Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 01.11.2004, Az.: 11 A 590/03

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
01.11.2004
Aktenzeichen
11 A 590/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 43452
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2004:1101.11A590.03.0A

Amtlicher Leitsatz

Ein infolge eines Abschiebestopps geduldeter Iraker kann keine Aufenthaltsbefugnis erlangen, weil ihm über Jordanien, die Türkei oder Syrien die freiwillige Rückkehr in den Nordirak möglich ist.

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit muslimischen Glaubens und stammt aus H. im Nordirak. Er reiste am 9. Juli 1997 als Asylbewerber ins Bundesgebiet ein. Sein Asylverfahren blieb im Ergebnis erfolglos (rechtskräftige Urteile des Gerichts vom 23. Juli 1999 - 3 A 4098/97 - (Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gegen die ursprüngliche Zuerkennung von Abschiebeschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG( und vom 7. April 2000 - 3 A 3911/99 - (erfolglose Klage gegen negative Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung().

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Wegen fehlender Reisedokumente und der unsicheren Lage im Irak wurde sein Aufenthalt danach geduldet.

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Am 28. Mai 2002 beantragte der Kläger auf Anregung des Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis. Dies lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 14. Juni 2002 ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 5 i.V.m. § 30 Abs. 3 und 4 AuslG sowie dem Erlass des Nds. Innenministeriums - MI - vom 21. Januar 2002 (Nds. MBl. Seite 95) sei zu versagen, weil dem Kläger die freiwillige Ausreise in sein Heimatland Irak möglich sei. Auch stehe der besondere Versagungsgrund nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 AuslG (Passlosigkeit) dem Begehren entgegen.

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Die Bezirksregierung Weser-Ems wies den Widerspruch des Klägers durch Bescheid vom 22. Januar 2003 unter Wiederholung und Vertiefung der Begründung des Ausgangsbescheides zurück. Ergänzend führte sie aus, der besondere Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG (Einreise ohne Visum) stehe der Erteilung einer besseren Aufenthaltsgenehmigung entgegen, zumal keine Ausnahmegründe anzuerkennen seien. Der Kläger habe ausdrücklich abgelehnt, sich um die für eine freiwillige Ausreise notwendigen Passersatzpapiere zu bemühen. Er habe auch sonst nicht ansatzweise versucht, freiwillig auszureisen. Die in dem Erlass des Nds. MI vom 21. Januar 2002 geforderten Voraussetzungen erfülle er nicht.

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Der Kläger hat am 18. Februar 2003 Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Im Wesentlichen trägt er vor, er könne nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG i.V.m. dem Erlass des Nds. MI vom 21. Januar 2002 eine Aufenthaltsbefugnis verlangen. Er habe weder die Abschiebungshindernisse zu vertreten noch sei ihm eine freiwillige Ausreise in den Irak möglich. Dies folge schon aus der allgemeinen Lage und den schwierigen Verhältnissen im Irak, die zur Folge hätten, dass zwangsweise Rückführungen nicht möglich seien. Versäumnisse bei der Erlangung von Passersatzpapieren könnten ihm nicht vorgehalten werden. Bekanntermaßen habe die irakische Botschaft im Bundesgebiet über längere Zeit nicht gearbeitet. Auch aus Angst vor Repressionen für sich und seine Angehörigen im Irak habe er dort nicht vorsprechen können. Selbst mit Passersatzpapieren wäre eine Rückkehr nicht möglich gewesen. Seit Langem gebe es keine Luftwegverbindung zwischen dem Bundesgebiet und dem Irak. Die benachbarten Transitstaaten würden mittellosen Irakern - wie ihm - die Durchreise nicht gestatten. Insbesondere weigere sich die Türkei irakischen Flüchtlingen die Durchreise zu gestatten. Eine Durchquerung des Irak von Jordanien aus sei wegen der Gefahren für Leib und Leben unzumutbar. Auch zur Vermeidung von Dauerduldungen sei die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis geboten.

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Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 14. Juni 2002 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 22. Januar 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Er bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide und erwidert ergänzend: Auch unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Verhältnisse sei dem Kläger eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland möglich. Ohne Weiteres hätte er in der Zeit nach rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens von den irakischen Behörden Passersatzpapiere bekommen können, wenn er sich einen Personalausweis von den Behörden seiner Heimatregion hätte zuschicken lassen. Ohne anerkennenswerten Grund habe er ausdrücklich jegliche Bemühungen zur Passerlangung unterlassen. Mittlerweile könne eine Rückkehr mit einem von der Ausländerbehörde ausgestellten Reisedokument oder Laissez-Passer erfolgen. Die International Organisation for Migration - IOM - ermögliche und bezahle ehemaligen irakischen Asylbewerbern die Rückkehr in den Irak. Die Rückkehr erfolge über Amman/Jordanien. In Amman würden die Rückkehrer von IOM-Mitarbeitern in Empfang genommen und mit organisierten Bussen in den Irak gefahren. Auch unter Berücksichtigung der jüngsten Entwicklungen im Irak könne eine politische Verfolgung oder sonstige Gefährdung hinreichend ausgeschlossen werden.

9

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

11

Die Versagung der begehrten Aufenthaltsbefugnis in den angefochtenen Bescheiden ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger kann im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung weder die begehrte Aufenthaltsbefugnis noch einen Neubescheidung seines Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts beanspruchen.

12

Nach den für abgelehnte Asylbewerber (§ 30 Abs. 5 AuslG) geltenden § 30 Abs. 3 und 4 AuslG scheidet die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis aus. Nach § 30 Abs. 3 AuslG kann einem Ausländer, der - wie hier - unanfechtbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltsbefugnis abweichend von § 8 Abs. 1 AuslG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG für eine Duldung vorliegen, weil seiner freiwilligen Ausreise und seiner Abschiebung Hindernisse entgegenstehen, die er nicht zu vertreten hat. Nach dieser Vorschrift ist der Ausländerbehörde erst dann ein Ermessen eröffnet, wenn der betreffende Ausländer unanfechtbar ausreisepflichtig ist, die spezifischen Voraussetzungen für eine Duldung vorliegen und der freiwilligen Rückkehr des Ausländers von ihm nicht zu vertretende Hindernisse entgegenstehen.

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Der Kläger hat nicht hinreichend nachgewiesen, dass seiner freiwilligen Ausreise in den Irak im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung Hindernisse entgegenstehen, die er nicht zu vertreten hat (§ 30 Abs. 3 AuslG) bzw. alle zumutbaren Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses erfüllt worden sind (§ 30 Abs. 4 AuslG). Diese Vorschriften stellen auf die Obliegenheit des ausreisepflichtigen Ausländers ab, alles in seiner Kraft stehende und ihm zumutbare dazu beizutragen, etwaige Abschiebungshindernisse zu überwinden. Dafür ist es nicht erforderlich, dass er sich "förmlich" weigert, ein Abschiebungshindernis zu beseitigen. Es genügt, dass er zumutbare Handlungen zur Ermöglichung seiner Ausreise unterlässt oder verzögert. Derartige Handlungen können nur dann nicht verlangt werden, wenn sie von vornherein aussichtslos sind, d.h. wenn praktisch ausgeschlossen erscheint, dass sie das Abschiebungshindernis beseitigen können (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 2001 - 1 C 23.00 - InfAuslR 2001, 350, 352; VGH BW, Urteil vom 25. Juni 2003 - 13 S 2767/02 - juris, jeweils m.w.N.).

14

Voraussetzung für eine grundsätzlich mögliche freiwillige Rückkehr in den Irak ist die Erlangung eines Nationalpasses oder eines Passersatzpapiers. Der Kläger hat weder rechtzeitige Bemühungen um die Erlangung solcher Papiere nachgewiesen noch kann davon ausgegangen werden, dass ihm solche Papiere dauerhaft versagt werden.

15

Eine Rückkehr für irakische Staatsangehörige auf freiwilliger Basis ist zum einen mit einem gültigen Reisepass möglich. Allerdings steht dem Kläger diese Möglichkeit nicht offen, weil er derzeit keinen gültigen Nationalpass besitzt und - entgegen der Auffassung des Beklagten - in den vergangenen Monaten auch nicht erlangen konnte. Zu Zeiten des Saddam Hussein-Regimes dürften Bemühungen um eine Passerlangung bei der irakischen Botschaft wegen der damit für ihn und seine im Irak lebenden Angehörigen verbundenen Gefährdung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2001 - 9 C 16.00 - InfAuslR 2001, 241, 242) unzumutbar gewesen sein. Am 10. Mai 2003 hat die ehemalige irakische Botschaft in Berlin alle Tätigkeiten eingestellt (AA, Ad-hoc-Lagebericht vom 7. Mai 2004, S. 13) und bislang noch nicht wieder aufgenommen.

16

Im Falle einer wirklichen Rückkehrbereitschaft hätte sich der Kläger aber ohne weiteres vom Beklagten ein EU-Laissez-Passer ausstellen lassen können, mit dem er aus dem Bundesgebiet aus und - etwa mit Unterstützung der International Organisation for Migration (IOM) über Jordanien - in den Irak einreisen könnte (vgl. zur grundsätzlichen Akzeptanz eines solchen Ersatzdokuments deutscher Behörden bei freiwilliger Rückkehr: AA, Ad-hoc-Lagebericht vom 7. Mai 2004, S. 13). Auf diese Möglichkeit ist er vom Beklagten bereits mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2003 hingewiesen worden. Bemühungen um die Erlangung eines solchen Passersatzpapiers und ggf. weitere erforderliche Dokumente (Transitvisum) hat der Kläger ohne anerkennenswerten Grund unterlassen. Entsprechendes gilt hinsichtlich der weiteren Rückkehrmöglichkeiten über Syrien oder die Türkei (hier mit deutschem Reisedokument der Ausländerbehörden und türkischem Transitvisum).

17

Ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, allein infolge seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet auch weiterhin hier verbleiben zu dürfen und keinerlei Anstrengungen zur Erlangung von Passpapieren unternehmen zu müssen, ist nicht anzuerkennen, zumal ihm behördlicherseits durchweg deutlich gemacht wurde, dass sein Aufenthalt nur vorübergehend geduldet wird und er sich ständig um Passpapiere zu bemühen hat. Wegen der Verhältnisse in seinem Heimatland und der geltend gemachten Besonderheiten (insbesondere unsichere Lage und gefährliche Reisewege) war der Kläger weder von weiteren Bemühungen um die Erlangung von Passpapieren befreit noch stellte sich deswegen eine freiwillige Rückkehr als unmöglich dar. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass den Ausländerbehörden - und den sie überprüfenden Verwaltungsgerichten - hier keine eigenständige Prüfungskompetenz zur Beurteilung zielstaatsbezogener Gefährdungen zukommt. Weder im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung konnte der Kläger eine ihm positive Entscheidung des nach § 24 Abs. 2 AsylVfG allein zuständigen (und gemäß § 42 S. 1 AsylVfG mit Bindungswirkung für die Ausländerbehörden entscheidenden) Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge über zielstaatsbezogene Gefahren wegen der Verhältnisse und Sicherheitslage im Irak nachzuweisen.

18

Im Übrigen bestätigten die insoweit mit dem Asylrecht befassten Gerichte (etwa Nds. OVG, Beschluss vom 5. August 2004 - 9 LB 413/02 -; VG Oldenburg, Urteile vom 26. Oktober 2004 - 3 A 3975/01 - und 21. Oktober 2004 - 3 A 3457 und 3599/02 -) in ihrer Rechtsprechung die derzeitige Einschätzung des Bundesamtes, dass Rückkehrern gegenwärtig keine asyl- oder abschiebungsrelevanten Gefährdungen im Irak drohen und allgemeinen Gefahren wirksam durch bestehende Abschiebestopp-Anordnungen nach § 54 AuslG begegnet wird.

19

In diesem Zusammenhang kann sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf die niedersächsische Erlasslage (vgl. Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums - MI - vom 19. Juli 2004) berufen, wonach die zwangsweise Rückführung vollziehbar ausreisepflichtiger irakischer Staatsangehöriger in den Irak derzeit tatsächlich unmöglich ist und deshalb weiterhin Duldungen für die Dauer von sechs Monaten zu erteilen sind. Aus der bestehenden Lage bei zwangsweisen Rückführungen lassen sich keine zwingenden Folgerungen für eine Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr ableiten. Denn der Erlass reagiert in erster Linie auf tatsächliche Schwierigkeiten von zwangsweisen Rückführungen staatlicher Behörden (etwa fehlende direkte Flugverbindung, nur eingeschränkte Kooperationsbereitschaft der Übergangsbehörde der Koalition wegen dort befürchteter weiterer Destabilisierung und Versorgungsengpässen bei Rückkehrern größerer Anzahl, vgl. AA, Ad-hoc-Lagebericht vom 7. Mai 2004, S. 13) und nicht auf eine allgemeine, allgegenwärtige Gefahrenlage. Die von den Innenbehörden vorgesehene Duldungserteilung zeigt im Übrigen den Willen der zuständigen Behörden, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gerade nicht gewähren zu wollen.

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Bemühungen zur Erlangung eines Laissez Passer (oder eines anderen Reisedokuments) und zur freiwilligen Rückkehr wären im Übrigen nur dann von vornherein aussichtslos, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung und bis auf weiteres eine freiwillige Rückkehr deswegen unmöglich oder unzumutbar wäre, weil es faktisch keinerlei Reisewege gäbe oder die verbliebenen Reisewege mit einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben der Rückkehrer verbunden wären. Für derartige Fragen der Nichterreichbarkeit des Zielstaats aus tatsächlichen Gründen - wie fehlende Verkehrsverbindungen infolge von Naturkatastrophen, Krieg oder wegen völkerrechtlicher Sanktionen sowie unzumutbare Gefährdungen auf dem Weg dorthin - sind auch wieder die Ausländerbehörden zuständig (BVerwG, Urteile vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 - BVerwGE 104, 265, 278 und vom 16. Januar 2001 - 9 C 16.00 - InfAuslR 2001, 241, 242, letzteres zum Irak). Da es sich insoweit um allgemeine Gefahren handelt und die Situation mit der (ausnahmsweise vom Bundesamt vorzunehmenden) Prüfung der tatsächlichen Erreichbarkeit des Gebiets einer inländischen Fluchtalternative vergleichbar ist, bietet es sich an, denselben Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer extremen Leibes- und Lebensgefahr auf den (bestehenden) Reisewegen (vgl. hierzu BVerwG, a.a.O.) heranzuziehen. Außerdem ist eine dauerhafte Nichterreichbarkeit in diesem Sinne zu fordern, weil der Gesetzgeber für den Fall einer vorübergehenden Nichterreichbarkeit lediglich die Feststellung eines Vollstreckungshindernisses nach § 55 Abs. 2 oder Abs. 4 Satz 1 AuslG, also die Erteilung einer Duldung, vorgesehen hat. Für einen derart strengen Maßstab spricht auch, dass es hier nicht um die Frage einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung geht, sondern um Gewährung eines - wenn auch befristeten - Aufenthaltsrechts, an das trotz aller möglichen Einschränkungen Vertrauensschutz für einen (von den legitimierten Organen nicht beabsichtigten) weiteren Verbleib im Bundesgebiet geknüpft werden könnte.

21

Hiervon ausgehend vermag die Kammer eine auf Dauer bestehende Nichterreichbarkeit des (Nord)Irak für freiwillig zurückkehrende irakische Staatsangehörige trotz der nach wie vor unsicheren Gesamtlage nicht festzustellen. Nach der aktuellen Informationslage (AA, Ad-hoc-Lagebericht vom 7. Mai 2004, S. 13 ff.; Bundesamt, Irak-Information: Der Irak nach dem 3. Golfkrieg, vom 30. Juni 2004, S. 59 ff.; Schweizer Flüchtlingshilfe, Länderanalyse: Irak - Die aktuelle Lage, vom 20. Mai 2004, S. 26 ff. und Positionspapier vom 9. Juni 2004, S. 5 f.; UNHCR, Länderbericht vom August 2004, S. 21; Gesprächsvermerk vom 1. November 2004 über die Ergebnisse der Arbeitsgemeinschaft Rückführung der Innenminister und -senatoren der Länder und des Bundes in Berlin vom 28. und 29. Oktober 2004) erfolgte seit Ende des Golfkriegs bis heute eine freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen aus den umliegenden Staaten, aber auch aus Europa im erheblichen Umfang. Zwar existiert keine direkte Flugverbindung in den Irak. Zu Lande ist der Irak aber vor allem über Jordanien, Syrien, die Türkei oder Iran erreichbar. Wie vom Beklagten im Dezember 2003 mitgeteilt unterstützt die IOM seit längerem Rückkehrer, die auf dem Luftweg nach Amman/Jordanien reisen und per Bus/Sammeltaxi nach Bagdad gelangen. Dass gegenwärtig die Verkehrsverbindung Amman-Trabil-Bagdad durchgängig und dauerhaft unterbrochen wäre, ist aus den Erkenntnismitteln nicht erkennbar, wenn auch von vorrübergehenden Sperren, Kontrollpunkten und Behinderungen berichtet wird. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Verkehrswege von Bagdad aus in den Nordirak. Auch die Berichte über häufige Anschläge von Aufständischen, die landesweit, aber vor allem in und um Bagdad stattfinden, begründen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine extreme Leibes- und Lebensgefahr auf dem Reiseweg. Die Aufständischen versuchen mit ihren gezielten Anschlägen die Lage im Irak und das Übergangsregime zu destabilisieren sowie sämtliche Ausländer bzw. ausländische Staaten von der Teilnahme am Wiederaufbau des Irak abzuhalten. Ziel der Anschläge sind in erster Linie Angestellte der irakischen Übergangsverwaltung, in- und ausländische Mitarbeiter vor allem ausländischer Unternehmen und Hilfsorganisationen, Polizisten und Polizeianwärter sowie andere Personen, die der Zusammenarbeit mit den genannten Institutionen verdächtigt werden (vgl. UNHCR, Länderbericht vom August 2004, S. 1 f. nebst Begleitschreiben vom 23. September 2004). Davon, dass mit großer Häufigkeit reisende Iraker von derartigen Anschlägen (oder militärischen Gegenaktionen der aliierten Streitkräfte oder der Sicherheitskräfte des Übergangsregimes) betroffen sind, ist in den verfügbaren Informationen ebenso wenig die Rede, wie davon, dass ein zwischenstaatlicher Reiseverkehr von Einheimischen (dauerhaft) ganz zum Erliegen gekommen ist.

22

Entsprechende Erwägungen gelten für eine grundsätzlich ebenfalls mögliche Einreise über den Luftweg nach Damaskus und die Weiterreise über Land nach Bagdad oder direkt in den Nordirak.

23

Schließlich bietet sich für eine Rückkehr in den Nordirak die Einreise über die Türkei an. Nach der Erkenntnislage ist es freiwillig zurückkehrenden Irakern mit einem deutschen Reisedokument der Ausländerbehörden und einem türkischen Transitvisum möglich, ohne Durchquerung des Landes in den Nordirak zu gelangen (vgl. AA, Ad-hoc-Lagebericht des AA vom 7. Mai 2004, S. 13 ff., 15 und Gesprächsvermerk vom 1. November 2004 über die Ergebnisse der Arbeitsgemeinschaft Rückführung der Innenminister und -senatoren der Länder und des Bundes in Berlin vom 28. und 29. Oktober 2004), wodurch sich Reiserisiken verringern ließen.

24

Der Kläger hat schließlich die tatsächliche Unmöglichkeit einer freiwilligen Ausreise auch nicht durch das Scheitern eines ernsthaften Einreiseversuchs über die o.g. Verkehrswege in den Irak belegt. Die Vorschrift des § 30 Abs. 3 und 4 AuslG geht nämlich von der Obliegenheit des Betroffenen aus, alle erforderlichen und zumutbaren Handlungen vorzunehmen, die ihm eine Ausreise ermöglichen. Zu den dem Ausländer zumutbaren Anforderungen an die Beseitigung des Abschiebungshindernisses gehört ggf. auch, wenn - wie hier - das Gegenteil nicht von vornherein feststeht, der Versuch einer freiwilligen Ausreise in den Heimatstaat. Dem korrespondiert die aus dem Völkerrecht folgende Verpflichtung aller Staaten, ihren Bürgern die Wiedereinreise zu ermöglichen. Wenn diese Verpflichtung durch einen Staat nur unzureichend erfüllt wird, obliegt es dem in einem anderen Staat deshalb aufenthaltsrechtbegehrenden Ausländern nachzuweisen, dass diese Verpflichtung in seinem Fall nicht erfüllt wird.

25

Auch der Erlass des Nds. MI vom 21. Januar 2002 (Nds. MBl. S. 95) führt zu keiner anderen Entscheidung. Anders als dort gefordert, fehlt es an dem geforderten fortbestehenden Ausreisehindernis, da dem Kläger die freiwillige Ausreise in sein Heimatland möglich ist.