Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 12.11.1997, Az.: 2 U 200/97
Berufsunfähigkeit eines Gerüstbauers und Verweisung auf Vergleichsberufe
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 12.11.1997
- Aktenzeichen
- 2 U 200/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 21739
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:1112.2U200.97.0A
Rechtsgrundlage
- § 2 Nr. 1 B-BUZ
Fundstellen
- OLGReport Gerichtsort 1998, 162-163
- VersR 1998, 1010 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung: Keine Verweisung eines angelernten Gerüstbauers auf "Nischentätigkeiten" oder einfachste Beschäftigungen als Pförtner, Wachmann, Bote bzw. in der Registratur.
Gründe
Der Kläger ist berufsunfähig im Sinn des § 2 Nr. 1 B-BUZ hinsichtlich der von ihm zuletzt ausgeübten Tätigkeit des Gerüstbauers. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann er auch nicht auf die von der Beklagten aufgezeigten Vergleichsberufe verwiesen werden.
Nach den Bedingungen der Beklagten kommt eine Verweisung auf eine andere Tätigkeit nur in Betracht, wenn die andere Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung des Versicherten entspricht, § 2 Nr. 1 B-BUZ. Die bisherige Lebensstellung des Versicherten wird vor allem durch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit geprägt. Die Lebensstellung eines Erwerbstätigen bestimmt sich im Wesentlichen anhand der Qualifikation seiner Tätigkeit und orientiert sich - ebenso wie die Vergütung dieser Tätigkeit - wiederum daran, welche Kenntnisse und Fähigkeiten die sachgerechte Ausübung des Berufs voraussetzt. Bei der Vergleichbarkeit der sozialen Einschätzung spielt das zu erzielende Einkommen eine gewichtige, aber keineswegs die alleinige Rolle. Eine Vergleichbarkeit setzt daneben auch voraus, dass die Verweistätigkeit einerseits - im Sinn einer Obergrenze - nicht mehr an Kenntnissen und Fähigkeiten erfordern darf als diejenigen, über die der Versicherte verfügt; andererseits darf sie auch nicht - im Sinn einer Untergrenze - durch geringere erforderliche Kenntnisse und Fähigkeiten zu einer spürbaren Herabsetzung des Niveaus im Vergleich zur bisher ausgeübten Tätigkeit führen (BGH r+s 1987, 55; BGH r+s 1992, 353; BGH r+s 1993, 478; BGH r+s 1997, 301, 303).
Auf der Grundlage der vorgenannten Voraussetzungen stellen die von der Beklagten aufgezeigten Berufe keine vergleichbaren Tätigkeiten dar. Unabhängig vom erzielbaren Einkommen würden sie den Kläger - gemessen an seinen bisherigen Kenntnissen und Fähigkeiten - unterfordern oder aber ihn wegen nicht vorhandener Vorkenntnisse überfordern.
Der Ausgangspunkt der Ansicht des Landgerichts, der Kläger könne auf die dargelegten so genannten ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden, ist nicht richtig. Der Kläger hat über einen Zeitraum von knapp drei Jahren den Ausbildungsberuf des Gerüstbauers ausgeübt. Zwar ist er in diesem Beruf nur angelernt worden. Weder die langjährige Tätigkeit in einem so genannten Anlernberuf noch die eines bloß Angelernten in einem Ausbildungsberuf kann jedoch in der Regel mit der eines ungelernten Handlangers auf eine Stufe gestellt werden (BGH r+s 1992, 353; BGH r+s 1993, 478). Auf Grund der mehrjährigen Tätigkeit des Klägers als Gerüstbauer kann nicht zweifelhaft sein, dass er sich in seinem Beruf bewährt und auch umfangreiche Erfahrungen gesammelt hat. Der Kläger hat mithin eine einem ausgebildeten Gerüstbauer zumindest angenäherte Stellung erreicht.
Die von der Beklagten aufgezeigten Vergleichsberufe würden den Kläger auf Grund seiner vorhandenen Fähigkeiten und Kenntnisse folglich unterfordern. Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob für die genannten Verweisberufe überhaupt der erforderliche allgemeine Zugang zum Arbeitsmarkt vorhanden ist (vgl. dazu z.B. OLG Karlsruhe r+s 1995, 34; OLG Düsseldorf r+s 1996, 37); zum Teil dürfte es sich bei den genannten Berufen um bloße "Nischentätigkeiten" - da und dort vielleicht anzutreffende Arbeitsplätze, für die es keinen allgemeinen Arbeitsmarkt gibt - handeln. Letztlich mag dies dahinstehen. Bei den von der Beklagten genannten Tätigkeitsbeschreibungen (Mitarbeiter im Empfangs- und Eingangsdienst, Abteilungsbote/Werksbote, Vervielfältiger, Parkplatzdisponent und betriebseigener Wächter/Wachmann) handelt es sich - ersichtlich - um Beschäftigungen einfachster Art, die nach einer Anleitung von wenigen Stunden grundsätzlich von jedermann ohne Vorkenntnisse ausgeübt werden können. Allenfalls bei der von der Beklagten genannten Tätigkeit in der Registratur (Aufgabenbereich: Ziehen der Akten, Sortieren und Ablegen von Akten, Stempeln der Aktenumschläge nach bestimmten Kriterien, Bearbeiten der Suchschwebe, Bearbeiten der Akten maschinell regulierter Abläufe, Verwalten der Mikrofilme) könnte man erwägen, dass für die beschriebenen Aufgaben Vorkenntnisse erforderlich sein könnten. Zweifelhaft ist insoweit aber, ob der Kläger über die notwendigen Sprachkenntnisse verfügt. Letzteres kann offen bleiben. Denn es ist nicht vorgetragen und auch in keiner Weise erkennbar, dass der Kläger bei seiner Tätigkeit als Gerüstbauer oder bei dem von ihm behaupteten Erlernen des Berufs des Kfz-Mechanikers in Bosnien für die ihm angesonnenen Büroarbeiten verwertbare Kenntnisse erworben hat.