Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 01.07.2004, Az.: 13 Verg 8/04
Abfallentsorgungsunternehmen; Abfallpapier; Abgrenzung; Altpapiersammlung; Altpapierüberlassung; Dienstleistungsübernahme; Entgelt; Kaufpreiszahlung; Kaufvertrag; stoffliche Verwertung; Unbegründetheit; Unentgeltlichkeit; Unstatthaftigkeit; Unzulässigkeit; Veredelungswert; Vergabebeschwerde; Vergabenachprüfungsantrag; Vergabenachprüfungsverfahren; Vergabeverfahren; Verwertungsbefugnis; Verwertungszuführung; Wettbewerbsbeschränkung; öffentliche Ausschreibung; öffentlicher Auftraggeber
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 01.07.2004
- Aktenzeichen
- 13 Verg 8/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50921
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 99 GWB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Verwertung überlassenes Altpapier ist ein Entgelt i. S. d. § 99 GWB für die Dienstleistung Verwertung (in Festsetzung OLG Celle 13 Verg 26/03), es sei denn, der Verwerter zahlt einen angemessenen Kaufpreis für das Altpapier.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung ... vom 18. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Auftraggebers zu tragen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 108.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Zweckverband Abfallwirtschaft Region ... ist öffentlich rechtlicher Entsorgungsträger für die Region ... Der Zweckverband wollte das dabei von ihm gesammelte Abfallpapier unbearbeitet frei Haus verkaufen. Er forderte die Beschwerdeführerin und fünf weitere Unternehmen auf, Gebote auf den Kaufpreis für das Altpapier zu machen. Die Beigeladene blieb Meistbietende, der Zweckverband schloss mit ihr den Vertrag vom 18. Dezember 2003, in dessen § 1 der Vertragsgegenstand so bezeichnet ist:
Fa. ... übernimmt das vom Zweckverband im Rahmen der Altpapiersammlung und Verpackungssammlung gesammelte Gemisch aus Papier, Pappe und Karton und führt es einer stofflichen Verwertung zu.
Zum Entgelt ist in § 3 1. des Vertrages vereinbart:
Der Zweckverband erhält von der Firma ... für das Gemisch einen Festpreis von 48,25 EUR je t.
Erfolglos machte die Beschwerdeführerin im Vergabenachprüfungsverfahren geltend, der Vertrag vom 18. Dezember 2003 sei tatsächlich die Vergabe eines öffentlichen Auftrages zur dem Zweckverband obliegenden Abfallverwertung gemäß § 16 KrW /Abfg, das Entgelt stelle das überlassene Altpapier dar. Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurück. Es fehle schon an einer Dienstleistung, denn das Abfallpapier sei Handelsware, nicht mehr zu beseitigender Abfall.
Dagegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Vergabebeschwerde. Sie meint, es handele sich weiterhin um Abfall, dessen Entsorgung gegen Entgelt geschuldet werde. Der erkennende Senat habe bereits im Verfahren 13 Verg 26/03, Beschluss vom 5. Februar 2004, zutreffend erkannt, dass auch überlassenes Altpapier das Entgelt darstellen könne. Außerdem liege in dem Altpapier noch eine Veredelungschance, die während der Laufzeit des Vertrages vom 18. Dezember 2003 zu einem erheblichen Gewinn von bis zu 15.480.000 EUR führen. Dies sei das Entgelt für die Dienstleistung der Verwertung des Altpapiers. Diese Rechtsauffassung werde auch unterstützt durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. Januar 2004 VII Verg 71/03, das trotz Abkaufes des Altpapiers eine entgeltliche Dienstleistung angenommen habe. Mit der Weggabe des Abfallpapiers habe der Zweckverband auf diese Verwertungschance zugunsten der Beigeladenen verzichtet.
Die Beschwerdeführerin hat beantragt,
die Entscheidung der Vergabekammer aufzuheben, die Nichtigkeit des Vertrages vom 18. Dezember 2003 festzustellen und den Zweckverband zu verpflichten, die Verwertung von Altpapier europaweit auszuschreiben.
Die übrigen Beteiligten haben beantragt,
die Vergabebeschwerde zurückzuweisen.
Der Verkauf des Altpapiers unterliege nicht dem Regime des Vergaberechts. Er stelle auch keinen öffentlichen Auftrag dar, denn er betreffe keine entgeltliche Dienstleistung.
II.
Die Vergabebeschwerde ist zulässig, weil § 116 GWB dieses Rechtsmittel rechtfertigt.
Sie ist jedoch unbegründet, weil die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zu Recht als unzulässig zurückgewiesen hat.
Ausweislich § 100 GWB gilt der 4. Teil des GWB nur für öffentliche Aufträge.
§ 99 GWB definiert im Abs. 1 öffentliche Aufträge als „entgeltliche Verträge, zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben ...“. Daran fehlt es hier.
1. Das Vertragsdokument des Vertrages vom 18. Dezember 2003 enthält zwei Vertragspflichten. Zum einen haben die Parteien dieses Vertrages einen Kaufvertrag über das Altpapier geschlossen. Der Senat hat keinen Zweifel an der Wirksamkeit dieses Vertrages, selbst wenn es sich im Zeitpunkt der Anlieferung des Altpapiers beim Käufer noch um Abfall handeln sollte, dessen Beseitigung durch Verwertung oder Wiederverwendung Sache des Zweckverbandes wäre.
2. Zum anderen enthält dieser Vertrag auch die Übernahme einer Dienstleistung, denn die Beigeladene verpflichtet sich, das gesammelte Gemisch einer stofflichen Verwertung zuzuführen. Eben dies gebietet das Kreislaufwirtschafts-Abfallgesetz in § 4 dem Zweckverband. Dieser Verwertungsvorgang ist nach dem Verständnis der Parteien - so dass es auf die Frage, wann öffentlich rechtlich die Abfalleigenschaft endet, nicht ankommt - noch nicht abgeschlossen.
a) Schon aus dem Vertrag der Parteien ergibt sich, dass der Zweckverband mit diesem Vertrag gleichzeitig einen Dritten, die Beigeladene, mit der Erfüllung seiner Pflichten zur stofflichen Verwertung beauftragt.
b) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin erfolgt diese Dienstleistung jedoch nicht entgeltlich.
ba) Die Entscheidung des Senats vom 5. Februar 2004 zu 13 Verg 26/03 betrifft einen anderen Fall. In diesem Falle war das gesammelte Altpapier als Entgelt für die Sammlung überlassen worden. Die Auftragnehmerin hatte keine Zahlungen für das Altpapier geleistet. In solchen Fällen stellt der Wert des Altpapiers das Entgelt dar.
bb) Anders liegt der Fall hier. Hier hat der Zweckverband für das Abfallpapier einen Kaufpreis erhalten. Dieses Entgelt entspricht dem Wert des Abfallpapiers. Der Senat ist davon überzeugt, dass dem Papier kein höherer Wert beigemessen werden kann als nach dem Vertrag vom 18. Dezember 2003 als Entgelt dafür geschuldet. Denn dieses Entgelt ist das höchste, das von sechs überregional tätigen Unternehmen für das Abfallpapier geboten wurde. Anhaltspunkte dafür, dass ein höherer Preis erzielbar gewesen wäre, sind nicht ersichtlich. Also konnte ein Entgelt für die stoffliche Verwertung allenfalls darin bestehen, was der Zweckverband durch den Abschluss des Kaufvertrages über das Altpapier gegen einen angemessenen Preis hinaus der Beigeladenen zuwendet. Mit dem Abschluss dieses Kaufvertrages wendet der Zweckverband der Beigeladenen nichts zu.
bc) Auch mit dem Vollzug des Kaufvertrages wendet der Zweckverband der Beigeladenen nichts zu. Zwar erhält die Beigeladene durch die Überlassung des Altpapiers die Chance, dieses zu veredeln und dadurch höhere Erlöse zu erzielen. Diese Gewinnchance hat die Beigeladene jedoch nicht durch die Erfüllung des Kaufvertrages, sondern dadurch, dass sie in der Lage ist, die Veredelung durchzuführen. Nach dem Vertrag vom 18. Dezember 2003 ist es allein Sache der Beigeladenen, zu entscheiden, wie sie mit dem Altpapier umgeht und in welchem Maße und mit welchem Aufwand sie es veredeln will. Der Wert eines Materials bemisst sich nicht danach, was beim höchsten Grad der Veredelung zu erzielen ist. Er ist vielmehr von Veredelungsstufe und Veredelungsstufe neu festzusetzen. Zweifelsfrei bezieht ein Material auf einer niedrigeren Veredelungsstufe seinen Wert auch daraus, dass es die Möglichkeit der weiteren Veredelung und damit der Wertschöpfung für Veredelungsunternehmen beinhaltet. Diese Überlegung kann aber entgegen dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 12. Januar 2004, VII - Vergabe 71/03, nicht dazu führen, darin ein Entgelt zu sehen, das der Zweckverband an die Beigeladene zahlt. Denn diese immanente Chance ist Teil der Kalkulation für das Gebot des Materials auf der Veredelungsstufe, auf der es gehandelt wird. So verhält es sich auch hier. Die Veredelungschance hat das Gebot der Unternehmen, die sich um den Abschluss des Kaufvertrages über das Abfallpapier bewarben, beeinflusst. Anhaltspunkte dafür, dass hier der Geschehenslauf anders war als so und wie vernünftigerweise zu erwarten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
bd) Insoweit befindet sich der Senat auch im Einklang mit dem genannten Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf, das zu II 1 Bbb des Beschlusses vom 12. Januar 2004 zutreffend ausgeführt hat:
„Der Begriff des Entgelts ist weit auszulegen und nicht im wörtlichen Sinne zu verstehen. Erfasst ist jede Art von Vergütung, die einen Geldwert haben kann. Den geldwerten Vorteil, den die Beigeladene von der Antragsgegnerin erhalten soll, ist der geringe Anschaffungspreis für das Altpapier.“
Allerdings weicht der Senat von dem Oberlandesgericht Düsseldorf ab, soweit es um die Bestimmung des angemessenen Marktwertes des Abfallpapiers geht. Das Oberlandesgericht Düsseldorf a. a. O. sieht den Verwertungserlös durch den Weiterverkauf des Papiers an die Papierfabrik als Maßstab an. Danach soll es darauf ankommen, ob der Verwertungserlös die Anschaffungskosten, also den Kaufpreis, zuzüglich der Verwertungskosten übersteigt. Diese Sicht teilt der Senat nicht. Die Wertschöpfung zwischen den Veredelungsstufen ist nicht dem Ausgangsmaterial, sondern der Tätigkeit des Bearbeiters zuzurechnen.
be) Dies steht im Einklang mit dem europäischen Recht. Öffentliche Aufträge sind nur entgeltliche Verträge (Art. 1 a i Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG vom 24. Juli 1992, ABl. L 209, 1; Art. 1 (2) a) Vergabe RL 2004/18/EG vom 31. März 2004, ABl. L 134/114), wobei sich aus der zum 1. April 2004 in Kraft getretenen und als Auslegungsmaßstab zur Verfügung stehenden Richtlinie 2004/18/EG ergibt, dass Grundlage für die Berechnung der Wert ist, den der Auftraggeber voraussichtlich zu zahlen hat (Art. 9 (1) a. a. O.), nicht der Wert, den der Auftragnehmer aus der Zahlung erlösen kann. Dies Verständnis steht im Einklang mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Mailand) vom 12. Juli 2001 (Vergabe R 2001, 380) und der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (Freimann), Beschluss vom 27. Februar 2003 (Vergabe R 03, 329). Auch wenn das Entgelt in einem Verzicht auf Ansprüche besteht, wird sein Wert durch den Wert der Ansprüche für den Auftraggeber bestimmt.
Obwohl der erkennende Senat hiermit von der o. a. Entscheidung des Oberlandesgerichts in Düsseldorf abweicht, war die Sache dennoch nicht gemäß § 124 Abs. 2 GWB dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen, weil (§ 124 Abs. 2 letzter Satz) die Vorlagepflicht nicht im Verfahren nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB gilt. Dieser Wortlaut umfasst auch den Fall, dass die Entscheidung, von der abgewichen werden soll, wie hier eine solche nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Bei der Festsetzung des Streitwertes hat der Senat die objektiv nachvollziehbar der vom Beschwerdeführer dargestellten Auftragssummen zugrunde gelegt und den Streitwert gemäß § 12 a Abs. 2 GKG auf 5 % dieser Auftragssumme von 2.160.000 € festgesetzt.