Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 27.09.2005, Az.: 4 A 156/04
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 27.09.2005
- Aktenzeichen
- 4 A 156/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 43368
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2005:0927.4A156.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 I BSHG
- § 39 BSHG
- § 13 III 3 SGB XI
Tatbestand
Der Kläger begehrt Hilfe für eine Integrationshilfe während seines Schulbesuches. Er ist körperlich wesentlich behindert und erhält seit dem 1. Februar 2000 von der Pflegekasse Pflegegeld der Stufe I. Mit Bescheid von August 2002 bewilligte ihm der Beklagte auf seinen Antrag Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für eine Integrationshilfe während des Schulbesuchs in der Zeit vom 1. August 2002 bis zum 31. Januar 2003. Er erklärte sich bereit, die anfallenden Kosten für eine von der Mutter des Klägers angestellte Integrationskraft in Höhe von 6,50 € je geleisteter Stunde für bis zu 20 (Zeit)Stunden wöchentlich sowie den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung zu übernehmen. Mit Bescheid vom 3. Februar 2003 bewilligte der Beklagte die Hilfe für die Zeit vom 1. Februar 2003 bis zum 9. Juli 2003 für bis zu 22 Stunden wöchentlich. Nach den Feststellungen des Gesundheitsamtes des Beklagten vom 23. Januar 2003 leistet die Integrationskraft Hilfe bei folgenden Tätigkeiten:
Fahren im PKW zur Schule und nach Hause,
Begleitung zum Klassenzimmer, Hilfe beim Ausziehen, Transport des Rollstuhls, Tragen des Ranzens,
Begleitung bei Unterrichtsgängen (z.B. Verkehrsunterricht),
Begleitung zum Sportunterricht, Hilfe beim Wechsel der Sportkleidung, Hilfestellung bei Turnübungen oder Spielen,
Begleitung in den Pausen und Hilfestellung beim An- und Ausziehen,
Vorbereitende Handreichungen als Unterrichtshilfe,
Hilfe beim Arbeiten an der Tafel,
Hilfe bei Stuhlkreisen, Spielen, Musikunterricht (Instrumente), Kunstunterricht (Materialtransport).
Weiter begleitet sie den Kläger zur Toilette und wechselt die Windeln.
Am 14. Juli 2003 wandte sich der Beklagte an die Pflegekasse und bat um Mitteilung, ob von dort eine Übernahme der notwendigen Hilfen beim Toilettengang sowie zur Mobilität in der Schule als Pflegesachleistung erfolgen werde. Die A. kasse teilte mit, dass weiterhin ein Pflegegeld ausgezahlt werde. Pflegesachleistungen für die Integrationshilfe könnten nicht gewährt werden, weil diese nur von Pflegekräften erbracht werden könnten, die bei einer ambulanten Pflegeeinrichtung beschäftigt seien, mit der die Pflegekasse einen Versorgungsvertrag abgeschlossen habe.
Mit Bescheid vom 26. September 2003 bewilligte der Beklagte dem Kläger für das Schuljahr 2003/2004 Leistungen für eine Integrationshilfe für den Schulbesuch für bis zu 20 Stunden wöchentlich (nebst dem Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung). Eine Abrechnung von 22 Stunden wöchentlich könne nicht mehr erfolgen, weil der Kläger Pflegegeld für die häusliche Pflege erhalte. Der Zeitaufwand für das An - und Auskleiden und Umsetzen in den Rollstuhl vor und nach dem Unterricht, sowie die Begleitung zur Toilette sei in den Leistungen der Pflegekasse enthalten. Er sei mit zwei Stunden wöchentlich anzusetzen.
Der Kläger erhob am 27. Oktober 2003 Widerspruch, den der Beklagte mit Bescheid vom 9. März 2004 zurückwies. Die Vorschrift des § 13 Abs. 3 Satz 3 SGB XI, wonach Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen durch die Regelungen des SGB XI unberührt bleiben, finde nur dann Anwendung, wenn die Pflegekasse nicht - wie hier - für den selben Zweck Leistungen erbringe.
Der Kläger hat am 13. April 2004 Klage erhoben. Der Anspruch auf Eingliederungshilfe werde durch die Leistungen der Pflegekasse nicht ausgeschlossen. Dies folge aus § 13 Abs. 3 Satz 3 SGB XI. Es treffe nicht zu, dass die Pflegezeiten während der Schulzeit im Rahmen der Pflegeversicherung berücksichtigt würden. Im Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen seien diese Tätigkeiten nicht berücksichtigt worden. Auch die von dem Beklagten angenommen Zeiten seien unzutreffend. Für die ambulante Pflege erhalte er, der Kläger, keine Leistungen der Pflegekasse. Da die Leistungen der Pflegekasse damit unzureichend seien, müsse sie durch zusätzliche Leistungen der Eingliederungshilfe ergänzt werden.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, die Kosten für einen Integrationshelfer während des Schulbesuches im Schuljahr 2003/2004 für bis zu 22 Stunden wöchentlich zu übernehmen und den Bescheid des Beklagten vom 26. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2004 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen die Ausführungen der angegriffenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger kann auf der Grundlage der §§ 39, 40 BSHG Hilfe für eine Integrationskraft zur Unterstützung bei dem Schulbesuch für bis zu 22 Stunden wöchentlich verlangen. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Voraussetzungen der genannten Vorschriften für die Gewährung der Hilfe vorliegen. Zu Unrecht hat der Beklagte die Hilfe mit Rücksicht auf das dem Kläger durch die Pflegekasse gewährte Pflegegeld in ihrem Umfang gekürzt. Der Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 BSHG, wonach Sozialhilfe nicht erhält, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen erhält, bietet hierfür keine Rechtsgrundlage. Dies folgt aus § 13 Abs. 3 Satz 3 SGB XI (in der zum maßgebenden Zeitraum geltenden Fassung), der für das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung zu denjenigen der Eingliederungshilfe eine Sonderregelung trifft. Danach bleiben die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen u.a. nach dem Bundessozialhilfegesetz (durch die Leistungen nach dem SGB XI) unberührt, sie sind im Verhältnis zur Pflegeversicherung nicht nachrangig. Bei der dem Kläger gewährten Hilfe durch Übernahme der Kosten für eine Integrationshilfe handelt es sich um eine Maßnahme der Eingliederungshilfe, denn Zweck ist es, dem Kläger den Schulbesuch zu ermöglichen und ihn hierdurch in die Gesellschaft einzugliedern (§ 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG). Die Hilfe stellt dabei eine einheitliche Leistung dar, die insgesamt auf die Integration des Klägers abzielt, wobei die pflegerischen Handlungen in den Hintergrund treten. Eine nach den einzelnen Tätigkeiten der Integrationskraft differenzierende Aufspaltung der Maßnahme in Leistungen der Eingliederungshilfe einerseits und Pflegeleistungen im Sinne des SGB XI andererseits scheidet aus (vgl. VGH Baden - Württemberg , Urt.v. 17.9.1997 - 6 S 1709/97 - FEVS 48, 305; auch LPK - BSHG, 6. Aufl. 2003, § 39 Rn. 35 zu den sog. Komplexleistungen).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 188 Satz 2 VwGO (a.F.), 206 Abs. 1 SGG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung (§§ 124 Abs. 1, 124a Abs. 1 VwGO) liegen nicht vor.