Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.09.2009, Az.: 9 K 259/06
Zulässigkeit einer Klage wegen Zahlung von Kindergeld ohne durchgeführtes Vorverfahren ; Begründung eines Pflegekindschaftsverhältnisses zu einem volljährigen, behinderten Kind; Beendigung eines Pflegekindschaftsverhältnisses durch eine Begründung eines partnerschaftlichen bzw. eheähnlichen Verhältnisses zwischen Pflegevater und Pflegekind
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 11.09.2009
- Aktenzeichen
- 9 K 259/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 25542
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2009:0911.9K259.06.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 22.12.2011 - AZ: III R 70/09
Rechtsgrundlagen
- § 44 Abs. 1 FGO
- § 367 Abs. 2 AO
- § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG
- § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG
- § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG
Fundstelle
- EFG 2010, 225-228
Kindergeld
- 1.
Eine Klage wegen Zahlung von Kindergeld ist mangels Vorverfahren unzulässig, soweit der Zeitraum nach Ergehen des Einspruchsbescheides betroffen ist.
- 2.
Ein Pflegekindschaftsverhältnis kann auch dann zu volljährigen Kindern begründet werden, wenn deren Grad der Behinderung unter 100 ist.
- 3.
Die Gewährung von Kindergeld für Pflegekinder setzt nicht voraus, dass das erwachsene geistig behinderte Kind in seiner geistigen Entwicklung einem Kind gleichsteht.
- 4.
Ein Pflegekindschaftsverhältnis endet, wenn zwischen dem Pflegevater und seinem Pflegekind ein partnerschaftliches, eheähnliches Verhältnis begründet oder eine Ehe geschlossen wird.
Tatbestand
Streitig ist, ob zwischen dem Kläger und seiner volljährigen Schwägerin und jetzigen Ehefrau G. H. (geb. S.) und seinem volljährigen Schwager H. S. Pflegekindschaftsverhältnisse bestehen.
G. H., geboren am 26. Februar 1968, und H. S., geboren am 21. August 1977, lebten nach den Angaben des Klägers mindestens seit 1980 mit ihrer verwitweten Mutter E. S. und weiteren drei Geschwistern zusammen. Bis zu ihrem Tod im September 2004 erhielt die Mutter nach Aktenlage Kindergeld (gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG) für ihre Kinder G. und H..
Der Kläger lernte nach eigenen Angaben die Familie S. im Rahmen einer Hilfe bei einem Umzug Ende 1980 kennen. Anschließend begann er eine Beziehung mit der Tochter von E. S. aus erster Ehe, S. B.. Die Eheschließung erfolgte am 8. Juli 1983. Nach Angaben des Klägers besteht seit dieser Zeit ein enger Kontakt zu G. und H.. Dieser enge Kontakt blieb erhalten, weil die Familien S. und H. (Familie des Klägers) in der Folgezeit zwar in verschiedenen Wohnungen, räumlich aber nie mehr als 5 km voneinander entfernt gewohnt hatten.
Ausweislich eines vorgelegten Bescheides des Versorgungsamtes Oldenburg vom 14. März 1990 ist G. H. geistig-, seelisch- und sehbehindert beiderseits, und zwar mit einem Grad der Behinderung von 100 v.H. (gesundheitliche Merkmale "G", "H", "B"). Auch H. S. gehört ausweislich des Bescheides des Versorgungsamtes Oldenburg vom 17. August 2000 zum Personenkreis der Schwerbehinderten. Der Grad der Behinderung beträgt 70 v.H. Ausweislich des Bescheides wurden folgende Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt:
geistig-seelische Behinderung (Grad der Behinderung: 50 v.H.)
Anfallsleiden (Grad der Behinderung: 30 v.H.)
Sehbehinderung (Grad der Behinderung: 20 v.H.).
Ausweislich der Bescheide des Landkreises Aurich vom 15. September 2005 haben G. H. und H. S. Anspruch auf Grundsicherung im Alter und wegen Erwerbsminderung. Sie erhalten laufende Leistungen nach SGB XII.
Nach dem Tod der Mutter E. S. kümmerte sich der Kläger zunächst gemeinsam mit seiner Tochter M. H. um G. H. und H. S.. Andere Familienangehörige lebten seinerzeit nicht mehr in dem Haushalt.
Nach dem Tod der Mutter beantragte zunächst die Tochter des Klägers, M. H., Kindergeld für G. H. und H. S.. Nach dem Wegzug der Tochter wurde dieser Antrag jedoch nicht weiterverfolgt.
Am 1. Juli 2004 schlossen G. H. und H. S. einen Mietvertrag über ein Reihenendhaus, ... . In dieses Haus zog der Kläger ein. Die Ummeldung erfolgte am 9. September 2005.
Der Kläger bezieht Leistungen nach SGB II von der ARGE Norden. Ausweislich eines Schreibens der Arbeitsgemeinschaft der Arbeitsagentur Emden vom 10. April 2006 kam es zu einer Änderung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SBG II mit Wirkung vom 1. Mai 2006, da G. H. ab diesem Zeitpunkt als Partnerin (Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft) anerkannt wurde.
Seit 4. Januar 2008 ist der Kläger mit G. H. verheiratet.
Nach eigenen Angaben im Schriftsatz vom 7. September 2009 übernahm der Kläger mit dem Einzug alle Betreuungsleistungen. Danach erbrachte er für G. H. und H. S. folgende Leistungen:
Erledigung aller finanziellen Transaktionen
Verfügung über das gesamte Einkommen
Gestaltung des Zusammenlebens
Überwachung und Bestimmung aller hauswirtschaftlichen Arbeiten
Überwachung der persönlichen Pflege, einschl. Kleidung und Wäschepflege.
Am 13. September 2005 stellte schließlich der Kläger einen Antrag auf Kindergeld für die volljährigen Kinder G. H. und H. S.. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Januar 2006 ab. Zur Begründung führte die Beklagte an, dass mit einem familienfremden Kind, das nach Eintritt der Volljährigkeit mit dem Ziele des dauernden Verbleibs in den Haushalt aufgenommen wird, in der Regel kein Kindschaftsverhältnis begründet werden könne. Ferner stellte die Beklagte darauf ab, dass keine Pflegeerlaubnis des zuständigen Jugendamtes vorliege. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte ebenfalls keinen Erfolg. Die Beklagte stützte die Zurückweisung darauf, dass der Kläger erst am 9. September 2005 in das Haus von G. H. und H. S. eingezogen sei und er die Kinder schon deshalb nicht in seinen Haushalt aufgenommen habe.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger sein Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen Folgendes vor: Eine Haushaltsaufnahme sei vorliegend entgegen der Auffassung der Beklagten gegeben, und zwar in der Form, dass der Kläger seinen Haushalt in die Wohnung der Kinder verlegt habe. Dies sei bereits im Mai 2005 geschehen. Auf den Zeitpunkt der Ummeldung im September 2005 komme es nicht an. Seit dem Zeitpunkt des Kennenlernens der Familie S. im Jahr 1980 und der anschließenden Eheschließung mit der Schwester von G. H. und H. S., hätten die Familien in unterschiedlicher Form stets zusammengelebt. Trotz häufiger Umzüge und dem Vorhandensein getrennter Wohnungen habe die weiteste Entfernung allenfalls 5 km betragen. Teilweise sei in der Folgezeit auch ein gemeinsamer Haushalt geführt worden in einer einzigen Wohnung. Da die Mutter von G. H. und H. S. über kein eigenes Auto verfügt habe und die Kinder behindert gewesen seien, habe der Kläger mit seiner Familie sämtliche Einkäufe für die Familie S. erledigt. Hieraus resultiere, dass eine Haushaltsgemeinschaft durchgehend, und nicht erst nach Eintritt der Volljährigkeit von G. H. und H. S. begründet worden sei. Die Pflegebedürftigkeit von G. H. und H. S. ergebe sich aus den vorgelegten Nachweisen zur Schwerbehinderung. Ohne die vom Kläger seit dem Einzug erbrachten Betreuungsleistungen sei eine Heimunterbringung erforderlich.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 10. Januar 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 12. Juni 2006 antragsgemäß Kindergeld ab Mai 2005 für die Pflegekinder G. H. und H. S. zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach den vorliegenden Unterlagen könne von einer Haushaltsaufnahme i.S.d. EStG nicht ausgegangen werden. Fakt sei, dass der Kläger nicht bereits vor Eintritt der Volljährigkeit von G. H. und H. S. und seitdem ununterbrochen mit diesen Personen in einem gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Er habe selbst im Rahmen der Antragstellung angegeben, die Kinder im September 2005 aufgenommen zu haben. Anders als bei der leiblichen Mutter sei nicht nur zu prüfen, ob eine Behinderung i.S.d. EStG vorliege, sondern darüber hinaus, ob ein Pflegekindschaftsverhältnis bestehe. Insoweit trage der Kläger die Beweislast. Bereits der Umstand, dass der Kläger nach eigenen Angaben inzwischen mit Frau H. verheiratet sei, spreche gegen die Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses. Voraussetzung für eine entsprechende Kindergeldzahlung sei, dass es sich um schwer geistig und seelisch behinderte Menschen handeln müsse, die in ihrer geistigen Entwicklung einem Kind gleichstünden.
Entscheidungsgründe
1.
Die Klage hat nur teilweise Erfolg.
a.
Soweit der Kläger die Kindergeldfestsetzung für Zeitraum ab Juli 2006 begehrt, ist die Klage bereits unzulässig.
Gemäß § 44 Abs. 1 FGO ist die Klage, wenn ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder teilweise keine Erfolg gehabt hat. Auch gegen die Ablehnung eines beantragten Verwaltungsaktes - hier die Kindergeldfestsetzung - ist der Rechtsbehelf des Einspruchs statthaft. Für die Zeiträume ab Juli 2006 hat die Beklagte jedoch weder durch Bescheid über die Anspruchsberechtigung des Klägers entschieden, noch hat insoweit ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren stattgefunden.
Im Streitfall hat die Beklagte im Ablehnungsbescheid vom 10. Januar 2006 zunächst nur über die Kindergeldberechtigung des Klägers bis zu diesem Zeitpunkt entschieden und mit der Einspruchsentscheidung am 12. Juni 2006 noch die Zeiträume bis dahin geprüft, weil die Behörde im Rahmen der Einspruchsentscheidung die Sache nach § 367 Abs. 2 AO in vollem Umfang erneut zu prüfen hat. Für die Zeiträume danach hat die Beklagte hingegen keine Entscheidung getroffen, weil sich ein Bescheid, durch den ein Antrag auf Festsetzung von Kindergeld abgelehnt wird, in der Regelung des bis dahin abgelaufenen Zeitraums erschöpft. Über die in Zukunft liegenden und damit zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht entstandenen Kindergeldansprüche trifft ein Ablehnungsbescheid keine Regelung (BFH-Urteil vom 28. Januar 2004 - VIII R 12/03, BFH/NV 2004, 786; FG Düsseldorf, Urteil vom 23. Januar 2007 - 10 K 5107/05 KG, [...]).
Der gegenteiligen Rechtsansicht des FG Köln (Urteil vom 9. Mai 2007 - 10 K 983/04, [...]), wonach sich der Regelungsgehalt eines bestandskräftigen Ablehnungsbescheides auf den Zeitraum bis zur Bekanntgabe des Bescheides beschränkt, der durch Klage angefochtene Bescheid jedoch eine Regelung bis zur Entscheidung des Gerichts trifft, kann sich der Senat nicht anschließen. Der Regelungsinhalt eines Bescheides bestimmt sich nach seinem objektiven Inhalt und nicht nach der Reaktion des Bescheidadressaten auf diesen Bescheid. Der Senat kann dem FG Köln auch nicht darin folgen, dass Praktikabilitätsgesichtspunkte für seine Rechtsansicht sprechen. Es übersieht, dass seine Rechtsauffassung für den Kläger unabsehbare Prozessrisiken mit sich brächte, weil der Streitwert während der Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens permanent ansteigen würde. Hinzu kommt, dass sich die Sach- und Rechtslage in den der Einspruchsentscheidung nachfolgenden Zeiträumen ändern kann mit der Folge, dass der Kindergeldanspruch aus Gründen wegfällt, die im bisherigen Verfahren keine Rolle gespielt haben, etwa weil das Kind eine Ausbildung beendet oder abbricht, Einkommen die schädliche Grenze übersteigt oder der Kläger wie im Streitfall das Pflegekind heiratet. Nach Auffassung des FG Köln müsste die Klage insoweit abgewiesen werden und der Kläger die Verfahrenskosten tragen, obwohl er möglicherweise gar nicht bestreitet, dass ihm von einem späteren Zeitpunkt an kein Kindergeld mehr zusteht. Nach Auffassung des Senats besteht keine Veranlassung, den Verfahrensbeteiligten auf diese Weise Klageverfahren aufzudrängen, die sie eventuell gar nicht führen möchten (so bereits Niedersächsisches FG, Urteil vom 9. Juli 2007 - 16 K 427/05, EFG 2007, 1787).
Dem steht nicht entgegen, dass im vorliegenden Streitfall der Klägervertreter trotz entsprechendem gerichtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung durch seine Antragstellung auch für Zeiträume ab Juli 2006 Kindergeldfestsetzungen beantragt und damit das Kostenrisiko einer entsprechende Abweisung der Klage bewusst in Kauf nimmt.
b.
Die Klage ist dagegen zulässig und begründet, soweit Kindergeld für G. H. für den Zeitraum September 2005 bis April 2006 und für H. S. für den Zeitraum September 2005 bis Juni 2006 in gesetzlicher Höhe begehrt wird.
Die Voraussetzungen für die Kindergeldfestsetzung liegen in diesen Zeiträumen vor, denn G. H. und H. S. sind Pflegekinder des Klägers im Sinne des §§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG, für die ein Kindergeldanspruch besteht.
aa.
Ein Pflegekind ist nach der Legaldefinition des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG eine Person, mit der der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht.
(1)
Der Kläger hat mit dem Zuzug in deren Wohnung G. H. und H. S. in seinen Haushalt integriert und damit aufgenommen. Eine Haushaltsaufnahme in einen vom Kläger zuvor begründeten Haushalt ist nicht erforderlich. Entscheidend ist hier allein das örtlich gebundene Zusammenleben in einer gemeinsamen Familienwohnung. Alle Personen leben seit September 2005 örtlich gebunden zusammen. Zudem betreut und versorgt der Kläger G. H. und H. S. seither (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 18. Februar 2008 - III B 69/07, BFH/NV 2008, 948 zur den Merkmalen der Haushaltsaufnahme bei Volljährigen; siehe auch Abschn. 63.2.2.2 DA-FamEStG). Auch ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu der leiblichen Mutter bestand nach deren Tod nicht mehr. Darauf, ob der Kläger die Kinder zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten unterhielt, kommt es seit der Änderung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG durch das Zweite Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003 --StÄndG 2003--, BGBl. I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) nicht mehr an.
(2)
Der Kläger ist mit G. H. und H. S. auch durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden.
Ein solches Band ist gegeben, wenn das Kind wie zur Familie gehörig angesehen und behandelt wird. Dies wird allgemein dann angenommen, wenn zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Kind ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern besteht und er dabei die wesentlichen Entscheidungen des Alltags für das Kind trifft (vgl. Jachmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG-Kommentar, § 32 Rz. B 12). Dabei muss das familienähnliche Band - von dem Zeitpunkt der Begründung aus betrachtet - auf Dauer angelegt sein, mindestens auf 2 Jahre (Abschn. 63.2.2.3 Abs. 1 S. 2 DA-FamEStG).
Ein familienähnliches Band mit einem bereits Volljährigen ist allerdings nur bei Hilflosigkeit oder Behinderung des Volljährigen oder bei Vorliegen sonstiger besonderer Umstände anzunehmen. Als sonstiger besonderer Umstand wird z.B. eine bereits vorher entstandene länger andauernde besondere emotionale Bindung angesehen, aus der sich ebenfalls eine Betreuungsbedürftigkeit des volljährigen Kindes ergeben kann. Ein gesunder Volljähriger hingegen bedarf regelmäßig keiner Aufsicht, Betreuung oder Erziehung mehr, wie§ 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG sie - im Einklang mit § 1626 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - voraussetzt. Die sonstigen besonderen Umstände müssen mit einer Behinderung oder Hilflosigkeit des volljährigen Kindes vergleichbar sein (BFH-Urteil vom 21. April 2005 - III R 53/02, BFH/NV 2005, 1547, unter II. 2., m. w. Nachw.).
Nach dem Urteil des FG Köln vom 26. Juni 2008 (2 K 3253/04, EFG 2008, 1565) sollen die vorgenannten strengen Anforderungen an ein Pflegekindschaftsverhältnis zu Volljährigen dann nicht gelten, wenn das Kind schon längere Zeit vor Eintritt der Volljährigkeit in den Haushalt der Pflegeeltern aufgenommen worden ist.
Nach Auffassung des FG Baden-Württemberg (Urteil vom 3. Februar 2009 - 12 K 2612/07, EFG 2009, 1210; Rev. eingelegt, Az. des BFH: III R 15/09) kann ein familienähnliches Band i.S. von§ 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG mit einem bereits Volljährigen schon angenommen werden, wenn ein geistig oder seelisch behinderter Volljähriger in seinen geistigen Fähigkeiten derart eingeschränkt ist, dass er anderenfalls in einem Heim leben müsste (entgegen Abschn. 63.2.2.3 Abs. 2 S. 6 DA-FamEStG: nur wenn es sich um einen behinderten Menschen handelt, der in seiner geistigen Entwicklung einem Kind gleichsteht).
Nach Abschn. 63.2.2.3 Abs. 3 S. 1 DA-FamEStG soll eine vom Jugendamt erteilte Pflegeerlaubnis nach§ 44 SGB VIII ein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer familienähnlichen Bindung sein. Diese Erlaubnis soll jedoch nicht in jedem Fall vorgeschrieben sein.
bb.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze geht der Senat in den unter b. genannten Zeiträumen von einem entsprechenden familienähnlichen, auf längere Dauer berechnetes Band zwischen dem Kläger und G. H. und H. S. aus.
(1)
G. H. ist unstreitig mit einem GdB von 100 geistig-, seelisch- und sehbehindert beiderseits. Es liegt also sowohl eine Behinderung als auch - mindestens infolge der Sehbehinderung - eine Hilflosigkeit vor, die eine Aufsicht und Betreuung von dritter Seite erforderlich macht. Hinsichtlich der Schwere der Behinderung ist ferner zu berücksichtigen, dass die Mutter ebenfalls in der Vergangenheit Kindergeld erhielt, was nur unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG möglich war. Dies deutet darauf hin, dass Gisela aufgrund der Behinderung zu keinem Zeitpunkt in der Lage war und ist, sich selbst zu unterhalten. Aus diesem Grund erhält sie auch laufende Leistungen nach SGB XII (Grundsicherung).
Abgesehen davon besteht auch zumindest seit der Heirat des Klägers mit ihrer Halbschwester und dem Wohnen in der räumlichen Nähe über viele Jahre (22 Jahre) eine gewisse emotionale Bindung. Der Kläger ist nicht irgendeine fremde dritte Person, sondern gehört aus Sicht von G. H. und H. S. von Kind an als Schwager quasi zum erweiterten Kreis der Familie.
Dagegen setzt die Gewährung von Kindergeld für Pflegekinder nicht voraus, dass das erwachsene geistig behinderte Kind in seiner geistigen Entwicklung einem Kind gleichsteht. Der Senat folgt damit der Rechtsprechung des FG Baden-Württemberg (Urteil vom 3. Februar 2009 -12 K 2612/07, EFG 2009, 1210; Rev. eingelegt, Az. des BFH: III R 15/09) und des 16. Senats des Niedersächsischen FG (Urteil vom 31. März 2005 - 16 K 25/04, EFG 2005, 1786, rkr).
Die offensichtliche Behinderung und Hilflosigkeit infolge Erblindens macht dabei eine Betreuung, wie sie der Kläger erbringt, unentbehrlich. Nach der glaubhaften Schilderung des Klägers trifft er dabei alle wesentlichen Entscheidungen des Alltags für G. H.. Bei dieser Sachlage erscheint es für den Senat nachvollziehbar, dass ohne Betreuung und Aufsicht durch den Kläger eine Heimunterbringung erforderlich wäre.
(2)
Auch bei H. S. führt die Behinderung und die Annahme einer besonderen emotionalen Bindung zur Begründung eines familienähnlichen Bandes. Auch wenn seine Behinderung mit einem GdB von 70 nicht den Schweregrad seiner Schwester erreicht, war und ist auch er aufgrund des Schweregrades der Behinderung nicht in der Lage, sich selbst zu unterhalten. Aus diesem Grund erhielt die Mutter auch nach Vollendung seines 27. Lebensjahres bis zu ihrem Tod Kindergeld für H. S.. Auch H. S. erhält laufende Leistungen nach SGB XII (Grundsicherung).
Die Betreuungsbedürftigkeit ergibt sich zudem aus der über viele Jahre bereits zuvor gewachsenen emotionalen Bindung zum Kläger. In diesem Zusammenhang ist für den Senat von Bedeutung, dass der Kläger H. S. bereits aus dem Kleinkindalter von 3 Jahren kennt und er bereits seit dieser Zeit als Schwager quasi zur Familie gehört. Hinzu kommt, dass der Kläger auch räumlich nahe bei der Familie S. wohnte und so ein ständiger Kontakt unterhalten wurde (ähnlich FG Köln, Urteil vom 26. Juni 2008 - 2 K 3253/04, EFG 2008, 1565).
Nach Würdigung des Akteninhalts ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass auch H. S., der aufgrund seiner Behinderung nie am Arbeitsleben teilgenommen hat, zur Bewältigung seines Alltags, insbesondere aufgrund seiner geistig-seelischen Behinderung und seines Anfallsleidens der Betreuung und Aufsicht durch den Kläger bedarf und ohne die erbrachten Betreuungsleistungen, die ebenfalls alle wesentlichen Entscheidungen des Alltags umfassen, eine Fremdbetreuung oder eine Heimunterbringung erforderlich wäre.
Da der BFH im Urteil vom 21. April 2005 (III R 53/02, BFH/NV 2005, 1547) keinen bestimmten Grad der Behinderung, insbesondere keinen GdB von 100, als erforderlich ansieht, erachtet der Senat den festgestellten Grad der Behinderung von 70 in diesem Zusammenhang als ausreichend (so auch FG Baden-Württemberg, Urteil vom 3. Februar 2009 - 12 K 2612/07, EFG 2009, 1210; Rev. eingelegt, Az. des BFH: III R 15/09 betr. GdB von 90).
c.
Soweit der Kläger Kindergeld bereits für den Zeitraum Mai 2005 bis einschließlich August 2005 begehrt, ist die Klage dagegen unbegründet. Mangels Haushaltsaufnahme kommt die Anerkennung eines Pflegekindschaftsverhältnis in diesem Zeitraum noch nicht in Betracht.
Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass die Haushaltsaufnahme in Form des Zuzugs in die Wohnung von G. H. und H. S. bereits im April/Mai 2005 erfolgt ist. Der Senat hat erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit der diesbezüglichen Angaben des Klägers. So hat der Kläger noch im Schreiben vom 8. August 2005 an die Bundesanstalt für Arbeit als Wohnsitz "G.-F. Str. ..., ..." angegeben. Selbst in seinem Kindergeldantrag vom 9. September 2005 hat der Kläger angegeben, dass die Kinder "seit Sept. 2005" in seinem Haushalt leben. Unterlagen, aus denen sich etwas anderes ergibt, hat der Kläger dagegen nicht vorgelegt.
Verbleibende Zweifel gehen zu Lasten des Klägers, der insoweit die Feststellungslast (Beweislast) trägt.
d.
Soweit der Kläger Kindergeld für G. H. auch für Zeiträume ab Mai 2006 begehrt, konnte dem ebenfalls nicht entsprochen werden. Die ab 1. Mai 2006 bestehende Partnerschaft zu G. H. und die spätere Heirat am 4. Januar 2008 stehen der Anerkennung eines Pflegekindschaftsverhältnisses entgegen.
Ein familienähnliches Band scheidet mit Beginn der partnerschaftlichen Beziehung aus, weil der Kläger und G. H. ihr Zusammenleben ab diesem Zeitpunkt auf eine neue Grundlage gestellt haben. Die partnerschaftliche Verbundenheit ist trotz weiterhin erbrachter Betreuungsleistungen nicht mehr dem Eltern-Kind-Verhältnis ähnlichen Verhältnissen vergleichbar. Ein partnerschaftliches Verhältnis und die spätere Ehe zeichnen sich durch ein Gleichordnungsverhältnis zwischen den Partnern aus, das sich wesentlich von dem Autoritäts-, Betreuungs- und Aufsichtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern/Pflegekindern unterscheidet. Auch die emotionale Bindung erreicht mit Beginn der Partnerschaft und erst recht während der Ehe eine andere Ebene und ist nicht mehr mit der Bindung der Eltern zu ihrem Kind vergleichbar.
Nach Überzeugung des Senats überlagern im Streitfall die Partnerschaft und die nachfolgende Ehe das vorher bestehende Pflegekindschaftsverhältnis und beenden dieses. Der Senat sieht die Anerkennung als Partnerin und Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft mit Wirkung vom 1. Mai 2005 (vgl. Schreibens der Arbeitsgemeinschaft der Arbeitsagentur Emden vom 10. April 2006 betr. Änderung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SBG II) als ausreichenden zeitlichen Anknüpfungspunkt für die Beendigung des Pflegekindschaftsverhältnisses.
Nach alledem konnte die Klage nur teilweise Erfolg haben.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Finanzgerichtsordnung (FGO).
3.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
4.
Die Revision war bereits im Hinblick auf das beim BFH anhängige Verfahren mit dem Aktenzeichen III R 15/09 zuzulassen. Im Übrigen hält der Senat für klärungsbedürftig, welche Auswirkungen eine partnerschaftliche Beziehung, die in eine spätere Ehe mündet, auf ein zuvor bestehendes Pflegekindschaftsverhältnis hat. Wegen divergierender FG-Rechtsprechung ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zudem klärungsbedürftig, ob im Klageverfahren Kindergeld nur bis zum Monat der Einspruchsentscheidung erstritten werden kann (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO).