Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 07.09.2005, Az.: 3 A 162/03
Abflussbeiwert; Abwassergebühr; Gebührenverzicht; Ortsdurchfahrtsrichtlinie; Straßenoberflächenwasser
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 07.09.2005
- Aktenzeichen
- 3 A 162/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50771
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 5 KAG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Wird eine qualifizierte Straße ausgebaut und verzichtet die Gemeinde in der Vereinbarung mit dem Land auf Abwassergebühren, so bindet das die für die Abwasserbeseitigung zuständige Samtgemeinde nicht.
Für die Einleitung von Oberflächenwasser von Straßen in einen Mischwasserkanal einer Samtgemeinde können Abwassergebühren vom Straßenbaulastträger erhoben werden (entgegen VG Göttingen).
Ein Gebührengläubiger ist nicht verpflichtet, die eingeleiteten Abwassermengen mit Hilfe eines Abflussbeiwertes wirklichkeitsnäher zu bestimmen. Entscheidet er sich aber, einen Abflussbeiwert zu benutzen, so darf er den Abflussbeiwert nicht ohne sachlichen Grund höher ansetzen als es die technischen Abwasserbestimmungen vorsehen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Abwassergebühren für Abwassermengen, die als Oberflächenwasser der Landesstraße 283 in der Ortsdurchfahrt Scharnhorst im Gebiet der Samtgemeinde Eschede der Mischwasserkanalisation hinzugeführt werden.
Die Gemeinde Scharnhorst ist 1971 Mitglied der Samtgemeinde Eschede. Die Gemeinde Scharnhorst schloss im April 1980 mit dem Land Niedersachsen, vertreten durch das Straßenbauamt Celle, eine Vereinbarung zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Landesstraße 283 im Bereich der Ortsdurchfahrt Scharnhorst. Das Land übernahm die Kosten für den Ausbau von Fahrbahn und weiteren Teileinrichtungen, die Gemeinde die Kosten für die Gehwege. In § 4 der Vereinbarung ist vorgesehen, dass Fahrbahn, Gehweg und der sonstige Straßenkörper über den im Bau befindlichen gemeindlichen Mischkanal entwässert werden. In § 4 Abs. 3 der Vereinbarung heißt es:
Die Gemeinde verpflichtet sich unwiderruflich, das Straßenwasser unentgeltlich in die Mischkanalisation aufzunehmen und schadlos abzuführen.
Mit Bescheid des Beklagten vom 28. November 2001 wurde das Straßenbauamt Verden zu Abwassergebühren in Höhe von 45.299,00 DM (entspricht 23.161,01 Euro) herangezogen für das Abwasser, das von der L 283 in Scharnhorst in den Mischkanal gelangt.
Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos.
Das Straßenbauamt Verden hat am 20. August 2003 Klage erhoben. Im Rahmen der Verwaltungsreform ist die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr Rechtsnachfolger des Straßenbauamtes geworden und führt das Verfahren als Klägerin fort.
Die Klägerin trägt zur Begründung der Klage vor: Aufgrund der Vereinbarung zwischen dem Land Niedersachsen und der Gemeinde Scharnhorst dürften Gebühren nicht erhoben werden. Die Gemeinde habe sich verpflichtet, das Straßenwasser unentgeltlich aufzunehmen. Bei der Entwässerung von Landesstraßen handele es sich um einrichtungsfremde und gebührenrechtlich nicht ansatzfähige Kosten. Der Straßenbaulastträger von Landesstraßen sei daher nicht gebührenpflichtig.
Die Klägerin beantragt,
den Gebührenbescheid des Beklagten vom 28. November 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2003 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er erwidert: Die Gemeinde Scharnhorst sei seit 1971 Mitglied der Samtgemeinde Eschede. Diese sei aufgrund der Niedersächsischen Gemeindeordnung bereits im Jahre 1980 abwasserbeseitigungspflichtig gewesen. Die Gemeinde Scharnhorst sei deshalb nicht abwasserbeseitigungspflichtig und nicht Eigentümerin der Mischwasserkanalisation gewesen. Da die Samtgemeinde Eschede, nicht aber die Gemeinde Scharnhorst Mitglied des Verbandes geworden sei, habe er - der Beklagte - aus der Vereinbarung von 1980 keine Pflichten übernommen. Die vertragliche Verpflichtung sei nicht auf ihn - den Beklagten - übergegangen. Entwässerten Landesstraßen in Mischkanäle, müssten die Baulastträger hierfür Gebühren zahlen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nur zu einem geringen Teil begründet. Der angefochtene Gebührenbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und aufzuheben, soweit in ihm eine Abwassergebühr von mehr als 43.371,90 DM festgesetzt worden ist. Hinsichtlich des Betrages von 43.371,90 DM ist die Festsetzung im Bescheid jedoch rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Eine Aufhebung nach § 113 Abs. 1 VwGO scheidet deshalb im Wesentlichen aus.
Hierzu ist auszuführen:
1. Der Berechtigung des Beklagten, Abwassergebühren für die Einleitung von Regenwasser der Landesstraße 283 in der Ortsdurchfahrt Scharnhorst festzusetzen, steht der Vertrag von 1980 nicht entgegen. Die Vereinbarung bindet zwar die Gemeinde Scharnhorst. Diese ist jedoch materiell niemals Inhaberin des Abwassergebührenanspruches gewesen, so dass sie darauf nicht wirksam verzichten konnte. Deren Verzicht bindet weder die Samtgemeinde Eschede noch den Beklagten als deren Rechtsnachfolger in Sachen Abwasserbeseitigung.
Nach § 72 Abs. 1 Satz 1 NGO erfüllen die Samtgemeinden bestimmte Aufgaben des eigenen Wirkungskreises ihrer Mitgliedsgemeinden. So erfüllen sie nach § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 NGO die in § 8 Nr. 2 NGO genannten Aufgaben. Damit ist die Samtgemeinde ausschließlich zuständig für die Regelung des Anschluss- und Benutzungszwanges der in § 8 Nr. 2 NGO im Einzelnen aufgeführten öffentlichen Einrichtungen, wozu auch die Kanalisation gehört. Indes haben damit die Samtgemeinden nicht nur - wie es der Gesetzeswortlaut nahe legen könnte - die Zuständigkeit für die Regelung des Anschluss- und Benutzungszwanges, sondern auch die Zuständigkeit für die Einrichtungen selbst einschließlich der damit einhergehenden Abgabenhoheit (OVG Lüneburg, Urteil vom 02.02.1979 - 2 C 1/77 -, OVGE Band 35 Seite 333). Die Samtgemeinden erfüllen die in § 72 Abs. 1 Satz 1 NGO genannten Aufgaben kraft Gesetzes. Ist die Samtgemeinde damit „ausschließlich“ zuständig für die Aufgabe der Abwasserbeseitigung, ist sie auch ausschließlich zuständig für die Erhebung von Kanalbenutzungsgebühren (Thiele, NGO, Kommentar, 5. Auflage 1999, § 72 zu Nr. 6; Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, Kommentar, Stand Dezember 2004, § 76 Randnr. 2).
Wirksam auf Gebührenansprüche verzichten konnte daher nur die Samtgemeinde Eschede, nicht aber die Gemeinde Scharnhorst. Weder die Samtgemeinde Eschede noch der beklagte Verband als dessen Rechtsnachfolger in der Aufgabe der Abwasserbeseitigung sind an den in § 4 Abs. 3 der Vereinbarung geregelten Verzicht gebunden. Den Verzicht in der Vereinbarung hat die Gemeinde als unzuständige Körperschaft abgegeben.
2. Für die Einleitung von Oberflächenwasser von Straßen in einen Mischwasserkanal einer Samtgemeinde oder - wie hier - eines Verbandes können Abwassergebühren erhoben werden. Die Straßenbaulastträger können für die angeschlossenen Straßengrundstücke dem Grunde nach beitragspflichtig sein.
Allerdings wird vertreten, dass es sich bei den Straßenentwässerungskosten um - bezogen auf die Einrichtung Grundstücksentwässerung - einrichtungsfremde und gebührenrechtlich nicht ansatzfähige Kosten handele, so dass auf der „Benutzerseite“ kein abwassergebührenpflichtiger Eigentümer des Straßengrundstücks stehe; der Einrichtungsträger könne nur durch vertragliche Vereinbarungen mit dem jeweiligen Straßenbaulastträger für eine Deckung der entsprechenden Kosten sorgen (VG Göttingen, Urteil vom 10.09.2001 - 3 A 3132/ 99 -, Seite 5; Lichtenfeld in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar Stand März 2005, § 6 Randnr. 746 a).
Dieser Ansicht folgt der Einzelrichter jedoch nicht:
Bei Herstellung eines Mischwasserkanals, der Straßenoberflächenwasser aufnimmt und Schmutzwasser, gegebenenfalls auch Regenwasser von den Grundstücken, ist im Rahmen der Beitragskalkulation nach verschiedenen Kostenmassen zu differenzieren. Die Kosten der Straßenentwässerung können nicht der Grundstücksentwässerung zugerechnet werde, insoweit handelt es sich - bezogen auf die Einrichtung Grundstücksentwässerung - um einrichtungsfremde Kosten, die auszugliedern sind (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Auflage 2005, § 13 Randnr. 72 ff; OVG Lüneburg, Urteil vom 29.11.1989 - 9 L 90/89 -, NSTN 1990 Seite 111). Im Hinblick auf die Kosten eines Mischwasserkanals für qualifizierte Straßen treffen die Ortsdurchfahrtsrichtlinien (Nds. MBl. 1994 Seite 22) - ODR - Sonderregelungen, die in Niedersachsen auch für andere qualifizierte Straßen als Bundesstraßen anwendbar sind. In Nr. 14 Abs. 2 ODR ist für den Fall, dass die Gemeinde eine Mischkanalisation einrichtet, vorgesehen, dass sich der Bund an den Kosten bis zu dem Betrage beteiligen kann, den er bei Durchführung einer Oberflächenentwässerung für die in seiner Straßenbaulast stehenden Straßenflächen hätte aufwenden müssen. Niedersachsen hat insoweit ergänzt, dass gewisse Pauschalbeträge festgesetzt werden. In der Verwaltungspraxis werden beim Straßenbau qualifizierter Straßen in der Ortsdurchfahrt Vereinbarungen abgeschlossen, in welcher auch über die Kostenaufteilung eines Mischwasserkanals Regelungen getroffen werden.
Für das Abwassergebührenrecht hat die dargestellte Kostendifferenzierung indes nicht zwingend die vom Verwaltungsgericht Göttingen und von Lichtenfeld (a.a.O.) aufgezeigten Konsequenzen.
Richtig ist allerdings auch insoweit, dass Kosten für die Entwässerung der öffentlichen Verkehrsflächen nicht von den Grundstückseigentümern erhoben werden dürfen. Die Grundstückseigentümer haben Gebühren ausschließlich für die Grundstücksentwässerung zu zahlen, nicht aber für die Straßenentwässerung. Hinsichtlich der Straßenentwässerungskosten kann sich nur die Frage stellen, ob sie aus allgemeinen Deckungsmitteln der abwasserbeseitigungspflichtigen Körperschaft zu finanzieren sind, durch vertragliche Vereinbarung oder durch Gebührenfestsetzung gegenüber dem Straßenbaulastträger. Dies ist letztlich eine Frage der entsprechenden Gebührenkalkulation. Sondert die abwasserbeseitigungspflichtige Körperschaft die Straßenentwässerungskosten aus ihrer Kalkulation aus, muss sie - wenn sie Ersatz haben will - mit dem Straßenbaulastträger eine Kostenvereinbarung treffen. Bezieht die Körperschaft die Kosten in die Kalkulation ein, ist sie berechtigt, gegenüber dem Straßenbaulastträger Gebühren festzusetzen. Denn der Baulastträger nimmt eine öffentliche Einrichtung - Abwasserbeseitigung - in Anspruch und unterscheidet sich insoweit nicht von den Grundstückseigentümern, die ihrerseits Abwasser in den öffentlichen Kanal leiten. Die Gebührenpflicht des Straßenbaulastträgers in Niedersachsen ist nicht - wie in anderen Ländern - gesetzlich ausgeschlossen. Hierfür geben weder das Nieders. Kommunalabgabengesetz noch das Nieders. Wassergesetz etwas her. Im Gegenteil: Nach § 149 Abs. 3 Nr. 2 NWG sind die Träger der öffentlichen Verkehrsanlagen zur Niederschlagswasserbeseitigung verpflichtet, und sie können sich nach Abs. 9 der Vorschrift zu Erfüllung dieser Pflicht eines Dritten bedienen. Wird der Mischkanal einer Samtgemeinde oder einer sonst abwasserbeseitigungspflichtigen Körperschaft in Anspruch genommen, ist die dabei einsetzende Gebührenpflicht unmittelbare Folge der Entscheidung des Straßenbaulastträgers, nicht selbst für die Entwässerung der Verkehrsanlage zu sorgen und entsprechende Unterhaltungskosten zu tragen, sondern sich hierzu des vorhandenen Mischwasserkanals eines Dritten zu bedienen. Es ist deshalb überwiegend anerkannt, dass der Straßenbaulastträger bei Einleitung von Straßenoberflächenwasser in einen Mischwasserkanal einer beseitigungspflichtigen Körperschaft zu Gebühren herangezogen werden kann (BVerwG, Beschl. v. 06.03.1997 - 8 B 246/96 -, NVwZ-RR 1998 Seite 130; OVG Schleswig, Urt. v. 12.07.2000 - 2 L 28/99 -, NVwZ 2001 Seite 588; OVG Münster, Urt. v. 07.10.1996 - 9 A 4145/94 -, NWVBl 1997 Seite 220; Lichtenfeld, a.a.O., § 4 Randnr. 243; Scholz in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, a.a.O., § 6 Randnr. 575; Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, a.a.O., § 6 Randnr. 352d; Hinsen in KStZ 1989 Seite 221, 223; Freese in Rosenzweig/Freese, NKAG, Kommentar Stand Juli 2004; § 5 Randnr. 217).
Der Gebührenpflicht des Straßenbaulastträgers qualifizierter Straßen stehen die in Niedersachsen anwendbaren Ortsdurchfahrtsrichtlinien nicht entgegen. Zwar bestimmt Nr. 14 Abs. 2 am Ende ODR, dass die Unterhaltung der Mischkanalisation der Gemeinde obliegt, und dass der Bund (bei Landesstraßen entsprechend das Land) „keine Beiträge“ leistet. Zum einen ist der Sprachgebrauch unsauber, da für die Unterhaltung Gebühren und keine Beiträge festgesetzt werden können, zum anderen handelt es sich um untergesetzliche Richtlinien, die die gesetzliche Abgabenerhebungspflicht (vgl. § 83 NGO ) nicht unterlaufen können: Besteht eine Gebührensatzung, ist sie unterschiedslos anzuwenden. Ein vertraglicher Verzicht auf Gebühren in einer Vereinbarung zum Ausbau der Ortsdurchfahrt einer qualifizierten Straße auch dann, wenn die Kosten für die Straßenentwässerung in den Gebührenhaushalt eingestellt worden sind, würde erheblichen rechtlichen Bedenken begegnen. - Da im vorliegenden Fall ohnehin die Gemeinde Scharnhorst materiell nicht Gläubigerin des Gebührenanspruches gewesen ist, und der Verzicht in der Vereinbarung schon aus diesem Grunde nicht wirksam ist (siehe oben), kann deshalb hier die Frage unentschieden bleiben, ob der Verzicht nicht gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nämlich das Verbot, auf Abgaben ohne rechtfertigenden Grund zu verzichten.
3. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Kosten der Straßenentwässerung in die Kalkulation der Samtgemeinde Eschede und den errechneten Gebührensatz eingegangen sind, der von dem beklagten Verband übernommen und fortgeführt worden ist, und dass deshalb im vorliegenden Fall eine Gebührenfestsetzung gegenüber dem Straßenbaulastträger dem Grunde nach zulässig ist. Ob die Abwassergebühren - insbesondere im Hinblick auf die Kosten der Verkehrsflächenentwässerung - zutreffend kalkuliert worden sind, mag hier im Einzelnen unentschieden bleiben, weil die Beteiligten Kalkulationsfragen nicht angesprochen haben und kein Anlass besteht, den Gebührensatz „gleichsam ungefragt“ auf seine Richtigkeit zu untersuchen (zur Gebührenkalkulation vergl. etwa Scholz, a.a.O., Randnr. 575; Schulte/Wiesemann, a.a.O., Randnr. 352b ff.; Freese, a.a.O., Randnr. 214 - jeweils mit weitern Nachweisen).
4. Die Satzung des Beklagten ist zur Festsetzung einer Gebühr für die von der L 283 eingeleiteten Oberflächenwassermengen in den Mischwasserkanal eine taugliche Rechtsgrundlage. Insbesondere hat die Satzung für den hier streitigen Veranlagungsfall einen vollständigen Maßstab.
Für die Jahre bis einschließlich 2000 richtet sich die Beitragserhebung nach der Abgabensatzung des Beklagten vom 29. November 1995 (Amtsblatt für den Landkreis Celle 1995 Seite 289) - AbgS 1995 -. Ab 2001 ist die Abgabensatzung vom 08. März 2001 anwendbar (Amtsblatt für den Landkreis Celle 2001 Seite 69) - AbgS 01 -. Daraus geht übereinstimmend hervor:
Nach § 11 Abs. 1 beider Abgabensatzungen wird die Abwassergebühr nach der Abwassermenge bemessen, die in die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung gelangt, Berechnungseinheit für die Gebühr ist ein Kubikmeter Abwasser. § 11 Abs. 2 der Abgabensatzungen treffen nähere Bestimmungen über die in den Kanal gelangten Abwassermengen und sehen gleichlautend vor:
Als in die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung gelangt gilt
a) die dem Grundstück aus öffentlichen und/oder privaten Wasserversorgungsanlagen zugeführte und durch Wasserzähler ermittelte Wassermenge,
b) die auf dem Grundstück gewonnene und dem Grundstück sonst zugeführte Wassermenge,
c) die tatsächlich eingeleitete Abwassermenge bei Bestehen einer Abwassermesseinrichtung.
a) Bei dem eingeleiteten Straßenoberflächenwasser handelt es sich um Abwasser im Sinne der gebührenrechtlichen Bestimmungen. Nach § 2 Abs. 2 der Abwassersatzung des Beklagten vom 29. November 1995 (Amtsblatt für den Landkreis Celle 1995 Seite 276) - AbwS - ist Abwasser das häusliche Abwasser sowie das durch gewerbliche, industrielle, landwirtschaftlichen oder sonstigen Gebrauch verunreinigte Abwasser, und die Vorschrift ergänzt:
Als Abwasser gilt auch jedes sonstige in die Kanalisation eingeleitete Wasser.
Unter diese Auffangvorschrift fällt das Straßenoberflächenwasser.
b) Die Satzung hat für den hier streitigen Veranlagungsfall einen vollständigen Maßstab.
aa) Dabei mag unentschieden bleiben, ob sich der hier anwendbare Maßstab aus § 11 Abs. 2 oder aus Abs. 1 der Satzungen ergibt:
§ 11 Abs. 2 Buchst. b der Satzungen stellt ab auf das dem Grundstück „sonst zugeführte“ Wasser. Diese Satzungsbestimmung ist anwendbar, wenn man aufgrund erweiternder Auslegung davon ausgeht, dass auch das ohne menschliches Zutun auf die Straße geregnete Wasser als „zugeführt“ gelten kann.
Hält man § 11 Abs. 2 Buchst. b der Satzungen nur für anwendbar bei durch menschliches Tun „willentlich“ zugeführtes Wasser, ist § 11 Abs. 1 der Abgabensatzungen anwendbar, der im Sinne einer Generalklausel vorsieht, dass die Abwassergebühr nach der Abwassermenge bemessen wird, die in die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung gelangt.
In diesem Zusammenhang ist auf Folgendes hinzuweisen: Die Auffassung von Schulte/Wiesemann (Schulte/Wiesemann, a.a.O., Randnr. 352 d), bei einem „reinen Frischwassermaßstab“ scheide eine Heranziehung zu Gebühren für die Ableitung von Oberflächenwasser aus, steht im Gegensatz zu seiner Aussage (a.a.O., Randnr. 375), dass dort, wo Niederschlagswasser als Schmutzwasser in die Kanalisation geleitet wird, auch bei einem Frischwassermaßstab die Niederschlagswassermengen ermittelt oder geschätzt werden können. Abgesehen davon: Die Satzungen des Beklagten haben keinen „reinen“ Frischwassermaßstab, sondern haben - wenn man § 11 Abs. 2 Buchst. b der Satzungen , die auf das dem Grundstück „sonst zugeführte“ Wasser abstellen, für nicht anwendbar halten will - eine Art Generalklausel, die § 11 Abs. 1 der Abgabensatzungen vorsieht, dass die Abwassergebühr nach der Abwassermenge bemessen wird, die in die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung gelangt.
bb) Die dem Straßengrundstück „sonst zugeführte Wassermenge“ i.S.d. § 11 Abs. 2 Buchst. b der Satzungen wie auch die Abwassermenge, die in die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung gelangt (§ 11 Abs. 1 der Satzungen), können aufgrund rechtlicher Vorgaben, die sich aus technischen Bestimmungen außerhalb der Satzung ergeben, problemlos bestimmt werden.
(1.) Die dem Straßengrundstück „sonst zugeführte Wassermenge“ i.S.d. § 11 Abs. 2 Buchst. b der Satzungen ergibt sich aus der Vervielfältigung der befestigten Straßenfläche mit der Jahrsniederschlagsmenge. Erstere kann quadratmetergenau errechnet werden, letztere durch Messungen wirklichkeitsnah bestimmt werden. So ist der Beklagte im vorliegenden Veranlagungsfall auch vorgegangen. Er hat im angefochtenen Bescheid die befestigte Fläche der Landesstraße 283 in Scharnhorst zugrundegelegt und mit der Jahresniederschlagswassermenge vervielfältigt, wozu er im Fliegerhorst Wietzenbruch die Regenwasserspendenmengen des jeweiligen Jahres gemessen hat. Dies ist eine wirklichkeitsnahe Schätzung, die auch von der Klägerin nicht beanstandet wird.
(2.) Die Abwassermenge, die in die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung gelangt (§ 11 Abs. 1 der Satzungen), unterscheidet sich allerdings von den dem Straßengrundstück „sonst zugeführte Wassermengen“ i.S.d. § 11 Abs. 2 Buchst. b der Satzungen. Denn es ist davon auszugehen, dass nicht das gesamte auf die Straße fallende Regenwasser in die Kanalisation gelangt. Üblicherweise ergeben sich beim Niederschlag vor seiner Ableitung in den Kanal Verluste durch Verdunstung, Benetzung der Verkehrsflächen, Versickerung, Rückhalt in Mulden und Vertiefungen. Die Abwasserwirtschaft berücksichtigt insoweit einen Abflussbeiwert: Der Abflussbeiwert beschreibt das Verhältnis von Abflussmenge und Regenmenge. Der Abflussbeiwert beträgt 1, wenn der gesamte Niederschlag in den Kanal eingeführt wird. Neben der bereits genannten Verdunstung usw. wird der Abflussbeiwert auch beeinflusst durch geometrische Gegebenheiten der Straßenoberfläche (Neigung, Rauhigkeit, Struktur), durch Witterungsbedingungen (Bodenfeuchte, Temperatur), durch Dauer und Intensität des Regens.
Die Abflusswerte ergeben sich aus technischen Bestimmungen, die als allgemein anerkannte Regeln den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis repräsentieren und deshalb der Frage, welche Regenmengen in einen Kanal gelangen, Anwendung finden. Bei Fahrbahnen wird ein Abflussbeiwert von 0,9 „als sinnvoll“ und als „Richtwert“ angesehen (Richtlinien für die Anlage von Straßen, Teil Entwässerung, 1987, Anmerkung 1.3.1, Stichwort Abflussbeiwerte; Ergänzung zu diesen Richtlinien: Tabellen zur Bemessung... 1987, Anmerkung 2.2.2). Auch die DIN 1986 Teil 2 (aus dem Jahre 1978) geht in der Tabelle 13 bei Pflaster mit Fugenverschluss, Schwarzdecken oder Betonflächen von einem Abflussbeiwert von 0,9 aus.
Auch wenn die Körperschaft als Gebührengläubiger nicht verpflichtet ist, durch die Anwendung von Abflusswerten im Hinblick auf die Abflusswirksamkeit der Straßen oder sonstigen Flächen abzustellen, so ist sie dennoch berechtigt, mit diesen Werten zu arbeiten, um so das tatsächlich eingeleitete Abwasser wirklichkeitsnäher bestimmen zu können (Lichtenfeld, a.a.O., Randnr. 759, 759 c).
Im Hinblick darauf, dass das Straßenoberflächenwasser, das in den öffentlichen Kanal gelangt, einen anderen Verschmutzungsgrad aufweist als häusliches Abwasser, führt nicht zu einer Verpflichtung, hierfür im Maßstab einen Starkverschmutzerzuschlag oder Leichtverschmutzerabschlag (je nachdem) vorzusehen, da solche Zu- oder Abschläge nicht zwingend verwendet werden müssen (Lichtenfeld, a.a.O., Randnr. 760 ff.).
5. Die Gebühr ist im vorliegenden Fall geringfügig zu reduzieren.
Der Beklagte hat die Abwassergebühr nicht nach der dem Straßengrundstück zugeführten Regenmenge berechnet (§ 11 Abs. 2 Buchst. b der Satzungen), sondern - wirklichkeitsnäher und im wirtschaftlichen Interesse der Klägerin - nach den Abwassermengen, die in die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung gelangt sind (§ 11 Abs. 1 der Satzungen), wobei er die auf die befestigte Straßenfläche gefallene Regenwassermenge aufgrund eines Abflussbeiwertes vermindert hat.
Der von dem Beklagten bei der Gebührenbemessung in Ansatz gebrachte Abflussbeiwert von 0,94 ist zu hoch. Aufgrund der angegebenen technischen Vorschriften ist ein Abflussbeiwert für die Fahrbahn von nur 0,9 anzusetzen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Abflussbeiwert in der Ortsdurchfahrt Scharnhorst ausnahmsweise höher liegt als der in den Regelwerken angesetzte Wert, sind weder vom Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Vortrag der Klägerin wiederum hat nicht ergeben, dass der Abflussbeiwert in der Ortsdurchfahrt Scharnhorst geringer sein muss als 0,9. Der Einzelrichter hat keinen Anlass, in diesem Zusammenhang gleichsam ungefragt Mutmaßungen darüber anzustellen, welches für die Ortsdurchfahrt Scharnhorst der zutreffende Abflussbeiwert ist.
Aufgrund eines Abflussbeiwertes von 0,9 statt eines solchen von 0,94 ergeben sich Gebühren in Höhe von insgesamt 43.371,90 DM, die gerechtfertigt sind. Soweit höhere Gebühren festgesetzt worden sind, ist der Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides aufzuheben. Dem Ergebnis steht nicht entgegen, dass der Gebührengläubiger - wie ausgeführt - nicht verpflichtet ist, die eingeleiteten Abwassermengen mit Hilfe eines Abflussbeiwertes wirklichkeitsnäher zu bestimmen. Entscheidet sich der Beklagte hier aber, einen Abflussbeiwert zu benutzen, so darf er bei der Ermittlung der Gebühren - wenn sich keine Gründe für eine Abweichung ergeben, die im konkreten Fall nicht vorgetragen worden sind - den Abflussbeiwert nicht ohne sachlichen Grund höher ansetzen als es die technischen Abwasserbestimmungen vorsehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Die Berufung ist zuzulassen. Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, ob Straßenbaulastträger bei Einleitung von Straßenoberflächenwasser in einen Mischwasserkanal einer beseitigungspflichtigen Körperschaft zu Gebühren herangezogen werden können und es hierzu besonderer Maßstabsbestimmungen bedarf; es ist auch von grundsätzlicher Bedeutung, ob eine Körperschaft als Gebührengläubiger an die Abflussbeiwerte aus den technischen Vorschriften gebunden ist (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).