Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 21.09.2005, Az.: 1 A 170/05

Abschiebehaft; Abschiebung; Achtung des Familienlebens; Ausweisung; Ausweisungsschutz; Beistandsgemeinschaft; Erpressung; Familienleben; familiäre Lebensgemeinschaft; Freiheitsberaubung; Hausgemeinschaft; Körperverletzung; Lebensgemeinschaft; Marokko

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
21.09.2005
Aktenzeichen
1 A 170/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50876
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung. Er ist marokkanischer Staatsangehöriger und am 21. Januar 1972 in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Er war seit seinem 16. Lebensjahr im Besitz mehrerer aufeinander folgender befristeter Aufenthaltserlaubnisse, zuletzt befristet bis zum 30. November 2003. Nach den Eintragungen im Bundeszentralregister (Stand: 6. Januar 2004) trat der Kläger wie folgt strafrechtlich in Erscheinung:

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1. Einstellung durch das Amtsgericht B. am 21. August 1987 nach Ermahnung wegen gemeinschaftlichem Diebstahls in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis.

3

2. Belegung durch das Amtgericht C. mit einer richterlichen Weisung am 11. September 1987 wegen Hehlerei in zwei Fällen.

4

3. Urteil des Amtsgericht C. vom 12. August 1988 wegen Diebstahls zu einer Freizeit Jugendarrest.

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4. Urteil des Amtsgerichts C. vom 22. Juni 1989 wegen vorsätzlicher gemeinschaftlicher, mithin gefährlicher Körperverletzung zu einer Woche Jugendarrest.

6

5. Urteil des Landgerichts D. vom 17. Oktober 1990 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in fünf Fällen, Sachbeschädigung, Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, Beihilfe zur räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Fahren ohne Fahrerlaubnis, versuchte Nötigung, räuberischer Diebstahl in Tateinheit mit Körperverletzung zu 3 Jahren Jugendstrafe.

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6. Urteil des Amtsgerichts E. vom 27. Januar 1993 wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 DM.

8

7. Urteil des Amtsgerichts F. vom 29. Februar 1996 wegen gemeinschaftlichem Diebstahls zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 25 DM.

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8. Urteil des Amtsgerichts F. vom 14. August 1996 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15 DM.

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9. Urteil des Amtsgerichts G. vom 21. August 1996 wegen gemeinschaftlichem Diebstahls zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20 DM.

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10. Nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe durch Entscheidung des Amtsgerichts F. vom 11. September 1997 unter Einbeziehung der Verurteilungen zu 7. und 8. zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 20 DM.

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11. Urteil des Amtsgerichts H. vom 8. April 1998 wegen Verkürzung von Einkommenssteuer in drei Fällen, davon in zwei Fällen als Versuch, Verkürzung von Umsatzsteuer in drei Fällen, versuchte Verkürzung des Solidaritätszuschlages in einem Fall sowie Verkürzung von Gewerbesteuer in einem Fall zu einer Geldstrafe von 165 Tagessätzen zu je 110 DM.

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12. Urteil des Landgerichts H. vom 23. Juni 1999 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in fünf Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten auf Bewährung. Die Strafe wurde mit Wirkung vom 16. August 2002 erlassen.

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13. Nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe durch Entscheidung des Landgerichts H. vom 3. April 2000 unter Einbeziehung der Verurteilungen zu 9., 11. und 12. zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 20 DM.

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Weiter verurteilte das Landgericht H. den Kläger mit Urteil vom 3. Juni 2004, das am selben Tage rechtskräftig wurde, wegen gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung und der versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, mit Freiheitsberaubung sowie mit versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Vor Antritt der Haftstrafe wegen dieser Verurteilung lebte der Kläger zusammen mit seiner Mutter, die im Jahre 1970 aus Marokko in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und zwischenzeitlich die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erlangt hat. Am 2. September 1999 wurde der Kläger Vater eines Sohnes, der seit Ende 2000 bei seiner Mutter, einer russischstämmigen Deutschen, in I. lebt.

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Nach Anhörung des Klägers wies die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 19. Januar 2005 aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm ohne Setzung einer Frist für eine freiwillige Ausreise die Abschiebung nach Marokko im Anschluss an die Haft an. Sollte die Abschiebung zu diesem Zeitpunkt nicht durchführbar sei, forderte die Beklagte den Kläger auf, innerhalb von 14 Tagen nach der Entlassung aus der Strafhaft auszureisen, und drohte die Abschiebung nach Marokko an, sollte der Kläger innerhalb der Frist nicht ausreisen. Zur Begründung führte sie an, dass der Kläger durch die gegen ihn ergangene rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren die Voraussetzungen einer zwingenden Ausweisung erfülle. Es bestehe die begründete Gefahr, dass bei einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet dieser erneut Straftaten begehen werde. Hierfür spreche die Vielzahl der gegen den Kläger ergangenen Vorverurteilungen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass bereits fünf Verurteilungen solche Straftaten zugrunde gelegen hätten, die sich gegen die körperliche Unversehrtheit von Personen gerichtet hätten. Es sei nicht zu erwarten, dass der Kläger sein Verhalten derart ändern und von der Begehung weiterer Straftaten Abstand nehmen werde. Dieser Eindruck werde dadurch bestärkt, dass er bereits mit Schreiben vom 25. Mai 1990 auf mögliche ausländerrechtliche Folgen bei weiteren Verurteilungen schriftlich hingewiesen worden sei. Auch eine im März 1998 (wohl 1999) beabsichtigte Ablehnung eines Antrags des Klägers auf weitere Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung, von der nur aufgrund der Vaterschaft zu einem deutschen Kind abgesehen worden sei, habe den Kläger nicht zur Einhaltung der in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechtsnormen bewegen können. Hierneben diene die Ausweisung des Klägers auch generalpräventiven Gründen. Zwar genieße der Kläger einen besonderen Ausweisungsschutz im Sinne von § 56 Abs. 1 AufenthG, da er bis zu seiner Inhaftierung in familiärer Lebensgemeinschaft mit seiner nunmehr deutschen Mutter gelebt habe. Hierdurch werde die nach § 53 AufenthG vorgesehene zwingende Ausweisung zu einer Regelausweisung mit der Folge, dass der Ausländer nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden könne. Derartige Gründe lägen jedoch vor. Gründe für die Annahme eines Ausnahmefalles, die ein Abweichen von der Regelausweichung rechtfertigten, seien nicht gegeben. Die familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner Mutter vor der Inhaftierung habe bereits von einer Abstufung einer zwingenden Ausweisung zur Regelausweisung geführt, stelle aber keinen atypischen Grund dar, von der in der Regel vorgeschriebenen Ausweisung abzusehen. Auch der Umstand, dass der Kläger Vater eines deutschen Kindes sei, könne ein Absehen von der Ausweisung nicht rechtfertigen, da seit Ende 2000 der Kläger zu seinem Sohn keinen Kontakt mehr habe. Artikel 8 EMRK stehe der Ausweisung ebenfalls nicht entgegen. Aufgrund des Alters des Klägers sei eine Integration in die marokkanische ebenso wie in die deutsche Gesellschaft möglich. Bindungen des Klägers zu Marokko bestünden bzw. hätten bestanden. Am 27. Juli 1995 habe der Kläger in Marokko eine marokkanische Staatsangehörige geheiratet. Er spreche nach Aktenlage französisch, das in Marokko als Zweitsprache im Wirtschaftsbereich gesprochen werde.

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Der Kläger hat am 25. Januar 2005 Klage erhoben. Die Gründe im Ausweisungsbescheid enthielten keine Darstellung seiner gesamten Lebensumstände. Er sei in Deutschland geboren und mit der deutschen Kultur, Geschichte, Sprache und Schul- und Berufsausbildung aufgewachsen. Zudem habe es in seiner Erziehung Aspekte der marokkanischen Kultur gegeben. Als einziges Kind der Familie habe er im Gegensatz zu seinen Geschwistern noch nicht die deutsche Staatsbürgerschaft, was immer wieder zu Konfliktsituationen führe, die er nur schwer bewältigen könne. Neben der deutschen Sprache habe er außer Englisch und Französisch, letzteres zwei Jahre als Nebenfach in der Schule, keinerlei anderweitigen Sprachkenntnisse. Dieses könne die Beklagte nicht als Sprachbefähigung bezeichnen. Zwar habe er in Marokko geheiratet, dies sei jedoch auf Druck seiner Eltern geschehen. Auch habe er auf Druck der Familie einen Ehegattennachzug beantragt. Die Ehe sei zwischenzeitlich aber geschieden worden. Als einzige Verwandte lebe seine 85-jährige Oma noch in Marokko. Zu berücksichtigen sei auch, dass er eine abgeschlossene Berufsausbildung als Kfz-Mechaniker habe. Er sei willens, ein völlig normales Leben nach der deutschen Gesetzgebung zu führen. Innerhalb des Strafvollzugs absolviere er eine Weiterbildungsmaßnahme. Auch sei er willens, seine Schulden abzutragen. Die Trennung von seinem Sohn belaste ihn sehr. Zu der Trennung sei es gekommen, weil der Vater der Kindesmutter diese vergewaltigt habe und im Jahre 2000 aus dem Gefängnis entlassen worden sei. Die Kindesmutter habe sich daraufhin entschlossen, mit dem gemeinsamen Sohn die Stadt C. zu verlassen. Er habe nicht mitgehen können, da zum damaligen Zeitpunkt seine eigene Mutter seiner Hilfe bedurft habe.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2005 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Bescheides vom 19. Januar 2005 und führt ergänzend aus, dass der Kläger ausweislich der Heiratsurkunde mit der damaligen Heirat einverstanden gewesen sei. Der beantragte Ehegattennachzug sei wegen fehlender Voraussetzungen abgelehnt worden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Auch hat die Akte der Beklagten betreffend das Ehegattennachzugsverfahren vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben.

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Dabei ist die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vom 19. Januar 2005 aufgrund der Sach- und Rechtslage zu beurteilen, wie sie im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestand, denn es handelt sich bei dem Kläger um einen Ausländer, der nicht freizügigkeitsberechtigter Bürger der Europäischen Gemeinschaft ist und auch nicht aufgrund eines sonstigen Abkommens der EG mit einem anderen Staat ein Aufenthaltsrecht besitzt und rechtlich insoweit wie die EU-Bürger zu behandeln ist (vgl. NdsOVG, Beschl v. 13. April 2005 - 4 ME 73/05 -). Die Tatsachengerichte dürfen und müssen zwar auch Erkenntnismittel heranziehen und auswerten, die nach der letzten Behördenentscheidung entstanden oder zugänglich geworden sind, wenn diesen Erkenntnismitteln Anhaltspunkte für die Richtigkeit der im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung getroffenen Einschätzung insbesondere im Hinblick auf die für die Ausweisung maßgebende Gefahr neuer Verfehlungen entnommen werden können. Hingegen haben die darin enthaltenen Erkenntnisse über die nach diesem Zeitpunkt eingetretene Entwicklung außer Betracht zu bleiben (z. Vorst.: BVerwG, Urt. v. 11.6.1996 - BVerwG 1 C 24.94 - BVerwGE 101, 247; Beschl. v. 16.10.1989 - BVerwG 1 B 106.89 - InfAuslR 1990, 4).

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Zu dem hier maßgebenden Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung am 19. Januar 2005 ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass der Ist-Ausweisungstatbestand des zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt ist. Danach wird ein Ausländer u. a. ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Dabei ist nach § 53 Nr. 1 bei Erfüllung des Tatbestandes die Ausweisung zwingende Folge. So verhält es sich hier, denn der Kläger ist mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts H. vom 3. Juni 2004 Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt worden.

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Die Beklagte hat jedoch - zugunsten des Klägers - unzutreffend einen besonderen Ausweisungsschutz für den Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG angenommen. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG genießt ein Ausländer besonderen Ausweisungsschutz, wenn er mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zur Auslegung des Begriffes der familiären Lebensgemeinschaft kann auf die Rechtsprechung des insoweit inhaltsgleichen § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG zurückgegriffen werden, der durch die Regelung des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ersetzt worden ist, ohne inhaltlich vom Begriff der familiären Lebensgemeinschaft abzuweichen (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 90). Diese setzt bei Erwachsenen voraus, dass die Eltern auf die Hilfe des volljährigen Ausländers oder umgekehrt der volljährige Ausländer auf die Hilfe seiner Eltern dergestalt angewiesen ist, dass die Lebensgemeinschaft sich nicht bloß als Hausgemeinschaft, sondern als Beistandsgemeinschaft darstellt und die Hilfe nur in Deutschland erbracht werden kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass volljährige Kinder in der Regel die familiäre Hilfe nicht mehr benötigen, auch wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen noch mit ihren Eltern zusammen leben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.3.2003 - 2 BvR 1570/03, DVBl. 2004, 1097 ff.). Eine derartige Beistandsgemeinschaft des Klägers mit seiner Mutter, bei der er vor seiner Inhaftierung gelebt hat, ist jedoch nicht gegeben. Vielmehr geht das Gericht von einer bloßen Hausgemeinschaft aus. Zwar hat der Kläger vorgetragen, dass er wegen der damaligen Hilfebedürftigkeit seiner Mutter im Jahre 2000 nicht mit seiner ehemaligen Lebenspartnerin und dem gemeinsamen Sohn die Stadt C. verlassen habe. Anhaltspunkte, dass die Mutter auch zum maßgebenden Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung gerade auf die Hilfe des Klägers angewiesen war, sind nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht vorgetragen worden.

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Die Ausweisung des Klägers wäre aber auch dann nicht zu beanstanden, wenn dem Kläger ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG zustünde und eine Ausweisung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfolgen darf. Derartige Gründe liegen u. a. in der Regel in den Fällen des hier verwirklichten § 53 AufenthG, also in den Fällen der Ist-Ausweisung vor mit der Folge, dass der Ausländer nicht zwingend, sondern nur in der Regel ausgewiesen wird (§ 56 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AufenthG). Es ist nicht ersichtlich, dass es im Falle des Klägers geboten wäre, von den gesetzlichen Regeln abzuweichen. Insoweit folgt die Kammer der Begründung in der Ausweisungsverfügung vom 19. Januar 2005 und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

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Die Ausweisung des Klägers ist auch mit Rücksicht auf den nach Art. 6 Abs. 1 GG gebotenen Schutz der Familie nicht zu beanstanden. Diese Vorschrift steht der Ausweisung eines Ausländers, der - wie der Kläger - in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, nicht ohne Weiteres entgegen. Liegen keine Anhaltspunkte vor, die eine Ausweisung des Ausländers im Lichte von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig erscheinen lassen, ist die Ausweisung auch mit dem grundgesetzlich verankerten Schutz der Familie vereinbar (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.1.1997 - BVerwG 1 B 256.96 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 12; NdsOVG, Beschl. v. 26.8.2005 - 11 ME 216/05 -). So verhält es sich hier. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zwischen dem Kläger und seiner Mutter keine familiäre Lebensgemeinschaft, die einen besonderen Ausweisungsschutz begründet, bestanden hat. Auch zu seinen bereits eingebürgerten Geschwistern besteht keine solche familiäre Lebensgemeinschaft. Gleiches gilt für die Beziehung zu seinem Sohn, der in I. bei der Kindesmutter lebt. Denn der Kläger hat nach den Feststellungen im strafgerichtlichen Urteil vom 3. Juni 2004 seit Ende 2000 zu seinem Sohn keinen Kontakt mehr. Schließlich ist eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung auch nicht anzunehmen, weil der Kläger in Deutschland mit der deutschen Kultur und Geschichte aufgewachsen ist und eine abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung hat. Seine darin zum Ausdruck kommende Verwurzelung in den Lebensverhältnissen in Deutschland ist bereits nicht vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst, sondern wird vielmehr durch Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geschützt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03, DVBl. 2004, 1097 ff.). Ungeachtet dessen ändert dies an der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung nichts, da die hierfür sprechende schwerwiegende Straffälligkeit und die mit der Ausweisung verbundenen general- und spezialpräventiven Gründe das Interesse des Klägers an einem Verbleib in Deutschland überwiegen. Aus generalpräventiven Gründen ist die Ausweisung als gerechtfertigt anzusehen, weil der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung und der versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, mit Freiheitsberaubung sowie mit versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und bei dieser Tat neben weiteren Tätern als Haupttäter verurteilt worden ist, so dass sich das dringende öffentliche Bedürfnis geradezu aufdrängt, die Tat über die erhebliche strafrechtliche Sanktion hinaus zum Anlass für eine Ausweisung zu nehmen, um andere Ausländer von der Begehung von Straftaten dieser Art und Schwere abzuschrecken. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Rahmen der Strafzumessung noch zugunsten des Klägers davon ausgegangen worden ist, dass er mit ausländerrechtlichen Maßnahmen zu rechnen hat. Daneben rechtfertigen auch spezialpräventive Gründe die Ausweisung, da zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung die begründete Annahme bestand, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung wieder straffällig werden wird. Denn der Kläger hat ungeachtet zweier Hinweise der Beklagten aus den Jahren 1990 und 1999 auf mögliche ausländerrechtliche Konsequenzen sowie ungeachtet der Verurteilungen u. a. zu 3 Jahren Jugendstrafe (ohne Bewährung) bzw. 1 Jahr und 10 Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung wieder Straftaten begangen und sich von den Verurteilungen nicht beeindrucken lassen. Dem kann der Kläger nicht entgegenhalten, dass er zwischenzeitlich in der Haft eine Weiterbildungsmaßnahme begonnen habe, seine Schulden abtragen wolle und zukünftig auch wegen seines Sohnes ein normales Leben führen möchte. Diese Umstände vermögen eine andere Beurteilung der begründeten Gefahr einer erneuten Straffälligkeit des Klägers nicht zu rechtfertigen, soweit sie überhaupt nach der hier maßgeblichen Sachlage zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung zu beachten sind, da der Kläger - wie bereits ausgeführt worden ist - keinen Kontakt zu seinem Sohn hat und nicht feststeht, inwieweit er durch die Weiterbildungsmaßnahme in das Arbeitsleben integriert werden kann.

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Auch der Anspruch des Klägers auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK steht einer Ausweisung nicht entgegen. Zu den von Art. 8 Abs. 2 EMRK gebilligten Zielen gehören der Schutz der öffentlichen Ordnung und die Verhinderung von Straftaten. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist eine Ausweisung von straffällig gewordenen Ausländern der zweiten Generation nicht ohne Weiteres als Verstoß gegen Art. 8 EMRK zu werten. Vielmehr ist nach Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Ausweisung gerechtfertigt, wenn sie unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles verhältnismäßig ist. Dies beurteilt sich ebenfalls einerseits nach den Beziehungen des Ausländers zu seinem Heimatland und andererseits nach der Schwere der Straftat und der familiären Situation des Ausgewiesenen, wobei die Ausweisung eines Ausländers der zweiten Generation, der Vater eines im Inland lebenden Kindes ist, nicht schon generell und völlig unabhängig von den weiteren Umständen des Falles - insbesondere der Schwere der von ihm begangenen Straftaten - unverhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03, DVBl. 2004, 1097 ff. m. w. N. aus der Rspr. des EGMR). Vor diesem Hintergrund ist die Ausweisung des Klägers angesichts seiner erheblichen Straffälligkeit auch am Maßstab von Art. 8 EMRK als rechtmäßig zu erachten. Hierbei berücksichtigt das Gericht, dass der Kläger nach eigenen Angaben zwar unzureichende Sprachkenntnisse hat und seine in Marokko im Jahre 1995 geschlossene Ehe ausweislich der vom Kläger im Verfahren vorgelegten Urkunde seit 1998 bereits wieder geschieden ist. Dennoch ist die Ausweisung am Maßstab von Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig. Zum einen hat der Kläger - wie er selbst einräumt - noch eine 85-jährige Großmutter, die in Marokko lebt. Zum anderen geht das Gericht davon aus, dass der Kläger auch mit seinen nur eingeschränkten Sprachkenntnisse sich in Marokko wird integrieren können. Denn der Kläger war in Lage, die Scheidung seiner in Marokko geschlossenen Ehe durch Erklärung gegenüber dem zuständigen Appellationsgericht Rabat, Erstinstanzliches Gericht Salé, Marokko, herbeizuführen. Auch stehen seine Vaterschaft sowie seine weiteren familiären Bindungen aus den bereits aufgezeigten Gründen, die auch im Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK Berücksichtigung finden, einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Schließlich hat das Gericht bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit in den Blick genommen, dass mit der Ausweisung zwar nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ein ausgewiesener Ausländer nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf und ihm nach Satz 2 dieser Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt wird. Diese Wirkungen der Ausweisung können jedoch nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auf Antrag des Ausländers in der Regel befristet werden.

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Die Androhung der Abschiebung unmittelbar aus der Haft ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise beruht auf §§ 58 Abs. 1, 59 AufenthG i. V. m. §§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 50 Abs. 1 AufenthG und lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Hierbei ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 1, 2 und 3 AufenthG nicht besteht. Im Übrigen sind auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht ersichtlich.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.