Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.03.1996, Az.: XV 278/95

Berücksichtigung eines Freibetrages im Rahmen der Gewinnermittlung bei der Veräußerung eines Gewerbebetriebes; Voraussetzungen für eine Veräußerung "wegen dauernder Berufsunfähigkeit"; Einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte der Erbengemeinschaft ; Bestimmung des Anteils eines Miterben am Freibetrag; Veräußerung einer Apotheke wegen dauernder Berufsunfähigkeit; Berücksichtigung des Sinn und Zweckes eines erhöhten Freibetrages

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
19.03.1996
Aktenzeichen
XV 278/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 16455
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1996:0319.XV278.95.0A

Fundstelle

  • EFG 1996, 821-822 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Einkommensteuer 1991

Amtlicher Leitsatz

Ein infolge fehlender beruflicher Qualifikation notwendig werdender Verkauf eines durch Erbfall übergegangenen Gewerbebetriebs, einer freiberuflichen Praxis bzw. eines entsprechenden Anteils hieran ist nicht unter dem Gesichtspunkt der "dauernden Berufsunfähigkeit" im Sinne des § 16 Abs. 4 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) steuerbegünstigt.

In dem Rechtsstreit
hat der XV. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 19. März 1996,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ...
ehrenamtliche Richterin ...
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird auf Kosten der Kläger abgewiesen.

  2. 2.

    Der Streitwert für das Klageverfahren beträgt 9.591 DM.

Tatbestand

1

Streitig die Berücksichtigung eines Freibetrages nach § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Rahmen der Ermittlung des Gewinns aus der Veräußerung eines Gewerbebetriebes.

2

Die Klägerin, die zusammen mit ihrem Ehemann - dem Kläger - zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wird, ist zu 50 v.H. (Mit-)Erbin nach der am 30. März 1991 verstorbenen U. R.. Die Erblasserin betrieb bis zu ihrem Tode in E. eine Apotheke, die von der Erbengemeinschaft bis zum 31. Mai 1991 weitergeführt und zum 1. Juni 1991 veräußert wurde. Die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte der Erbengemeinschaft erfolgte durch das Finanzamt L. Mit für das Streit Jahr 1991 ergangenem Feststellungsbescheid vom 11. Mai 1992 stellte das Finanzamt L. den Anteil der Klägerin an den laufenden gewerblichen Einkünften der Erbengemeinschaft aus dem Betrieb der Apotheke mit + 15.750 DM sowie am Veräußerungsgewinn mit + 170.000 DM fest. Den Anteil der Klägerin am Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG ermittelte es mit 50 v.H.. Das beklagte Finanzamt ... brachte in dem gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheid 1991 vom 7. April 1993 u.a. die vom Finanzamt L. mitgeteilten Besteuerungsgrundlagen (laufender gewerblicher Gewinn + 15.750 DM sowie Veräußerungsgewinn + 170.000 DM) in Ansatz. Einen steuerfrei bleibenden Veräußerungsgewinn berücksichtigte das beklagte Finanzamt (FA) dagegen nicht.

3

Den hiergegen von den Klägern mit Schreiben vom 3. Mai 1993 eingelegten Einspruch wies das beklagte FA mit bestandskräftigem Einspruchsbescheid vom 23. Juli 1993 als unbegründet zurück.

4

Mit geändertem Feststellungsbescheid 1991 vom 23. März 1994 stellte das FA L. u.a. den Anteil der Klägerin am laufenden gewerblichen Gewinn aus dem Betrieb der Apotheke nunmehr mit - 1.378 DM sowie am Veräußerungsgewinn mit + 167.359 DM fest. Den Anteil der Klägerin am Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG beließ das FA L. unverändert bei 50 v.H.. Dementsprechend erging unter dem 8. Juni 1994 für das Streitjahr unter gleichzeitiger Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung ein gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderter Einkommensteuerbescheid, in dem das beklagte FA die mitgeteilten Änderungen berücksichtigte. Ein Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG wurde nicht gewährt, da dieser wie bisher 0 DM betrage.

5

Die Kläger legten gegen diesen Einkommensteuer-Änderungsbescheid 1991 mit Schreiben vom 11. Juni 1994 Einspruch ein. Diesen wies das beklagte FA mit Einspruchsbescheid vom 26. Mai 1995 als unbegründet zurück, da im Streitfall die Gewährung des erhöhten Freibetrages nach § 16 Abs. 4 EStG ausscheide. Insbesondere sei die Betriebsveräußerung der Apotheke nicht durch eine dauernde Berufsunfähigkeit der Klägerin veranlaßt. Denn die Voraussetzungen für die Gewährung des erhöhten Freibetrages müßten in der Person des Steuerpflichtigen - hier der Klägerin - erfüllt sein, da der erhöhte Freibetrag eine persönliche Steuervergünstigung sei. Im Streitfall sei die Betriebsveräußerung Jedoch nicht durch Invalidität, d.h. Krankheit, andere Gebrechen oder Schwächen der geistigen oder körperlichen Fähigkeiten veranlaßt.

6

Hiergegen richtet sich die von den Klägern mit Schreiben vom 6. Juni 1995 form- und fristgerecht erhobene Klage. Nach ihrer Auffassung sind die Voraussetzungen für die Gewährung des erhöhten Freibetrages nach Maßgabe des § 16 Abs. 4 EStG gegeben, da in der Person der Klägerin das Merkmal der "Berufsunfähigkeit" vorgelegen habe. Da der Gesetzgeber in der vorbezeichneten Vorschrift den Begriff "Berufsunfähigkeit" ohne einschränkenden Zusatz verwende, müsse Jede Art von Berufsunfähigkeit ausreichen, wenn sie für die Betriebsveräußerung kausal gewesen sei. So liege der Fall hier. Denn die Klägerin habe weder die nach dem Apothekengesetz vorgeschriebene Berufsfähigkeit als Apotheker in besessen noch diese innerhalb der 12 monatigen Schonfrist des § 13 des Apothekengesetzes erwerben können. Dieserhalb habe der Betrieb wegen Fehlens Jener Berufsfähigkeit veräußert werden müssen.

7

Die Kläger beantragen sinngemäß,

unter Änderung des Einkommensteuer-Änderungsbescheides vom 8. Juni 1994 sowie Aufhebung des hierzu ergangenen Einspruchsbescheides vom 26. Mai 1995 die Einkommensteuer 1991 auf 39.892 DM herabzusetzen.

8

Das beklagte Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Die Gewährung eines erhöhten Freibetrages gemäß § 16 Abs. 4 EStG komme nicht in Betracht. Denn eine Veräußerung "wegen dauernder Berufsunfähigkeit" setze voraus, daß derjenige, der das der beruflichen Betätigung dienende Vermögen veräußere, zu Irgend einem Zeitpunkt in eigener Person tatsächlich und rechtlich in der Lage gewesen sei, diesen Beruf auszuüben, und daß er diese Fähigkeit erst durch den Eintritt bestimmter Ereignisse verloren habe. Danach könne von einer dauernden Berufsunfähigkeit der Klägerin im Sinne des § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG keine Rede sein.

10

Im übrigen verweist das beklagte FA auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid.

11

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

12

Wegen ihres weiteren Vorbringens wird auf die Gerichtsakte sowie die Einkommensteuerakte der Kläger (St.-Nr.: ...) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Klage, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.

14

Das beklagte FA hat es im Streitfall zu Recht abgelehnt, der Klägerin für die Veräußerung der von der Erbengemeinschaft nach der verstorbenen U. R. zunächst fortgeführten Apotheke in E. anteilig - entsprechend Ihrer Erbquote - einen erhöhten Freibetrag nach Maßgabe des § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG zu gewähren.

15

I.

1.

Das beklagte FA ... war als für die Einkommensteuer-Festsetzung der Klägerin zuständiges Wohnsitz-Finanzamt zur Entscheidung über den Ansatz der Höhe eines Freibetrages nach § 16 EStG befugt. So hat auch das für die gesonderte und einheitliche Feststellung der Erbengemeinschaft nach U. R. zuständige FA L. in den entsprechenden Feststellungsbescheiden - zuletzt geändert unter dem 23. März 1994 - ausweislich der dem beklagten FA übersandten Anlage ESt 4 B hinsichtlich der "Apotheke" lediglich Feststellungen über den Anteil der Erben an den laufenden Einkünften, dem Veräußerungsgewinn und dem Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG entsprechend der Erbquote festgestellt. Über die Höhe des Freibetrages hat es dagegen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 21. September 1995 IV R 1/95, BStBl II 1995, 893 (895) m.w.N.) keine Entscheidung getroffen. Demzufolge hat der Feststellungsbescheid hinsichtlich der Höhe des Freibetrages auch keine für das beklagte FA bindende Wirkung entfalten können (vgl. § 182 Abs. 1 AO).

16

2.

Nach § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG wird bei der Versteuerung eines Veräußerungsgewinns ein erhöhter Freibetrag gewährt, "wenn der Steuerpflichtige nach Vollendung seines 55. Lebensjahres oder wegen dauernder Berufsunfähigkeit seinen Gewerbebetrieb veräußert oder aufgibt". Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin vorliegend nicht gegeben.

17

Zwar gilt die Begünstigungsvorschrift des § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG auch im Verhältnis zum (Mit-)Erben, wenn dieser im Anschluß an den Erbfall die Veräußerung vornimmt. Abzustellen ist hierbei auf die Person des veräußernden (Mit-)Erben und nicht auf die des Erblassers (anders bei bereits vor dem Erbfall erfolgten Verkauf, vgl. BFH-Urteil vom 21. September 1995 IV R 1/95, a.a.O.). In der Person der im Streitjahr noch nicht 55Jährigen Klägerin als (Mit-)Erbin ist das Merkmal der "dauernden Berufsunfähigkeit" zum Betrieb der Apotheke in E. nicht erfüllt. Insoweit kommt - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - ausschließlich eine "dauernde Berufsunfähigkeit" der Klägerin infolge fehlender beruflicher Qualifikation - also aus Rechtsgründen - in Betracht. Dabei läßt es das Gericht ausdrücklich dahinstehen, ob etwa die dauernde Berufsunfähigkeit eines Steuerpflichtigen aus Rechtsgründen (z.B. Entzug der Approbation, Berufsverbot) grundsätzlich den an die Gewährung eines erhöhten Freibetrages im Sinne des § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG zu stellenden Anforderungen genügt (vgl. hierzu: Schmidt, Kommentar zum EStG, 14. Aufl. (1995), Rz. 584 zu § 16 sowie BFH-Beschluß vom 25. August 1993 IV R 45/91, BFH/NV 1994, 614 (615), jeweils m.w.N.). Denn nach dem Sinn und Zweck der Regelung des § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG begründet in Veräußerungsfällen nach vorangegangener Gesamtrechtsnachfolge ein in der Person des (Mit-)Erben liegender Mangel der beruflichen Qualifikation im Hinblick auf den geerbten Gewerbebetrieb bzw. die geerbte freiberufliche Praxis oder eines entsprechenden Anteils hieran keine "dauernde Berufsunfähigkeit" im Sinne der vorerwähnten Vorschrift.

18

Mit dem erhöhten Freibetrag soll ein Härteausgleich für die punktuelle Besteuerung der - teilweise über einen längerer Zeitraum entstandenen - stillen Reserven geschaffen werden. Mithin will der Gesetzgeber bei solchen Steuerpflichtigen Härten mildern, die u.a. infolge dauernder Berufsunfähigkeit ihren Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil veräußern. Der Zweck der steuerlichen Entlastung besteht damit letztlich in einer sozialen Komponente (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BStBl II 1993, 697 (902); BFH-Urteil vom 3. Juli 1991 X R 26/90, BFH/NV 1991, 813 (814); Schmidt, a.a.O., Rz. 575 zu § 16, Jeweils m.w.N.).

19

Danach setzt eine Inanspruchnahme der Privilegierung des § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG wegen "dauernder Berufsunfähigkeit" zumindest voraus, daß der Steuerpflichtige eine früher von ihm (nicht nur für eine Übergangszeit) ausgeübte werbende Tätigkeit dauernd nicht mehr ausüben kann. Denn nur dann bedarf der Steuerpflichtige aus sozialen Gründen zur Vermeldung steuerlicher Härten überhaupt einer steuerlichen Entlastung im Hinblick auf den erzielten Veräußerungsgewinn. Dies muß Jedenfalls in den Fällen gelten, in denen der Erbe - wie im Streitfall die Klägerin - die Veräußerung letztlich nur deshalb vornimmt, weil er die für die Fortführung des Betriebes bzw. der Praxis (§ 18 Abs. 3 in Verbindung mit § 16 Abs. 4 EStG) erforderlichen Qualifikationsmerkmale nicht erfüllt (vgl. Schmidt, a.a.O., Rz. 584 sowie Reiß in Kirchhoff/Söhn, Kommentar zum Einkommensteuerrecht, Rz. § 17 zu § 16). Der Erbe ist - ungeachtet der Streitfrage, ob eine "dauernde Berufsunfähigkeit" überhaupt in der fehlenden Befugnis zur Ausübung eines bestimmten Berufes gesehen werden kann (siehe oben) - bei einer derartigen Konstellation unter Berücksichtigung des aufgezeigten Normzwecks nicht schutzwürdig mit der Folge, daß eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der erhöhten Freibetragsregelung des § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG auf Ihn ausgeschlossen ist. Eine derartige Auslegung dient auch der Vermeldung von Zufallsergebnissen. So ist es nicht gerechtfertigt, wenn etwa dem Erben, der eine entsprechende berufliche Qualifiktation nicht aufweist, um den geerbten Betrieb/Praxis fortzuführen, der erhöhte Freibetrag gewährt würde, während der Erbe, der zwar über die geforderte berufliche Qualifikation verfügt, aber z.B. aus faktischen Gründen (z.B. räumlich bedingt), an einer Fortführung gehindert ist, nicht unter die Regelung des § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG fiele.

20

Unter diesen Voraussetzungen scheitert die Anwendung der Begünstigungsnorm des § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG im Streitfall daran, daß die Klägerin selbst die im Rahmen der Erbengemeinschaft nach der verstorbenen U. R. zunächst fortgeführte und zum 1. Juni 1991 veräußerte Apotheke weder nach Vollendung des 55. Lebensjahres noch "wegen dauernder Berufsunfähigkeit" veräußert hat. Denn die Veräußerung der Apotheke erfolgte, da die Klägerin und (Mit-)Erbln die nach dem Apothekengesetz erforderliche berufliche Qualifikation (Approbation als Apothekerin - vgl. § 1 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 des Apothekengesetzes -) nicht besaß und in Erbfällen eine Verwaltung der vom Erblasser betrieblichen Apotheke durch einen Apotheker auf die Dauer von zwölf Monaten befristet ist (vgl. § 13 Abs. 1 des Apothekengesetzes).

21

II.

Angesichts der Höhe des auf die Klägerin entfallenden Veräußerungsgewinns, der vom FA L. mit 167.359 DM festgestellt wurde, und ihres Anteils am Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG (50 v.H.) kommt schließlich die Berücksichtigung eines Freibetrages nach Maßgabe des § 16 Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG nicht in Betracht. Da dies zwischen den Beteiligten unstreitig ist, erübrigen sich Insoweit weitere Ausführungen.

22

III.

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.

23

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 AO).

24

zu 1.): Gegen dieses Urteil ist die Revision zugelassen worden.

25

zu 2.): Der Beschluß ist unanfechtbar (§ 128 Abs. 4 FGO).

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert für das Klageverfahren beträgt 9.591 DM.