nach Rücksprache mit seinen ehemaligen Kollegen müsse er seine bisherige Einschätzung eines mindestens hälftigen Zeitaufwandes für Abbrucharbeiten dahingehend korrigieren, dass dieser durchschnittlich 3/4 der täglichen Arbeitzeit umfasst habe. Die Kenntnisse des Zeugen L. über die vom Kläger für die Fa. H. im Einzelnen durchgeführten Arbeiten seien nur sehr eingeschränkt. Dieser sei lediglich bis zu zweimal in der Woche für jeweils 10 bis 20 Minuten auf den Baustellen erschienen.

Der Kläger beantragt mit Schriftsatz vom 15. November 2011,

1. das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 17. Dezember 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2005 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verurteilen, seine Schulter- und Ellenbogenbeschwerden als Folge der Berufskrankheit nach Nr. 2103 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat über ihren TAD erneut den Geschäftsführer der Fa. H., Herrn L., sowie die Arbeitskollegen S. und T. zu den Arbeitsbelastungen des Klägers befragt. Ergänzend führt sie aus, dass vorliegend eine für die Anerkennung der BK 2103 erforderliche arbeitstägliche mehrstündige Belastung durch das Bedienen von druckluftbetriebenen Stemmwerkzeugen ohne Unterbrechung über Jahre hinweg, in einem zeitlichen Umfang von 2.500 Stunden während der gesamten beruflichen Tätigkeit ausgeschlossen sei. Die im angefochtenen Bescheid vom 9. November 2004 genannte Gesamtstundenzahl von 2.500 beziehe sich auf Untersuchungen im "Unter-Tage-Bereich" und einen Zeitraum von 2 Jahren. Somit lägen Expositionszeiten pro Jahr von rund 1.200 Stunden zugrunde. Für eine vergleichbare Belastung müsse man folglich im Falle des Klägers eine Expositionszeit von mehr als 20.000 Stunden erwarten. Jedenfalls sei nach dem Merkblatt zur BK 2103 eine mindestens zweijährige täglich wiederholte mehrstündige Arbeit mit hoher Schwingungsintensität zur Anerkennung der BK erforderlich. Das Kriterium "täglich wiederholte mehrstündige Arbeit" könne nach den Angaben des Klägers zur Arbeitsplatzgestaltung in seinen anderen BK-Verfahren vorliegend nicht erfüllt sein. Bei Addition aller Arbeitszeiten würde sich dabei eine tägliche Arbeitszeit von 16 Stunden ohne Pause, sogar in den Wintermonaten ergeben. So habe der Kläger in dem die BK 2108 betreffenden Verfahren angegeben, dass er von September 1985 bis September 2002 ausschließlich mit dem manuellen Handhaben von Lasten beschäftigt gewesen sei. In der Stellungnahme des TAD vom 6. Dezember 2004 sei diesbezüglich festgehalten, dass für die Hebe-/Tragearbeit und Arbeitszeit in extremer Rumpfbeugehaltung eine Belastungsdauer von etwa 60% ermittelt worden sei.

Der Senat hat durch seinen Berichterstatter den Kläger persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen L., U., T. und V.. Auf die Sitzungsprotokolle vom 9. Juni 2010 und vom 4. Mai 2011 wird verwiesen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143 SGG) und teilweise begründet.

Das Urteil des SG vom 17. Dezember 2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 9. November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2005 sind aufzuheben. Das vom Senat gem. § 123 SGG als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach den §§ 54, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG ausgelegte Begehren, mit dem der Kläger neben der Aufhebung der angefochtenen Bescheide die gerichtliche Feststellung seiner Beschwerden als BK 2103 erstrebt (vgl. hierzu Bundessozialgericht - BSG - Urteile vom 30. Januar 2007 - B 2 U 6/06 R - und vom 2. April 2009 - B 2 U 30/07 R - m. w. N.), ist zulässig und begründet, soweit es die Anerkennung der beidseitigen Ellenbogenerkrankung des Klägers als Folge der BK 2103 betrifft. Im Übrigen, hinsichtlich der Anerkennung auch der Schulterbeschwerden als BK-Folge, ist die Klage hingegen unbegründet.

Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt worden, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Hierzu zählen auch die in Nr. 2103 der Anlage zur BKV aufgenommenen Erkrankungen durch Erschütterungen bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen.

Ebenso wie die Erkrankung selbst müssen die einer versicherten Tätigkeit zuzurechnende Verrichtung und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen auf den Körper einschließlich deren Art und Ausmaß (arbeitstechnische Voraussetzungen) ebenso wie eine Erkrankung des Versicherten im Sinne des „Vollbeweises“, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen. Lediglich für die ursächlichen Zusammenhänge zwischen der versicherten Tätigkeit und der generell-schädlichen beruflichen Einwirkung auf den Körper (Einwirkungskausalität) zum Einen und zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung (haftungsbegründende Kausalität) zum Anderen als Voraussetzungen der Entschädigungspflicht, genügt nach der Lehre von der wesentlichen Bedingung grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit (vgl. BSGE 96, 291 [BSG 27.06.2006 - B 2 U 20/04 R]; 61, 127, 128 [BSG 20.01.1987 - 2 RU 27/86]).

Der Senat ist im Falle des Klägers in Bezug auf die Erkrankung der Ellenbogen vom Vorliegen der Voraussetzungen zur Anerkennung der streitgegenständlichen BK 2103 überzeugt.

Entgegen der Ansicht der Beklagten und den Ausführungen des SG im Urteil vom 17. Dezember 2009 sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegend erfüllt. Übereinstimmend und zutreffend gehen sowohl die Beklagte auf Grundlage des o. g. Merkblattes des BMAS zur BK 2103 und der darauf fußenden Ermittlungen ihres TAD als auch der Sachverständige Prof. Dr. P., der für die Herleitung der haftungsbegründenden Kausalität im Rahmen der BK 2103 auf die einschlägige - spärliche - neuere medizinisch-wissenschaftliche Gutachtenliteratur zu Gelenksarthrosen durch Schwingungsbelastungen verwiesen hat, davon aus, dass die vom Kläger während seiner Tätigkeitszeiten für die Fa. H. im Straßenbau bedienten Stemm- und Abbruchwerkzeuge, aus den Jahren um 1970 stammende Geräte, die überwiegend Schwingungsfrequenzen unterhalb von 50 Hertz erzeugten und mit Kraftaufwendung betrieben wurden, im Gegensatz zu den höhere Frequenzen verursachenden Bodenverdichtungsmaschinen (Rüttler) grundsätzlich geeignet waren, eine typische Erkrankung im Sinne der BK 2103 durch erschütterungsbedingte Einwirkungen auf das Hand-Arm-Schulter- System zu erzeugen.

Soweit die Beklagte hinsichtlich der konkreten Belastungen des Klägers durch Schwingungsbelastungen, dem o. g. Merkblatt folgend, das Erfordernis einer arbeitstäglich mehrstündigen Einwirkung durch druckluftgetriebene Abbruch- und Stemmgeräte über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahre hinweg aufstellt, ist diese Anforderung, abgesehen davon, dass ihr nicht die rechtliche Bedeutung einer Mindestarbeitszeit zukommt, sondern allenfalls einen allgemeinen, im Einzelfall widerlegbaren Erfahrungswert aufstellt (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 6/04 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 5 m. w. N.; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand 2011, M 2103 Rn. 4; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, S. 1170), vorliegend zur Überzeugung des Senats erfüllt.

Der TAD der Beklagten selbst hat in seiner Technischen Stellungnahme zur Exposition am Arbeitsplatz vom 27. August 2004 hinsichtlich der beruflichen Tätigkeiten des Klägers in der Zeit von September 1985 bis September 2002 im Straßenbau noch eine regelmäßige arbeitstägliche Bedienung von derartigen Geräten durch den Kläger an zwei Stunden pro Tag an etwa 60 Tagen im Jahr zugrunde gelegt. Von einer mehrjährigen, sich auf mehr als 60 Arbeitsschichten pro Jahr erstreckende Dauer einer berufsbedingten Belastung durch Arbeiten mit Druckluftwerkzeugen geht auch der Senat aus. Soweit die Beschäftigungszeiten des Klägers bei der Fa. H. zwischen 1983 und Mitte 2003 immer wieder Unterbrechungsintervalle wegen Urlaubs, Krankheit, schlechtem Wetter u. ä. aufweisen, stehen dem in diesem Zeitraum ausweislich seiner mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2006 dem Gericht vorgelegten Aufstellung, deren Richtigkeit die Beklagte nicht substanziiert bestritten hat, insgesamt 3.827 Arbeitstage gegenüber, sodass von einer wesentlichen Unterbrechung der mehrjährigen Arbeitstätigkeit nicht ausgegangen werden kann. So fielen in den Jahren 1988 bis 1991 sowie 1993 bis 1995 durchschnittlich 250 Arbeitstage an, 1996 bis 1998 durchschnittlich 232 Tage. Erst in den Folgejahren erhöhten sich die Ausfallzeiten (1999 137 Arbeitstage, 2000 145 Tage, 2001 212 Tage).

Die später geäußerten Zweifel der Beklagten an einer mehrjährigen, arbeitstäglich durchschnittlich mehrstündigen Bedienung von Stemm- und Abbruchwerkzeugen durch den Kläger vermag der Senat unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags im Verwaltungs- und im anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren, nach Anhörung des Klägers sowie Befragung des Geschäftsführers der Fa. H. und von drei ehemaligen Kollegen des Klägers durch den Berichterstatter im Erörterungstermin vom 4. Mai 2011 nicht zu teilen. Der Kläger selbst hat bereits am 1. April 2004 in dem ihm seitens der Beklagten übersandten Fragebogen angegeben, bei der Arbeit für die Fa. H. im Straßenbau 3 bis 4 Stunden am Tag mit Boschhammer, Rüttler, Presslufthammer und Schnellschlagstampfer gearbeitet zu haben. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens stellte er zwar - zu seinem Nachteil - die nicht die Ellenbogengelenke gefährdenden Tätigkeiten an Bodenverdichtungsgeräten in den Vordergrund, gab aber stets an, zusätzlich immer auch Stemmarbeiten unter Zuhilfenahme eines Kompressors durchgeführt zu haben (anwaltlicher Schriftsatz an die Beklagte vom 29. März 2005). Dem entsprechend erklärte er bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG, dass er 3 bis 4 Stunden täglich mit Geräten gearbeitet habe, davon zur Hälfe mit Pressluft- und Boschhämmern. Dass das Aufstemmen der Gossen im Rahmen des Straßenbaus - wie er in dem Erörterungstermin vom 9. Juni 2010 gegenüber dem Berichterstatter des Senats angegeben hat - einen großen, mindestens hälftigen Anteil an der Arbeitszeit ausmachte, erscheint dem Gericht von den Arbeitsabläufen her plausibel. Bestätigt haben diesen Vortrag die Arbeitskollegen des Klägers, die in ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung durch den Berichterstatter am 4. Mai 2011 detailliert, nachvollziehbar und im Wesentlichen übereinstimmend ausgesagt haben, dass er bei der Fa. H. in besonderer Weise mit Stemmarbeiten betraut worden war. So hat der Zeuge V., der mit dem Kläger ca. 7 Jahre zusammenarbeitete, angegeben, dass Stemmarbeiten zu etwa der Hälfte der Arbeitstage anfielen bzw. der Anteil der Stemmarbeiten mit einem großen Meißelhammer an den üblichen täglichen Arbeiten ca. 75 % ausmachten und größtenteils vom Kläger alleine ausgeführt wurde. Der Zeuge U., von 1989 bis 1997 und ab 2001 Arbeitskollege des Klägers, hat ausgesagt, dass bei der Fa. H. immer wieder Stemmarbeiten, bei denen alte Gossen im Straßenbau abgebrochen werden mussten, anfielen. So habe es vor 1997 einmal einen Zeitraum von etwa 2 Jahren gegeben, als sie fast nur mit dem Wegstemmen alter Gossen beschäftigt gewesen seien. Mit derartigen Stemmarbeiten sei stets der Kläger beschäftigt gewesen. Von etwa 8 bis 10 Stunden ihrer damaligen täglichen Arbeitszeit habe er 7 bis 8 Stunden am Tag, unterbrochen nur durch kurze Pausen, mit Hydraulikhämmern stemmen müssen. Leichtere Presslufthämmer mit Doppelgriff habe es erst ab 2001 bei der Fa. H. gegeben. Ab dieser Zeit habe der Kläger dann nicht mehr mit einem so hohen zeitlichen Anteil Stemmarbeiten durchgeführt. Auch der Zeuge T., der etwa 5 bis 6 Jahre mit dem Kläger zusammen arbeitete, hat angegeben, dass meistens der Kläger die Stemmarbeiten durchgeführt habe, und die anderen Arbeiter der 3 bis 4 Männer umfassenden Arbeitskolonne das Abbruchmaterial weggeräumt und andere Arbeit durchgeführt hätten. In etwa sei es so gewesen, dass der Kläger an einem 9-stündigen Arbeitstag 6 Stunden mit Stemmarbeiten beschäftigt gewesen sei. Diesen glaubhaften Aussagen im Wesentlichen entsprechende Angaben haben die Zeugen T. und U. - wenn auch noch in gröberen Zügen - bereits anlässlich ihrer Befragung durch den TAD der Beklagten am 11. August 2010 gemacht. Schließlich hat auch der Zeuge L., der die Bausstellen der Fa. H. seinerseits stets nur für jeweils relativ kurze Zeit aufgesucht hatte, und daher geringere Kenntnisse aus erster Hand zu den konkreten Arbeitstätigkeiten des Klägers hat, dem Gericht gegenüber seine früheren, teilweise widersprechenden Aussagen dahingehend korrigiert, dass der Abbruch alter Straßen in etwa die Hälfte der Bauarbeiten im Zusammenhang mit dem Neubau einer Straße ausgemacht habe und dass die dabei anfallenden Stemmarbeiten mit Presslufthämmern "oft bis immer" der Kläger durchgeführt habe. Bei Gossenregulierungen, die in den Jahren 1995 bis 1998 in größerem Umfang angefallen seien, sei der Kläger zu einem zeitlichen Anteil von etwa 60 bis 80 % mit Stemmarbeiten beschäftigt gewesen, bei normalen Straßenarbeiten in etwa zu 50 %. Der Kläger sei in der Firma der "Mann für das Grobe", d. h. für schwere Stemmarbeiten und ähnlich schwere Arbeiten gewesen.

Wenngleich nach alledem keine zeitlich konkret umrissenen Arbeitsintervalle erfasst werden können, in denen der Kläger ausschließlich Stemmarbeiten mit Presslufthämmern und ähnlichen Geräten durchführte, und die Angaben der Arbeitskollegen des Klägers zu dessen Arbeiten mit Abbruch- und Stemmwerkzeugen etwas hoch gegriffen sein mögen, so ist vorliegend jedenfalls über einen Zeitraum von weit mehr als zwei Jahren an mehr als 60 Tagen im Jahr von mindestens mehrstündigen die Ellenbogengelenke belastenden Stemmarbeiten des Klägers mit niederfrequenten druckluftbetriebenen Geräten auszugehen. Zu berücksichtigen ist bei alledem, dass es - worauf Prof. Dr. P. in seinem Gutachten vom 21. Mai 2008 unter Wiedergabe der einschlägigen Gutachtenliteratur und der Vorgaben des Merkblattes zur BK 2103, nach denen arbeitsbedingte arthrotische Veränderungen "in der Regel" nicht vor Ablauf einer zweijährigen, täglich wiederholten mehrstündigen Arbeit mit hoher Schwingungsintensität auftreten, hingewiesen hat - im Rahmen der BK 2103 kein "Abschneidekriterium" hinsichtlich der Schwingungsbelastungsdosis des Hand-Arm-Systems gibt. Nicht nur hinsichtlich einer Belastungsintensität bezogen auf die Dauer der täglichen Expositionen, sondern auch bezüglich der seitens der Beklagten im Ablehnungsbescheid vom 9. November 2004 zusätzlich geforderten mindestens 2.500 Gesamtbelastungsstunden und eines "Richtwertes" für die Gesamtbelastungsdosis von 2,2 DvH 2,2 x 106, den der Kläger mit dem vom TAD der Beklagten in dessen o. g. Stellungnahme vom 27. August 2008 ermittelten Wert von DvH 1,775 x 106 und 2.000 Gesamtexpositionsstunden nicht sehr weit unterschritten hat, ist die Rechtsprechung des BSG zu beachten, nach der eine rechnerisch exakte Mindestexposition zur Bejahung eines ausreichenden Maßes an Einwirkungen bei Berufskrankheiten bei der BK 2103 nicht gefordert werden kann (Urteil vom 2. April 2009 - B 2 U 9/08 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 14, Rn. 22. f.). Das BSG hat insofern unter Verweis auf ältere Entscheidungen (Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R , SozR 4-2700 § 9 Nr. 7, Rn. 19; Urteil vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5) ausgeführt, dass der Wert einer Mindestdosis so niedrig bemessen sein muss, dass bei seiner Unterschreitung auch in besonders gelagerten Fällen ein rechtlich relevanter Kausalzusammenhang ohne weitere medizinische Untersuchung ausgeschlossen ist. Andererseits ist zu beachten, dass beim Überschreiten der Mindestdosis die haftungsbegründende Kausalität nicht automatisch zu bejahen ist, weil die Art und das Ausmaß der Einwirkungen nur ein Kriterium zur Beurteilung dieses Ursachenzusammenhangs ist. Die Dosiswerte haben vielmehr die Funktion, Größenordnungen oder Orientierungswerte anzugeben, aus denen Rückschlüsse auf die Verursachung der Erkrankung durch Einwirkungen möglich sind, weil bei Dosis-Wirkungs-Beziehungen höhere Einwirkungen eher für und niedrigere eher gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen. Auch in der die aktuellen unfallmedizinischen Erkenntnisse wiedergebenden Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, S.1170) wird mittlerweile davon ausgegangen, dass eine zweijährige Druckluftarbeit zur Bejahung eines Kausalzusammenhangs zwischen dieser Tätigkeit und der Erkrankung nicht generell erforderlich ist, sondern allein dazu dient, eine beruflich wesentlich verursachte, d. h. richtunggebende Verschlimmerung anlagebedingter Bindegewebsschwächen von nicht wesentlichen Einflüssen abzugrenzen. Wenn jedoch durch Röntgenverlauf der Krankheitsverlauf belegt und damit der ursächliche Zusammenhang mit einer kürzeren gefährdenden Tätigkeit überzeugend nachgewiesen sei, könne davon abgewichen werden.

Hinsichtlich des Vorliegens der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen, d. h. eines mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmenden haftungsbegründenden Ursachenzusammenhangs zwischen Einwirkungen und Erkrankung im Sinne der BK 2103, folgt der Senat Prof. Dr. P., der in seinem auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG vom SG eingeholten Sachverständigengutachten plausibel unter Verweis auf die aktuellen Forschungen dargelegt hat, dass bei Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen eine Zurückführung der vollbeweislich festgestellten Beschwerden des Klägers an den Ellenbogengelenken auf dessen berufliche Tätigkeiten im Straßen- und Tiefbau mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei. Die druckluftbetriebenen Stemm- und Abbruchwerkszeuge, mit denen der Kläger nach den obigen Ausführungen in erheblichem Umfang gearbeitet hat, sind hiernach grundsätzlich geeignet, eine Arthrosis deformans des Ellenbogengelenks zu verursachen, da sie überwiegend Frequenzen unterhalb 50 Hertz erzeugen und mit Kraftaufwendung (Grifffestigkeit und Anpressdruck) betrieben werden. Des Weiteren hat der Sachverständige nach Prüfung einer Vielzahl seit dem Jahr 1999 erstellter Röntgenaufnahmen, nach Untersuchung des Klägers und im Einklang mit der Stellungnahme des Beratungsarztes der Beklagten Dr. M. vom 15. Mai 2004 nachvollziehbar ausgeführt, dass die beim Kläger an beiden Ellenbogengelenken bestehenden Arthrosen mit kleinen intraartikulären Ossikeln sowie periartikulären Kapselverkalkungen dem typischen Krankheitsbild einer beruflich verursachten Arthrosis deformans im Sinne der BK 2103 entsprechen. Bei den Ossikeln handelt es sich um kleine Knochenfragmente im freien Gelenkspalt, die Zeichen einer erheblichen Zerstörung des Ellenbogengelenks sind. Für einen Ursachenzusammenhang spricht auch, dass beim Kläger die das Altersmaß bei Weitem übersteigenden Veränderungen im humero-ulnaren Gelenk (Gelenk zwischen Oberarmknochen und Elle) am ausgeprägtesten waren. Dass eine derartige Erkrankung mit degenerativen Veränderungen in den Ellenbogengelenken typisch für die streitgegenständliche BK ist, fand bereits Eingang in das einschlägige o. g. Merkblatt des BMAS und entspricht auch der aktuellen unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 1171).

Der Senat folgt Prof. Dr. P. auch in seiner weiteren Einschätzung, wonach der Schweregrad der sich erst in MRT- und Röntgenaufnahmen aus dem Jahr 2003 darstellenden arthrotische Erkrankungen beider Schultergelenke das alterübliche Maß nicht signifikant übersteigt, sodass es insofern an einem hinreichend wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang zwischen Beschwerden und beruflicher Einwirkung im Sinne der BK 2103 fehlt. Diesbezüglich konnte die Berufung daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 1 und Abs. 2 SGG liegen nicht vor.