Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 22.07.2004, Az.: 13 U 71/04
Berufen auf einen Formmangel in einem Mietvertrag; Teleologische Auslegung von Formvorschriften; Notwendigkeit der körperlichen Verbindung einzelner Blätter einer Urkunde; Auflockerungsrechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 22.07.2004
- Aktenzeichen
- 13 U 71/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 29676
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2004:0722.13U71.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 31.10.2003 - AZ: 4 O 159/03
Rechtsgrundlagen
- § 566 BGB a.F.
- § 550 Abs. 1 BGB n.F.
- § 133 BGB
- § 157 BGB
Fundstellen
- JWO-MietR 2004, 361
- NZM 2005, 219-221 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Die Berufung auf Nichteinhaltung der gesetzlichen Schriftform bei einem längerfristigen gewerblichen Mietvertrag ist (ausnahmsweise) dann treuwidrig, wenn eine vertragliche Verpflichtung zur Einhaltung der Schriftform (hier für eine Nachtragsvereinbarung bzgl. eines im Mietvertrag offen gelassenen Punktes) besteht
In dem Rechtsstreit
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2004
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ############## und
die Richter am Oberlandesgericht ####### und #######
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 31. Oktober 2003 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hannover abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.149,92 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB auf jeweils 5.574,96 EUR seit dem 7. April 2003 und dem 5. Mai 2003 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Wert der Beschwer und der Streitwert für das Berufungsverfahren betragen 11.149,92 EUR.
Gründe
I.
Der Kläger, Vermieter einer Gewerbeimmobilie (Teile des Grundstücks B. Straße in H., bestehend aus einem Gebäude und einer Freifläche ), hat von der Beklagten, seiner Mieterin, die gegen seinen Widerspruch das Mietverhältnis ordentlich gekündigt und das Mietobjekt Ende März 2003 geräumt hat, Zahlung des Mietzinses in der bisher gezahlten (unstreitigen) Höhe von (5.574,96 EUR entsprechend 10.903,67 DM pro Monat) für die Monate April und Mai 2003 verlangt. Wegen des erstinstanzlichen Sachverhalts wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da der Mietvertrag wegen nicht eingehaltener Schriftform (§ 566 BGB a.F. = § 550 Abs. 1 BGB n.F.) als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen gelte und von der Beklagten fristgerecht gekündigt sei. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter.
II.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung der Mieten für die Monate April und Mai 2003 in geltend gemachter Höhe von insgesamt 11.149,92 EUR nebst Zinsen für das mit dem schriftlichen Mietvertrag vom 12. / 18. August 1995 (Bl. 3 - 9 d.A.) in Verbindung mit dem Schreiben des Klägers vom 11. September 1995 (Bl. 52, 53 d.A.) angemietete Gewerbeobjekt. Die (ordentliche) Kündigung des für 10 Jahre (1. September 1995 bis 31. August 2005) abgeschlossenen Mietverhältnisses durch die Beklagte mit Schreiben vom 1. August 2002 schon zum 1. März 2003 (Anlage B 5 = Bl. 56 d.A.) ist unwirksam; das Mietverhältnis konnte allenfalls aufgrund einer wirksamen späteren mündlichen Vereinbarung zum 30. Juni 2003 gekündigt werden, wie (zunächst) mit Schreiben der Beklagten vom 17. Juni 2002 (Anlage B 3 = Bl. 54 d.A.) auch geschehen.
Der schriftliche Mietvertrag und das ihn ergänzende Schreiben des Klägers vom 11. September 1995 nebst Lageplan genügen zwar hinsichtlich der Lage und Flächengröße der mitvermieteten Freifläche nicht dem Schriftformerfordernis des § 566 BGB a.F. Darauf kann sich die Beklagte aber nicht berufen, da sie nach Treu und Glauben vertraglich verpflichtet ist, mit dem Kläger eine dessen Schreiben vom 11. September 1995 entsprechende und formgerechte Nachtragsvereinbarung zum Mietvertrag bzgl. der Freifläche abzuschließen, was dann auch für die gesamte aus diesem Schreiben ersichtliche Vereinbarung der Parteien einschließlich des dort bestimmten (Sonder)Kündigungsrechts der Beklagten zum 30. Juni 2003 gelten dürfte, da nicht ersichtlich ist, dass die Parteien einzelne Bestimmungen der mündlichen Vereinbarung nach Maßgabe des Schreibens des Klägers vom 11. September 1995 nicht später schriftlich als Ergänzung zum Mietvertrag niederlegen wollten (vgl. §§ 133, 157 BGB).
1.
Der schriftliche Mietvertrag enthält keine Angabe über die genaue Lage und Größe der zusätzlich zu dem vermieteten Gebäude vermieteten Freifläche; dazu heißt es in § 1 Abs. 3 des Mietvertrages (Bl. 3 d.A.) ausdrücklich: "Die ebenfalls vermietete Freifläche, die gemeinsam noch festgelegt wird, wird in einem weiteren Lageplan, der genauso Bestandteil des Mietvertrages ist, rot markiert eingetragen." Damit war der schriftliche Mietvertrag vom 12. / 18. August 1995 in einem wesentlichen Punkt (Lage und Größe der mitvermieteten Freifläche und somit auch zur Höhe des dafür zu zahlenden Mietzinses, der insoweit nur mit 3 DM / qm vereinbart war) lückenhaft, so dass die gesetzliche Schriftform des § 566 BGB a.F. (jetzt § 550 Abs. 1 BGB n.F.), die für alle wesentlichen Einzelheiten eines langfristigen Mietvertrages einzuhalten ist, nicht gewahrt war mit der Folge, dass der Mietvertrag als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen galt und, wäre es hierbei geblieben, von der Beklagten mit Schreiben vom 1. August 2002 (Anlage B 5 = Bl. 56 d.A.) wirksam zum 31. März 2003 hätte gekündigt werden können (vgl. § 580 a Abs. 2 BGB n.F. = § 565 Abs. 1 a BGB a.F.), so dass ein Anspruch des Klägers auf den streitgegenständlichen Mietzins für die Monate April und Mai 2003 gegen die Beklagte nicht bestanden hätte.
2.
In dem Schreiben des Klägers vom 11. September 1995 (Anlage B 2 = Bl. 30, 31 = 52, 53 d.A.) wird zwar die Flächengröße der Freifläche mit "1.300 qm" angegeben und wegen des Flächenzuschnitts auf einen "beigefügten Lageplan" verwiesen. Diese den Mietvertrag inhaltlich ergänzenden Unterlagen sind aber keine Vertragsergänzung im Rechtssinne. Vielmehr handelt es sich insoweit nur um die Ankündigung einer solchen Ergänzung ("...der 1. Nachtrag zum Mietvertrag ... wird vereinbarungsgemäß folgende Angaben enthalten: ... "). Da es zum Abschluss der angekündigten Nachtragsvereinbarung unstreitig nicht gekommen ist, fehlt es weiterhin an einer der Schriftform des § 566 BGB a.F. genügenden Ergänzung des lückenhaften Mietvertrages. Dem stehen vermeintlich praktikable Erwägungen nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof hat zwar darauf hingewiesen (wie vom Kläger in der Berufungsbegründung S. 5 = Bl. 124 d.A. zitiert), dass die teleologische Auslegung einer Formvorschrift einerseits die mit dem Formzwang verbundenen Zwecke berücksichtigen, andererseits aber jede unnötige Erschwerung des Rechtsverkehrs vermeiden und für Klarheit sorgen muss (BGHZ 136, 357, 367) [BGH 24.09.1997 - XII ZR 234/95]. Diese Ausführungen beziehen sich aber darauf, dass Blätter einer Vertragsurkunde oder mehrerer zusammengehöriger Vertragsurkunden zur Wahrung der Schriftform (§ 126 Abs. 2 S. 1, 566 BGB a.F.) nicht zusammengeheftet oder sonstwie körperlich verbunden sein müssen. Diese Erfordernis hat der BGH im Rahmen seiner sog. Auflockerungsrechtsprechung aufgegeben und eine körperliche Verbindung der einzelnen Blätter einer Urkunde zur Wahrung der Schriftform dann nicht mehr verlangt, wenn sich die Einheit der Urkunde aus fortlaufender Paginierung, der Numerierung der einzelnen Bestimmungen, dem inhaltlichen Zusammenhang des Textes oder vergleichbaren Merkmalen ergibt (vgl. BGH ZMR 1992, 292, 293; BGHZ 136, 357, 360 ff.) [BGH 24.09.1997 - XII ZR 234/95]. Hieraus kann aber nicht hergeleitet werden, dass auch von schriftlichen vertraglichen (und von den Vertragsparteien unterschriebenen) Nachtragsvereinbarungen abgesehen werden könnte und dass statt dessen einseitige schriftliche Erklärungen einer Vertragspartei (auch wenn entsprechende mündliche Vereinbarungen beider Parteien vorausgegangen sind und sich die Parteien hieran tatsächlich auch gehalten haben) genügen sollten. Es bleibt also dabei, dass Vertragsergänzungen (hier: zur Lage und Größe der Freifläche) nicht nur schriftlich abgefasst, sondern auch von beiden Parteien unterzeichnet sein müssen (vgl. BGH ZMR 1992, 292, 293), wobei auch auf eine beigefügte Lageskizze, die einen entsprechenden Vermerk trägt, verwiesen werden kann.
3.
Der vom Kläger aufgezeigte Umstand, dass die Parteien auch sein Schreiben vom 11. September 1995 (Anlage B2 = Bl. 30, 31 = 52, 53 d.A.) tatsächlich jahrelang praktiziert haben, indem die Beklagte den sich hiernach ergebenden Gesamtmietpreis (einschließlich des Mietzinses für 1.300 qm Freifläche) gezahlt hat, lässt zwar erkennen, dass sich die Parteien entsprechend geeinigt und damit so den schriftlichen Mietvertrag ergänzt haben. Der Mietvertrag gilt aber gleichwohl, da wie ausgeführt, die Schriftform (§ 566 BGB a.F.) nicht eingehalten worden ist, (nur) als auf unbestimmte Zeit geschlossen.
4.
Gleichwohl kann sich die Beklagte im vorliegenden Fall nach Treu und Glauben nicht auf einen Formmangel berufen, obwohl in der Regel die Berufung auf einen Verstoß gegen § 566 BGB a.F. (§ 550 Abs. 1 BGB n.F.) kein arglistiges oder treuwidriges Verhalten darstellt. Gesetzliche Formvorschriften dürfen im Interesse der Rechtssicherheit nicht allein aus bloßen Billigkeitserwägungen außer acht gelassen werden; nur ausnahmsweise unter ganz besonderen Umständen kann die Berufung auf den Formmangel treuwidrig sein (vgl. auch Bub/Treier - Heile, Handbuch der Geschäfts und Wohnraummiete, 3. Aufl., II, Rn. 787 mwN.; Münchener Kommentar - Voelskow, 3. Aufl., § 566 BGB, Rn. 17; Staudinger-Emmerich, BGB, Neubearbeitung 2003, § 550, Rn. 40). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Die Parteien haben nämlich die (vollständige) Beurkundung des Mietvertrages, d.h. einschließlich der Lage und Größe der Freifläche und des Inhalts des Schreibens des Klägers vom 11. September 1995 in Form eines "1. Nachtrages zum Mietvertrag" vereinbart. Daraus ergibt sich, dass jeder Vertragspartner die Nachholung der Schriftform verlangen kann und deshalb die Berufung auf den Formmangel treuwidrig ist (vgl. Bub/Treier - Heile a.a.O., Rn. 788; Münchener Kommentar - Voelskow a.a.O.; Staudiner - Emmerich a.a.O. und Rn. 43).
a)
Die vermietete Freifläche soll nach § 1 Abs. 3 des Mietvertrages "gemeinsam noch festgelegt" werden. Daraus folgt, dass dies in Ergänzung des schriftlichen Mietvertrages gleichfalls schriftlich von den Parteien zu geschehen hat (vgl. §§ 133, 157 BGB), zumal § 20 Abs. 3 des Mietvertrages ausdrücklich bestimmt, dass Vertragsänderungen/Vertragsergänzungen ... zu ihrer Wirksamkeit ausdrücklich schriftlich zu erfolgen..." haben.
b)
Die Parteien haben nach dem Abschluss des Mietvertrages unstreitig weiter verhandelt und sich dabei, die Beklagte durch ihren damaligen Mitarbeiter Z. handelnd, u.a. auf Lage und Größe der Freifläche und auf den Abschluss eines entsprechenden schriftlichen 1. Nachtrages zum Mietvertrag geeinigt. Dies ergibt sich aus dem Schreiben des Klägers vom 11. September 1995 (Bl. 52, 53 d.A.), in dem es am Ende heißt: "...Die Freifläche umfaßt 1.300 qm" und das mit den Worten beginnt: "...der 1. Nachtrag zum Mietvertrag 12.8./18.8.1995 wird vereinbarungsgemäß folgende Angaben enthalten..." und dem ein erläuternder Lageplan beigefügt war, ferner aus seinem dies bestätigenden Vortrag in der Berufungsbegründung S. 4 (= Bl. 123 d.A.; ähnlich in I. Instanz, Schriftsatz vom 30. Juli 2003, S. 2, 3 = Bl. 66, 67 d.A.) sowie aus dem unstreitigen weiteren Umstand, dass die Parteien die Vereinbarung über Lage und Größe der Freifläche auch umgesetzt haben, indem die Beklagte das Gelände genutzt und den sich rechnerisch ergebenden Gesamtmietpreis für das Gebäude und für 1.300 qm Freifläche zuzüglich MwSt gezahlt hat. Zwar deuten der weitere Vortrag des Klägers in I. Instanz, die Parteien hätten über Änderungen / Ergänzungen des bereits abgeschlossenen Mietvertrages gesprochen, er, Kläger, habe "seine Vorstellungen zu diesen Ergänzungen" in dem Schreiben vom 11. September 1995 niedergelegt, die, wenn die Beklagte damit einverstanden sei, Gegenstand eines Nachtrages hätten werden sollen (Schriftsatz vom 3. September 2003 = Bl. 76 d.A.), und die Passage am Schluss des Schreibens der Klägers vom 11. September 1995: "...Aus dem beigefügten Lageplan ist der Freiflächenzuschnitt ersichtlich, der von Herrn Z. vorgesehen ist. Er ist sicherlich zur Ausübung des Miet/Gewerbezweckes unbedingt nötig. ...", darauf hin, dass der Kläger bzw. sein Mitarbeiter Z. einseitige Vorstellungen - und nicht Vereinbarungen der Parteien - in dem genannten Schreiben und in dem Lageplan niedergelegt haben könnten und der Kläger die Beklagte von deren Zweckmäßigkeit überzeugen wollte. Dieser Vortrag und die zitierte Passage aus dem Schreiben vom 11. September 1995 sind aber durch das Vorbringen des Klägers in der Berufungsbegründung überholt; das tatsächliche Verhalten der Beklagten (unstreitige Nutzung auch der Freifläche von 1.300 qm gemäß dem Lageplan und Zahlung des Mietzinses hierfür) bestätigt zudem eine entsprechende Vereinbarung der Parteien, wie sie bereits im (oben zitierten) ersten Satz des Schreibens vom 11. September 1995 angekündigt worden ist.
Abgesehen davon wäre , selbst wenn man in dem Schreiben des Klägers vom 11. September 1995 (Bl. 52, 53 d.A.) nur ein einseitiges Angebot auf Abschluss einer entsprechenden Nachtragsvereinbarung sehen wollte, dieses Angebot von der Beklagten dadurch angenommen worden, dass sie im Einvernehmen mit dem Kläger den Mietvertrag entsprechend praktiziert, d.h. die vorgesehene Freifläche tatsächlich genutzt und den vereinbarten Mietzins dafür gezahlt hat.
c)
Die Beklagte kann mit ihrem Einwand, sie könne "heute nicht mehr sagen, ob vor der Übersendung des Lageplans möglicherweise eine mündliche Einigung mit dem früheren Mitarbeiter Z. über die Freiflächengröße erfolgt" sei (Berufungserwiderung S. 2 = Bl. 148 d.A., ebenso Schriftsatz vom 23. Juni 2004, S. 3 = Bl. 158 d.A.), nicht durchdringen. Ein hierin liegendes Bestreiten des entgegenstehenden Vortrages des Klägers ist unsubstantiiert und rechtlich unerheblich; die Beklagte, die von ihrem damaligen Angestellten Z. vertreten worden ist, muss sich dessen Wissen zurechnen lassen (§ 166 Abs. 1 BGB), abgesehen davon, dass sie sich bei ihm auch hätte erkundigen können (vgl. auch Zöller-Greger ZPO, 23. Aufl., § 138 ZPO, Rn. 15 und 16).
6.
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 und § 26 Ziff. 8 EGZPO.
Streitwertbeschluss:
Wert der Beschwer und der Streitwert für das Berufungsverfahren betragen 11.149,92 EUR.