Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 23.09.2005, Az.: 2 B 38/05

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
23.09.2005
Aktenzeichen
2 B 38/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 43121
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2005:0923.2B38.05.0A

Tatbestand:

1

I.

Die Beteiligten streiten um einen der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid für eine Biogasanlage.

2

Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks "G. Nr. H." und Inhaber der Unternehmen I.. Das Tonstudio betreibt er seit 1982 in G., die Planung für das J. Therapiezentrum begann im Jahr 2001 und die Genehmigung erfolgte im Jahr 2005. Neben diesen Betrieben des Antragstellers befindet sich in der Ortslage G. ein landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetrieb, der von einem Gesellschafter der Beigeladenen geführt wird. Weitere Nutzungen sind das "Haus der Stimme" - einer Mieterin des Antragstellers - sowie Ferienwohnungen, eine Filmwerkstatt, eine Sommergalerie mit Gartencafé, verschiedene Therapieeinrichtungen, ein "Bäuerinnencafé", verschiedene Wohnnutzungen sowie der Betriebsstandort der Schäferei K..

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Mit Bescheid vom 26. Mai 2005 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen einen Vorbescheid nach § 9 BImSchG, mit dem festgestellt wurde, dass die am Standort Gemarkung G., Flur L., Flurstück M., beabsichtigte Biogasanlage ein zulässiges Vorhaben im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB iVm § 201 BauGB darstelle. In der Nr. 6 des Vorbescheides heißt es, der Widerruf werde vorbehalten, wenn sich aus den weiteren Detailuntersuchungen ergebe, dass die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 6 BImSchG nicht sichergestellt werden könnten. Außerdem erging der Vorbescheid unter dem Vorbehalt, dass die mit der Gemeinde N. getroffenen Festlegungen zur verkehrlichen Erschließung der Biogasanlage gemäß des städtebaulichen Vertrags vom 12. Februar 2005 zu beachten seien (III. Nr. 1) und dass Maßgaben zum Immissionsschutz im Falle der Erteilung einer Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb der Anlage dort erfolgen würden (III. Nr. 4). Zur Begründung des Bescheides wird u.a. ausgeführt (Nr. 6: Immissionsschutz), die vom TÜV Nord erstellte Prognose der Geruchsimmissionen vom 15. Dezember 2004 komme zu dem abschließenden Ergebnis, dass die Zusatzbelastung den Wert von 0,02 nicht überschreiten werde und die Anlage die belästigende Wirkung der vorhandenen Belastung nicht relevant erhöhe. Nach dem schalltechnischen Gutachten des TÜV Nord vom 15. Dezember 2004 würden die Immissionsrichtwerte tags um 14 dB(A) und nachts um wenigstens 9 dB(A) unterschritten. Als Bezugspunkt seien hier die Immissionsrichtwerte für ein Dorfgebiet (60 dB(A) tags, 45 dB(A) nachts) maßgeblich. Durch den Betrieb der Biogasanlage würden keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervorgerufen. Im Übrigen sei in diesem Verfahren lediglich zu klären, ob dem Vorhaben keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse entgegenstünden, sich also insbesondere unzulässige Auswirkungen der Anlage auf ihre Umgebung durch geeignete Vorkehrungen bei Errichtung und Betrieb mit hinreichender Sicherheit ausschließen ließen. Die abschließende Prüfung sei dem nachfolgenden Genehmigungsverfahren vorbehalten.

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Nachdem u.a. der Antragsteller gegen den erteilten Vorbescheid Widerspruch eingelegt hatte, ordnete der Antragsgegner unter dem 18. Juli 2005 die sofortige Vollziehung an und führte zur Begründung aus, diese sei anzuordnen, weil nach Abschätzung der Erfolgsaussichten der vorliegenden Widersprüche das Interesse der Beigeladenen an der Vollziehbarkeit des ihr erteilten Vorbescheides das Interesse der Widerspruchsführer an der Beibehaltung der aufschiebenden Wirkung überwiege. Die mit dem Vorbescheid getroffenen Regelungen verletzten erkennbar keine drittschützenden Vorschriften. Im Wesentlichen beinhalte die Entscheidung eine Aussage über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der geplanten Biogasanlage im Außenbereich von G.. Bestandteil dieser Standortprüfung sei die Prüfung der öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB. Diese Belange dienten nicht dem Schutz von Individualinteressen, sondern vielmehr öffentlichen Belangen. Darüber hinaus sei die Einhaltbarkeit der von der Nachbarschaft hinzunehmenden Lärm- und Geruchsimmissionen anhand der im Verfahren vorgelegten Gutachten geprüft und festgestellt worden. Durch die Aufnahme des mit dem Vorbescheid verbundenen Vorbehalts Nr. III. 4., nach dem weitere Maßgaben zum Immissionsschutz in die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb der Anlage aufgenommen werden könnten, werde dem Nachbarschutz hinreichend Rechnung getragen. Der Beigeladenen könne nicht zugemutet werden, die Widerspruchsverfahren und die ggf. sich anschließende gerichtliche Auseinandersetzung abzuwarten. Insbesondere unterliege die für die Stromerzeugung der geplanten Biogasanlage garantierte Mindestvergütung nach dem Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien einer kontinuierlichen prozentualen jährlichen Senkung. Maßgeblich für die Beigeladene sei die Inbetriebnahme der Anlage noch im Jahr 2005.

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Am 3. August 2005 beantragte der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs durch das Gericht und trug zur Begründung vor, das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehbarkeit des Vorbescheides müsse hinter seinem Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zurücktreten. Es sei ihr zuzumuten, das anhängige Widerspruchsverfahren und ein nachfolgendes Klageverfahren abzuwarten, da sie diese Verzögerung zumindest überwiegend selbst verschuldet habe. Bereits bei der Antragskonferenz sei ihr nahegelegt worden, die Beteiligung Dritter im Rahmen eines öffentlichen Genehmigungsverfahrens zu erwägen, da bereits mit erheblichem Widerstand der Bevölkerung gerechnet worden sei. Dies habe die Beigeladene abgelehnt. Auch eine Mediation werde von ihr nach wie vor abgelehnt. Den jetzt anhängigen Rechtsstreit habe sie daher allein zu verantworten. Auch sei der Beigeladenen von der Landwirtschaftskammer mehrfach empfohlen worden, einen alternativen Standort zu wählen. Seitens der Kreisverwaltung sei ihr wiederholt signalisiert worden, andere Standorte im Außenbereich seien für sie möglich und genehmigungsfähig.

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In der Sache trägt der Antragsteller vor, er sei mit seinen beiden Betrieben auf den Charakter der Ortslage G. als "Standort mit der besonderen Entwicklungsaufgabe Erholung" und die damit verbundene ruhige Umgebung in besonderer Weise angewiesen. Die entsprechenden Festsetzungen des Regionalen Raumordungsprogramms schafften für ihn eine Rechtsposition, auf die er sich mit seinen Investitionen und Planungen eingestellt habe. Der Vorbescheid sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Vorhabens im Außenbereich sei nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB u.a., dass öffentliche Belange nicht entgegenstünden. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liege insbesondere dann vor, wenn das Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen könne. Im Vorbescheid werde zu Unrecht davon ausgegangen, dass dies nicht der Fall sei. Wenn die Biogasanlage in G. gebaut und betrieben würde, wäre nicht nur seine wirtschaftliche Existenz und die seiner Mieterin, sondern auch mehrere andere Anwohner bzw. Gewerbetreibende in hohem Maße gefährdet. In G. hätten sich überwiegend Betriebe angesiedelt, die in ganz besonderer Weise auf eine ruhige und ungestörte Umgebung angewiesen seien. Die von der Anlage ausgehenden Beeinträchtigungen seien als erheblich im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG anzusehen, da sie für ihn nicht zumutbar seien. Die Zumutbarkeit hänge allein von der Wirkung der Immissionen für den Betroffenen ab. Die voraussichtlichen Wirkungen der Immissionen der geplanten Biogasanlage für ihn hätten eine seine wirtschaftliche Existenz vernichtende Wirkung. Die Geräusche der geplanten Anlage würden 24 Stunden täglich an 365 Tagen auf seinem Grundstück zu hören sein, wo sich das Therapiezentrum befinde. Auch die zu erwartenden Gerüche würden den angestrebten Therapieerfolg maßgeblich verhindern. Insbesondere werde aber im Vorbescheid von zu hohen Zahlen für den bereits vorhandenen landwirtschaftlichen Verkehr ausgegangen. Der Ist-Zustand betrage nicht gut 5.000 Fahrten des Landwirts O., er betrage vielmehr nur rd. 1.500 landwirtschaftliche Fahrten durch den Ort. Demgegenüber seien die zu erwartenden zusätzlichen landwirtschaftlichen Fahrten mit 2.000 im Vorbescheid zu niedrig angesetzt. Nach den Antragsunterlagen sollten jährlich 10.000 Tonnen Erntegut verarbeitet und etwa 10.200 Tonnen Gülle pro Jahr abgefahren werden. Bei einer Kapazität, die nicht mit 20, sondern mit 15 Tonnen angenommen werden müsse, ergäben sich für den Transport von 10.000 Tonnen Erntegut plus Leerfahrten zusätzlich 1.300 landwirtschaftliche Fahrten in der Erntezeit von Ende Mai bis Anfang Oktober. Für die Abfahrt der Gülle plus Leerfahrten seien 1.700 Fahrten in zwei Monaten des Jahres erforderlich. Im Ergebnis zeichne sich also eine Verdreifachung der Fahrten im Vergleich zum Ist-Zustand ab. Diese verteilten sich auch nicht gleichmäßig über das ganze Jahr, sondern größtenteils geballt und terminlich nicht vorhersehbar in den Erntekampagnen innerhalb des Sommerhalbjahres.

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Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26. Mai 2005 wiederherzustellen.

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Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

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Er ist der Auffassung, das Grundstück des Antragstellers liege in einem Bereich, der als Dorfgebiet zu qualifizieren sei, denn die nähere Umgebung werde auch von dem südlich in einer Entfernung von ca. 100 m befindlichen landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb O. maßgeblich mit geprägt. Die Auffassung des Antragstellers, der Gebietscharakter sei bereits in ein Wohngebiet "gekippt", da die vormals vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebe zugunsten empfindlicherer Nutzungen gewichen seien, müsse widersprochen werden. Denn dabei verkenne der Antragsteller die Existenz des landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebes. Im Übrigen grenzten unmittelbar an sein Grundstück landwirtschaftlich genutzte Außenbereichsflächen an. Bereits aufgrund dieser Lage seien landwirtschaftlich bedingte Vorbelastungen hinzunehmen. Die Biogasanlage verstoße erkennbar nicht gegen Nachbarrechte des Antragstellers. Unzumutbar wären hier nur schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 BImSchG, d.h. Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet wären, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Dieser Grad der Beeinträchtigung werde nicht erreicht. Da es sich vorliegend um eine Anlage im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes handele, ergäben sich die materiellen Forderungen hinsichtlich der Einhaltung des Rücksichtnahmegebotes aus diesem Gesetz bzw. den hierzu ergangenen Verordnungen. Die Einhaltbarkeit der von der Nachbarschaft hinzunehmenden Lärm- und Geruchsimmissionen sei anhand der im Verfahren vorgelegten und zum Bestandteil des Vorbescheides gewordenen Geruchsimmissionsprognosen des TÜV Nord vom 15. Dezember 2004 und des schalltechnischen Gutachtens des TÜV Nord vom 15. Dezember 2004 geprüft und festgestellt worden. Die Geruchsimmissionen lägen danach unter der Relevanzschwelle nach der Nr. 3.3 der GIRL. Durch die Änderung der ursprünglichen Planung von zwei auf einen Gasmotor werde durch das geringere Abgasvolumen die Geruchsfracht zusätzlich um ca. 10 % verringert. Die für ein Dorfgebiet zulässigen Lärmwerte würden tagsüber um wenigstens 14 dB(A) sowie nachts um wenigstens 9 dB(A) unterschritten und lägen damit sogar unter den in einem allgemeinen Wohngebiet hinzunehmenden Werten. Die Angaben zu den erforderlichen Fahrten durch die Ortslage G. seien plausibel und die vom Antragsteller angeführte Verdreifachung der Fahrten im Vergleich zum Ist-Zustand nicht nachvollziehbar. Vorbehaltlich der noch durchzuführenden Detailprüfung sei unter Berücksichtigung einer typisierenden Betrachtung die geplante Anlage als nicht wesentlich störende Anlage zu betrachten und daher planungsrechtlich zulässig und immissionsschutzrechtlich - ggf. unter Auflagen - realisierbar.

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Die Beigeladene ist dem Antrag ebenfalls entgegengetreten und hat ausgeführt, maßgeblich für die Beurteilung sei zunächst der Umstand, dass sich die Ortslage von G. als dörfliches Mischgebiet darstelle. Der Vollerwerbsbetrieb des Gesellschafters Peters habe bereits aufgrund seiner Größe erhebliche prägende Wirkung und in G. seien noch weitere landwirtschaftliche und insbesondere auch mehrere gewerbliche Betriebe ansässig. Die gesamte Umgebung von G. werde intensiv landwirtschaftlich genutzt. Aufgrund dieser gesamten Umstände sei der Ort G. ganz erheblich durch landwirtschaftlichen Verkehr geprägt; im Übrigen sei der durchaus erhebliche touristische Verkehr im Zusammenhang mit der P. Heide zu bedenken, so dass kein Zweifel daran bestehen könne, dass es sich bei der Ortslage G. um ein dörfliches Mischgebiet handele.

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Soweit der Antragsteller darauf verweise, er benötige für seine Betriebe absolute Stille, sei dem entgegenzuhalten, dass er unter diesen Prämissen seine Betriebe falsch angesiedelt habe. G. sei weder als Kur- noch als Sondergebiet "Krankenhaus" ausgewiesen. Ein entsprechender Schutzanspruch bestehe nicht. Dies gelte auch im Hinblick auf Ausweisungen im Regionalen Raumordnungsprogramm, die keine nachbarschützende Wirkung entfalteten. Maßgeblich sei allein der tatsächliche bauplanungsrechtliche Charakter. Außerdem sei bei der Beurteilung von Immissionen aus Nachbarsicht auf einen durchschnittlich empfindlichen Menschen und nicht auf einen solchen abzustellen, der aufgrund seiner Erkrankung überempfindlich auf Lärm oder Gerüche reagiere. Diese Überempfindlichkeiten könnten nicht als Maßstab der bauplanungsrechtlichen Beurteilung herangezogen werden. Im Übrigen sei durch die vorgelegten Gutachten des TÜV Nord nachgewiesen, dass die für ein Dorfgebiet relevanten Immissionsgrenzwerte ganz erheblich unterschritten würden und die Erhöhung der Geruchsstoffeinträge minimal sei. Auch ginge der Antragsteller von weit überhöhten Werten für die Anzahl der anlagerelevanten Fahrten aus. Der Ist-Zustand des landwirtschaftlichen Verkehrs sei richtig ermittelt und von der Landwirtschaftskammer überprüft worden. Die berechneten ca. 2.000 Fahrten pro Jahr bedingt durch die geplante Biogasanlage seien zutreffend. Die Erntetransportfahrzeuge transportierten zwischen 35 m3 und 66 m3, im Schnitt also 40 m3. Gehe man von einem relativ locker liegenden Häckselgut aus, ergebe sich ein Transportvolumen von 20 Tonnen pro Fahrt. Auch die Angaben zur Substratabfuhr seien richtig. Das vorhandene Güllefass habe ein Fassungsvermögen von 16 m3, die bereits vorhandenen Transportwagen ein Fassungsvermögen von 25 m3. Mit dem Güllefass würden nur hofnahe Flächen direkt angefahren. Lege man etwa 15 % der Fahrten von der Anlage mit dem Güllefass zugrunde, ergebe sich eine durchschnittliche Transportmenge von 23,65 m3. Es ergebe sich eine Gesamtsumme von Fahrten von 1.948 inklusive Leerfahrten. Da ca. 30 % der relevanten Flächen der Gesellschafter in Richtung N. belegen seien und über die Straße N. /G. angefahren würden, gingen nur durchschnittlich 30 % der anlagebedingten Fahrten in diese Richtung. Davon verliefen aber die Hälfte der Fahrten, nämlich die Leerfahrten, über die "Umgehungsstrecke" südlich und westlich an G. vorbei, so dass nur die Anlieferungsfahrten durch die Ortslage führten. Hierbei werde es sich um durchschnittlich 300 Fahrten pro Jahr, d.h. weniger als eine Fahrt pro Tag handeln.

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Der Antragsgegner habe die sofortige Vollziehung auch zu Recht ausgesprochen. Bei einer Genehmigung der Anlage bis Ende September/Mitte Oktober könne die Biogasanlage bis zum Jahresende in Betrieb gehen. Bei einer Inbetriebnahme der Anlage erst im Jahr 2006 würde sich die Einspeisevergütung für den erzeugten Strom deutlich verringern, wobei sich der verringerte Einspeisepreis auf die 20jährige Betriebszeit der Anlage beziehen würde. Die Wirtschaftlichkeit der Anlage würde erheblich leiden, wenn sie erst im Jahr 2006 in Betrieb genommen werden könnte. Im Gegenzug sei zu berücksichtigen, dass Detailfragen ohnehin erst in der endgültigen Genehmigung zu regeln seien, nicht in dem hier streitigen Vorbescheid.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Gründe

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II.

Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

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Die Begründung des Antragsgegners zur Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist rechtlich nicht zu beanstanden (1.). Die vom Antragsteller gegen den angefochtenen Vorbescheid erhobenen Einwände rechtfertigen nicht die beantragte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des von ihm erhobenen Widerspruchs. In Ausübung des ihr durch den § 80 Abs. 5 VwGO eingeräumten Ermessens hält die Kammer den angeordneten Sofortvollzug des Vorbescheides aufrecht. Denn sie misst dem Interesse des Antragstellers an einer vorherigen Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Vorbescheides im Widerspruchs- bzw. Klageverfahren keinen Vorrang vor dem Interesse der Beigeladenen an der einstweiligen Ausnutzbarkeit des ihm erteilten Vorbescheides bei. Maßgebend dafür ist, dass der Widerspruch des Antragstellers bei der derzeitigen Sachlage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, soweit dies im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung beurteilt werden kann (2.).

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1. Nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird. Die Ausführungen des Antragsgegners im Schreiben vom 18. Juli 2005 werden den Anforderungen gerecht, die an eine Anordnung der sofortigen Vollziehung zu stellen sind. Seine Einschätzung, dass mit dem im Vorbescheid getroffenen Regelungen erkennbar keine drittschützenden Vorschriften verletzt werden, weil durch die Aufnahme des Vorbehalts Nr. III.4 weitere Maßnahmen zum Immissionsschutz in die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb der Anlage aufgenommen werden können, ist nicht zu beanstanden. Denn die endgültige Klärung der nachbarschützenden Immissionsfragen ist damit vom Vorbescheids- ins Genehmigungsverfahren verlagert worden. Angesichts des erheblichen Interesses des Antragstellers an einer schnellstmöglichen Inbetriebnahme der Anlage, das auf der Verringerung der Einspeisevergütung ab 2006 beruht, ist der Antragsgegner zutreffend von einem überwiegenden Interesse der Beigeladenen ausgegangen. Insbesondere hat der Antragsgegner zu Recht berücksichtigt, dass durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung vollendete Tatsachen nicht geschaffen werden können, da der Bauvorbescheid noch nicht zur Errichtung und/oder dem Betrieb der Anlage oder Anlagenteile berechtigt. Bei der Abwägung war demgegenüber nicht zu berücksichtigen, ob die Beigeladene durch die Wahl eines anderen Verfahrens oder Standortes der Anlage in der Lage gewesen wäre, Nachbarbeschwerden gegen die Genehmigung zu vermeiden. Der Charakter der Genehmigung als gebundene Erlaubnis hat auch Folgen für die Fragen der Alternativenprüfung. Die Behörde kann zwar im Rahmen von Vorsorgevorgaben regelmäßig und in gewissen Grenzen eine Optimierung der Anlage verlangen und alternative Ausgestaltungen der betreffenden Anlage, insbesondere technische Verfahrensalternativen (§ 4 e Abs. 3, 9. BImSchV), untersuchen. Ausgeschlossen ist jedoch die Prüfung, ob eine andere Anlagenart oder eine Aufstellung an einem anderen Standort vorzugswürdig wäre (Nds. OVG, Urt. v. 25.9.2002 - 7 K 4702/99 -). Der Antragsgegner hat deshalb über die konkret zur Genehmigung gestellte Anlage zu entscheiden und auf der Grundlage dieses Antrags abzuwägen, welche Interessen überwiegen. Im Übrigen wäre durch eine Standortverlagerung auch nicht sichergestellt, ob nicht - anstelle des jetzigen Antragstellers - andere Nachbarn Einwendungen erhoben hätten.

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2. Nach § 9 Abs. 1 BImSchG kann auf Antrag durch Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage entschieden werden, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides besteht. Das erfordert im Hinblick auf die einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen bzw. den Standort der Anlage, die mit dem Vorbescheid abschließend beurteilt werden sollen, dass alle Voraussetzungen des § 6 abschließend geklärt oder im Wege von Nebenbestimmungen oder Vorbehalten sichergestellt sein müssen (§ 9 Abs. 3 BImSchG). Ferner müssen "die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können". Damit ist nichts anderes gemeint als mit der in § 8 Satz 1 Nr. 3 BImSchG angesprochenen vorläufigen Gesamtbeurteilung. Diese kann mit einem positiven Ergebnis enden, wenn der Errichtung und dem Betrieb des Vorhabens keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse im Hinblick auf die Genehmigungsvoraussetzungen entgegenstehen. Die Entscheidung des Antragsgegners, einen Vorbescheid zu erteilen, kann als solche von dem Antragsteller nicht zur gerichtlichen Prüfung gestellt werden. Dritte haben grundsätzlich kein Recht darauf, dass über Errichtung und Betrieb einer Anlage insgesamt, vollständig und abschließend in einem einzigen Bescheid entschieden wird. Die Genehmigungsbehörde kann das Genehmigungsverfahren im Rahmen der einschlägigen Gesetze und unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze nach Zweckmäßigkeit gestalten. Soweit eine fehlerhafte Gliederung des Genehmigungsverfahrens Dritte nicht anders belastet als die rechtmäßige Abschnittsbildung und Stufung, sind sie dadurch nicht in ihren Rechten verletzt (OVG Lüneburg, Urt. v. 25.9.2002 - 7 K 4702/99 -). Dritte können die Erteilung des Vorbescheides nicht schon anfechten, wenn dieser objektiv rechtswidrig ist, sondern nur wenn ihm Vorschriften entgegenstehen, die (auch) dem Schutz der Dritten dienen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die vorläufige Gesamtbeurteilung gegen solche Vorschriften verstößt, weshalb auch Auswirkungen des Betriebs Grundlage einer Drittklage sein können. Soweit allerdings der Regelungsgehalt des Vorbescheides durch Vorbehalte eingeschränkt wird, kann die Drittklage keinen Erfolg haben (Jarras, BImSchG, 5. Aufl., § 9 BImSchG Rdnr. 22 m.w.N.).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Rechtsbeeinträchtigung des Antragstellers durch den angefochtenen Vorbescheid nicht ersichtlich. Denn er kann sich auf die Regelungen im Regionalen Raumordnungsprogramm nicht berufen (a), die Ortslage G. ist im Gegensatz zu seiner Auffassung als Dorfgebiet im Sinne des § 5 BauNVO anzusehen (b) und es ist nicht zu erwarten, dass die von der Beigeladenen geplante Anlage die dort zulässigen Geruchs- und Lärmimmissionsrichtwerte überschreitet, jedenfalls kann die Einhaltung diese Werte durch entsprechende Auflagen im Genehmigungsverfahren sichergestellt werden (c).

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a) Der Antragsteller geht fehl in der Annahme, er könne gegenüber dem angefochtenen Vorbescheid einen Verstoß gegen das Regionale Raumordnungsprogramm des Landkreises Lüchow-Dannenberg mit Erfolg geltend machen. Insoweit fehlt es an einer nachbarschützenden Vorschrift. Raumordnung ist ihrem Wesen nach Ordnung des Raumes und daher in erster Linie eine öffentliche Aufgabe. Ziele der Raumordnung und Landesplanung enthalten keine unmittelbare Außenwirksamkeit. Sie erzeugen Bindungen zunächst nur im Verhältnis zu den Trägern öffentlicher Verwaltung (Nds. OVG, Beschl. v. 25.8.2005 - 9 LA 275/03 -).

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b) Das Gericht folgt der Einschätzung der Beigeladenen und des Antragsgegners, dass die Ortslage von G. als Dorfgebiet im Sinne des § 5 BauNVO anzusehen ist. Im Unterschied zum "städtischen" Mischgebiet umfasst das Dorfgebiet nach § 5 Abs. 1 BauNVO drei Hauptnutzungen (Land- und Forstwirtschaft, Wohnen und Gewerbe), die vom Grundsatz her gleichwertig nebeneinander existenzberechtigt sind. Sie sind lediglich durch den zulässigen Störgrad für Gewerbebetriebe "nicht wesentlich störend" und das Gebot der Rücksichtnahme auf land- und forstwirtschaftliche Betriebe (Satz 2) modifiziert zu behandeln. Anders als im Mischgebiet (§ 6 BauNVO) brauchen die Hauptnutzungen weder im gleichen noch im annähernd gleichen Verhältnis zueinander im Dorfgebiet vorhanden zu sein, was einer möglichen Nutzungsmischung unter Beachtung der Zweckbestimmung entgegenkommt. Der Charakter des Dorfgebietes hängt grundsätzlich nicht von einem bestimmten prozentualen Mischungsverhältnis der zulässigen Nutzungsarten ab (Fickert-Fieseler, BauNVO, 10. Aufl., § 5 BauNVO Rdnr. 1.3 m.w.N.). Da in der Ortslage Nemitz neben gewerblichen und Wohnnutzungen unstreitig auch ein landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetrieb vorhanden ist, kommt es für die Einordnung der Ortslage als Dorfgebiet nicht darauf an, ob weitere landwirtschaftliche Betriebe vorhanden sind und ob aus dem Außenbereich landwirtschaftliche Auswirkungen auf die Ortslage einwirken. Denn bereits das Vorhandensein des landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebs O. in der Ortslage G. lässt nur die Einordnung als Dorfgebiet zu, da ein solcher Betrieb im allgemeinen oder reinen Wohngebiet sowie in Kur- oder Sondergebieten unzulässig wäre.

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c) Es kann auch sichergestellt werden, dass der Antragsteller durch die zu erwartenden Auswirkungen des geplanten Vorhabens nicht in geschützten Rechten aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG verletzt wird. Hinsichtlich des hier interessierenden Nachbarschutzes sind die Lärm- und Geruchsimmissionen der Anlage von Bedeutung. Da es sich vorliegend um eine Anlage im Sinne des BImSchG handelt, ergeben sich die materiellen Forderungen hinsichtlich der Einhaltung des Rücksichtnahmegebots aus diesem Gesetz bzw. den hierzu ergangenen Verordnungen. Dabei war zu berücksichtigen, dass der angefochtene Bauvorbescheid lediglich die Standortentscheidung im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB iVm § 201 BauGB regelt. Zwar ist dem Antragsteller zuzugestehen, dass Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Vorhabens im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB u.a. ist, dass öffentliche Belange nicht entgegenstehen und eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vorliegt, wenn das Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann. Dies ist aber trotzdem im vorliegenden Verfahren nicht abschließend zu prüfen, da die Maßnahmen zum Immissionsschutz durch den Antragsgegner mit dem Vorbehalt III Nr. 4 ins Genehmigungsverfahren verlagert worden sind. Im vorliegenden Verfahren ist deshalb nur zu prüfen, ob die zulässigen Grenzwerte für ein Dorfgebiet eingehalten werden können. Dies ist nach Auffassung der Kammer offensichtlich der Fall. Nach der vom TÜV Nord erstellten Prognose der Geruchsimmissionen ergibt sich an den umliegenden Wohnhäusern (Entfernung zum Betriebsgrundstück ca. 150 m) eine Zusatzbelastung mit einer Kenngröße 0,02, die nach der Nr. 3.3 GIRL zutreffend als irrelevant bewertet worden ist. Durch die Änderung der Planung von zwei auf einen Motor kommt es nach der Bestätigung des TÜV Nord zu einer Reduzierung der Geruchsfracht um ca. 10 %, was zu einer weiteren Reduzierung der Geruchsbeeinträchtigungen führen wird. Angesichts der nach der GIRL im Dorfgebiet zumindest zulässigen Geruchsbelastung von 0,1 ist nicht ersichtlich, dass die Anlage zu einer unzumutbaren Geruchsbeeinträchtigung des Antragstellers führen könnte. Zutreffend weist die Beigeladene insoweit darauf hin, dass bei Beurteilungen von Immissionen auf einen durchschnittlich empfindlichen Menschen und nicht auf einen solchen abzustellen ist, der aufgrund einer Erkrankung überempfindlich auf Lärm oder Gerüche reagiert. Diese Überempfindlichkeiten können nicht als Maßstab bauplanungsrechtlicher Beurteilungen herangezogen werden. Vielmehr ist in einen Dorfgebiet nach § 5 Abs. 1 S. 2 BauNVO auf die Belange der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen. Ein Bestandsschutz, der über den im Dorfgebiet bestehenden Schutzanspruch hinausgeht, steht dem Antragsteller nicht zu.

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Entsprechendes gilt für die Lärmimmissionen, die vom Betriebsgrundstück ausgehen können. Nach dem vorgelegten schalltechnischen Gutachten des TÜV Nord werden die Immissionsrichtwerte für Dorfgebiete tags um wenigstens 14 dB(A) und nachts um wenigstens 9 dB(A) unterschritten. Da das Wohnhaus des Antragstellers einen größeren Abstand als die Immissionspunkte zum Betriebsgrundstück aufweist, ist davon auszugehen, dass die Werte dort noch geringer sind. Angesichts des großen Abstandes der prognostizierten Lärmwerte zu den in einem Dorfgebiet zulässigen Werte ist eine Überschreitung nicht zu erwarten.

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Auch hinsichtlich der vom Betriebsgrundstück der Anlage ausgehenden und durch die Ortslage G. führenden Fahrzeugbewegungen ist eine Überschreitung des zulässigen Richtwertes nicht zu erwarten. Jedenfalls könnten solche Fahrten im Rahmen des Genehmigungsverfahrens in ihrer Anzahl so festgeschrieben werden, dass eine Überschreitung ausgeschlossen ist. Nach § 7.4 der TA-Lärm sollen Geräusche des An- und Abfahrtverkehrs auf öffentlichen Verkehrsflächen in einem Abstand von bis zu 500 m zum Betriebsgrundstück in Gebieten nach den Nrn. 6.1 Buchstaben c bis f - also auch in Dorfgebieten - durch Maßnahmen organisatorischer Art soweit wie möglich vermindert werden, soweit sie den Beurteilungspegel der Verkehrsgeräusche für den Tag oder die Nacht rechnerisch um mindestens 3 dB(A) erhöhen, keine Vermischung mit dem übrigen Verkehr erfolgt ist und die Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) erstmals oder weitergehend überschritten werden. Das Gericht kann offen lassen, ob die beiden ersten Voraussetzungen überhaupt vorliegen, da jedenfalls eine Überschreitung des im Dorfgebiet zulässigen Immissionsgrenzwertes des Verkehrslärmverordnung (16. BImSchV) von 64 dB(A) nicht zu erwarten ist, jedenfalls aber durch entsprechende Auflagen eingehalten werden kann. Angesichts des geringen Beurteilungspegels des am stärksten betroffenen Immissionsort "G. Nr. Q." mit nur 45,9 dB(A) verbleibt ein Spielraum von ca. 18 dB(A) zum zulässigen Grenzwert der 16. BImSchV. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dieser Wert durch den aufgrund der Anlage hinzukommenden landwirtschaftlichen Verkehr überschritten werden könnte. Jedenfalls wäre es ohne weiteres möglich, die Anzahl der landwirtschaftlichen Fahrten durch die Ortslage über den städtebaulichen Vertrag vom 12.2.2005 hinaus im Genehmigungsverfahren so zu begrenzen, dass der Wert von 64 dB(A) eingehalten wird.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.