Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 25.11.1997, Az.: 5 U 64/97

Beweiserleichterungen bei groben Behandlungsfehlern; Bindungswirkung eines Grundurteils

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
25.11.1997
Aktenzeichen
5 U 64/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 21706
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1997:1125.5U64.97.0A

Fundstellen

  • MedR 1998, 268
  • OLGReport Gerichtsort 1998, 148-149
  • VersR 1999, 317-318 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Beweiserleichterungen bei groben Behandlungsfehlern nur für Primärschädigung - Bindungswirkung eines Grundurteils umfasst die Feststellungen zu einem groben Behandlungsfehler

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Ersatz immaterieller Schäden und Feststellung der Ersatzpflicht von materiellen und immateriellen Zukunftsschäden, die er aus einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung herleitet. Die bei der Beklagten zu 1) beschäftigte Beklagte zu 2) habe bei ihm am 24.5.1990 eine akute Bronchitis und Lungenembolie diagnostiziert und behandelt; tatsächlich habe bei ihm aber ein Vorderwandinfarkt vorgelegen, der wegen der nicht rechtzeitigen richtigen Behandlung zu einer Ausbildung eines Aneurysmas geführt habe.

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Durch rechtskräftiges Grund- und Teilurteil des sachverständig beratenen (Prof. Dr. K..., Hospital) Landgericht vom 19.5.1995 ist festgestellt, dass die Schmerzensgeldforderung des Klägers dem Grunde nach berechtigt ist, weil es die Beklagten grob fehlerhaft unterlassen haben, die zu stellende Verdachtdiagnose Herzinfarkt durch Ableitung eines EKG differenzialdiagnostisch abzuklären. Den Beklagten ist danach der Nachweis nicht gelungen, dass das Herzaneurysma mit seinen Folgen auch bei richtiger Befunderhebung nicht hätte verhindert werden können. Wegen der Einzelheiten zum Sachverhalt und zu den Entscheidungsgründen wird auf das Urteil (GA I 172 - 177) Bezug genommen.

3

Der Senat hat die in diesem Urteil erfolgte Abweisung des Feststellungsantrages betreffend den Ersatz von Zukunftsschäden durch Urteil vom 7.11.1995 aufgehoben und die Sache insoweit mangels einer ausreichenden Beurteilungsgrundlage der Entstehungsmöglichkeit behandlungsbedingter Zukunftsschäden zurückverwiesen.

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Der Kläger hat seine Schmerzensgeldvorstellung mit 50.000,- DM angegeben. Das Landgericht hat nach weiterer sachverständiger Beratung (Einholung eines schriftlichen Gutachtens mit anschließender Anhörung des Gutachters Dr. R..., ...) dem Schmerzensgeldantrag in Höhe von 10.000,- DM und dem Feststellungsantrag stattgegeben, wobei es den Betrag unter Berücksichtigung der behandlungsunabhängigen Grunderkrankung mangels fassbarer Umstände in entsprechender Anwendung von § 287 ZPO geschätzt hat.

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Mit der dagegen gerichteten Berufung verlangt der Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 20.000,- DM; die Beklagten verfolgen mit ihrer Anschlussberufung ihr Klagabweisungsbegehren insgesamt weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die zulässigen Rechtsmittel haben in der Sache keinen Erfolg.

7

Der Versuch der Berufung, sämtliche auf der koronaren Minderleistung beruhenden Beschwerden des Klägers 1990 im Zusammenhang mit der Behandlung der Beklagten zu sehen, geht aus tatsächlichen und Gründen fehl. Zum einen geben die von den Sachverständigen zu den medizinischen

8

Zusammenhängen gegebenen Erläuterungen für diese Sichtweite keine Grundlage, zum anderen beziehen sich die Beweiserleichterungen auf Grund eines groben Behandlungsfehlers lediglich auf den dadurch hervorgerufenen Primärschaden nicht aber auf die weiteren Folgeschäden, für die lediglich das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO heranzuziehen ist (allgem. Meinung, vgl. statt aller Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Seite 210 m.w.N.).

9

Bereits nach dem Gutachten von Prof. Dr. K... (s. insbesondere GA I 148, 150) ist den Beklagten lediglich durch die Nichterkennung mangels Diagnostik 1990 die Chance einer erfolgreichen Therapie des Vorderwandinfarktes vorenthalten worden, wodurch es mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Herausbildung des Herzwandaneurysmas gekommen ist. Das Landgericht hat daher zu Recht diese Primärschädigung des als grob fehlerhaft eingestuften Unterlassens der Befunderhebung zu Grunde gelegt und ist zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen, dass mangels Gegenbeweises der Beklagten eine zeitgerecht mögliche Lösetherapie dies erfolgreich verhindert hätte. dass der vorbestehende Gefäßverschluss 1989 den Verlauf des Vorderwandinfarktes negativ beeinflusst hat, ist insoweit ohne rechtliche Bedeutung, da dies einer Ausheilung des Folgeinfarktes bei sachgerechter Behandlung nicht entgegensteht.

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Die ausführlichen, nachvollziehbar, in sich stimmig, sachkompetent dargelegten insgesamt überzeugenden Erläuterungen des Sachverständigen Dr. R... lassen darüber hinaus keine Zweifel, dass nur diese Schädigung und nicht auch die weitere Entwicklung den Beklagten zugerechnet werden kann. Die drei Infarkte 1989, 1990 und 1994 - also schließlich der dreifache Gefäßverschluss am Herzen - beruht auf der koronaren Grunderkrankung des Klägers, die schicksalsbedingt fortschreitet (GA II 281, 286, 288). Der Sachverständige hebt ausdrücklich hervor, dass die Abnahme der Leistungsfähigkeit des Klägers nicht kontinuierlich infolge der Herausbildung des Vorderwandaneurysmas eingetreten ist. Die erhebliche Funktionsverschlechterung beruht auf dem schicksalhaften Verschluss des dritten Herzkranzgefäßes, was aber nicht im Zusammenhang mit dem Ereignis vom 24.5.1990 steht. Wörtlich hält der Sachverständige fest (GA II 289):

"Dieser Verlauf ist, wie bereits erwähnt, schicksalhaft und steht mit der Ausbildung des besagten Aneurysmas in keinem kausalen Zusammenhang".

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Auch die eingetretenen und etwaigen künftigen Herzrhythmusstörungen vermag der Sachverständige eher der fortschreitenden koronaren Grunderkrankung als dem Aneurysma zuzuordnen. Unabhängig davon sind auch die jetzige Medikation und die beklagten Angstzustände zu sehen (GA II 294, 295). Schließlich hat der Sachverständige bei seiner Anhörung unmissverständlich ausgeführt, dass die angegebenen vagen Schätzzahlen bezüglich der Reduktion der Leistungsfähigkeit (20 % erstes, 60 % zweites und 20 % drittes Infarktereignis) sich nicht auf die Verursachungsanteile an den Gesundheitsschäden des Klägers beziehen, sondern nur auf das jeweilige Ausmaß der Schädigung des Herzens im Zusammenhang mit den Infarkten; insoweit werde, man nicht umhinkommen festzustellen,

"dass die gesundheitliche Verfassung des Klägers zum ganz überwiegenden Teil durch den Infarkt 1994 bedingt ist" (GA II 322, 323).

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Auf dieser Grundlage ist es nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht mangels weiterer festzustellender und festgestellter Anknüpfungstatsachen sich außer Stande sah, auch im Rahmen der erleichterten Beweisführung des § 287 ZPO das vom Kläger reklamierte Beschwerdebild der Behandlung 1990 zuzuordnen. Die gegenteilige Behauptung der Berufung, die Behandlung habe dieses Beschwerdebild maßgeblich hervorgerufen, ist damit widerlegt. Die danach verbleibende immaterielle Schadensbewertung bezüglich eines narbig verheilten Herzwandaneurysmas mit 10.000,- DM begegnet keinen Bedenken. Anhaltspunkte die eine Heraufsetzung stützen könnten, sind nicht ersichtlich.

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Mit ihrem einen Ersatzanspruch insgesamt verneinenden Vorbringen insbesondere gegen den vom Landgericht bereits im Grundurteil festgestellten groben Behandlungsfehler und der darauf beruhenden Ausbildung eines Herzwandaneurysmas verkennt die Anschlussberufung die Bindungswirkung dieses Urteils, §§ 304 Abs. 2, 318, 512 ZPO. Der Haftungsgrund sollte durch das rechtskräftige Grundurteil abschließend bejaht werden. Ausweislich des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe hat das Landgericht den Behandlungsfehler sowie seine für die Kausalitätsfrage maßgebliche Einstufung als grob vornehmen und damit den Haftungsgrund endgültig feststellen wollen. Damit setzt sich die Anschlussberufung in unzulässiger Weise in Widerspruch, wenn sie die so genannte haftungsbegründende Kausalität - den Zusammenhang zwischen schädigender Unterlassung und dem Primärschaden, dem zunächst unbehandelten Vorderwandinfarkt mit Ausbildung eines Aneurysmas - in Frage ziehen möchte, weil die Beweisaufnahme damals nicht ergeben habe, dass die Nichtableitung eines EKG grob fehlerhaft gewesen sei. Das Gegenteil ist der Fall und das Landgericht hat das in seinem Grundurteil auch ausdrücklich so festgestellt.

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Gleiches gilt im Ergebnis für die jetzt angezweifelte Eignung des Behandlungsfehlers, den Schaden herbeizuführen. Nach dem Gutachten von Prof. Dr. K... sind infolge der mangels EKG-Ableitung nicht veranlassten Krankenhauseinweisung zusätzliche Risiken durch unangemessene Belastung im Infarktstadium für die Entstehung des Aneurysmas geschaffen worden. Dann ist aber - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat (LGU 8 1. Absatz) - es Sache der Behandlungsseite nachzuweisen, dass das Aneurysma auch bei einer dem geschuldeten Behandlungsstandard entsprechenden

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Versorgung entstanden wäre. Das ist ihr nicht gelungen. Die Schädigungseignung der Fehlbehandlung wird dabei - das zeigt die klare Begründung - zutreffend als nach der sachverständigen Beratung erwiesen zu Grunde gelegt und festgestellt. Auf die jetzige Darstellung der Beklagten, wann es am Morgen des 24.5.1990 zu relevanten Beschwerden des Klägers gekommen sei und wie sich dieser zu einem nachbehandelnden Arzt insoweit geäußert haben soll, kommt es nicht an. Abgesehen davon vermögen solche Laienbeschreibungen von Beschwerden eine tragfähige Erkenntnis darüber, was medizinisch wann vorgelegen hat, ohnehin nicht zu vermitteln. Die weitere Spekulation der Anschlussberufung über die Frage eines nicht zeitgerechten Einsatzes einer Lysetherapie und der deswegen nicht gegebenen Erfolgsaussicht für diese Therapie sind aus denselben Erwägungen ohne Bedeutung; weiterer zusätzlicher sachverständiger Erläuterungen bedarf es dafür nicht.

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Die nunmehr erhobenen Einwände des Mitverschuldens beziehen sich ebenfalls auf den bindend festgestellten Haftungsgrund. Im Übrigen würde eine unzureichende Darstellung eines Patienten den Arzt auch nicht entlasten, wenn es um die unabhängig davon bestehende medizinische Verpflichtung zur Befunderhebung geht. Welche Konsequenzen die Anschlussberufung aus dem Vorhalt ziehen möchte, der Kläger habe sich weisungswidrig nicht wieder vorgestellt, bleibt offen.

17

Das Landgericht hat demgemäß dem Schmerzensgeldbegehren und dem Feststellungsbegehren zu Recht entsprochen, da auch die Möglichkeit künftiger Schäden, die auf diesem Schadensereignis beruhen, nicht von vornherein auszuschließen ist.