Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.03.1996, Az.: III 426/94

Ermäßigung der Einkommensteuer durch Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung; Bejahung einer die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen nach § 33 Abs. 2 S. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) begründende sittliche Pflicht

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
19.03.1996
Aktenzeichen
III 426/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 16454
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1996:0319.III426.94.0A

Fundstelle

  • EFG 1996, 763-764 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Unterhaltsaufwendungen an Bürgerkriegsflüchtling als außergewöhnliche Belastung

Einkommensteuer 1992

Der III. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 19. März 1996,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richterin am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ...
ehrenamtliche Richterin ...
fürRecht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Aufwendungen der Kläger für den Unterhalt und die Ausbildung der im Jahre 1992 aus S. ausgereisten Tochter eines mit den Klägern befreundeten Ehepaares als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 a Einkommensteuergesetz 1992 - EStG - abzugsfähig sind. Die Kläger sind seit über dreißig Jahren mit einem in S. lebenden Ehepaar befreundet. Sie hatten diesem Ehepaar und deren Tochter I. R. im Jahre 1992 dringend geraten, S. zu verlassen und zugleich fest versprochen, der Tochter für den Fall der Ausreise im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen. Im Oktober 1992 hat I. R. S. verlassen und sodann in B. ihr Medizinstudium fortgesetzt. In der Folgezeit haben die Kläger Unterhaltsleistungen an I. R. von monatlich 300 Britischen Pfund - für die Zeit vom 1. Oktober 1992 bis 31. Dezember 1992 insgesamt 2.279 DM - gezahlt. Diesen Betrag machten die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung 1992 als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 a EStG geltend. Das beklagte Finanzamt - FA - ließ diese Unterhaltszahlungen im Einkommensteuerbescheid 1992 vom 20. Oktober 1993 unter Hinweis auf die fehlende Zwangsläufigkeit i.S.d. § 33 a EStG unberücksichtigt. Der hiergegen erhobene Einspruch hatte keinen Erfolg. Mit ihrer Klage begehren die Kläger die Anerkennung der fraglichen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen und tragen zur Begründung vor: Die fraglichen Aufwendungen seien zwangsläufig. Sie seien aufgrund ihrer gegebenen Zusage, I. R. nach deren Flucht aus S. nach besten Kräften zu unterstützen, zur tatsächlichen Erbringung der Unterhaltsleistungen sittlich verpflichtet gewesen. Hätten sie diese Zusage nicht eingehalten oder hätten sie die Zahlungen eingestellt, so wäre ihr Handeln sittlich anstößig gewesen.

2

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 1992 vom 20. Oktober 1993 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 13. September 1994 in der weise zuändern, daß Unterhaltsleistungen nach § 33 a Abs. 1 Einkommensteuergesetz 1992 von 1.575 DM (3/12 von 6.300 DM) berücksichtigt werden und die Einkommensteuer dementsprechend herabgesetzt wird.

3

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

4

Es ist der Auffassung, daß den Klägern die fraglichen Aufwendungen nicht zwangsläufig erwachsen seien. Für die Abzugsfähigkeit der Unterhaltsaufwendungen reiche es nicht aus, daß sittliche Gründe für die Zahlung vorlägen oder sich die Kläger subjektiv hierzu verpflichtet fühlten. Vielmehr sei es erforderlich, daß sich die Steuerpflichtigen der Zahlung aus sittlichen Gründen nicht hätten entziehen können. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall nicht erfüllt. Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Einkommensteuerakte (...) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

5

Die Klage hat keinen Erfolg. Die fraglichen Unterhaltszahlungen der Kläger sind nicht gemäß § 33 a EStG abzugsfähig.

6

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig (§ 33 Abs. 2 EStG) Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung von Personen, für die im veranlagungszeitraum weder er noch eine andere Person Anspruch auf einen Kinderfreibetrag hat, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, daß die Aufwendungen, höchstens jedoch ein Betrag von 6.300 DM für jede unterhaltene Person i.S.d.§ 33 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Voraussetzung ist, daß die unterhaltene Person kein oder nur ein geringes vermögen besitzt (§ 33 a Abs. 1 S. 2 EStG). Für jeden vollen Kalendermonat, in dem die in § 33 a Abs. 1 bis Abs. 3 EStG bezeichneten Voraussetzungen nicht vorgelegen haben, ermäßigen sich die dort bezeichneten Beträge um je 1/12 (§ 33 a Abs. 4 S. 1 EStG). Die Aufwendungen der Kläger für den Unterhalt und die Ausbildung von I. R. erfüllen die vorgenannten Anforderungen mangels Zwangsläufigkeit i.S.d.§ 33 a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 2 EStG nicht. Die fraglichen Aufwendungen sind zunächst mangels verwandtschaftlicher Beziehungen nicht in Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht erbracht worden. Sie sind ferner auch nicht aus sittlichen Gründen zwangsläufig i.S.d. § 33 a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 2 S. 1 EStG. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Urteil vom 11. November 1988 III R 262/83, BStBl II 1989, 280 m.w.N.), der sich der Senat anschließt, ist eine die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen nach § 33 Abs. 2 S. 1 EStG begründende sittliche Pflicht nur dann zu bejahen, wenn diese Pflicht so unabwendbar auftritt, daß sie ähnlich einer Rechtspflicht von außen her als eine Forderung oder zumindest Erwartung der Gesellschaft derart auf den Steuerpflichtigen einwirkt, daß ihre Erfüllung als eine selbstverständliche Handlung erwartet und die Mißachtung dieser Erwartung als moralisch anstößig empfunden wird. Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Maßstabs ist es nach Auffassung des Senats nicht möglich, die hier fraglichen Aufwendungen als aus sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen anzusehen. Denn dieÜbernahme der Kosten zur Fortsetzung eines Medizinstudiums - wie hier - dient dazu, dem Unterstützten eine hochqualifizierte Ausbildung und damit die Möglichkeit des Zugangs zu einem Beruf mit im allgemeinen guten Einkommenschancen zu eröffnen. Im Streitfall wären die Kläger nicht gesellschaftlicher Mißbilligung begegnet, wenn sie die Unterhaltskosten für I. R. nicht endgültig selbst getragen, sondern der Unterstützten ein Langfristiges, nach Abschluß des Studiums ratenweise zu tilgendes Darlehen gewährt hätten. Der Senat verkennt bei dieser Beurteilung nicht, daß die Kläger bei der Gewährung der fraglichen Unterhaltsleistungen sittlichmoralische Beweggründe hatten, die in hohem Maße achtenswert sind. Allein dieser Gesichtspunkt reicht indes zur Anerkennung der Zwangsläufigkeit nicht aus, weil die Unterstützung von Flüchtlingen für sich allein noch keine Zwangsläufigkeit i.S.d. § 33 EStG begründen kann (BFH-Urteil vom 8. April 1954 IV 342/53 U, BStBl III 1954, 188; Schmidt, Kommentar zum EStG, 14. Aufl. 1995, § 33 Rz. 26). In Einschränkung dieses Grundsatzes kommt zwar die Anerkennung einer sittlichen Verpflichtung gegenüber Nichtangehörigen - wie hier - dann in Betracht, wenn zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Nichtangehörigen ein besonderes Pflichtenverhältnis vorliegt, aufgrund dessen die Notlage eine Hilfe gerade des Steuerpflichtigen erfordert (Schmidt, a.a.O., m.w.N.). Ein solches besonderes Pflichtverhältnis liegt indes nach Auffassung des Senats in bezug auf die hier fraglichen Aufwendungen nicht vor. Zwar machen die Kläger geltend, daß sie I. R. und deren Eltern dringend zum verlassen von S. geraten und im Zusammenhang damit Unterstützungsleistungen an I. R. fest zugesagt hätten. Aus diesem vorbringen kann jedoch nach Ansicht des Senats noch nicht gefolgert werden, daß die Kläger eine als zwangsläufig i.S.d. § 33 Abs. 2 EStG anzuerkennende Fürsorgeverpflichtung tatsächlicher Art (dazu BFH-Urteil vom 26. Mai 1971 VI R 271/68, BStBl II 1971, 628) übernommen haben. Denn im Streitfall waren die Hilfszusage der Kläger und die Flucht von I. R. aus S. - jedenfalls auch - durch die seinerzeitige Bürgerkriegssituation im ehemaligen J. veranlaßt, so daß die Unterstützte jedenfalls nicht ausschließlich aufgrund der Hilfszusage der Kläger aus ihrem Lebenskreis herausgerissen wurde (vgl. auch BFH-Urteil vom 18. November 1977 VI R 142/75, BStBl II 1978, 147). Aufgrund dieser besonderen Sachgestaltung war aus sittlichen Gründen keine schenkweiseÜberlassung der Unterstützungsleistungen an I. R. erforderlich. Die Kläger hätten mithin nicht unsittlich gehandelt, wenn sie die fraglichen Unterhaltszahlungen nur darlehensweise gewährt hätten. Die fraglichen Aufwendungen sind schließlich auch nicht aufgrund tatsächlicher Gründe als zwangsläufig i.S.d. § 33 a Abs. 1 S. 1 und § 33 Abs. 2 S. 1 EStG zu qualifizieren. Derartige tatsächliche Gründe sind unabwendbare Ereignisse wie z.B. Katastrophen,

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[XXXXX]

8

Die Revision ist nicht zugelassen worden.