Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.03.1996, Az.: I 324/90
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 12.03.1996
- Aktenzeichen
- I 324/90
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 26861
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1996:0312.I324.90.0A
Fundstelle
- EFG 1996, 795 (Volltext mit amtl. LS)
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten der Kläger abgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Frage, ob das Grundstück der Kläger im Sach- oder Ertragswertverfahren zu bewerten ist.
Die Kläger sind Mitglieder einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die im Jahre 1980 das ca. 24000 qm große Grundstück . in Hannover erwarb. Seinerzeit halte die Gesellschaft nur zwei Gesellschafter, die Hannover . AG (Klägerin zu 1)) und die . AG (Klägerin zu 2)), die die Geschäfte der Gesellschaft führte. Im Jahre 1984 trat als weitere Gesellschafterin die . AG (Klägerin zu 3)) bei. In den Jahren ab 1982 begann die Gesellschaft damit, auf dem Grundstück ein -; wie es in der Baubeschreibung des Architekten heißt -; Verwaltungsgebäude zu errichten. Der erste Bauabschnitt des Gebäudes wurde im Jahre 1984 bezugsfertig. Es hat vier Stockwerke über einer Tiefgarage. Im Erdgeschoß befindet sich der Empfangsbereich, eine Küche nebst Speiseraum und Cafeteria, Garderobenräume, eine Telefonzentrale. Postverteilerstelle, Bibliothek sowie diverse Konferenz- und Büroräume. Die Obergeschosse I bis III sind überwiegend mit Büroräumen ausgestattet. Im IV. Obergeschoß befindet sich die Chefetage. Hier sind die -; im Vergleich mit den Büroräumen in den unteren Etagen größeren -; Arbeitszimmer der Vorstandsmitglieder und ihrer Sekretariate nebst Sitzungssaal untergebracht. Auf dem Dach befindet sich eine überdachte Terrasse, die Treppenhäuser sind zum Dach hin mit Glaspyramiden abgeschlossen. Wegen der Einzelheiten der baulichen Gestaltung wird auf die Bauzeichnungen in der Einheitswertakte des Beklagten verwiesen. Wegen der Ausstattung des Gebäudes wird Bezug genommen auf die Baubeschreibung des Architekten Bl. 66 bis 72 der Einheitswertakten. Im Außenbereich befinden sich auf dem Grundstück neben diversen Grünflächen zwei Tennisplätze und ein Regenwasserrückhaltebecken. Nach Fertigstellung des ersten Bauabschnitts vermietete die Gesellschaft das gesamte Gebäude an ihre Gesellschafter Hannover . AG und Mieter die Räume inzwischen weitervermietet. Bei Klageerhebung im Juli 1990 wurde das Gebäude von der Gesellschaft genutzt, von ihren Gesellschaftern Hannover . AG und . AG, . vom V.a.G. und von der Professor Dr. . -; Professor . ist Vorsitzender des Aufsichtsrates des . V.a.G.
Nach Errichtung des ersten Bauabschnitts hat das Finanzamt nach vorheriger Besichtigung mit Bescheid vom 1. Juni 1988 eine Art-, Wert- und Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 1985 vorgenommen und darin das Grundstück als Geschäftsgrundstück mit einem im Sachwertverfahren errechneten Einheitswert von 5.928. 400 DM bewertet. Dagegen haben die Kläger nach erfolglosem Vorverfahren Klage erhoben, mit der sie sich gegen die Anwendung des Sachwertverfahrens wenden. Sie sind der Ansicht, das errichtete Gebäude sei ein typisches Bürohaus im Sinne von Abschnitt (A) 16 Abs. 6 letzter Satz der Richtlinien für die Bewertung des Grundvermögens (BewRGr). Es sei von der baulichen Gestaltung dazu bestimmt und geeignet, zu Bürozwecken vermietet zu werden. Belegt werde diese Bestimmung und Eignung durch die tatsächliche Verwendung, es sei vollständig vermietet. Nach seiner Konzeption und den baulichen Gegebenheiten sei es nicht auf spezifische Belange bestimmter Branchen abgestimmt. Es enthalte keine Ausstattungsmerkmale, die es als versicherungstypisch erscheinen ließen; So seien Schalterhallen. Kundendiensträume oder andere bauliche Einrichtungen zur Schadensschnellregulierung nicht vorhanden. Auf eine aufwendige Ausstattung, wie z. B. eine Klimaanlage, sei bewußt verzichtet worden. Die Außenanlagen seien entsprechend den vorgefundenen Gegebenheiten im üblichen Rahmen optisch ansprechend gestaltet. Das sei erforderlich, um Bürohäuser heute überhaupt vermieten zu können. Außerdem sei eine aufwendige Gestaltung kein Zuordnungskriterium für Geschäftsgrundstücke. Ausstattungs- und Gestaltungsmerkmale könnten vielleicht Aufschluß über die Anwendung des Sach- oder Ertragswertverfahrens bei Ein- und Zweifamilienhäusern geben, für die Abgrenzung der Bürohäuser von Grundstücken für Versicherungsunternehmen seien diese Kriterien untauglich. Wesentlich für die Einordnung des Gebäudes sei, daß die beiden Hauptnutzer als Rückversicherungsgesellschaften nicht auf dem typischerweise als Versicherungsgeschäft angesehen Markt der Erstversicherer tätig seien. Anders als bei herkömmlichen Versicherungsgesellschaften sei bei ihnen ein direkter Kontakt zum Kunden nicht vorhanden. Ein derartiges Geschäft könne von jedem beliebigen Büro aus geführt werden und bedürfe keiner besonders zugeschnittenen Räumlichkeiten. Außerdem sei es möglich, für das streitige Grundstück Vergleichsmieten zu ermitteln. So ein weiteres vergleichbares Gebäude eines ihrer Gesellschafter in Hannover . als Bürohaus im Ertragswertverfahren mit einem Mietwert von 5,50 DM/qm bewertet worden. Auf weitere Vergleichsobjekte auch außerhalb Hannovers sei im Vorverfahren hingewiesen worden.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des Einheitswertbescheides auf den 1. Januar 1985 vom 1. Juni 1988 und Aufhebung des Einspruchsbescheides vom 27. Juni 1990 das Finanzamt zu verpflichten, das Grundstück . im Ertragswertverfahren zu bewerten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, daß es sich bei dem streitigen Grundstück um ein Grundstück für Versicherungsunternehmen im Sinne von Abschnitt 16 Abs. 6 BewRGr handele. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift sei ein Versicherungsgebäude ein Gebäude, das für Verwaltungszwecke einer oder mehrerer Versicherungen errichtet worden sei. Auf Publikumsverkehr oder Schalterhallen komme es nicht an. An diese Richtlinie sei er -; der Beklagte -; gebunden. Durch die Einordnung in diese Gruppe der Geschäftsgrundstücke folge ein Anscheinsbeweis für die Anwendung des Sachwertverfahrens. Um den Anschein zu entkräften, müsse nachweisbar dargelegt werden, daß im gesamten Bundesgebiet für die betreffende Grundstücksgruppe eine hinreichende Zahl vermieteter Objekte vorhanden seien. Daran fehle es hier schon deshalb, weil das Gebäude die bei der Ortsbesichtigung festgestellten Ausstattungsmerkmale aufweise, die einen Vergleich mit anderen Gebäuden nicht zuließen. Derart ausgestattete Gebäude seien jedenfalls am Hauptfeststellungsstichtag nicht vermietet gewesen. Daß solche Gebäude 20 Jahre später vermietet worden seien, stehe nicht entgegen. Entscheidend sei, daß für derartige Gebäude im Hauptfeststellungsstichtag eine übliche Miete nicht schätzbar sei.
Wegen des Vertrags der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze im Klageverfahren und im Vorverfahren verwiesen.
Gründe
I.
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Der Beklagte hat die Ermittlung des Einheitswerts zutreffend im Sachwertverfahren durchgeführt. Gemäß § 76 Abs. 1, 3 Nr. 2 BewG ist das Sachwertverfahren bei solchen Gruppen von Geschäftsgrundstücken anzuwenden, bei denen weder die Jahresrohmiete ermittelt noch die übliche Miete geschätzt werden kann. Bei Grundstücken mit größeren Verwaltungsgebäuden und Grundstücken für Versicherungsunternehmen ist das gemäß Abschnitt 16 Abs. 6 BewRGr der Fall. Diesen aus Erfahrungssachverhalten gewonnen Erkenntnissen der Verwaltungsanordnung folgt das Gericht (vgl. dazu BFH-Urteil vom 7. November 1975 III R 120/74, BFHE 118, 59, BStBl II 1976, 277 [BFH 07.11.1975 - III R 120/74]). Anhaltspunkte dafür, daß im Streitfall ausnahmsweise eine Abkehr von den Erfahrungssachverhalten geboten erscheint, sind nicht zutage getreten. Die Tatsache, daß das Gebäude heute und auch am Bewertungstichtag vermietet ist und war und daß heute dafür möglicherweise vermietete Vergleichsobjekte existieren, ist kein Beleg dafür, daß eine ermittelbare oder schätzbare Jahresrohmiete im Sinne von § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG vorhanden ist. Da für Fortschreibungen die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt maßgeblich sind (§ 27 BewG), käme das Ertragswertverfahren nur zum tragen, wenn am Hauptfeststellungsstichtag im gesamten Geltungsbereich des BewG ein Mietzins aus vergleichbaren Objekten festgestellt werden könnte. Derartige Objekte haben die Kläger nicht benannt.
2. Das Gericht folgt nicht der Auffassung der Kläger, daß es sich bei dem zu bewertenen Grundstück um ein Bürohaus im Sinne des letzten Satzes des Abs. 6 des Abschnitts 16 der BewRGr handelt. Im Gegensatz zu größeren Verwaltungsgebäuden und Grundstücken für Versicherungsunternehmen werden Bürohäuser im Ertragswertverfahren bewertet.
Soweit ersichtlich, liegt zur Abgrenzung zwischen größeren Verwaltungsgebäuden und Grundstücken von Versicherungsunternehmen einerseits und Bürohäusern andererseits noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor. In der Literatur orientiert sich die Unterscheidung teilweise an der Nutzungsform der Gebäude (vgl. z. B. Stöckel. DStZ 1987, 63), teilweise an dem Zweck, für den sie errichtet worden sind (vgl. z. B. Gürsching/Stenger § 76 Rdn. 13). Letzterer Auffassung folgt der Senat. Ausgehend von § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG ist entscheidend, ob eine Jahresrohmiete ermittelbar oder eine übliche Miete schätzbar ist. Versteht man unter Bürogebäuden -; wie z. B. Gürsching/Stenger a.a.O. -; nüchterne Zweckbauten, die unter Verzicht auf jegliche Sonderausstattung allein an ertragsorientierten Gesichtspunkten ausgerichtet sind und gebaut werden, so liegt es auf der Hand, daß derartige Gebäude in aller Regel vermietet werden. Für sie werden daher bundesweit Vergleichsmieten feststellbar sein mit der Folge, daß ihr Wert -; wie in Abschnitt 16 Abs. 6 der BewRGr vorgesehen -; im Ertragswertverfahren zu ermitteln ist. Anders ist es jedoch, wenn Verwaltungs- oder Versicherungsgebäude auch repräsentativen Zwecken dienen und wenn deshalb aufwendigere Bauformen und Baumaterialien eingesetzt werden. Derartige Gebäude werden in der Regel eigengenutzt. Für sie werden sich aussagekräftige den wirklichen Wert widerspiegelnde Vergleichsmieten nicht finden lassen.
Das Gericht ist davon überzeugt, daß das Gebäude auf dem zu bewertenden Grundstück kein nüchterner Zweckbau ist, der unter Verzicht auf jegliche Sonderausstattung allein an ertragsorientierten Gesichtspunkten errichtet worden ist. Die Baukosten sind in der Erklärung zur Feststellung des Einheitswerts von den Klägern mit ca. 28 Millionen DM angegeben worden. Die Baubeschreibung des Architekten auf Bl. 66 bis 72 der Einheitswertakten, auf die Bezug genommen wird, enthält eine Fülle von aufwendigen Ausstattungs- und Gestaltungsmerkmalen, die nur den Schluß zulassen, daß dieses Gebäude auch zu repräsentativen Zwecken errichtet worden ist. Es kann daher nicht als Bürogebäude im Sinne der vorgenannten Richtlinien eingeordnet werden.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, insbesondere zur Abgrenzung zwischen Bürogebäuden und Grundstücken für Versicherungsunternehmen, zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.