Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.10.2018, Az.: 13 LA 297/17
hygienisch einwandfreie Bedingungen; Notschlachtung; Sammelfahrt; Tier; Transport; ungerechtfertigte Verzögerung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.10.2018
- Aktenzeichen
- 13 LA 297/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74228
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 30.08.2017 - AZ: 7 A 2775/17
Rechtsgrundlagen
- EGV 853/2004
- Art 54 EGV 882/2004
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eine ungerechtfertigte Verzögerung im Sinne des Anhangs III Abschnitt I Kapitel VI Nr. 3 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 ist schon dann anzunehmen, wenn der Transport länger als unbedingt nötig andauert, etwa weil notzuschlachtende Tiere von verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben auf einer "Sammelfahrt" transportiert werden und sich so die Transportdauer zum Schlachtbetrieb erhöht.
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 7. Kammer - vom 30. August 2017 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Der Antrag genügt bereits nicht den Anforderungen, die § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO an die Darlegung der Zulassungsgründe stellt. Nach dieser Vorschrift sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Berufung kann nach § 124 Abs. 2 VwGO nur aus den dort genannten Gründen zugelassen werden. Es ist mithin in der Begründung des Zulassungsantrages darzulegen, ob die Zulassung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), wegen Abweichung der erstinstanzlichen Entscheidung von einer Entscheidung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bezeichneten Gerichte und/oder wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) beantragt wird. Ferner muss im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung begründet werden, weshalb der benannte Zulassungsgrund erfüllt ist (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.6.2015 - 8 LA 16/15 -, juris Rn. 6; 23.2.2011 - 8 LA 18/11 -, juris Rn. 2; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 124a Rn. 90 f. (Stand: Oktober 2015) jeweils m.w.N.).
Die unter dem 6. November 2017 eingereichte Begründung des Zulassungsantrages wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Denn darin wird mit keinem Wort dargelegt, auf welchen der gesetzlichen Zulassungsgründe der Zulassungsantrag gestützt werden soll. Keine der fünf Fallgruppen des § 124 Abs. 2 VwGO ist nach Ziffer oder Wortlaut benannt oder auf sonstige Weise hinreichend erkennbar in Bezug genommen worden. Auch mit der bloßen Kritik an der erstinstanzlichen Entscheidung hat die Klägerin den Berufungszulassungsgrund der ernstlichen Zweifel nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 24.5.2012 - 8 LA 198/11 -, juris Rn. 3; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 24.4.1998 - Bf V 97/97 -, NordÖR 1998, 305, 306). Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Gerichts, das Zulassungsvorbringen den möglicherweise in Betracht kommenden Zulassungsgründen zuzuordnen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.8.2010 - 1 BvR 2309/09 -, juris Rn. 12).
Im Übrigen liegt der nach dem Vorbringen der Klägerin einzig in Betracht kommende Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in der Sache auch nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils sind zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, BVerfGE 125, 104, 140). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543).
Die Klägerin wendet gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ein, das Verwaltungsgericht habe die Rechtmäßigkeit der Untersagung von Sammelfahrten notzuschlachtender Tiere, verstanden als Verbindung des Transports notzuschlachtender Tiere von verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben auf einer Rundfahrt, zu Unrecht bejaht. Einer solchen Sammelfahrt stünden die Anforderungen nach Anhang III Abschnitt I Kapitel VI Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 nicht entgegen. Zum einen sei es ihr aufgrund der technischen Ausstattung ihrer Fahrzeuge möglich, auch mehrere notgeschlachtete Tiere unter hygienisch einwandfreien Bedingungen in einer Sammelfahrt zu transportieren, ohne dass die Tierkörper sich berührten. Hygieneschwachstellen könnten allenfalls durch eine fehlerhafte Handhabung der Tierkörper entstehen. Diese Gefahr bestünde aber auch bei Einzelfahrten und rechtfertige eine Untersagung von Sammelfahrten nicht. Auf solche Gefahren könne auch allein aus den Umständen des Transports vom 10. Februar 2017 oder aus anderen Einzelfällen nicht geschlossen werden. Zum anderen führten Sammelfahrten auch nicht zu ungerechtfertigten Verzögerungen. Es fehle an konkreten gesetzlichen Zeitvorgaben. Der Gesetzgeber habe nur bestimmt, dass nach Ablauf von zwei Stunden eine Kühlung der Tierkörper zu erfolgen habe. Vor Ablauf dieser Zeit sei eine Kühlung nicht notwendig und könne auch eine ungerechtfertigte Verzögerung nicht vorliegen.
Diese Einwände begründen nach dem eingangs dargestellten Maßstab ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht. Das Verwaltungsgericht hat die unter Ziffer 2 des Bescheides des Beklagten vom 22. März 2017 getroffene Verfügung zutreffend dahin ausgelegt, dass mit ihr nur solche Sammelfahrten untersagt werden, die den Transport notzuschlachtender Tiere von verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben auf einer Rundfahrt verbinden, und hat diese Untersagungsverfügung zu Recht auf der Grundlage des Art. 54 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz wegen eines Verstoßes gegen die Anforderungen nach Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang III Abschnitt I Kapitel VI Nr. 3 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs für rechtmäßig erachtet.
Nach Anhang III Abschnitt I Kapitel VI Nr. 3 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 muss das geschlachtete und entblutete Tier unter hygienisch einwandfreien Bedingungen u n d ohne ungerechtfertigte Verzögerung zum Schlachthof befördert werden. Diese Regelung hat jedoch nicht, wie die Klägerin vorträgt, den Zweck, leidende Tiere möglichst rasch zu erlösen und deshalb Sammeltransporte mehrerer notgeschlachteter Tiere zu ermöglichen. Denn ein verlängertes Leiden der Tiere kann ebenso erfolgreich dadurch verhindert werden, dass die Klägerin, die über insgesamt fünf Transportfahrzeuge verfügt, die betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe zeitgleich mit unterschiedlichen Fahrzeugen anfährt. Aus einer systematischen Auslegung lässt sich außerdem schließen, dass die Vorschriften des Kapitels VI nicht dem Tier- sondern vor allem dem Verbraucherschutz dienen sollen und dabei insbesondere den Zweck verfolgen, das Inverkehrbringen und den unbedenklichen Verzehr auch solcher als Haustiere gehaltenen Huftiere zu ermöglichen, die außerhalb des Schlachthofes notgeschlachtet werden mussten. Sämtliche im Kapitel VI Nr. 1 bis 9 des Anhangs III Abschnitt I der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 aufgeführten Anforderungen sind deshalb vom Lebensmittelunternehmer kumulativ zu erfüllen.
Die Sammelfahrten der Klägerin genügen jedenfalls nicht beiden nach Anhang III Abschnitt I Kapitel VI Nr. 3 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen.
Für eine Beförderung ohne ungerechtfertigte Verzögerung kommt es darauf an, das notgeschlachtete Tier ohne hygienische Einbußen schnellstmöglich einer unbedenklichen Verwertung für den Verbraucher zuzuführen. Bei einem - im Schlachtalltag ohnehin nur schwer zu realisierenden - hygienisch einwandfreien Transport mehrerer notgeschlachteter Tiere ist dies wegen des erheblichen zeitlichen Mehraufwands, der mit einer Sammelfahrt wegen der längeren Fahrstrecke und/oder des Verladens mehrerer notgeschlachteter Tiere stets verbunden ist, nicht mehr gewährleistet. Etwas Anderes folgt auch nicht, wie die Klägerin meint, aus Anhang III Abschnitt I Kapitel VI Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004, wonach eine Kühlung des Tieres (erst) vorzunehmen ist, wenn zwischen der Schlachtung und der Ankunft im Schlachthof mehr als zwei Stunden vergehen. Diese Anforderung einer Kühlung dient dazu, den Verbraucher vor hygienischen Einbußen oder gar verdorbenem Fleisch zu bewahren, falls zwischen Schlachtung und Weiterverwertung eines notgeschlachteten Tieres ein längerer Zeitraum liegt, in dem sich Bakterien im Tierkörper ungehindert vermehren können. Daraus lässt sich hingegen nicht schließen, dass eine ungerechtfertigte Verzögerung im Sinne von Anhang III Abschnitt I Kapitel VI Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 erst bei einem mehr als zwei Stunden dauernden Transport anzunehmen wäre.
Obgleich mangels Gesetzescharakters nicht bindend, kann auch Nr. 2.2.3.1 der Anlage 1.2 zur Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Durchführung der amtlichen Überwachung der Einhaltung von Hygienevorschriften für Lebensmittel und zum Verfahren zur Prüfung von Leitlinien für eine gute Verfahrenspraxis (AVV Lebensmittelhygiene - AVV LmH v. 9.11.2009, zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift v. 20.10.2014, BAnz AT v. 7.11.2014, B2) zumindest als Indiz für die nähere Bestimmung einer ungerechtfertigten Verzögerung herangezogen werden. Zwar kann der dort genannte Zeitraum von 45 Minuten, innerhalb dessen das Ausweiden eines Schlachttieres erfolgen soll, nicht als starre zeitliche Obergrenze gesehen werden. Der genannte Zeitraum lässt jedoch den Schluss zu, dass die Beförderung eines notgeschlachteten Tieres jedenfalls möglichst schnell und ohne Umwege erfolgen soll, da der Transport in diesen Fällen stets unausgeweidet erfolgt. Das Verwaltungsgericht ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass eine ungerechtfertigte Verzögerung schon dann anzunehmen ist, wenn der Transport länger als nach den Umständen unbedingt nötig andauert, weil mehrere Betriebe angefahren werden.
Stellt die Sammelfahrt danach schon keinen Transport ohne ungerechtfertigte Verzögerung im Sinne des Anhangs III Abschnitt I Kapitel VI Nr. 3 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 dar, ist es nicht mehr entscheidungserheblich, ob die Sammelfahrt unter hygienisch einwandfreien Bedingungen erfolgen kann. Das hierauf bezogene Zulassungsvorbringen der Klägerin vermag ihrem Zulassungsantrag daher von vorneherein nicht zum Erfolg zu verhelfen. Der Senat weist daher nur klarstellend darauf hin, dass es zwar zutreffen mag, dass die Klägerin mit ihren über insgesamt fünf mit Kühlungsvorrichtungen ausgestatteten Fahrzeugen aufgrund deren Ausmaßen und Ausstattung grundsätzlich auch Transporte mehrerer notgeschlachteter Tiere bewerkstelligen kann. Der Beklagte führt zwar nachvollziehbar aus, dass die Tiere während der Fahrt nur an den Beinen fixiert werden, weshalb auch bei Anwendung höchster Sorgfalt während des Beladungsvorgangs, jedenfalls im Falle von Bremsmanövern oder plötzlichen Richtungswechseln ein Restrisiko besteht, dass sich die Köpfe der Tiere berühren und/oder die Stichstellen durch austretende Flüssigkeiten oder andere Stoffe kontaminiert werden. Der Senat hält es dennoch nicht für völlig ausgeschlossen, dass in einem dieser Fahrzeuge bei Anwendung einer besonderen Sorgfalt durch Maßnahmen wie dem Einziehen von Trennwänden, einem raschen Wiederverschließen der Laderampe, der getrennten Verbringung der Tiere in das Fahrzeug mittels Seilwinden und einer straffen Befestigung der Tierkörper, um ein Verrutschen oder Berührungen auszuschließen, sogar ein hygienisch einwandfreier Transport mehrerer notgeschlachteter Tiere durchgeführt werden könnte. Dies wiederum wäre jedoch nahezu zwangsläufig mit einem erheblichen zeitlichen Mehraufwand verbunden, der einen Transport ohne ungerechtfertigte Verzögerung infrage stellte.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1und Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).