Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 23.11.2004, Az.: 13 B 3972/04
Ashkali; humanitäre Gründe; Kosovo; Minderheiten; Roma; Rückkehr; Serben; Unruhen März 2004; Ägypter
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 23.11.2004
- Aktenzeichen
- 13 B 3972/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50814
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs 1 AsylbLG
Gründe
Die Antragsteller begehren im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners, ihnen Leistungen gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in entsprechender Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes zu gewähren.
Dieser Antrag ist zulässig und begründet. Die Antragsteller haben sowohl einen Anordnungsanspruch (den materiell-rechtlichen Anspruch auf Gewährung der begehrten Leistungen) als auch einen Anordnungsgrund (die Dringlichkeit der begehrten gerichtlichen Regelung) glaubhaft gemacht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
Ein Anordnungsgrund liegt vor, weil die Antragsteller existenzsichernde laufende Leistungen nach dem AsylbLG für die Gegenwart und die nahe Zukunft begehren.
Der Anordnungsanspruch, d. h. die Verpflichtung des Antragsgegners, den Antragstellern die begehrten Leistungen zu gewähren, folgt aus § 2 Abs. 1 AsylbLG. Danach ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das Bundessozialhilfegesetz auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend mit dem 1. Juni 1997, Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben, wenn die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegen stehen.
Die Antragsteller haben das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG glaubhaft gemacht. Sie haben - das ist zwischen den Beteiligten unstreitig - länger als 36 Monate abgesenkte Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen. Die Antragsteller haben auch glaubhaft gemacht, dass ihre Rückkehr in ihre Heimat derzeit humanitäre Gründe im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG entgegen stehen. Dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 AsylbLG entsprechend kann die leistungsrechtliche Besserstellung nur erreicht werden, wenn aus den dort genannten Gründen sowohl eine freiwillige Ausreise nicht erfolgen kann, als auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (Nds. OVG, Beschluss vom 10. Oktober 2002, 12 ME 623/02, V.n.b.; Gemeinschaftskommentar zum AsylbLG, Stand: August 2004, § 2 Rn. 28 ff. m.w.N.; Lehr- und Praxiskommentar, 6. Aufl. 2003, § 2 AsylbLG, Rdnrn. 3 ff.). Für die Antragsteller bestehen derzeit humanitäre Gründe, die sowohl einer freiwilligen Ausreise als auch den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen entgegen stehen.
Dabei geht die Kammer in Übereinstimmung mit dem Antragsgegner bei der hier gebotenen summarischen Prüfung davon aus, dass die Antragsteller der Bevölkerungsgruppe der albanisierten Roma (die auch als „Ashkali“ bezeichnet werden) angehören. Zwar behaupten die Antragsteller im vorliegenden Verfahren unter Vorlage verschiedener Bescheinigungen, dass sie Angehörige der Roma seien und aus der Stadt Djakovica, Provinz Kosovo, stammen. Dieses Vorbringen hält die Kammer aber für unglaubhaft. In ihrem gerichtlichen Asylverfahren (12 A 2332/98) haben die Antragsteller behauptet, dass sie jugoslawische Staatsangehörige albanischer Volkszugehörigkeit sein und aus dem Kosovo stammten. In den Entscheidungsgründen des Asylurteils vom 22. Mai 2001 (12 A 2332/98, Seite 5 ff.) hat der erkennende Einzelrichter zugunsten der Antragsteller angenommen, dass ihre Äußerung, sie gehörten der Bevölkerungsgruppe der albanisierten Roma an, zutreffe. Die Antragsteller hätten ausgeführt, dass sie sich zeitlebens als Albaner betrachtet hätten, von ihrem Herkommen seien sie dagegen Roma. Sie hätten seit Generationen zur albanischen Bevölkerung gezählt und sich deshalb immer nur als Albaner bzw. Kosovaren gesehen; insbesondere, da auch sie nach 1993 von den Serben verfolgt worden seien. Auf die diesbezüglichen ausführlichen Gründe des Urteils vom 22. Mai 2001 (12 A 2332/98) wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Zwar hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in einem Beschluss vom 29. Oktober 2003 (12 ME 436/03) ausgeführt, dass bei Ashkali aus dem Kosovo die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht gegeben seien, weil ihrer Rückkehr in ihre Heimat allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe nicht entgegen stünden. Unter Bezugnahme auf das zwischen dem Bundesminister des Innern der Bundesrepublik Deutschland und dem Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der Vereinbarten Nationen vereinbarten „Memorandum of Understanding“ vom 31. März 2003 sei davon auszugehen, dass eine generelle Schutzbedürftigkeit für die Minderheit der „Ashkali“ nicht mehr gegeben sei. Auch der UNHCR gehe grundsätzlich davon aus, dass sich die Gesamtsituation der Gemeinschaften der Ashkali weiterhin verbessert habe und in vielen Regionen von einer stabilisierten Sicherheitslage gesprochen werden könne, wenngleich er (der UNHCR) zur Auffassung komme, eine sichere und dauerhafte Rückkehr in Würde könne nur sehr langsam und auf freiwilliger Grundlage stattfinden.
Zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung stellt sich die Lage der Ashkali im Kosovo aber anders dar. Zunächst hatte sich die Lage der Minderheiten (und damit auch der Ashkali) nach Beendigung des Kosovo-Krieges Mitte 1999 zunehmend gebessert. Die Anzahl der gemeldeten Gewalttaten war merklich zurückgegangen und die Sicherheitslage hatte sich bis März 2004 erheblich stabilisiert, wobei allerdings die Sicherheitssituation im Kosovo von Ort zu Ort unterschiedlich gewesen ist (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Serbien und Montenegro/Kosovo, 13.Menschenrechte, September 2004). Diese Sicherheitslage hat sich aber durch die Unruhen im März 2004 völlig verändert. Nach Angaben der UNMIK/ORC (Office of Returns and Communities) wurden bei den März-Unruhen mehr als 4.000 Personen vertrieben, darunter auch 390 Roma/Ashkali (Erkenntnisse des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Serbien und Montenegro/Kosovo, Berichtszeitraum: April bis Juli 2004, vom Juli 2004, Seite 11). Bei den gewaltsamen Vertreibungsaktionen im März 2004 kam es auch zu massiven Übergriffen auf Ashkali. In Vucitrn wurden 70 Ashkali-Häuser geplündert und niedergebrannt. Vucitrn war vorher Mittelpunkt von Rückkehrbemühungen von nach Serbien geflüchteten Ashkali-Familien (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Serbien und Montenegro/Kosovo, 13. Menschenrechte, September 2004, Seite 15). Der UNHCR schreibt in seinem Positionspapier zur fortdauernden internationalen Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo (August 2004), dass der Ausbruch von Massendemonstrationen im März 2004 eine weitere und äußerst schwerwiegende Bestätigung der brüchigen Sicherheitssituationen für die Minderheitengemeinschaft darstelle, die zu inter-ethnischer Gewalt und Unruhen in der Zivilbevölkerung in einem seit 1999 nicht erlebten Ausmaße geführt hätte. Die Gewalt habe sich rasch auf alle Teile des Kosovo ausgebreitet und zu Vertreibungen geführt, von denen alle Minderheiten betroffen gewesen seien. Hauptsächliches Ziel dieser inter-ethnischen Gewalt seien die Kosovo-Serben gewesen; gleichzeitig seien jedoch auch Roma, Ashkali und Ägypter von verschiedenen schweren Übergriffen betroffen gewesen. Die Sicherheitskräfte und die politische Führung seien außerstande gewesen, die Gewalt in einem früheren Stadium zu beenden und am Ende des dreitägigen Gewaltexzesses seien nach ersten Informationen 19 Tote und mehr als 950 Verletzte zu beklagen gewesen, wobei die Opfer - sowohl Tote als auch Verletzte - unterschiedlichen Volksgruppen angehörten. Diese Entwicklung belege unzweifelhaft, dass nicht zur albanischen Volksgruppe gehörende Bewohner des Kosovo weiterhin Bedrohungen ihrer Sicherheit ausgesetzt seien, die ihr Leben und ihre Grundfreiheiten gefährdeten. Kosovo-Serben und Roma seien besondern gefährdet, was ihre Sicherheit betreffe, aber Ashkali und Ägypter seien ebenfalls weiterhin schwerwiegender Bedrohungen ihrer Sicherheit ausgesetzt (UNHCR a.a.O., Seite 2).
Das ORC der UMNIK hatte nach den März-Unruhen aufgrund der sehr instabilen Sicherheitslage zunächst alle Abschiebungen storniert (Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Serbien und Montenegro/Kosovo vom Juli 2004, Seite 14). Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport führt in seinem Erlass zur Rückführung von ethnischen Albanern und Minderheiten-Angehörigen in das Kosovo vom 25. Juni 2004 Folgendes aus:
„Die Abschiebung von Serben und Roma in das Kosovo ist nach wie vor aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Bis auf Weiteres stimmt UNMIK auch der Rückführung von Ashkali und Ägyptern in das Kosovo nicht zu.“
Diese Situation hat sich bislang nach den dem Gericht bekannten Erkenntnisquellen noch nicht geändert. In dem Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 23. September 2004 (Az.: 45.22-12231/3-6-SCG-K) wird ausgeführt, dass die UNMIK sich trotz einer fortgeschrittenen Stabilisierung der Sicherheitslage im Kosovo derzeit noch nicht in der Lage sehe, eine Wiederaufnahme der Rückführung von Minderheiten-Angehörigen der Ashkali und Ägypter zuzustimmen. Bei der deutschen Seite sei der Eindruck entstanden, dass UNMIK eine Wiederaufnahme der Rückführung von Ashkali und Ägyptern wegen der am 23. Oktober 2004 im Kosovo stattfindenden Parlamentswahlen und sich anschließenden Wintermonate möglicherweise nicht vor Frühjahr 2005 zulassen werde.
Zusammenfassend ergibt sich nach Auffassung der Kammer hieraus, dass derzeit zu Lasten der Antragsteller aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus humanitären Gründen im Sinne des letzten Absatzes des § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht möglich sind. Vor dem Hintergrund der genannten Quellen ist derzeit den Antragstellern auch eine freiwillige Ausreise nicht zumutbar.
Das Gericht spricht in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes laufende Leistungen grundsätzlich ab dem Monat seiner Entscheidung zu. Aufgrund der nicht vorhersehbaren Änderungen der Sicherheitssituation im Kosovo für Angehörige ethnischer Minderheiten verpflichtet die Kammer den Antragsgegner zur Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG an die Antragsteller aber nur begrenzt für den Zeitraum von drei Monaten.