Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 18.11.2004, Az.: 11 A 3498/03

Aufenthaltsbefugnis; Ausländerregister; Bindungswirkung; freiwillige Ausreise; Identitätszweifel; Kurde aus Syrien; Maktumiin; Mitwirkung; Rückkehrhindernisse; staatenlos; syrische Staatsangehörigkeit; unregistrierter Kurde; Volkszählung; zu vertreten

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
18.11.2004
Aktenzeichen
11 A 3498/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50798
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen für die Annahme, aus Syiren stammende Kurden seien dort unregistrierte (Maktumiin), die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können.

Hat das Verwaltungsgericht im Asylrechtsstreit die Klage mit einer Doppelbegründung (Rückkehrverbot nach Syrien für illegal ausgereisten unregistrierten Kurden und hilfsweise verneinte Verfolgungsgefahr bei angenommener syrischer Staatsangehörigkeit) abgewiesen, lässt § 30 V AuslG die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nur nach § 30 III oder IV AuslG zu. An die Einschätzung des Gerichts zu Status und Staatenlosigkeit des Ausländers ist die Ausländerbehörde im Verfahren um die Erteilung der Aufentahltsbefugnis nicht gebunden.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

1

Der Kläger ist nach seinen Angaben kurdischer Volkszugehöriger yezidischen Glaubens aus Harbet Dilan (Khirbe Dilan) im syrischen Distrikt Hassake. Seine Staatsangehörigkeit ist ungeklärt.

2

Der Kläger reiste im Jahre 1999 als Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland ein. Anlässlich seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) am 4. November 1999 gab er u.a. an, er sei Ausländer in Syrien, habe keine Personalpapiere und könne sich lediglich durch die per Telefax übersandte Schulbescheinigung aus dem Jahr 1995 ausweisen. Nach sechs Jahren Grundschule habe er wegen der Araber nicht weiter zur Schule gehen können. Einen Beruf habe er nicht erlernt, sondern die Schafe und Ziegen seines Vaters gehütet. Den Wehrdienst habe er nicht geleistet. Für die illegale Ausreise habe er 300.000 syrische Lira gezahlt. Sie seien keine armen Leute gewesen.

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Das Verwaltungsgericht Berlin wies die Klage des Klägers gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes vom 24. November 1999 durch Urteil vom 4. Februar 2003 (VG 23 X 184.99) ab. In den Gründen heißt es u.a., der Kläger werde als unregistrierter staatenloser Kurde aus Syrien angesehen, dem der syrische Staat nach illegaler Ausreise die Wiedereinreise verweigere, so dass Syrien nicht mehr als Land seines gewöhnlichen Aufenthaltes anzusehen sei. Damit sei unerheblich, ob er dort von politischer Verfolgung oder Gefahren nach § 53 AuslG bedroht gewesen sei. Die Klage sei aber auch dann abzuweisen, wenn er syrischer Staatsangehöriger wäre, da er weder einer Gruppenverfolgung wegen kurdischer Volkszugehörigkeit oder yezidischen Glaubens noch einer individuellen Verfolgung ausgesetzt sei.

4

Der weitere Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet wurde - infolge seiner Passlosigkeit und erfolgloser Bemühungen des Beklagten um Beschaffung von Passersatzpapieren - geduldet. Er bezieht Hilfe zum Lebensunterhalt vom Sozialamt der Stadt Bad Zwischenahn.

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Am 28. März 2003 beantragte der Kläger unter Hinweis auf die Einreiseverweigerung durch die arabische Republik Syrien für unerlaubt ausgereiste staatenlose Kurden u.a. die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis. Er habe weder die syrische noch eine andere Staatsangehörigkeit. Dies hätte das Verwaltungsgericht Berlin anhand seines Vorbringens und des Vorbringens seines Bruders H. R., dem Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG als gruppenverfolgter Yezide zuerkannt worden sei, so gewertet. Auch das Bundesamt habe seine Staatsangehörigkeit zumindest als ungeklärt angesehen. Der Regelversagungsgrund Sozialhilfebezug könne ihm nicht entgegengehalten werden, da ein besonderer Ausnahmefall anzuerkennen sei.

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Mit Bescheid vom 9. April 2003 lehnte der Beklagte u.a. diesen Antrag des Klägers ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen für eine in seinem Ermessen stehende Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG lägen nicht vor. Die Identität und der Status des Klägers beruhten ausschließlich auf eigenen Angaben und seien nicht hinreichend geklärt. Er müsse Identität, Status und fehlende Staatsangehörigkeit durch Urkunden und amtliche Ausweise belegen. Nach wie vor bestehe die Möglichkeit einer syrischen oder gar türkischen Staatsangehörigkeit. Da bereits die Tatbestandsvoraussetzungen fehlten, müsse der Regelversagungsgrund Sozialhilfebezug nicht näher problematisiert werden.

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Den Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Weser-Ems mit Bescheid vom 25. August 2003 zurück. Ergänzend führte sie aus, die Angaben des Klägers zu Status und fehlender Staatsangehörigkeit seien widersprüchlich. Voraussetzung für seinen Schulbesuch sei, dass er zumindest eine Identitätsbescheinigung des Ortsvorstehers seiner Geburtsgemeinde gehabt habe, die er hier vorlegen könne. Der vom Kläger selbst behauptete Wohlstand der Familie spreche gegen die Zugehörigkeit zu den unregistrierten Kurden (Maktumiin). Nach wie vor oblägen dem Kläger die Klärung seines Status und der Nachweis, dass er weder die türkische oder irakische Staatsangehörigkeit habe.

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Der Kläger hat am 25. September 2003 Klage erhoben, mit der er die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis erstrebt. Zur Begründung trägt er zunächst ergänzend vor, er habe in Syrien als Ausländer gelebt, aber keinen rot-orangen Ausweis besessen. Einen Nachweis aus dem Personenstandsregister für Ausländer in Syrien könne er nicht vorlegen, weil derartige Auskünfte seit Anfang 2001 nicht mehr erteilt würden, worauf auch die Lageberichte des Auswärtigen Amtes hinwiesen. Später gibt er an, er habe - ebenso wie seine Eltern und sein Bruder H. - als unregistrierter Kurde (Maktum) in Syrien gelebt. Auch Maktumiin könnten die Grundschule in Syrien besuchen (Gutachten von Hajo/Savelsberg vom 27. September 2002 an VG Magdeburg). Sein Vater K. R. sei 1940 in Khirbe Dilan und seine Mutter S. B. 1950 in Hesheri geboren. Beide besäßen lediglich Identitätsbescheinigungen des Dorfvorstehers. Von den Großeltern mütterlicher- wie väterlicherseits wisse er nur, dass sie „vor 1930“ bzw. „kurz nach dem ersten Weltkrieg“ aus dem heutigen türkischen Staatsgebiet nach Syrien umgesiedelt seien. Weder er noch seine Familie verfügten über türkische standesamtliche Registrierungspapiere der Großeltern. Zu Zeiten des Osmanischen Reichs seien deren Geburten nicht registriert worden, was bei der Bevölkerung in ländlichen Gebieten sehr häufig gewesen sei. Erfahrungsgemäß sei eine Vorsprache beim türkischen Generalkonsulat ohne türkische Dokumente nicht erfolgversprechend. Auch das Auswärtige Amt gehe davon aus, dass in derartigen Fällen der Nachweis einer anderen Staatsangehörigkeit kaum möglich sei (Lagebericht vom April 2004). Im Übrigen bemühe er sich seit Längerem erfolglos, mit seiner Familie in Syrien Kontakt aufzunehmen. Seine Angehörigen besäßen kein Telefon. Der Beklagte habe im Übrigen versäumt, über die deutsche Botschaft in Damaskus per Verbalnote beim syrischen Außenministerium feststellen zu lassen, ob er syrischer Staatsangehöriger sei. Der Regelversagungsgrund Sozialhilfebezug könne ihm nicht entgegen gehalten werden, da ein atypischer Sonderfall vorliege. Im Status der Duldung sei es ihm kaum möglich eine Arbeitsstelle zu erlangen oder hierfür eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Wenn - wie hier - das Abschiebungshindernis auf absehbare Zeit nicht entfalle, ergebe sich durch strenge Anwendung des Regelversagungsgrundes ein unzulässiger Wertungswiderspruch. Durch eine Aufenthaltsbefugnis erhöhten sich seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt deutlich. Im Übrigen habe er in der Vergangenheit wegen seiner Kniebeschwerden (vgl. orthopädische Atteste) keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 9. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 25. August 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die beantragte Aufenthaltsbefugnis zu erteilen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide und erwidert ergänzend, mangels hinreichender Mitwirkung seien Identität, Status und fehlende Staatsangehörigkeit des Klägers nach wie vor nicht ausreichend geklärt. Ohne standesamtliche Dokumente oder präzise Angaben über die Vorfahren und deren Registrierung sei eine Kontaktaufnahme des Ausländeramtes beim türkischen Generalkonsulat oder einer anderen Auslandsvertretung sinnlos. Nach Mitteilung des Sozialamtes der Gemeinde Bad Zwischenahn habe der Kläger keinerlei ernsthafte Bemühungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes unternommen, obwohl Erwerbstätigkeiten in Baumschulen, Gastronomiebetrieben und sonstigen mittleren Betrieben angeboten würden. In der Regel würden ausreisepflichtigen und geduldeten Ausländern in seinem Bezirk durch die Bundesagentur für Arbeit in Oldenburg die beantragten Arbeitserlaubnisse erteilt, zumal er solche Erwerbstätigkeit begrüße und fördere. Über entsprechende Bemühungen des Klägers dort sei ihm nichts bekannt geworden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte 11 A 2491/97 sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und des Bundesamtes, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

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Die allein streitige Versagung einer Aufenthaltsbefugnis in den angefochtenen Bescheiden erweist sich in dem hier für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger kann weder die begehrte Aufenthaltsbefugnis noch eine Neubescheidung seines Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts beanspruchen.

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Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf den Ausgangsbescheid des Beklagten und auf den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 25. August 2003 Bezug genommen werden (Feststellung gem. § 117 Abs. 5 VwGO). Zutreffend wird darin zunächst davon ausgegangen, dass dem Kläger nach den für abgelehnte Asylbewerber (§ 30 Abs. 5 AuslG) geltenden § 30 Abs. 3 und 4 AuslG eine Aufenthaltsbefugnis zu versagen war. § 30 Abs. 5 AuslG verbietet hier eine zusätzliche Prüfung von § 30 Abs. 1 und 2 AuslG, weil das Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 4. Februar 2003 - VG 23 X 184.99 -) das Asylbegehren nicht lediglich als gegenstandslos betrachtet, sondern auch (hilfsweise) in der Sache negativ beurteilt hat, so das der Kläger als abgelehnter Asylbewerber zu behandeln war.

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Die Versagung der Aufenthaltsbefugnis nach der genannten Vorschrift hat Bestand, denn der Kläger hat auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht hinreichend nachgewiesen, dass seiner freiwilligen Ausreise oder Abschiebung nach Syrien - oder einen anderen Staat, dessen Staatsangehörigkeit er haben könnte - Hindernisse entgegenstehen, die er nicht zu vertreten hat (§ 30 Abs. 3 AuslG) bzw. alle zumutbaren Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses erfüllt worden sind (§ 30 Abs. 4 AuslG). Diese Vorschriften stellen auf die Obliegenheit des ausreisepflichtigen Ausländers ab, alles in seiner Kraft stehende und ihm zumutbare dazu beizutragen, etwaige Abschiebungshindernisse zu überwinden. Dafür ist es nicht erforderlich, dass er sich „förmlich“ weigert, ein Abschiebungshindernis zu beseitigen. Es genügt, dass er zumutbare Handlungen zur Ermöglichung seiner Ausreise unterlässt oder verzögert. Derartige Handlungen können nur dann nicht verlangt werden, wenn sie von vornherein aussichtslos sind, d.h. wenn praktisch ausgeschlossen erscheint, dass sie das Abschiebungshindernis beseitigen können (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 2001 - 1 C 23.00 - InfAuslR 2001, 350, 352; VGH BW, Urteil vom 25. Juni 2003 - 13 S 2767/02 - juris, jeweils m.w.N.).

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Die Voraussetzungen der erwähnten Regelungen können erfüllt sein, wenn der Kläger zu den in Syrien ansässigen Kurden gehören würden, die dort nicht als Staatsangehörige anerkannt werden. D.h. er müsste dort entweder als registrierter Ausländer oder als unregistrierter und lediglich von syrischen Behörden geduldeter Kurde (Maktumiin) gelebt haben. Solche dürfen im Fall einer unerlaubten Ausreise nämlich in aller Regel nicht nach Syrien zurückkehren (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 1. April 2004, S. 10 f.; OVG Lüneburg, Urteil vom 22. Juni 2004 - 2 L 6130/96 - S. 17 f.).

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Dass der Kläger ein Kurde aus Syrien ohne die dortige Staatsangehörigkeit ist, steht für das ausländerbehördliche Verfahren nicht bereits aufgrund der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung im Asylstreitverfahren bindend fest. Entsprechende über §§ 4, 42 AsylVfG bindende Feststellungen, die über bloße Begründungselemente hinausgehen (vgl. dazu allgemein: BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 1992 - 4 NB 22/90 - NVwZ 1992, 662 f.), finden sich weder im Bescheid des Bundesamtes vom 24. November 1999 noch im Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Februar 2003 (VG 23 X 184.99, S. 3 f). Der Einzelrichter des genannten Urteils hat zum einen der Sache nach befunden, dass das Begehren des Klägers nach Art. 16 a GG bzw. §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG gegenstandslos geworden sei. Hinsichtlich der Annahme, der Kläger sei ein staatenloser unregistrierter Kurde, fehlt damit bereits eine „Entscheidung“ über diese Ansprüche, die Bindungswirkung entfalten könnte; insoweit hat das Gericht lediglich durch ein Prozessurteil die Zulässigkeit des Begehrens beurteilt. Im Übrigen ist diese Annahme lediglich ein Begründungselement, das ohnehin nicht eine weitergehende Bindungswirkung entfalten könnte. Die (Hilfs-)Erwägungen unter der Prämisse, der Kläger sei syrischer Staatsangehöriger, zeigen zudem, dass im Asylverfahren die Zweifel am Status und der Staatenlosigkeit des Klägers nicht vollständig ausgeräumt waren.

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Erforderlich ist deshalb, dass der Kläger darlegt und ggf. auch beweist, dass er tatsächlich in Syrien als Kurde ohne syrische Staatsangehörigkeit gelebt hat. Da er eine Verpflichtung des Beklagten auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung erstrebt und nach substantiierten Zweifeln des Beklagten an seinen bisherigen Angaben zur qualifizierten Darlegung von Umständen aus seinem persönlichen Kenntnisbereich aufgefordert ist, trifft ihn im Ergebnis die materielle Beweislast. Dies gilt um so mehr, als wegen der Verweigerung jeglicher Auskünfte syrischer Behörden über registrierte und unregistrierte Kurden an ausländische Stellen allein der Betroffene selbst - ggf. mit Hilfe seiner Angehörigen - Identität, Status und Staatenlosigkeit belegen kann. Zu berücksichtigen ist allerdings ggf. eine Beweisnot des Ausländers (BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109.94 - BVerwGE 71, 180, 181; Urteil vom 17. März 2004 - 1 C 1.03 - NVwZ 2004, 1250, 1252). Eine solche ist allerdings erst dann anzunehmen, wenn der Ausländer trotz eines schlüssigen und im Wesentlichen widerspruchsfreien Vortrags und bei Beachtung der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten nicht in der Lage ist, das Fehlen der syrischen Staatsangehörigkeit zu belegen.

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Zu den daher obliegenden Mitwirkungshandlungen gehört - in Konkretisierung der in § 15 AsylVfG und §§ 8 Abs. 1 Nr. 4, 41 und 70 AuslG geforderten Offenlegung der Identität und der in §§ 4 und 40 AuslG normierten Passpflicht - die uneingeschränkte Mitwirkung bei der Klärung eigener Personalien sowie das ernsthafte Bemühen um Erlangung von Reisepapieren bzw. hierfür erforderlicher Dokumente. Mitwirkungshandlungen zur Klärung der Identität sind geboten, wenn und solange ernstliche Zweifel diesbezüglich bestehen. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei das Verhalten des Ausländers (also Art und Inhalt seiner Angaben und die von ihm vorgelegten Dokumente) in den asyl- und ausländerrechtlichen Vorverfahren maßgeblich ist. Zu vertreten hat der Ausländer ein objektiv pflichtwidriges, vorwerfbares Verhalten grundsätzlich dann, wenn es für ein Ausreise- oder Abschiebungshindernis ursächlich geworden ist. Eine Ursächlichkeit in diesem Sinne fehlt allerdings nur dann, wenn von vornherein sicher feststeht, dass das Abschiebungshindernis auch durch ein pflichtgemäßes Verhalten nicht hätte beseitigt werden können. Erscheint es dagegen nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ein dem Ausländer mögliches und zumutbares Verhalten zum Wegfall des Abschiebungshindernisses führt und verweigert er dieses, kommt die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG nicht in Betracht. In solchen Fällen kann erst dann davon ausgegangen werden, dass er das Abschiebungshindernis nicht zu vertreten hat, wenn er die ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat und diese dennoch nicht zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses geführt haben (vgl. VGH BW, Urteil vom 25. Juni 2003 - 13 S 2767/02 - juris). Danach ist es einem ausreisepflichtigen Ausländer grundsätzlich zumutbar, ernsthafte Bemühungen zur Beschaffung von Dokumenten aus seinem Heimatstaat zu unternehmen und hierfür ggf. selbst einen dort ansässigen Rechtsanwalt zu beauftragen. Dies gilt sowohl für Kurden mit syrischer Staatsangehörigkeit als auch für die als Ausländer registrierten Kurden, die jeweils auf eigene Initiative hin entsprechende Registerauskünfte syrischer Behörden erlangen können. Eine nähere Klärung von Status und Staatsangehörigkeit insbesondere der unregistrierten Kurden (Maktumiin) erfordert hingegen qualifizierte Angaben der Betroffenen zu ihren Vorfahren (Stammbau der Eltern und Großeltern insbesondere der männlichen Linien), deren Status, Geburts- und Aufenthaltsorte, Registerorte und -nummern sowie die Vorlage von Dokumenten (insbesondere behördliche Bescheinigungen betreffend die Vorfahren), die diese Angaben belegen. Ergänzend können qualifizierte Angaben zu im Bundesgebiet lebenden Angehörigen und deren Status und Staatsangehörigkeit hilfreich sein.

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Hiervon ausgehend sieht der Einzelrichter entgegen der Auffassung des Klägers hinreichenden Anlass zu einer weiteren Klärung von Identität, behaupteten Status sowie behaupteter Staatenlosigkeit und erachtet die bisher erfolgte Mitwirkung als unzureichend und irreführend.

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Anlass für Zweifel an der behaupteten Identität und dem angegebenen Status ergeben sich aus dem Umstand, dass der Kläger weder im asyl- noch im ausländerrechtlichen Verfahren irgendwelche aussagekräftigen Dokumente über seine Identität und seinen Status vorgelegt hat. Die per Telefax erlangte und im Asylverfahren vorgelegte Schulbescheinigung aus dem Jahr 1995 mag ein Indiz für die Richtigkeit seiner Angaben sein, bestätigt diese aber nicht mit der gebotenen Sicherheit. Die wiederholt und zuletzt auch gerichtlich angemahnte Vorlage von Dokumenten mit größerer Aussagekraft betreffend ihn selbst und seine Angehörigen ist ohne anerkennenswerten Hinderungsgrund unterblieben. Im Gegenteil hat der Kläger sowohl im ausländerbehördlichen als auch im gerichtlichen Verfahren nur zögerlich an einer Klärung mitgewirkt. Dabei wechselt er seinen Vortrag und verwickelt sich dabei in gravierende Widersprüche. Das Gericht konnte daher nicht zu der erforderlichen Überzeugung gelangen, dass er zu den in Syrien lebenden Kurden ohne syrische Staatsangehörigkeit gehört.

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Bei Würdigung des gesamten Vorbringens im asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren geht der Einzelrichter davon aus, dass der Kläger, seine Eltern und sein Bruder - wenn sie überhaupt zu den Kurden ohne syrische Staatsangehörigkeit gehören sollten - als registrierte Ausländer in Syrien gelebt haben müssten. Hierfür spricht nicht nur, dass sich der Kläger im Asylverfahren und zunächst auch in diesem gerichtlichen Verfahren selbst als Ausländer - und nicht als Unregistrierter (Maktum) - bezeichnet hat. So ist beispielsweise in der Klageschrift vom 23. September 2003 (S. 3) davon die Rede, dass ein Nachweis aus dem Personenstandsregister für Ausländer in Syrien nicht geführt werden könne, weil derartige Auskünfte seit Anfang 2001 nicht mehr erteilt würden. Später behauptet der Kläger Maktum zu sein, möglicherweise um dem Einwand zu entgehen, dass trotz der offiziellen Auskunftsverweigerung syrischer Stellen gegenüber ausländischen Behörden auf private Anfragen doch Auszüge aus dem Ausländerregister erteilt werden. Zudem gab er zunächst an, dass seine Familie seit Generationen in Syrien lebt und anlässlich der Volkszählung im Jahre 1962 die syrische Staatsangehörigkeit aberkannt bzw. vorenthalten bekommen hat.

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Auch der Bruder H. R. hat in seiner Anhörung vor dem Bundesamt mehrere Aussagen gemacht, die auf eine Zugehörigkeit zur Gruppe der registrierten Ausländer hindeuten. So bezeichnete sich dieser nicht nur als Ausländer, sondern erwähnte, dass sein Vater einen „Auszug aus dem Zivilregister“ besessen habe, wenngleich dieser im Rechtsverkehr nutzlos gewesen sei. Zudem erwog er in seinen Ausführungen die Möglichkeit des Abiturerwerbs, wobei er aber gleichzeitig darauf verwies, dass dieses nutzlos sei. Ferner berichtete er davon, der Vater habe 500 Dönem Land besessen, das ihm allerdings von den Arabern weggenommen worden sei. Er betonte auch die gute wirtschaftliche Stellung der Familie, die es ermöglichte, die Ausreisekosten (750.000 Lira und 5.000 US $) mit Hilfe des Vaters aufzubringen. Die gute wirtschaftliche Stellung der Familie, die indiziell gegen den Status als Maktumiin spricht, hat der Kläger in seiner Anhörung vor dem Bundesamt ausdrücklich bestätigt. Auch er konnte mit Hilfe des Vaters Schlepperkosten in Höhe von 300.000 Lira aufbringen.

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Nach Auffassung der Kammer (Urteil vom 1. November 2004 - 11 A 1553/03 - S. 9 f) spricht der Umstand, dass wesentliche Teile einer kurdischen Familie bereits seit langer Zeit in Syrien ansässig sind, indiziell gegen den Vortrag, zu der Gruppe der unregistrierten Kurden zu gehören. Personen, die bereits vor 1945 in Syrien gelebt haben, und deren Abkömmlinge sind grundsätzlich Staatsangehörige des Landes (vgl. Auskünfte des Deutschen Orient-Instituts vom 22. Dezember 2003 an das VG Augsburg und das VG Bayreuth). Wenn sie bei der Volkszählung im Jahre 1962 ihren Status verloren hätten, wären diese in das Ausländerregister eingetragen und hätten ein rot-oranges Dokument erhalten (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 19. Januar 2004). Allerdings ist nicht zu verkennen, dass 75.000 Kurden als Maktumiin in Syrien leben und als für den Staat rechtlich als nicht existent gelten, da sie anlässlich der erwähnten Zählung nicht registriert worden sind (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom14. Januar 2004 an das VG Darmstadt). Es gibt dementsprechend Personen, die schon Jahre oder Jahrzehnte in Syrien leben und einen unlegalisierten - vielfach rechtlich nicht klar einzuordnenden - Aufenthalt besitzen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an den Landkreis Aurich vom 22. Januar 2002).

28

Wenn allerdings eine Familie über mehrere Generationen in Syrien ansässig gewesen ist, scheint es unter der beschriebenen rechtlichen und tatsächlichen Ausgangslage dennoch eher unwahrscheinlich, dass keine der ihr angehörenden Personen irgendeine Registrierung oder sonstige amtliche Dokumente erhalten hat. Dafür spricht auch, dass es ganzen Sippen gelungen sein soll, unter Führung angesehener Personen die syrische Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen (vgl. Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das VG Augsburg vom 22. Dezember 2003).

29

Hier ist festzustellen, dass die Eltern des Klägers 1940 bzw. 1950 in Khirbe Dilan bzw. Hesheri geboren sein sollen und heute in Khirbe Dilan leben. Auch deren Eltern sollen seit 1930 bzw. seit kurz nach dem ersten Weltkrieg auf dem Gebiet des heutigen Syrien leben. Dementsprechend spricht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie die syrische Staatsangehörigkeit zumindest zeitweilig besessen haben. Wären sie anlässlich der Volkszählung im Jahre 1962 nicht als syrische Staatsangehörige registriert worden, wären sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in das Ausländerregister eingetragen worden. Für eine solche Eintragung spricht auch die vom Bruder H. des Klägers erwähnte Eintragung des Vaters in ein „Zivilregister“.

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Folglich müsste es dem Kläger mit Hilfe seiner noch in Syrien lebenden Verwandten möglich sein, einen entsprechenden Registerauszug des Vaters und ggf. seiner Abkömmlinge vorzulegen. Der Einzelrichter glaubt dem Kläger nicht, dass weder er noch sein Bruder H. keinerlei Kontakt mit den in Syrien lebenden Verwandten haben. Auf entsprechenden Vorhalt in der mündlichen Verhandlung räumte der Kläger ein, dass zumindest sein Bruder H. Kontakt zu den Angehörigen habe, er selbst aber wegen bestehender Probleme nicht. Warum diese Probleme nicht ausgeräumt werden können oder zumindest über den Bruder Nachweise zur Identität und zum Status der Vorfahren zu erlangen sind, blieb unerfindlich. Im Übrigen verbliebe die Möglichkeit über sonstige Verwandte oder Bekannte oder ggf. über einen Anwalt einen entsprechenden Registerauszug erstellen zu lassen. In diesem Zusammenhang spricht auch gegen den Kläger, dass er von Identitätsbescheinigungen des Dorfvorstehers für die Eltern spricht, aber nicht in der Lage ist, zumindest solche (und weitere bestätigende Dokumente wie z.B. Heiratsurkunden oder -verträge, Todesurkunde der Mutter) dem Gericht vorzulegen.

31

Nach der sich hieraus ergebenden Sachlage ist mithin bis auf Weiteres davon auszugehen, dass der Kläger - entsprechend der Mehrzahl der in Syrien lebenden Kurden - sogar die syrische Staatsangehörigkeit besitzt. Er kann sich daher nicht mit Erfolg darauf zurückziehen, keine weiteren Personaldokumente zu besitzen und hat folglich seine Mitwirkungspflichten verletzt, in dem er sich trotz Hinweises in den ergangenen Bescheiden nicht an eine syrische Auslandsvertretung gewandt hat, um Rückreisepapiere zu erlangen. Dies ist nach den Erkenntnissen der Kammer nach Beschaffung von Identitätsnachweisen (etwa Auszügen aus dem Zivilregister) nicht von vornherein aussichtslos.

32

Ob der Kläger (auch) eine türkische oder irakische Staatsangehörigkeit besitzt (wofür allerdings bislang wenig spricht), bedarf danach keiner gerichtlichen Beurteilung.

33

Gleichfalls offen bleiben kann darüber hinaus, ob der Erteilung der Aufenthaltsbefugnis auch der Bezug von Sozialleistungen entgegensteht (§§ 7 Abs. 2 Nr. 1, 46 Nr. 6 AuslG, § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG).

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Eine Berücksichtigung des Erlasses des Nds. MI vom 21. Januar 2002 (Nds. MBl. Seite 95) führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar ermöglicht der speziellere Erlass des Nds. MI vom 20. Februar 2003 über die ausländerrechtliche Behandlung abgelehnter Asylbewerber aus Syrien gemäß Nr. 6 in Einzelfällen nicht nachgewiesener Staatenlosigkeit die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen nach § 30 Abs. 4 i.V.m. § 39 Abs. 1 AuslG und Nr. 4 des Erlasses vom 21. Januar 2002. Voraussetzung ist aber - neben guter Integration, mindestens zwei Jahre unanfechtbarer Ausreisepflicht, Nichtvorliegen der Regelversagungsgründe des § 7 Abs. 2 AuslG, Rücknahme anhängiger Rechtsmittel -, dass zwischenzeitlich alle zumutbaren Anstrengungen unternommen wurden, um die Ausreisehindernisse zu beseitigen. Auch nach Nr. 6 des Erlasses vom 20. Februar 2003 scheidet eine Aufenthaltsbefugnis aus, wenn „der Ausländer seine ungeklärte Identität in vorwerfbarer Weise zu vertreten hat“. Dies ist hier entsprechend den obigen Ausführungen der Fall.