Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 04.11.2004, Az.: 9 A 4325/04
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 04.11.2004
- Aktenzeichen
- 9 A 4325/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 43457
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2004:1104.9A4325.04.0A
Fundstelle
- PersR 2005, 245-247
Amtlicher Leitsatz
Wenn ein überbetrieblicher Dienst mit den Aufgaben des Betriebsarztes beauftragt werden soll, kann der Personalrat seine Zustimmung mit der Begründung verweigern, er habe zu dem eingesetzten Personal kein Vertrauen.
Die Einhaltung von Zuschlagsfristen nach VOL/A steht der Durchführung eines Eignungsverfahrens nach dem NPersVG nicht entgegen.
Gründe
Nach § 66 Abs. 1 Nr. 9 NPersVG bestimmt der Personalrat bei der Bestellung von Betriebsärzten und Beauftragten für Arbeitssicherheit mit. Diese Vorschrift ist in Zusammenhang mit dem Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) vom 12. Dez. 1973 m. Änd. v. 25. Nov 2003 (BGBl. S. 2304) zu sehen. Die Arbeitgeber sind nach Bundesrecht verpflichtet, Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu bestellen. Für die Bestellung und Abberufung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit ist gem. § 9 Abs. 3 ASiG die Zustimmung des Betriebsrates erforderlich. Auch wenn die einzelnen Regelungen des ASiG nicht für die öffentlichen Verwaltungen gelten, so sind sie doch von den Anforderungen nicht frei, weil sie nach § 18 ASiG verpflichtet sind, einen nach den Grundsätzen des ASiG gleichwertigen arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Arbeitsschutz zu gewährleisten.
Die zur Gewährleistung arbeitsmedizinischer Anforderungen auch in öffentlichen Verwaltungen durchzuführenden Aufgaben des Betriebsarztes sind in § 3 ASiG beschrieben. In erster Linie geht es um die Beratung des Arbeitgebers insbesondere in der Gesundheitsfürsorge, d. h. im wesentlichen um die Ausgestaltung von Arbeitsplätzen. Der Betriebsarzt nimmt darüber hinaus jedoch auch ärztliche Aufgaben im herkömmlichen Sinne war und berührt damit auch höchstpersönliche Interessen der Beschäftigten, z. B. bei Untersuchungen.
Als Teil der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung zur Durchsetzung der Ziele und Forderungen des ASiG in den Verwaltungen und Dienstellen, die dem NPersVG unterfallen, ist § 66 Abs. 1 Nr. 9 NPersVG zu sehen. Vor diesem Hintergrund sind Inhalt und Grenzen der Mitbestimmung zu bestimmen, die bei einer Entscheidung zu beachten sind, ob eine Zustimmungsverweigerung ausnahmsweise unbeachtet bleiben kann. Der vom Gesetz beabsichtigte Schutz der Mitarbeiter führt zur Annahme einer sachlich sehr weiten Mitbestimmung des Personalrats.
Das Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl von Betriebsärzten und Beauftragten für Arbeitssicherheit gilt nicht nur bei der Bestellung von Einzelpersonen, sondern auch bei Beauftragung eines überbetrieblichen Dienstes, in § 19 ASiG als Möglichkeit zur Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung vorgesehen ist (OVG Münster, Beschluß vom 10. Dezember 2003, Az: 1 A 556/02.PVL, juris; zweifelnd Dembowski/Ladwig/Sellmann, Das Personalvertretungsrecht in Niedersachsen, Kommentar, Anm. 79 zu § 66 NPersVG). Der Mitbestimmungstatbestand hat seinen Sinn vornehmlich darin, Personen zu bestellen, die das Vertrauen sowohl der Dienststelle als auch der Personalvertretung im Hinblick auf Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und fachliche wie persönliche Fähigkeiten genießen. Das Mitbestimmungsrecht stärkt die Unabhängigkeit dieser Personen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit, die sie auch in Konflikt mit den Interessen der Dienststelle bringen kann. Es soll ausgeschlossen werden, dass die Dienststelle diese Fachkräfte einseitig ohne Beteiligung der Vertretung der Mitarbeiter abberufen kann (Dembowski/Ladwig/Sellmann, aaO Anm. 88 zu § 66 NPersVG; Bieler/Müller-Fritzsche, Niedersächsisches Personalvertretungsgesetz, 9. Auflage, Anm. 44 zu § 66).
Diese Interessenlage besteht sowohl bei der Bestellung von Einzelpersonen als auch bei der Bestellung eines überbetrieblichen Dienstes. Weil der Dienststellenleiter keine oder nur geringe Durchgriffsmöglichkeiten auf das vom überbetrieblichen Dienst eingesetzte Personal hat, kommt der Grundentscheidung des Personalrats über die Auswahl eines bestimmten Anbieters und die Überprüfung des erforderlichen Qualitätsstandards eher ein größeres als ein geringeres Gewicht zu (so OVG Münster aaO.) Der Dienstherr kann durch die Bestellung von überbetrieblichen Diensten an Stelle von Einzelpersonen die im Interesse der Bediensteten geschaffenen Mitbestimmungsregelungen nicht umgehen. Das Mitbestimmungserfordernis besteht unabhängig davon, ob die Tätigkeiten des § 66 Abs. 1 Nr. 9 NPersVG von Bediensteten der Behörde, von Angestellten eines überbetrieblichen Dienstes oder von namentlich beauftragten Einzelpersonen außerhalb der Dienststelle ausgeübt werden.
Die Mitbestimmung des Personalrats ist auch nicht dadurch eingeschränkt, dass die Entscheidung der Dienststelle über die Privatisierung der Aufgaben des § 66 Nr. 9 NPersVG bereits getroffen und das dazu erforderliche Benehmensverfahren mit dem Antragsteller abgeschlossen ist. Das niedersächsische Personalvertretungsrecht unterscheidet zwischen der Beteiligung an der Entscheidung zur Privatisierung nach § 75 Abs. 1 Nr. 12 NPersVG und der Mitbestimmung bei der Auswahl der Betriebsärzte und Beauftragten für Arbeitssicherheit in § 66 Abs. Nr. 9 NPersVG und sieht dafür unterschiedliche Beteiligungsmöglichkeiten der Personalvertretung vor.
Die Übertragung der Aufgaben des Betriebsarztes und des Beauftragen für Arbeitssicherheit kann nur mit Zustimmung des Antragstellers erfolgen. Lehnt er die Zustimmung ab, darf die Bestellung nach §§ 68 Abs. 1, 63 Nr. 1 NPersVG nicht vorgenommen werden. Der Antragsteller hat die nach § 66 Abs. 1 Nr. 9 NPersVG erforderliche Zustimmung nicht erteilt. Die Kammer folgt nicht der Ansicht des Beteiligten, dass die Zustimmung nach § 68 Abs. 2 S. 6 NPersVG als erteilt gilt. Diese Zustimmungsfiktion greift ein, wenn die vom Personalrat angeführten Gründe offensichtlich außerhalb der Mitbestimmung nach §§ 64 bis 67 NPersVG liegen und deshalb unbeachtlich sind.
Die Regelung über die Unbeachtlichkeit von Ablehnungsgründen knüpft einerseits an bisherige Rechtsprechung an, geht andererseits aber auch über sie insoweit hinaus, als die Begründung des Personalrats nicht schon dann unbeachtlich sein soll, wenn sie offensichtlich außerhalb eines Mitbestimmungstatbestandes liegt, sondern erst dann, wenn die Begründung offenkundig keinen Bezug zu den Mitbestimmungsregelungen enthält (Landtagsdrucksache 12/4370, S. 158). Diese Absicht des Gesetzgebers hat ihren deutlichen Ausdruck im Gesetzeswortlaut gefunden, wenn dort nicht auf den fehlenden Bezug zum Mitbestimmungstatbestand, sondern zur Mitbestimmung in dem Rahmen der §§ 64 bis 67 NPersVG abgestellt wird. Nur wenn sich die Ablehnungsgründe dem Inhalt des Mitbestimmungstatbestandes sowie dem Sinn und Zweck des Mitbestimmungserfordernisses nicht zuordnen lassen und diese Grenzüberschreitung darüber hinaus offensichtlich ist, erweist sich das Verhalten des Personalrates als nicht vom Recht geschützt und kann dann nicht die Verpflichtung der Dienststelle auslösen, das Einigungsverfahren einzuleiten (BVerwG, B. v. 16. 12. 1992, 6 P 27/91, BVerwGE 91, 295, 300; B. v. 30.04.2001, 6 P 9/00, PersV 2001, 411 m.w.N.)
Ob eine Begründung außerhalb der Mitbestimmung liegt, ist durch Auslegung nach den anerkannten Methoden der Rechtsanwendung zu bestimmen. Da das NPersVG keinen abschließenden Katalog von statthaften Ablehnungsgründen enthält, sind jeweils entsprechend dem Inhalt und Umfang des Mitbestimmungsrechts die ihm zuzuordnenden Gründe zu ermitteln. Das kann nicht für alle Mitbestimmungsfälle der §§ 65 ff NPersVG allgemein entschieden werden, sondern muss jeweils im Einzelfall ermittelt werden.
Das Schreiben des Antragstellers vom 19. Oktober 2004 enthält Ablehnungsgründe, die nicht offensichtlich außerhalb seiner Mitbestimmung nach § 66 Abs. 1 Nr. 9 NPersVG liegen. Er rügt insbesondere das mangelnde Vertrauen in die Arbeitsweise der B. GmbH und in die Qualifikation der jeweils tätigen Mitarbeiter. Zwar wird der Antragsteller dabei nicht besonders konkret, jedoch reichen die in dieser Hinsicht dargelegten Ablehnungsgründe aus, ein Einigungsverfahren einzuleiten. Da sich das NPersVG im Zweifel für die Mitbestimmung entschieden hat, sind Ablehnungsgründe wohlwollend zu Gunsten der Mitbestimmung zu interpretieren. Es ist zu berücksichtigen, dass die Sorgfalt, die der Personalrat auf die Formulierung der Ablehnungsgründe verwenden kann, durch den Fristendruck begrenzt wird. Der Antragsteller macht im Wesentlichen geltend, dass er die einzelnen Mitarbeiter der beauftragten Firma nicht kennt. Er beschränkt sich nicht nur auf diese pauschale Behauptung, sondern führt auch noch an, dass auch eine Ärztin beschäftigt werde, die sich noch in der Ausbildung zur Fachärztin befinde. Diese in dem Verhältnis zum Unternehmen begründeten Bedenken sind der Mitbestimmung nach § 66 Abs. 1 Nr. 9 NPersVG zuzuordnen.
Ob die Bedenken und Befürchtungen des Antragsstellers in der Sache begründet sind, was der Beteiligte nachdrücklich bestreitet, ist nicht Gegenstand der Entscheidung der Personalvertretungskammer. Sie befindet nur über das durchzuführende Verfahren, kann aber die in Rede stehende Maßnahme nicht inhaltlich gestalten oder beurteilen. Es ist Sache der übergeordneten Dienststelle oder der Einigungsstelle, sich mit den Gründen der beiden Beteiligten auseinander zu setzen.
Den Bedenken des Antragstellers kann nicht entgegen gehalten werden, dass die Vergabe an einen überbetrieblichen Dienst in der Regel mit einer Ungewissheit über die Person der jeweils tätigen Person verbunden ist. Das Vertrauensverhältnis zu dem überbetrieblichen Dienst hängt auch maßgeblich von dem eingesetzten Personal ab, auch wenn dieses natürlich austauschbar ist. Es sind jedoch Vertragsgestaltungen möglich, die den Bedenken der Personalvertretung mehr entgegen kommen, als dies hier geschehen ist, damit das für die Aufgabenerfüllung erforderliche Vertrauen in Personal des überbetrieblichen Dienstes begründet werden kann.
Wegen des Gleichrangigkeitsprinzips des NPersVG zwischen Dienstelle und Personalrat kann keine der beiden Beteiligten dem anderen einen Betriebsarzt oder Beauftragten für Arbeitssicherheit aufzwingen. Wenn keine Einigung erzielt wird, ist dazu vorgesehene Einigungsverfahren durchzuführen
Das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers wird nicht durch die Fristenregelungen des Vergaberechts aufgehoben oder eingeschränkt. Die im Privatrecht begründeten Rechte des Bieters aus dem Vergabeverfahren können nur in dem Umfang geltend gemacht werden, wie es das öffentlichrechtlich ausgestaltete Organisationsrecht des Auftraggebers zulässt.
Die Stadt O. hat bei der eingeschränkten Ausschreibung nach § 2 Abs.1 S. 2 des Landesvergabegesetzes vom 2. Sept. 2002 (Nds.GVBl. 370) den ersten Abschnitt der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) anzuwenden. Nach § 25 Abs. 3 VOL/A ist der Zuschlag auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Der Zuschlag soll nach § 28 Abs. 1 VOL/A innerhalb der Zuschlagsfrist erteilt werden. Nur im Einvernehmen mit dem Bieter kann die Zuschlagsfrist verlängert werden.
Auch wenn der Bieter mit dem wirtschaftlichsten Angebot nach VOL/A Anspruch auf die Zuschlagserteilung innerhalb der Zuschlagsfrist hat, so stehen dem hier doch die besonderen Regeln des NPersVG entgegen, die das allgemeine Vergaberecht modifizieren. Es ist zwar Sache des Auftraggebers, die in seinem Einflussbereich liegenden Entscheidungsprozesse bis zum Ende der Zuschlagsfrist abzuschließen. Wenn aber in einem Spezialgesetz für besondere Leistungen noch zusätzliche Abstimmungen erforderlich sind, wie etwa nach dem NPersVG, dann können diese durch das allgemeine Vergaberecht nicht unterlaufen werden. Dem Beteiligten als Leiter der Stadtverwaltung ist es gesetzlich verboten, den Zuschlag zu erteilen ohne die Rechte der Personalvertretung zu beachten. Die öffentlichrechtlichen Beschränkungen seiner Entscheidungsbefugnis wirken sich auf die Gestaltung des privatrechtlichen Verhältnisses zum Bieter aus. Die speziellen öffentlichrechtliche Normen des Personalvertretungsrechts stehen der uneingeschränkten Durchsetzbarkeit von Rechten des Bieters aus dem privatrechtlichen Vergabeverfahren entgegen.