Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 12.11.1997, Az.: 2 U 195/97

Leistungsfreiheit wegen Verschweigens weiterer Unfallversicherungen; Völlig eindeutiges und streitloses Unfallereignis; Bewusst falsche Angaben in der Schadenanzeige; Erhebliches Verschulden im Sinne der Relevanzrechtsprechung; Anforderungen an einen ordentlichen Versicherungsnehmer; Verhalten des Klägers als "Ausrutscher"

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
12.11.1997
Aktenzeichen
2 U 195/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 21715
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1997:1112.2U195.97.0A

Fundstellen

  • MDR 1998, 904-905 (Volltext mit red. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 1998, 144-145
  • VersR 1998, 1148 (Volltext mit amtl. LS)
  • zfs 1999, 44

Amtlicher Leitsatz

Unfallversicherung: Leistungsfreiheit wegen Verschweigens weiterer Unfallversicherungen auch bei völlig eindeutigem und streitlosen Unfallereignis

Tatbestand

1

Die Beklagte ist wegen der Nichtanzeige der bei der Z bestehenden weiteren Unfallversicherung von ihrer Leistungspflicht frei (§§ 17 S. 1, 15 II (4) AUB 61, § 6 Abs. 3 VVG).

2

In der Schadenanzeige des Klägers vom 26.01.1996 über seinen Sportunfall vom 10.09.1995 ist die Frage nach dem Bestehen weiterer Unfallversicherungsverträge, verbunden mit der Bitte um Angabe der Anschrift der in Frage kommenden Gesellschaften, mit einem Strich versehen und damit verneint worden. Diese Antwort war objektiv falsch. Zum Unfallzeitpunkt bestanden für den Kläger weitere Unfallversicherungen, u.a. eine solche bei der Z, die angegeben werden musste.

3

Die - in Fettdruck gesetzte - Fragestellung in der Schadenanzeige war eindeutig. In dem Anzeigeformular waren auf Seite 2 lediglich zwei Fragen besonders hervorgehoben. Schon daraus folgte, dass gerade deren Beantwortung eine besondere Bedeutung zukam. dass diese Frage vom Kläger nicht vorsätzlich falsch beantwortet worden ist, steht nicht fest und kann nicht festgestellt werden. Beweispflichtig ist der Kläger.

4

Auf das Vorbringen der Berufung, die Ehefrau des Klägers habe das Formular "schnell und durchgängig" ausgefüllt und die hier relevante Frage "unbewusst und gedankenlos" beantwortet, kommt es nicht an. Es geht nicht darum, dem Kläger das Verhalten eines Dritten gemäß § 166 BGB (analog) zuzurechnen. Die Ehefrau des Klägers hat mit dem Ausfüllen des Formular lediglich eine vom Kläger abgegebene Erklärung vorbereitet, sie hat die Erklärung nicht an seiner Stelle abgegeben. Mit seiner Unterschrift unter die Schadenanzeige hat sich der Kläger - auch wenn er das Formular ungelesen unterschrieben hat - die darin enthaltenen Angaben zu Eigen gemacht und damit eine eigene Erklärung abgegeben (BGH ZfS 1995, 136, 137 [BGH 14.12.1994 - IV ZR 304/93]).

5

Das Verschweigen der anderweitigen Unfallversicherung ist zwar folgenlos geblieben. Denn die Beklagte hat aus dem ärztlichen Bericht des Krankenhauses in M vom 31.10.1996 von dieser weiteren Versicherung erfahren und ihre Leistung mit Schreiben vom 15.11.1996 sofort dem Grunde nach abgelehnt. Bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung tritt völlige Leistungsfreiheit aber selbst dann ein, wenn die Pflichtverletzung keinen Einfluss auf die Feststellung oder den Umfang der Leistung gehabt hat (§ 17 AUB 61, § 6 Abs. 3 VVG), soweit die Grundsätze der Relevanzrechtsprechung des BGH (VersR 1984, 228; VersR 1982, 182, 183; Prölss/Martin § 10 AUB 88 Anm. 2 und § 6 VVG Anm. 9 C) vorliegen. Dies ist der Fall, wenn die Verletzung der Aufklärungspflicht generell geeignet war, die berechtigten Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, dem Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden zur Last fällt und er darüber hinaus über die Möglichkeit der Leistungsfreiheit bei folgenlosen Verstößen ausreichend belehrt worden ist.

Entscheidungsgründe

6

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

7

Die Nichtanzeige weiterer Unfallversicherungen ist generell geeignet, die Interessen eines Versicherers ernsthaft zu gefährden (BGH VersR 1982, 182, 183 f.). Dies wird u.a. damit begründet. dass bei der Unfallversicherung der Versicherer nicht nur die Unfall-, sondern auch die "Betrugsgefahr" trägt, die deshalb von besonderem Gewicht ist, weil nach § 180a VVG für die Unfreiwilligkeit der eingetretenen Verletzung des Versicherungsnehmers eine Vermutung streitet, die der Versicherer widerlegen muss. Die Gefahr der Vortäuschung des Versicherungsfalls oder sonstiger Voraussetzungen zu Grund und Höhe ist aber umso größer, je höher die Versicherungssummen sind und/oder bei - hier an sich zulässiger - Mehrfachversicherung des gleichen Risikos (so BGH NJW 1985, 1563, 1564; OLG Saarbrücken VersR 1990, 1143, 1144) [OLG Saarbrücken 28.02.1990 - 5 U 57/89]. Vor diesem Hintergrund wird teilweise einschränkend angenommen (vgl. nur OLG Karlsruhe VersR 1997, 955; OLG Hamm RuS 1986, 267; Grimm, Unfallversicherung, § 10 AUB 88 Rdnr. 5), eine generelle Eignung zur Interessengefährdung bestehe nicht, wenn der Unfall völlig eindeutig und damit die Gefahr der Vortäuschung oder des Betruges in keiner Weise bestehe, wenn der Versicherungsfall mithin unstreitig sei. Auch vorliegend ist das Unfallereignis als solches unstreitig. Der Unfall ereignete sich vor Publikum während einer Sportveranstaltung. Das Interesse des Versicherers erschöpft sich aber nicht in diesem Umstand. Denn es geht nicht nur um den Unfall als solchen, sondern es ist überdies die Berechtigung der geltend gemachten Unfallfolgen zu prüfen. Die bei anderen Versicherern vorhandenen Kenntnisse ermöglichen eine gründlichere Aufklärung des Schadensfalles, weil deren Unterlagen herangezogen werden können (OLG Köln RuS 1995, 121, 122; OLG Saarbrücken VersR 1993, 346[OLG Saarbrücken 06.01.1993 - 5 U 27/92]; OLG Frankfurt VersR 1993, 344, 345 und VersR 1996, 701, 702) [OLG Frankfurt am Main 22.02.1995 - 17 U 45/94].

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Im Übrigen ist entscheidend auf die generelle Interessengefährdung des Versicherers abzustellen. Dann es kann es nicht darauf ankommen, ob der Versicherer auf Grund des ihm unterbreiteten Sachverhalts den Eintritt des Versicherungsfalls erst einmal bestreitet oder nicht.

9

Bewusst falsche Angaben in der Schadenanzeige stellen regelmäßig ein erhebliches Verschulden i.S.d.. Relevanzrechtsprechung dar, wenn nicht ausnahmsweise anzunehmen ist, dass das Fehlverhalten auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer leicht unterlaufen kann, für das ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag (vgl. BGH VersR 1984, 228, 229; Senat ZfS 1985, 249). Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat nicht nur gegenüber der Beklagten die Z, sondern darüber hinaus gegenüber dieser Gesellschaft und der A die Beklagte als weiteren Versicherer nicht angegeben. Das Verhalten des Klägers lässt sich damit nicht als "Ausrutscher" charakterisieren, für das ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufbringen müsste. dass der Kläger gegenüber der A "immerhin" die Z angegeben hat, ändert daran nichts.

10

Der Kläger ist in dem Anzeigeformular unmissverständlich und deutlich darauf hingewiesen worden, "dass unwahre oder unvollständige Angaben zum Verlust des Versicherungsschutzes führen, auch wenn dadurch dem Versicherer kein Nachteil entsteht". Die erforderliche Belehrung ist damit ausreichend erfolgt.