Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.03.1996, Az.: I 89/93

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
26.03.1996
Aktenzeichen
I 89/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 26873
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1996:0326.I89.93.0A

Fundstelle

  • EFG 1996, 1076 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit

wegen Einheitsbewertung auf den 01.01.1982

hat der I. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 26. März 1996, an der mitgewirkt haben:

Vorsitzender Richter am Finanzgericht .

Richter am Finanzgericht .

Richter am Finanzgericht .

ehrenamtliche Richterin .

ehrenamtlicher Richter .

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird auf Kosten der Kläger abgewiesen.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Die Parteien streiten über die Voraussetzungen für eine Änderung der Artfeststellung eines Einheitswertbescheides nach § 173 Abgabenordnung (AO).

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Die Kläger (Kl.) sind Eigentümer des Grundstücks . in ., auf dem sie in den Jahren 1980/1981 ein Wohnhaus errichtet haben. Mit Einheitswertbescheid auf den 1. Jan. 1982 vom 26. Nov. 1982 hat der Beklagte (Bekl.) für das Grundstück die Grundstücksart Zweifamilienhaus (ZFH) festgestellt und den Einheitswert auf 272. 600 DM errechnet. Diese Artfeststellung erkannte der Bekl. später als falsch und erließ deshalb unter dem 2. Febr. 1988 unter Hinweis auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO einen Änderungsbescheid, in dem er nunmehr die Grundstücksart Einfamilienhaus (EFH) feststellte. Dieser Änderungsbescheid wurde wegen Ablaufs der Festsetzungsverjährung mit rechtskräftigem Urteil des Senats vom 30. April 1991 aufgehoben. Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des Urteils im Verfahren I 317/88 wird Bezug genommen. Daraufhin hat der Bekl. unter dem 11. Dez. 1991 einen inhaltsgleichen Änderungsbescheid unter Hinweis auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erlassen und darin, wie zuvor beim aufgehobenen Bescheid vom 2. Febr. 1988, erneut die Grundstücksart EFH auf den 1. Jan. 1982 festgestellt. Dieser Bescheid enthält folgenden Hinweis: "Wegen Eintritts der Verjährung sind die in diesem Bescheid getroffenen Feststellungen für die Grundsteuer erst am 01.01.1987 wirksam, über den Zeitpunkt der Wirksamkeit für andere einheitswertabhängige Steuern entscheiden die für die Festsetzung dieser Steuern zuständigen Stellen".

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Auch gegen diesen zweiten Änderungsbescheid haben die Kläger nach erfolglosem Vorverfahren Klage erhoben. Sie sehen die Voraussetzungen des § 173 AO nicht als erfüllt an und wiederholen ihre Bedenken, die sie schon im Klageverfahren gegen den ersten Änderungsbescheid vorgetragen haben. Dem Finanzamt (FA) sei insbesondere bekannt gewesen, daß die Verkleidung der Durchbrüche in der Wand zwischen der Hauptwohnung und der Einliegerwohnung am Bewertungsstichtag nicht mehr bestanden habe. Der Sachverhalt sei in einem Telefonat vom 12. Okt. 1982 zwischen dem Kl. und dem Sachbearbeiter der Bewertungsstelle ausführlich erörtert worden. Dabei habe Einvernehmen darüber bestanden, daß trotz der Türen in der Wand zwischen Haupt- und Einliegerwohnung nach dem damaligen Wohnungsbegriff zwei abgeschlossene Wohnungen vorhanden gewesen seien. Außerdem werde der angefochtene Bescheid, der erst nach Ablauf der Feststellungsfrist ergangen sei, den Anforderungen des § 181 Abs. 5 AO nicht gerecht. Nach jener Norm seien alle einheitswertabhängigen Steuern aufzuführen, bei denen die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen sei. Diesen Anforderungen genüge der Hinweis im angefochtenen Bescheid nicht.

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Die Kl. beantragen sinngemäß,

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den Änderungsbescheid auf den 1. Jan. 1982 vom 11. Dez. 1991 und den Einspruchsbescheid vom 9. März 1993 aufzuheben.

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Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Er hält an seiner ebenfalls schon im Klageverfahren I 317/88 vertretenen Rechtsauffassung fest und bestreitet, daß in dem Telefonat vom 12. Okt. 1982 auf die Türen in der Wand zwischen Haupt- und Einliegerwohnung hingewiesen worden sei. Die Änderung sei trotz Ablaufs der Feststellungsfrist nach Maßgabe des § 181 Abs. 1 AO zulässig. Diesen Anforderungen werde der Hinweis im Bescheid gerecht.

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Wegen des Vorbringens der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze im Klageverfahren sowie im Vorverfahren sowie auf den Tatbestand des Senatsurteils vom 30. April 1991 im Verfahren I 317/88 verwiesen.

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Das Gericht hat Beweis erhoben über die Behauptung der Kl., im Telefonat vom 12. Okt. 1982 sei dem Sachbearbeiter der Bewertungsstelle die Existenz der Türen in der Trennwand zwischen Haupt- und Einliegerwohnung mitgeteilt worden, durch die zeugenschaftliche Vernehmung des Sachbearbeiters. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 26. März 1996 (Bl. 42-;45 der Gerichtsakten) Bezug genommen.

Gründe

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I.

Die Klage hat keinen Erfolg.

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Der angefochtene Änderungsbescheid begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

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1. Einheitswertbescheide können -; wie alle anderen Steuerbescheide -; wegen neuer Tatsachen gem. § 181 Abs. 1 AO i.V.m. § 173 Abs. 1 AO geändert werden, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Dies gilt insbesondere für Artfeststellungen eines Einheitswertbescheides (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. Sept. 1987 II R 178/85, BFHE 151, 8, [BFH 16.09.1987 - II R 178/85] BStBl II 1988, 174 [BFH 16.09.1987 - II R 178/85]). Nimmt das FA von Amts wegen gegen den Willen des Steuerpflichtigen eine derartige Änderung vor, so bemißt sich ihre Zulässigkeit ausschließlich an den Anforderungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (BFH, BFHE 151, 8 [BFH 16.09.1987 - II R 178/85]).

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Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Tatsache, daß sich am Bewertungsstichtag in der Trennwand zwischen der Hauptwohnung und der Einliegerwohnung Türen befanden, ist dem FA erst nachträglich im Gefolge der Betriebsprüfung im Jahre 1986 bekannt geworden. Das Gericht ist davon überzeugt, daß das FA bei Erlaß des jetzt geänderten Bescheides vom 26. Nov. 1982 davon ausging, daß die Trennwand zwischen Haupt- und Einliegerwohnung geschlossen war. Dies folgt zunächst aus der genehmigten Bauzeichnung vom 23. Okt. 1980 (Bl. 65 der Akten I 317/88), in der die eingezeichneten Türdurchbrüche in der Trennwand durch die Baubehörde beseitigt worden sind. Diese Bauzeichnung lag dem FA zusammen mit dem Schlußabnahmeschein der Stadt ., in dem die Herstellung der Baumaßnahme entsprechend der genehmigten Vorlage bescheinigt worden ist (Bl. 42, 53 Einheitswertakten -; EW-Akten), bei Erlaß des Bescheides vor. Außerdem haben die Kl. in ihrer Erklärung zur Feststellung des Einheitswerts vom 15. Juni 1982 (Bl. 40 EW-Akten) angegeben, daß das Haus zwei Wohnungen habe. Auch die Wohnflächenberechnung (Bl. 57 EW-Akten) weist zwei Wohnungen aus.

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Das Gericht folgt nicht der Einlassung der Kl., daß dem Sachbearbeiter der Bewertungsstelle am 12. Okt. 1982 telefonisch mitgeteilt worden sei, daß am Bewertungsstichtag abweichend von der genehmigten Bauzeichnung Türen in die Trennwand eingebaut worden seien. Zu dieser Überzeugung gelangt das Gericht zunächst und vor allem aufgrund des Aktenvermerks, den der Sachbearbeiter noch am Tage des Telefonats auf Bl. 72 der EW-Akten niedergelegt hat. Darin heißt es: "Nach tel. Rücksprache mit Herrn ., liegen 2 abgeschlossene Wohnungen vor, die jeweils einen selbständigen Außeneingang haben. Die zweite Wohnung (Einliegerwohnung) ist vollständig eingerichtet mit Küche und Duschbad!". Die Formulierung dieses Vermerks läßt nach Einschätzung des Gerichts nur den Schluß zu, daß sein Verfasser von zwei baulich abgeschlossenen und nicht durch Türen verbundenen Wohnungen ausgegangen ist. Das hat sich auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. Dort hat der Zeuge . bekundet, seinerzeit mit dem Kl. telefoniert und darüber diesen Vermerk niedergelegt zu haben. Auch wenn er sich heute nicht mehr an alle Einzelheiten des Telefonats hat erinnern können, so hat er doch angegeben, daß er diesen Vermerk so nicht verfaßt und eine Bewertung als ZFH nicht durchgeführt hätte, wenn ihm die Existenz von Türen in der Trennwand bekannt gewesen wäre. Schließlich sei auch seinerzeit die Existenz von Türen zwischen zwei Wohnungen als Problem angesehen worden. Diesen Angaben folgt das Gericht.

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2. Da die beiden Wohnungen durch die Türen in der Trennwand miteinander verbunden sind, kann das Grundstück -; wie im Änderungsbescheid vorgenommen -; nur als EFH bewertet werden.

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Die Einstufung des Grundstücks als EFH oder ZFH hängt von der Anzahl der in dem Haus befindlichen Wohnungen ab. EFH sind Wohngrundstücke, die nur eine Wohnung enthalten (§ 75 Abs. 5 Satz 1 Bewertungsgesetz -; BewG), ZFH sind Wohngrundstücke, die nur zwei Wohnungen enthalten (§ 75 Abs. 6 Satz 1 BewG). Für die Artfeststellung EFH oder ZFH ist demnach entscheidend, ob in dem streitigen Wohngrundstück eine oder zwei Wohnungen vorhanden sein. Der Wohnungsbegriff ist im Gesetz nicht erläutert. Der früher dafür zuständige III. Senat des BFH hat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß unter einer Wohnung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen sei, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, daß sie die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen. Dazu ist es u. a. erforderlich, daß entsprechende Nebenräume, insbesondere eine Küche oder ein Raum mit Kochgelegenheit mit entsprechenden Einrichtungen vorhanden sind (vgl. Urteil des BFH vom 24. Nov. 1978 III R 81/76, BFHE 126, 565, [BFH 24.11.1978 - III R 81/76] BStBl II 1979, 255 [BFH 24.11.1978 - III R 81/76]). Grundsätzlich ist für die Annahme einer Wohnung auch nach dieser Rechtsprechung weiterhin erforderlich, daß ein baulicher Abschluß gegenüber anderen Wohnräumen und ein selbständiger Zugang besteht (vgl. BFH-Entscheidungen vom 16. Dez. 1955 III 158/55 S, BFHE 62, 126, [BFH 16.12.1955 - III 158/55 S] BStBl III 1956, 47; vom 26. Sept. 1958 244/57 U, BFHE 68, 410, [BFH 26.09.1958 - III 244/57 U] BStBl II 1959, 157). Um den tatsächlichen Wohnverhältnissen in der Nachkriegszeit mit der vorherrschenden Wohnungsnot gerecht zu werden, sind jedoch Ausnahmen vom Erfordernis der baulichen Abgeschlossenheit zugelassen worden. So sind auch baulich nicht abgeschlossene Räume als Wohnung anerkannt worden, wenn sich die Zusammenfassung der Räume zu einer Einheit aus ihrer Lage zueinander, aus ihrer Zweckbestimmung und der dieser Zweckbestimmung entsprechenden tatsächlichen Nutzung ergab (BFH-Urteil vom 9. Dez. 1970 III R 3/69, BFHE 101, 266, BStBl II 1971, 230 [BFH 09.12.1970 - III R 3/69]). Diese Rechtsprechung hat der nunmehr zuständige II. Senat des BFH durch Urteil vom 5. Okt. 1984 III R 192/83, BFHE 142, 505, [BFH 05.10.1984 - III R 192/83] BStBl II 1985, 151, [BFH 05.10.1984 - III R 192/83] teilweise aufgegeben. Danach ist für die Beurteilung der Frage, ob Räume bewertungsrechtlich als Wohnung anzusehen sind, u. a. wesentlich, daß die Räume von anderen Räumen und Wohnungen eindeutig baulich getrennt sind und daß sie einen eigenen Zugang besitzen. Diese neuen Rechtsgrundsätze sind nach der Entscheidung des BFH vom 25. Okt. 1985, BStBl II 1986, 278, [BFH 25.10.1985 - III R 31/81] auf alle Wohngrundstücke anzuwenden, die im Laufe des Jahres 1973 oder danach bezugsfertig errichtet, aus- oder umgebaut wurden. Demgegenüber haben die Obersten Finanzbehörden der Länder mit gleichlautendem Erlaß vom 15. Mai 1985 (BStBl I, 201) die Finanzämter angewiesen, die neue Rechtsprechung bei der Errichtung von Gebäuden nur dann anzuwenden, wenn der Antrag auf Baugenehmigung oder die Bauanzeige nach dem 31. Dez. 1985 erfolgt. Der BFH hat in diesem Erlaß eine Billigkeitsmaßnahme gesehen (vgl. Beschluß vom 6. Aug. 1986 II B 35/86, HFR 1987, 9), die nach § 20 Satz 2 BewG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 1992 -; nunmehr -; zulässig ist.

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Im Streitfall mag dahinstehen, ob die alte oder neue Rechtsprechung zum Wohnungsbegriff Anwendung findet. Legt man die neue Rechtsprechung zugrunde, scheitert die Annahme zweier Wohnungen -; wie auch die Kl. nicht in Abrede nehmen -; an deren mangelnder baulicher Abgeschlossenheit. Die ältere Rechtsprechung führt zu keinem anderen Ergebnis. Obwohl danach die bauliche Abgeschlossenheit kein zwingendes Wohnungsmerkmal ist, scheitert die Annahme zweier Wohnungen schon daran, daß sich Haupt- und Einliegerwohnung nicht durch ihre Lage voneinander abgrenzen. Außerdem haben die Kläger alle Räume des Hauses mit ihrer Familie als eine Wohnung einheitlich genutzt.

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3. Der Ablauf der Feststellungsfrist steht dem Erlaß des angefochtenen Änderungsbescheides nicht entgegen. Nach § 181 Abs. 5 AO kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der Feststellungsfrist insoweit noch erfolgen, als die gesonderter Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Darauf ist in dem Bescheid hinzuweisen. Die inhaltliche Ausgestaltung dieses Hinweises ist durch das Gesetz nicht vorgegeben. Der Senat vertritt dabei in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß der Hinweis dem für den Erlaß des Folgebescheides zuständigen FA und dem Steuerpflichtigen deutlich machen müsse, daß es sich um einen Einheitswertbescheid handelt, der erst nach Ablauf der Feststellungsfrist ergangen und der deshalb nur noch für solche Steuerfestsetzungen bedeutsam ist, bei denen die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist (vgl. Senatsurteil vom 21. März 1995 I 304/90, EFG 1995, 653). Dieser Auffassung hat sich auch die Finanzverwaltung angeschlossen (vgl. FinMin Niedersachsen, Erlaß vom 14. Febr. 1996 -; S 0362-7-33, DB 1996, 506). Nach Einschätzung des Senats ist auch das Urteil des BFH vom 11. Jan. 1995 II R 125/91, BStBl II 1995, 302, [BFH 11.01.1995 - II R 125/91] keiner anderen Auslegung fähig.

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Der Hinweis im angefochtenen Bescheid hält diesen Anforderungen stand. Er läßt erkennen, daß der Änderungsbescheid erst nach Ablauf der Feststellungsfrist ergangen ist und deshalb nur noch für solche Folgebescheide Bedeutung erlangen kann, deren Festsetzungsfrist ihrerseits noch nicht abgelaufen ist.

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II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

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Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, insbesondere wegen der Anforderungen an den Inhalt des Hinweises nach § 181 Abs. 5 AO, zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.