Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 23.07.2021, Az.: 5 B 2028/21

Ausweisung; Betäubungsmittel, Ausweisung: Verhältnismäßigkeit; Drogentherapie; familiäre Lebensgemeinschaft; Familienvater; Maßregelvollzug

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
23.07.2021
Aktenzeichen
5 B 2028/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71002
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ausweisung eines Familienvaters aufgrund Verurteilungen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln - hier im Einzelfall rechtmäßig wegen andauernder unbewältigter Suchtmittelproblematik und Wiederholungsgefahr weiterer erheblicher Straftaten.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis durch die Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 2. Februar 2021.

Er ist 1979 geboren, sierra-leonischer Staatsangehöriger und erstmals 1996 in das Bundesgebiet eingereist. Unter einem Aliasnamen und Behauptung der liberianischen Staatsangehörigkeit beantragte er die Anerkennung als Asylberechtigter, die mit Bescheid vom TT. MMMM 1996 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Eilantrag und Klage gegen die Entscheidung blieben erfolglos, die Entscheidung in der Hauptsache ist seit 8. März 2000 rechtskräftig. Einen Antrag auf Wiederaufgreifen hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom TT. MMMM 2002 ab, auch diese Entscheidung ist nach erfolgloser Klage seit 16. Dezember 2003 unanfechtbar. Der Antragsteller wurde seitdem wegen Passlosigkeit geduldet. Im November 2012 legte der Antragsteller einen gültigen sierra-leonischen Heimatpass vor.

Mit bestandskräftiger Verfügung des Landkreises D. vom 12. April 2002 wurde der Antragsteller mit unbefristeter Wirkung aus dem Bundesgebiet ausgewiesen, ohne dass sein Aufenthalt tatsächlich beendet wurde. Diese Ausweisung wurde durch die Antragsgegnerin nachträglich bis zum TT. MMMM 2015 befristet.

Der Antragsteller ist seit 23. Januar 2004 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet und Vater eines am 4. Juni 2005 geborenen Sohnes und einer am 14. Februar 2010 geborenen Tochter mit jeweils deutscher Staatsangehörigkeit.

Am 25. November 2011 wurde ihm auf seine erfolgreiche Klage eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt, die bis zum 17. Dezember 2013 befristet war und seitdem regelmäßig, zuletzt bis zum 17. August 2016 verlängert worden ist.

Der Antragsteller ist mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und verurteilt worden. Vor seiner ersten Ausweisung wurde er mit

1. Urteil des AG E. vom TT. MMMM 1997 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Kokain) zu 40 Stunden Hilfsdienst

2. Urteil des LG E. vom TT. MMMM 2001 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Kokain) in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt.

Aufgrund dieser Straftat befand er sich vom 8. März 2001 bis 31. Oktober 2002 zunächst in Untersuchungshaft und dann in Strafhaft. Die Reststrafe wurde zum 4. November 2002 zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit betrug 3 Jahre.

Zeitlich nach seiner Heirat und der Geburt seines Sohnes wurde er mit

3. Urteil des AG E. vom TT. MMMM 2005 wegen Erschleichens von Leistungen zu einer Geldstrafe von 30 TS, mit

4. Urteil des LG F. vom TT. MMMM 2010 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten und zuletzt mit

5. Urteil des LG E. vom TT. MMMM 2016 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet.

Vom 6. Mai 2010 an war der Antragsteller aus der Verurteilung zu Nr. 4 in Strafhaft; mit Beschluss vom 28. Au 2011 wurde die Restfreiheitsstrafe unter Anrechnung der Dauer einer ambulanten Drogentherapie zur Bewährung ausgesetzt.

Zur Verurteilung Nr. 5 war der Antragsteller seit 14. April 2016 in Untersuchungshaft.

Noch während der Geltung der (bis zum 17. August 2016 befristeten) Aufenthaltserlaubnis teilte die Ehefrau des Antragstellers am 19. Juli 2016 mit, dass er einen Termin bei der Antragsgegnerin nicht wahrnehmen könne, weil er sich in Haft befinde. Am 13. März 2017 teilte das Maßregelvollzugszentrum G. unter Gegenzeichnung des Antragstellers der Antragsgegnerin mit, dass der Antragsteller sich dort seit 22. Dezember 2016 aufhalte und seine Aufenthaltserlaubnis am 18. August 2016 abgelaufen sei, und bat um Verlängerung oder Neuerteilung der Aufenthaltserlaubnis, weil ohne gültigen Aufenthaltstitel nicht über Vollzugslockerungen entschieden werden könne. Die Antragsgegnerin stellte dem Antragsteller daraufhin befristete Fiktionsbescheinigungen aus.

Am 13. Mai 2017 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller und seine Ehefrau zu der Absicht an, den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abzulehnen und den Antragsteller auszuweisen. Die Ehefrau des Antragstellers teilte daraufhin mit, dass der Antragsteller ein inniges und liebevolles Verhältnis zu den gemeinsamen Kindern habe. Sie litten sehr unter der Trennung und besuchten den Antragsteller regelmäßig. Nach den Besuchen seien die Kinder sehr traurig. Eine Trennung der Familie sie für sie unvorstellbar.

Mit Beschluss des LG H. vom TT. MMMM 2019 wurden die Unterbringung und die Reststrafe aus dem Urteil vom TT. MMMM 2016 im Einklang mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft zur Bewährung ausgesetzt und der Antragsteller wurde aus dem Maßregelvollzug und der Haft entlassen. Ihm wurde aufgegeben, sich mindestens einmal monatlich bei der forensischen Institutsambulanz des Maßregelvollzugszentrums vorzustellen und die dortigen Behandlungs- und Betreuungsangebote wahrzunehmen, solange und soweit dies aus ärztlich-therapeutischer Sicht erforderlich sei, und sich mindestens einmal monatlich unregelmäßigen und unangekündigten Kontrollen auf Alkohol und Drogen zu unterziehen.

Im Rahmen der Anhörung bezüglich dieser Weisungen hatte der Antragsteller darum gebeten, eine Abstinenzweisung nur hinsichtlich illegaler Suchtmittel und nicht auch wegen Alkohol zu bekommen, weil er dann an Silvester oder zu ähnlichen Gelegenheiten auch ein Glas mittrinken könne. Der anwesende Arzt erklärte, dass aus Sicht der Klinik eine Kontrollweisung genüge, diese aber auch Alkohol erfassen solle, um auf Rückfälle des Antragstellers rechtzeitig reagieren zu können.

Zur Begründung der Strafrestaussetzung und der Weisungen führte das LG H. aus, dass nach Anhörung und ausführlicher ärztlicher Begutachtung des Antragstellers zu erwarten sei, dass er außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Eine posttraumatische Belastungsstörung und die Suchtmittelabhängigkeit des Antragstellers seien erfolgreich behandelt worden. Das Risiko eines Rückfalls werde als eher gering eingeschätzt. Der Antragsteller lebe seit längerer Zeit – von einem Rückfall mit Cannabis 2018 abgesehen – stabil und abstinent und habe auch extramurale Lockerungen einschließlich eines Probewohnens erfolgreich absolviert. Die angewiesenen Suchtmittelkontrollen seien nicht als Abstinenzweisung zu verstehen, sondern nur um übermäßigen oder deliktsrelevanten Konsum und etwaige Krisen frühzeitig zu erkennen und therapeutisch zu bewältigen. Er verfüge über einen positiven sozialen Empfangsraum; ein Restrisiko bestehe darin, dass er aufgrund seiner starken körperlichen Beeinträchtigungen nur schwer eine Arbeit werde finden können. Vor diesem Hintergrund sei auch die Aussetzung der Vollstreckung der unerledigten Reststrafe gegenüber dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit zu verantworten.

Nach einer Mitteilung der Forensischen Institutsambulanz vom 11. Oktober 2019 fiel der Antragsteller bereits bei der ersten Kontrolle am 20. Juni 2019 mit einem positiven Cannabiswert auf und erklärte, er habe sich für die Entlassung aus dem Maßregelvollzug belohnen wollen und nach kurzer Überlegung, ob er Kokain oder Cannabis nehme, sich für Cannabis entschieden. Er wolle es bei dem einmaligen Konsum belassen. Bei den nächsten zwei Terminen wurden wiederum positive Cannabisbefunde festgestellt, jedoch mit abnehmender Tendenz. Weitere Kontrollen zwischen dem 31. Juli 2019 und dem TT. MMMM 2019 blieben ohne positiven Befund. Bei einer Abstinenzkontrolle am 26. September 2019 wurde wieder ein positiver Cannabisbefund festgestellt, am Folgetermin am 28. Oktober 2019 ein stark positiver Befund. Der Antragsteller erklärte, er habe aktuell viel Stress mit der Arbeitssuche und der Ausländerbehörde und dauerhafte Rückenschmerzen. In dem Bericht ist festgehalten, dass der Antragsteller „immer wieder Gründe finde“, Cannabis zu konsumieren. Am 8. November 2019 beantragte die Staatsanwaltschaft eine Abstinenzweisung gegen den Antragsteller, weil die begründete Gefahr bestehe, dass er bei Fortsetzung seines Cannabiskonsums in alte Verhaltensmuster verfalle und erneut straffällig werde. Der ambulante Justizsozialdienst teilte zunächst mit, dass das Verhalten des Antragstellers gegenüber der Bewährungshilfe beanstandungsfrei sei und er offen und kooperativ sei, trat nach dem Vorliegen des letzten Cannabisbefunds der Anregung einer Abstinenzweisung ebenso bei wie die Führungsaufsichtsstelle des Landgerichts E.. Der Antragsteller bat unter Bezugnahme auf eine privat veranlasste Urinkontrolle ohne Befund, die Abstinenzweisung um sechs Monate zurückzustellen, um seine Abstinenzabsicht unter Beweis zu stellen. Die Staatsanwaltschaft stellte den Antrag darauf hin für zwei Monate zurück. Am 4. Februar 2020 teilte die Bewährungshelferin mit, dass der Antragsteller große Angst vor einer Abstinenzweisung habe, weil diese strafbewehrt sei. Sie halte die Abstinenzweisung nach wie vor für sinnvoll, zumal der Antragsteller am 30. Januar 2020 wieder mit einer auf Cannabis positiven Urinkontrolle aufgefallen sei. Der Antragsteller bat wiederum darum, ihn statt einer Abstinenzweisung nur anzuweisen, Kontakt zu einer Drogenberatung zu halten und therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Staatsanwaltschaft wiederholte den Antrag auf Erlass einer Abstinenzweisung mit dem Hinweis, dass der Antragsteller dadurch keineswegs gehindert sei, therapeutische Hilfe freiwillig in Anspruch zu nehmen und auch von einer Abstinenzweisung keinen Schaden zu befürchten habe, wenn er tatsächlich abstinent bleiben wolle.

Unter dem 28. Mai 2020 teilte die Forensische Institutsambulanz des Maßregelvollzugszentrums mit, dass mit dem Antragsteller infolge der mehrfach auffälligen Abstinenzkontrollen vereinbart worden sei, die ambulante Nachsorge über das erste Jahr nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug hinaus zu verlängern. Der Vollstreckungskammer des Landgerichts H. ließ der Antragsteller sodann mitteilen, dass ihm die verlängerte Anbindung an die Institutsambulanz Sanktion genug sei.

Mit Beschluss vom 15. Juli 2020 änderte das Landgericht H. sodann den Beschluss vom TT. MMMM 2019 und erteilte dem Antragsteller die Weisung, keine alkoholischen Getränke oder andere berauschenden Mittel zu sich zu nehmen und sich mindestens einmal monatlich unregelmäßigen und unangekündigten Kontrollen auf den Konsum von Alkohol und illegalen Drogen zu unterziehen. Die Anbindung an die Institutsambulanz sei offenbar nicht ausreichend, um den Antragsteller zu einem drogenfreien Leben anzuhalten. Es sei nach wiederholten auffälligen Suchtmittelbefunden erforderlich, dem Antragsteller auch durch die Strafbewehrung der Abstinenzweisung vor Augen zu führen, dass seine Straffreiheit bei weiterem Drogenkonsum erheblich gefährdet werde.

Der Antragsteller beantragte daraufhin die Aufhebung der Abstinenzweisung in Bezug auf Cannabis, soweit dieses ärztlich verordnet werde. Hintergrund sei seine schwere Rückenverletzung aus dem Jahr 2010, die mit Cannabis analgetisch behandelt werden könne. Dem traten die Staatsanwaltschaft und die Forensische Institutsambulanz mit dem Einwand entgegen, dass der Antragsteller ein chronisches Schmerzsyndrom bisher nie als wesentlichen Grund für die Einnahme von Cannabis angegeben habe.

Der Laborbefund der Urinkontrolle vom 14. Oktober 2020 war stark positiv auf Cannabis, schwach positiv auf Kokain und positiv auf Kokain-Metaboliten, die Kontrolle am 4. November 2020 wiederum positiv auf Cannabis und dessen Metaboliten. Die Bewährungshelferin teilte unter dem 26. Januar 2021 mit, dass der Antragsteller am 17. Dezember 2020 versichert habe, ab sofort kein Cannabis mehr zu konsumieren. Der Kontrollbefund vom 3. Dezember 2020 sei jedoch noch positiv auf Cannabis, was auf den täglichen Konsum vor dem 25. November 2020 zurückgeführt werden könne. Spätestens ab Januar 2021 müssten negative Cannabisbefunde vorliegen, wenn der Antragssteller tatsächlich abstinent sei. Der Befund einer Kontrolle vom 12. Januar 2021 sei jedoch wiederum positiv gewesen. Die Abstinenzmotivation des Antragstellers bei den Gesprächen sei nur noch kurzfristig wirksam, er falle zunehmend in alte Muster zurück. Selbst die Abstinenzweisung beeindrucke den Antragsteller scheinbar nur bedingt. Ein Strafantrag nach § 145a StGB werde von der Bewährungshilfe befürwortet.

Mit Beschluss vom 2. Februar 2021 lehnte das Landgericht H. die Änderung der Abstinenzweisung ab. Die Führungsaufsichtsstelle stellte sodann Strafantrag nach § 145a StGB wegen des Verstoßes gegen die Abstinenzweisung. Die folgende Urinkontrolle vom 17. Februar 2021 war ohne Befund, die nächste Kontrolle am 11. März 2021 positiv auf Alkohol und eine Kontrolle am 18. März 2021 schwach positiv auf Kokain. Der Antragsteller gab gegenüber der Bewährungshilfe an, dass er diesen Befund nicht erklären könne und der Alkoholbefund auf dem Verzehr von Schnapspralinen beruhe. Alkohol habe er nicht konsumiert. Weitere Kontrollen am 14. April 2021, 19. April 2021 und 19. Mai 2021 waren ohne Befund. Bei der Kontrolle am 2. Juni 2021 teilte der Antragsteller vorab mit, dass diese positiv sein werde, weil er wieder Cannabis konsumiere. Gegenüber der Bewährungshilfe räumte er ein, dass er anfangs versucht habe, die Urinkontrolle mit einem Schlauch zu manipulieren, weil er vor den Konsequenzen Angst gehabt habe.

Das Ermittlungsverfahren nach § 145a StGB ist weiterhin anhängig, weitere Straftaten hat der Antragsteller, soweit aus den Akten ersichtlich, seit der Entlassung aus dem Maßregelvollzug nicht begangen.

Am 21. November 2019 beantragte der Antragsteller förmlich die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis und erhielt erneut eine Fiktionsbescheinigung, die bis 12. Februar 2021 befristet war.

Mit Bescheid vom 2. Februar 2021 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab, wies ihn aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm die Abschiebung nach Sierra Leone an, falls er nicht innerhalb von dreißig Tagen nach Zustellung der Verfügung ausreise. Zugleich ordnete die Antragsgegnerin ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an, das sie auf vier Jahre und sechs Monate ab dem Zeitpunkt der Ausreise oder Abschiebung befristete.

Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass die Straftaten des Antragstellers ein besonders schweres Ausweisungsinteresse begründeten, das sein ebenfalls besonders schweres Bleibeinteresse überwiege. Sein Aufenthalt begründe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, weil er mit den ausgeurteilten Betäubungsmitteldelikten schwerwiegende Taten mit besonders hoher Sozialschädlichkeit verwirklicht habe, bei denen bereits die entfernte Möglichkeit weiterer Taten genüge. Das wiederholte Handeln des Antragstellers in der Vergangenheit trotz wiederholter und empfindlicher Strafen lege eine solche Prognose nahe. Der Antragsteller habe gezeigt, dass er nicht gewillt sei, die Rechtsordnung einzuhalten. Er sei kein kleiner Straßendealer, sondern habe seine Taten im großen Stil und mit hohem Organisations- und Planungsaufwand begangen. So habe er zwei Garagen angemietet und bei der illegalen Einfuhr von Betäubungsmitteln mehrere Fahrzeuge verwendet, zwei Fahrer beschäftigt und dem Fahrer eines der Fahrzeuge 1.000 Euro versprochen. In einem abgemeldeten Fahrzeug in einer von ihm angemieteten Garage seien insgesamt 290.055 Euro Bargeld aufgefunden worden. Die Entscheidung des Landgerichts H. über die Aussetzung der Reststrafe sei für die Antragsgegnerin von indizieller Bedeutung, entbinde sie aber nicht davon, eine eigene Prognose zu stellen. Der Prognosehorizont der Ausländerbehörde gehe dabei über das straffreie Verhalten während der Bewährungszeit deutlich hinaus. Erforderlich für eine positive Prognose seien tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren, die Straffreiheit während er Bewährungszeit sei nur ein solcher Faktor. Der Antragsteller habe seine Taten in einem erkennbar symptomatischen Zusammenhang mit seinem eigenen übermäßigen Cannabiskonsum begangen. Die bei ihm aufgefunden Betäubungsmittelmengen seien dennoch weit größer als sein eigener Bedarf gewesen. Er habe mit dem Handel mit Betäubungsmitteln den Unterhalt für sich und seine Familie bestritten und einen höheren Lebensstandard finanziert, als er es mit legalen Mitteln hätte erreichen können. Die Schwere der abgeurteilten Taten und die verhängte Haftstrafe von mehr als drei Jahren seien typischerweise mit einem Wiederholungsrisiko verbunden, das gelte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in besonderen Maße für schwere Betäubungsmittelkriminalität.

Auch eine frühere Ausweisung, die Heirat und die Geburt seiner Kinder hätten ihn nicht davon abgehalten, wieder in die Drogenszene einzusteigen und den offenbar nie ganz abgebrochenen Kontakt zu seinen Hinterleuten im Drogenhandel in den Niederlanden wiederaufzunehmen. Seine Aktivitäten im Drogenhandel seien ihm offenbar wichtiger. Die Ausweisung sei wegen der besonderen Sozialschädlichkeit des Drogenhandels auch aus generalpräventiven Erwägungen gerechtfertigt. Durch illegalen Drogenhandel von zunehmend ausländischen Straftätern, die nicht selbst drogenabhängig seien, würden die Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen geschädigt und die Gesellschaft durch Beschaffungskriminalität belastet. Es bestehe daher ein dringendes Bedürfnis, andere Ausländer durch entschiedene Aufenthaltsbeendigung von gleichartigen Taten abzuschrecken.

Dem Antragsteller sei in 24 Jahren Aufenthalt im Bundesgebiet keine nachhaltige wirtschaftliche Integration im Bundesgebiet gelungen. Auch der Schutz von Ehe und Familie trete gegenüber dem Ausweisungsinteresse zurück, weil der Antragsteller auch in Kenntnis einer bereits ausgesprochenen Ausweisung und nach Eheschließung und Geburt seiner Kinder beharrlich weiter Betäubungsmitteldelikte begangen habe. Der Schutz von Ehe und Familie sei jedoch bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots und der Wirkung der Ausweisung zugunsten des Antragstellers zu berücksichtigen.

Der Antragsteller hat am 3. März 2021 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist – 5 A I. /21 –, und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er hält die Ausweisung und die Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis für rechtswidrig, weil das durch seine Straftaten begründete Ausweisungsinteresse der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ausnahmsweise nicht entgegenstehe. Die Straftaten lägen mehr als fünf Jahre zurück und könnten schon deshalb nicht mehr herangezogen werden. Er habe die Taten außerdem aus einer eigenen Abhängigkeit heraus begangen, die er während des Maßregelvollzugs erfolgreich bewältigt habe. Er habe sich mit seinen Taten auseinandergesetzt und erfolgreich an seiner Person gearbeitet. Die Therapie habe er freiwillig angestrebt und mit dem Ziel der Resozialisierung absolviert. Die Antragsgegnerin gehe deshalb zu Unrecht von einer fortbestehenden Wiederholungsgefahr betäubungsmittelbezogener Straftaten aus und verkenne die grundrechtlichen Schutzwirkungen seiner Eltern-Kind-Beziehung. Auch das Europäische Niederlassungsabkommen stehe der Aufenthaltsbeendigung entgegen. Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung sei unverhältnismäßig.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 3. März 2021 gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis anzuordnen.

Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt.

Nach den Angaben der Bewährungshilfe hat der Antragsteller seit der Entlassung aus dem Maßregelvollzug keine Arbeitsstelle gefunden und Leistungen nach dem SGB II bezogen. Diese Leistungen seien eingestellt, seit er ausgewiesen worden sei. Die Familie lebe vom Einkommen der Ehefrau.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

1. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat keinen Erfolg. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nur teilweise statthaft und im Übrigen unbegründet.

a. Soweit der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Ausweisung betrifft, ist er nicht statthaft, weil der erhobenen Anfechtungsklage bereits kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung zukommt. Der Suspensiveffekt ist weder gesetzlich ausgeschlossen noch hat die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung angeordnet.

Hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist hier der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Eine Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis hat gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung.

Die vorläufige Sicherung des Aufenthaltsrechts während eines anhängigen Verwaltungs- und auch Gerichtsverfahrens um die Verlängerung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels erfolgt in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, wenn der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Titels zum Entstehen einer Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG geführt hat und diese Wirkung durch die Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag wieder erloschen ist (VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 16.2.2021 – 11 S 3852/20 –, juris Rn. 6 und vom 7.7.2020 – 11 S 2426/19 –, juris Rn. 13).

Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller rechtzeitig die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragt, sodass ihm die Fiktionswirkung seines Antrags gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zutreffend bescheinigt worden ist. Diese Fiktionswirkung wurde mit der nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sofort vollziehbaren Ablehnung des Verlängerungsantrages beendet und damit die Ausreisepflicht nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar. In einer solchen Fallkonstellation ist die Suspendierung des Bescheides mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu bewirken. Durch die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung lebt zwar die Erlaubnisfiktion nicht wieder auf, sie lässt jedoch die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht entfallen.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung entfällt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 64 Abs. 4 NPOG. Auch insoweit ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft und zulässig.

Nach dem Vorbringen des Antragstellers besteht kein Anlass für die Annahme, dass er darüber hinaus auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbote beantragt.

b. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 AufenthG ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht kann die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen, wenn das Interesse des betroffenen Ausländers oder der betroffenen Ausländerin, von einem Vollzug der Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit überwiegt. Bei der Interessenabwägung kommt der Erfolgsaussicht der Klage im Hauptsacheverfahren maßgebliche Bedeutung zu. Gemessen hieran überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse, weil sich die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig erweisen.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder – wie hier – Entscheidung des Tatsachengerichts (BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 – BVerwG 1 C 21.18 –, juris Rn. 11; BVerwG, Urteil vom 22.2.2017 – BVerwG 1 C 3.16 –, juris Rn. 18; Urteil vom 10.7.2012 – BVerwG 1 C 19.11 –, juris Rn. 12).

aa. Die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, weil dem Anspruch des Antragstellers zwar nicht die Ablehnung seines Asylgesuchs als offensichtlich unbegründet, aber der absolute Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG entgegensteht.

Die vor der Ausreise geltende strikte Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG in Fällen, in denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 Abs. 3 AsylVfG a. F. abgelehnt hat, ist erst mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 eingeführt worden. Sie erfasst nicht die Fälle, in denen – wie im Fall des Antragstellers – die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 AsylVfG a. F. bereits vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes im Januar 2005 bestandskräftig geworden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2010 - 1 C 13/09 -, juris).

Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG darf einem Ausländer jedoch kein Aufenthaltstitel erteilt werden, wenn ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen worden ist. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlassen, wenn ein Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist. Der die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis hindernde Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist demnach ermessensgebundene Folge der Ausweisung. Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist hier mithin die Rechtmäßigkeit der Ausweisung und dem Grunde nach auch des Einreise- und Aufenthaltsverbots inzident zu prüfen (Nds. OVG, Beschluss vom 23.2.2021 – 8 ME 156/20 -, V. n. b.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.1.2020 – 11 S 3477/19 –, juris Rn. 30 ff.; ggf. a. A. für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige: Nds. OVG, Beschl. vom 28.1.2021 – 13 ME 355/20 –, juris Rn. 38 ff.). Ob die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG) rechtmäßig ist, ist hinsichtlich der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht dagegen regelmäßig unerheblich (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.1.2020 – 11 S 3477/19 –, juris Rn. 34).

bb. Die Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nach der gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig, sodass eine Durchbrechung der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht geboten ist (vgl. hierzu VG Saarland, Beschluss vom 12.6.2019 – 6 L 663/19 –, juris Rn. 7; VG München, Beschluss vom 7.12.2017 – M 25 S 17.4284 –, juris Rn. 28).

(1) Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

Der Antragsteller genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 bis 4 AufenthG.

Das Verhalten des Antragstellers hat ein besonders schweres Ausweisungsinteresse begründet und gefährdet auch gegenwärtig noch die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Demgegenüber kann sich der Antragsteller zwar auf ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse berufen. Bei der Gegenüberstellung der Interessen an der Ausreise und den Bleibeinteressen überwiegt jedoch das öffentliche Ausweisungsinteresse.

(2) Der Antragsteller hat durch sein Verhalten ein besonders schweres Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1b. AufenthG begründet, weil er durch Urteil des LG F. vom TT. MMMM 2010 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und mit Urteil des LG E. vom TT. MMMM 2016 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden ist.

Von dem Antragsteller geht gegenwärtig aller Voraussicht nach eine beachtliche Gefahr der Begehung weiterer Straftaten aus diesem Bereich aus.

Die Gefährdung bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen (BVerwG, Urteil vom 22.2.2017 – BVerwG 1 C 3.16 –, BVerwGE 157, 325, juris Rn. 23). Für die Beurteilung, ob nach dem Verhalten des Ausländers damit zu rechnen ist, dass er erneut die öffentliche Sicherung und Ordnung gefährdet, bedarf es einer Prognose, bei der der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen und Art und Ausmaß möglicher Schäden zu ermitteln und zu einander in Bezug zu setzen sind. Die Prognose ist von den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten eigenständig zu treffen, ohne dass diese an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. Bei der Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr nach dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (Nds. OVG, Urteil vom 6.5.2020 – 13 LB 190/19 –, juris Rn. 38 m. w. N.). Für bestimmte Fallgruppen besonders schwerer und schädlicher Delikte sind an den Grad der Wiederholungsgefahr nur geringe Anforderungen zu stellen. Zu diesen Fallgruppen gehören neben schweren Gewalt- und Eigentumsdelikten vor allem auch schwere Betäubungsmitteldelikte, wie das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, vor allem mit harten Drogen (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 23.11.2020 – 2 B 314/20 –, juris Rn. 20; Urteil vom 14.8.2019 – 2 B 159/19 –, juris Rn. 11). Eine grenzenlose Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nach unten ist jedoch auch bei schwersten Schäden nicht zulässig. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Begründung eines spezialpräventiven Ausweisungsinteresses ist bei schwerwiegenden Gefahren bereits die „ernsthafte Möglichkeit“ einer Wiederholung (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 23.11.2020 – 1 B 314/20 –, juris Rn. 20 m. w. N.).

(b) Nach diesem Maßstab geht vom Antragsteller zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität und insbesondere des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln aus.

Der Antragsteller ist seit 2001 wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten, mehrfach empfindlich bestraft und bereits einmal ausgewiesen worden, ohne dass er dadurch von weiteren Taten abgesehen hätte. Auch die Geburt seiner Kinder in den Jahren 2005 und 2010 hatte nicht zur Folge, dass er sich seitdem straffrei gehalten hätte.

Seine Taten stehen fast vollständig in unmittelbarem Zusammenhang mit dem eigenen Konsum von Betäubungsmitteln, den der Antragsteller erst während des Maßregelvollzugs beendet hat. Auch während einer Vollzugslockerung zur Erprobung hat der Antragsteller einen Rückfall erlitten und ist nach Rückkehr in den Vollzug positiv auf Cannabis getestet worden. In dem psychiatrischen Gutachten, das der Entscheidung über die Strafrestaussetzung zugrunde liegt, sind als potentiell ungünstige Faktoren für die Resozialisierung des Antragstellers das ungeklärte Verhältnis zu einer Person, die von dem Antragsteller eine größere Geldsumme verlangen könnte, und die verletzungsbedingt eingeschränkte Erwerbsfähigkeit des Antragstellers erwähnt, die seiner wirtschaftlichen Integration und einem strukturierten Tagesablauf entgegenwirken könne.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts H. hat eine vorzeitige Entlassung des Antragstellers gleichwohl für vertretbar gehalten, weil sein Verhalten im Maßregelvollzug, die Erprobung von Vollzugslockerungen und eine erfolgreiche Therapie seiner Suchtmittelabhängigkeit hinreichende Gewähr dafür bieten würden, dass der Antragsteller künftig keine weiteren Straftaten begehen werde.

Eine Bindungswirkung oder eine widerlegliche Vermutung für das Fehlen einer Rückfallgefahr im Sinne einer Beweiserleichterung für die aufenthaltsrechtliche Prognose begründet diese Entscheidung zwar nicht (BVerwG, Urteil vom 16.11.2000 – BVerwG 9 C 6.00 –, BVerwGE 112, 185-194, juris Rn. 17; BVerwG, Urteil vom 2.9.2009 – BVerwG 1 C 2.09 –, juris Rn. 18). Die Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 Absatz 1 StGB sind jedoch von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausweisungsrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar. Der Entscheidung über die Strafaussetzung kommt dabei ein noch deutlich höheres Indiziengewicht zu als einer bloßen Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG. Denn anders als diese setzt die vorzeitige Entlassung eine Prüfung voraus, ob die Zurückstellung mit den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit vereinbar ist. Damit sind sowohl die Wahrscheinlichkeit eines Therapieerfolgs als auch die Wahrscheinlichkeit zukünftig straffreien Verhaltens Gegenstand der gerichtlichen Prognose (vgl. zu § 35 BtMGOVG Bremen, Beschluss vom 4.1.2021 – 2 B 300/20 –, juris Rn. 19).

Gleichwohl kann die aufenthaltsrechtliche Prognoseentscheidung von der Entscheidung über die Restaussetzung schon unter dem Gesichtspunkt abweichen, dass sie nach einem anderen zeitlichen Prognosehorizont zu treffen ist. Denn während es bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB vor allem unter dem Aspekt der Resozialisierung um die Frage geht, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann, geht es im ausländerrechtlichen Ausweisungsverfahren um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft des Staates der Staatsangehörigkeit des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zugrundeliegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat auch in den Blick zu nehmen, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen (BVerwG, Urteil vom 15.1.2013 – BVerwG 1 C 10.12 –, juris Rn. 19).

Ohnehin kann die Prognose auch durch das weitere Verhalten des Antragstellers und nachgehende Entscheidungen der Vollstreckungskammer nach der Strafrestaussetzung relativiert werden. Das ist hier der Fall, nachdem schon das Landgericht seine ursprüngliche Einschätzung, dass eine Kontrollweisung zur frühzeitigen Erkennung von Rückfällen genüge, revidiert hat und dem Antragsteller nunmehr die Weisung erteilt hat, keine alkoholischen Getränke oder andere berauschenden Mittel zu sich zu nehmen und sich mindestens einmal monatlich unregelmäßigen und unangekündigten Kontrollen auf den Konsum von Alkohol und illegalen Drogen zu unterziehen. Die Anbindung an die Institutsambulanz sei offenbar nicht ausreichend, um den Antragsteller zu einem drogenfreien Leben anzuhalten. Es sei nach wiederholten auffälligen Suchtmittelbefunden erforderlich, dem Antragsteller auch durch die Strafbewehrung der Abstinenzweisung vor Augen zu führen, dass seine Straffreiheit bei weiterem Drogenkonsum erheblich gefährdet werde.

Trotz dieser deutlichen Warnung ist es dem Antragsteller nicht gelungen, abstinent zu bleiben. Noch im Dezember 2020 waren seine Urinproben positiv auf Cannabis, was er gegenüber der Bewährungshilfe auf den täglichen Konsum vor dem 25. November 2020 zurückgeführt hat. Seit Oktober 2020 waren weitere Urinproben positiv auf Alkohol und Kokain (wobei zugunsten des Antragstellers zu berücksichtigen ist, dass in der Probe vom 18. März 2021 eine Körperpassage von Kokain nicht zweifelsfrei nachweisbar war, die Probe allerdings auf die Beanstandung des Antragstellers erneut untersucht und wiederum positiv auf Kokain getestet worden ist).

Auch die in der geschlossenen Unterbringung noch positiv wahrgenommene Therapiebereitschaft und -motivation hat der Antragsteller seit der Entlassung nicht mehr gezeigt. Bereits die Erklärung des Antragstellers, er habe zur Feier seiner Entlassung Cannabis konsumiert (und sich gegen Kokain entschieden) lässt an jeder intrinsischen Motivation des Antragstellers zweifeln, dauerhaft abstinent zu bleiben. Seitdem ist der Antragsteller allen Maßnahmen, die ihn zur Abstinenz anhalten sollten, entgegengetreten. Er hat die Erteilung einer Abstinenzweisung als angstauslösend bezeichnet – was seine eigene Erwartung zeigt, dass er die Weisung nicht würde einhalten können – und die weitere Anbindung an die forensische Institutsambulanz (wenngleich in Anführungszeichen) als ausreichende „Sanktion“ bezeichnet. Das eigentliche Ziel dieser Anbindung, Rückfälle frühzeitig zu erkennen, scheint er nicht als Hilfestellung wahrzunehmen, sondern als Bedrohung des bereits Erreichten.

Die positive Prognose, die ihm bei der Aussetzung der weiteren Vollstreckung des Strafrestes und der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt am TT. MMMM 2019 gestellt worden ist, hat der Antragsteller danach seit seiner Entlassung in keiner Hinsicht bestätigt. Soweit die Prognose darauf beruht, dass nach dem zugrundeliegenden psychiatrischen Fachgutachten eine Posttraumatische Belastungsstörung des Antragstellers infolge seiner Erlebnisse als Kindersoldat als wesentliche Ursache für seine Betäubungsmittelabhängigkeit erfolgreich therapiert worden sei, kann zwischenzeitlich nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller keinen weiteren Grund hat, erneut Betäubungsmittel zu konsumieren. Gegenüber der Bewährungshilfe und den Ärzten der Forensischen Institutsambulanz hat der Antragsteller als Grund für den Cannabiskonsum zunächst seine Entlassung aus dem Maßregelvollzug und später vielfache Belastungen angegeben, weil er keine Arbeit habe und sein Aufenthalt im Bundesgebiet in Frage stehe. Auch die chronisch schmerzhaften Langzeitfolgen einer Wirbelsäulenverletzung hat der Antragsteller als Anlass genannt, Cannabis zu konsumieren. Zugleich ist der Konsum schon nach den Angaben des Antragstellers von gelegentlicher, anlassbezogener Einnahme zu täglichem Konsum im November 2020 angestiegen. Die Bewährungshilfe hat zwischenzeitlich mitgeteilt, dass die in den Gesprächen geäußerten Abstinenzabsichten des Antragstellers nur kurzfristig seien, die behandelnden Ärzte haben den Eindruck festgehalten, dass der Antragsteller stetig neue Gründe für den Konsum von Cannabis (suche und) finde.

Gleichzeitig ist es dem Antragsteller seit der Entlassung aus dem Maßregelvollzug nicht gelungen, eine Arbeit zu finden, die seinen Tagesablauf strukturieren und seinen Lebensunterhalt decken könnte. Nachdem infolge der angefochtenen Verfügung der Antragsgegnerin auch die Leistungen nach dem SGB II eingestellt worden sind, ist nicht ersichtlich, wie der Antragsteller seinen andauernden Konsum von Cannabis ohne Beschaffungskriminalität finanzieren könnte.

Seit der Prognoseentscheidung des Landgerichts H. vom TT. MMMM

2019 sind nach alledem zwei wesentliche tragende Umstände der Prognose weggefallen, weil die Drogenabhängigkeit des Antragstellers augenscheinlich auf weiteren Ursachen basiert als zunächst angenommen und deshalb auch nicht alle Ursachen bewältigt worden sind, und der Antragsteller zugleich keine erkennbare Therapiemotivation mehr zeigt, während zugleich wesentliche stabilisierende Umstände wie die wirtschaftliche Integration nicht wie erhofft eingetreten sind. Der Antragsteller ist nach Einschätzung der Kammer dem Widerruf der Strafaussetzung näher als dem Erlass der Reststrafe.

Mit dem Rückfall in den Cannabiskonsum ist auch die Gefahr neuerlicher Straftaten manifest, weil der Antragsteller zum einen zum Erwerb von Cannabis den Kontakt in die örtliche Drogenszene wieder hergestellt haben muss und seitdem stetig aufrecht erhält und dadurch auch seine früheren Netzwerke wieder aktivieren kann. Zum anderen hat er einen erheblichen Anreiz für den Wiedereinstieg in den Drogenhandel, weil er mangels eigenen Einkommens keine andere erkennbare Möglichkeit hat, seine Sucht zu finanzieren. Insoweit geht die Kammer davon aus, dass das Einkommen seiner Ehefrau zum Unterhalt der Familie benötigt wird und nicht für Betäubungsmittel zur Verfügung steht.

Diesen prognostisch ungünstigen Umständen stehen als stabilisierende Faktoren die langjährige Ehe und die familiäre Lebensgemeinschaft gegenüber, die den Antragsteller allerdings schon in der Vergangenheit nicht davon abgehalten haben, erhebliche Straftaten zu begehen.

Neben dem spezialpräventiven Ausweisungsinteresse begründen die Straftaten des Antragstellers auch ein andauerndes generalpräventives Ausweisungsinteresse, das nach dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 AufenthG (wonach bereits eine Gefahr durch den „Aufenthalt“ des Ausländers ein Ausweisungsinteresse begründet) berücksichtigungsfähig ist und auch durch Zeitablauf nicht zurücktritt, weil die Tilgungsfristen des § 46 Bundeszentralregistergesetz (BZRG) noch nicht abgelaufen sind. Voraussetzung für die Berücksichtigung generalpräventiver Interessen ist, dass die Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Es muss von einer derartigen Straftat eine besonders hohe Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft ausgehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.2.2012 – BVerwG 1 C 7.11 –, juris Rn. 24). Das ist hier der Fall. Rauschgiftdelikte gehören zu den gefährlichen und schwer zu bekämpfenden Delikten, die ein Ausweisungsinteresse (auch) aus generalpräventiven Gründen grundsätzlich zu rechtfertigen vermögen (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 18.7.1979 – 1 BvR 650/77 –, BVerfGE 51, 386-401, Rn. 34; Nds. OVG, Urteil vom 22.4.2013 – 2 LB 365/12, juris Rn. 40). Sie gehören zudem zum Bereich der besonders schwerwiegenden Kriminalität nach Art. 83 Abs.1 AEUV. Die Straftat des Antragstellers wog aufgrund der Menge der geschmuggelten Betäubungsmittel und ihrer durchorganisierten und grenzüberschreitenden Begehungsweise auch im Einzelfall besonders schwer, was auch das Strafmaß abbildet.

(4) Bei der Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse des Antragstellers überwiegt das erhebliche, kombiniert spezial-generalpräventive Ausweisungsinteresse die erheblichen Bleibeinteressen des Antragstellers.

Zugunsten des Ausweisungsinteresses spricht im Wesentlichen die wiederholte Straffälligkeit im Bereich der Betäubungsmitteldelikte. Die von § 54 Abs. 1 Nr. 1b AufenthG typisierten Straftaten qualifizieren das öffentliche Ausweisungsinteresse als besonders schwerwiegend. Drogenhandel gehört zu den besonders gefährlichen und schwer zu bekämpfenden Delikten. Auch unter Berücksichtigung der konkreten Tatumstände ist durch das Verhalten des Antragstellers ein grundlegendes gesellschaftliches Interesse beeinträchtigt (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 11.7.2018 – 13 LB 44/17 –, Rn. 70), denn der Antragsteller hat seine Taten im großen Stil und mit hohem Organisations- und Planungsaufwand begangen. Er hat dazu zwei Garagen angemietet und bei der illegalen Einfuhr von Betäubungsmitteln mehrere Fahrzeuge verwendet, zwei Fahrer beschäftigt und dem Fahrer eines der Fahrzeuge 1.000 Euro versprochen. Für den erheblichen Umfang seiner kriminellen Betätigung spricht dabei auch, dass in einem abgemeldeten Fahrzeug in einer von ihm angemieteten Garage insgesamt 290.055 Euro Bargeld aufgefunden worden sind, deren Herkunft der Antragsteller mit legalen Einkünften nicht erklären kann. Mit der eingeführten Menge von mehr als 10kg Marihuana hätte er im Erfolgsfall erhebliche Schäden an der Gesundheit der Konsumenten bewirkt. Das Ausweisungsinteresse geht deshalb mit vollem Gewicht in die Abwägung ein und wiegt im Einzelfall sogar noch schwerer, weil der Antragsteller den Handel mit Betäubungsmitteln weit über das zur Finanzierung der eigenen Abhängigkeit erforderliche Maß hinaus zur Verbesserung des eigenen Lebensstils und unter dem Eindruck einer bereits erfolgten Verurteilung und daraus resultierenden Ausweisung begangen hat.

Diesem Ausweisungsinteresse steht ein gem. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG besonders schweres Bleibeinteresse gegenüber, weil der Antragsteller mit einer Deutschen verheiratet ist und gemeinsam mit ihr die elterliche Sorge für die gemeinsamen, 2005 und 2010 geborenen Kinder wahrnimmt, die ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Diese bestehende familiäre Beziehung würde durch die Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet absehbar schwer und dauerhaft beeinträchtigt. Sie kann auch nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden, weil die Ehegattin des Klägers und die gemeinsamen Kinder deutsche Staatsangehörige sind und ihnen nicht zumutbar ist, zur Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft das Bundesgebiet zu verlassen. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann.

Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese Beziehung ein ausnahmsweise geringer wertiges Gericht hätte. Das familiäre Umfeld des Antragstellers ist nach Mitteilung der Bewährungshilfe auch weiterhin stabil. Bereits in der gutachterlichen Stellungnahme zur weiteren Unterbringung vom 9. März 2018 wird dem Antragsteller bescheinigt, dass er hochgradig sozial integriert sei. Er sei auch während der Unterbringung von seiner Familie und seinen Schwiegereltern und seiner Schwägerin besucht worden. Die Ehefrau und die Tochter des Antragstellers beschreiben ihn als hilfsbereit, verlässlich und wichtige Unterstützung gerade bei der Bewältigung des familiären Haushalts und des Distanzunterrichts während der COVID-19-Pandemie. Das familiäre Verhältnis sei intakt und eng, der Antragsteller sei offen für die Sorgen und Probleme der Kinder und eng mit ihnen verbunden. Es ist auch nicht grundsätzlich weniger schützenswert, weil sich der Antragsteller bis Mai 2019 über mehrere Jahre in Strafhaft und geschlossener Unterbringung in einer Entziehungsanstalt befunden hat und die persönlichen Kontakte zwischen ihm und seiner Familie dementsprechend eingeschränkt waren. Maßgeblich für die Abwägung der Wirkungen der Ausweisung auf die familiären Bindungen sind die künftig zu erwartenden Folgen einer Aufenthaltsbeendigung. Frühere Beschränkungen der Beziehung durch die Strafhaft heben den Schutz der familiären Lebensgemeinschaft nicht per se auf. Der Antragsteller hält sich zudem seit 1996 und damit deutlich mehr als die Hälfte seines Lebens in der Bundesrepublik auf.

Bei der Abwägung zwischen den gegenläufigen Interessen sind gem. § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Besteht dabei eine durch Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind und kann diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.12.2005 – 2 BvR 1001/14, juris Rn. 19). Die Folgen einer vorübergehenden Trennung haben insbesondere dann hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann. Die Aufenthaltsbeendigung greift zugleich in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK ein. Der Begriff des „Privatlebens” i. S. v. Art. 8 EMRK umfasst die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen ansässigen Zuwanderern und der Gesellschaft, in der sie leben (EGMR, Urt. v. 18.10.2006 - 46410/99, Üner./. NL, juris Rn. 59; OVG Bremen, Beschluss vom 17.1.2019 - 1 B 333/18 -, juris Rn. 19). Darüber hinaus schützt Art. 8 EMRK mit dem Begriff des „Familienlebens“ die Beziehung von Eltern zu ihren Kindern und unter bestimmten Voraussetzungen auch von nichtehelichen Lebensgefährten zueinander (vgl. Meyer-Ladewig/ Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/ Nettesheim/ von Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 8 Rn. 54, 56 m. w. N.). Der Antragsteller lebt seit etwas mehr als zwanzig Jahren in Deutschland. Er unterhält soziale Kontakte zumindest zu seiner Familie. Schon damit führt er in Deutschland ein von Art. 8 EMRK geschütztes Privat- und Familienleben.

Eine Aufenthaltsbeendigung für einen Elternteil aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist jedoch nicht generell und unter allen Umständen ausgeschlossen. Dem Kindeswohl kommt weder nach Europäischen Grund- und Menschenrechten noch nach Verfassungsrecht ein unbedingter Vorrang vor den entgegenstehenden Interessen zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.07.2015 - 1 B 26/15, juris Rn. 5 m. w. N.). Insbesondere dann, wenn die Geburt eines Kindes nicht eine "Zäsur" in der Lebensführung des betroffenen Ausländers darstellt, die in Anbetracht aller Umstände erwarten lässt, dass er bei legalisiertem Aufenthalt keine Straftaten mehr begehen wird, kommt ein Vorrang der gegen einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet sprechenden Gründe in Betracht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 ⁠–⁠, juris Rn. 23).

Angesichts dessen überwiegt hier das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung auch das Interesse des Antragstellers und seiner Kinder an seinem Verbleib im Bundesgebiet. Die Ausweisung verletzt insbesondere nicht sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK und sein Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1, 2 GG. Die Ausweisung des Antragstellers ist von der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK gedeckt. Sie dient dem Ziel der Verhütung von Straftaten und ist in einer demokratischen Gesellschaft notwendig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK, weil sie verhältnismäßig ist. Sie verletzt ferner nicht die aus Art. 6 Abs. 1, 2 GG folgenden aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen.

Das öffentliche Ausweisungsinteresse überwiegt das schützenswerte Interesse der Familie des Antragstellers, weil er schwerwiegende Straftaten begangen hat, die das gesellschaftliche Interesse in besonderer Weise beeinträchtigen, und zu erwarten ist, dass er solche Taten ungeachtet seiner familiären Bindungen weiterhin begeht. Er hat sowohl nach der Geburt seines Sohnes 2005 als auch nach der Geburt seiner Tochter 2010 erneut Straftaten begangen, obwohl er bereits 2001 zu einer Haftstrafe verurteilt worden und 2002 bestandskräftig ausgewiesen worden war und ihm daher klar sein musste, dass er mit weiteren Taten nicht nur seinen Aufenthalt im Bundesgebiet, sondern auch den Fortbestand der familiären Lebensgemeinschaft gefährdet. Er hat die Taten auch nicht allein zur Finanzierung seines eigenen Suchtmittelkonsums, sondern wenigstens auch aus einem Gewinnerzielungsinteresse heraus begangen und in großem Stil mit Cannabis und Kokain gehandelt, was die Sicherstellung von 295.000 Euro Bargeld und mehr als 10kg Marihuana bei seiner Festnahme im Jahr 2016 zeigen.

Auch soweit die Taten des Antragstellers mit seiner eigenen Rauschmittelsucht in Zusammenhang standen, ist weiterhin von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Der Antragsteller hat zwar während des Maßregelvollzugs eine Therapie absolviert, die mit Ausnahme eines Rückfalls als erfolgreich bewertet wurde; dieser Therapieerfolg war angesichts des weiteren Verhaltens des Antragstellers seit seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug nicht von Dauer. Der Antragsteller hat buchstäblich mit seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug den Konsum weicher Drogen wieder aufgenommen, konsumiert auch nach Verschärfung der Weisungen der Führungsaufsicht weiterhin beharrlich Cannabis und gefährdet den Zweck der Maßregel erheblich. Während der Führungsaufsicht hat er zwar stetig angekündigt, künftig abstinent zu leben, zugleich aber vehement alle Maßnahmen der Führungsaufsicht abgelehnt, die ihn bei dieser Absicht tatsächlich hätten unterstützen können. Das zeigt etwa sein Vorschlag, ihm anstelle der in Aussicht genommenen Abstinenzweisung nur die Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe aufzugeben, die er auch ohne eine solche Weisung in Anspruch nehmen könnte, wenn er ein ernsthaftes Interesse daran hätte. Auch die Anbindung an die Institutsambulanz bezeichnet er – wenn auch in Anführungszeichen als „Sanktion“ und nicht als Unterstützung dabei, die Aussetzung der Reststrafe aufrecht zu erhalten. Die frühere Einschätzung während der Unterbringung, dass er therapiewillig und therapiemotiviert sei, spiegelt sich in seinem Verhalten nicht mehr wieder. Er nimmt weder aus eigenem Antrieb Hilfsangebote an, noch wirkt er an verschärften Maßregeln, die letztlich auch seiner Unterstützung dienen sollen, mit. Mit seinem ganzen Verhalten während der Führungsaufsicht erweckt der Antragsteller vielmehr den Eindruck, dass er die Führungsaufsicht nur möglichst unbeschadet überstehen will, um nach deren Ende seinen bisherigen Lebenswandel wieder fortzusetzen. Das zeigt bereits seine Einlassung, dass er die Entlassung aus dem Maßregelvollzug mit dem Konsum von Cannabis „gefeiert“ habe. Er gefährdet damit zum einen den Erfolg der Maßregel und riskiert auch unter diesem Aspekt die erneute dauerhafte Trennung von seiner Familie; diese hat sich, ungeachtet seiner eigenen Beiträge zur familiären Lebensgemeinschaft, nicht wie erhofft als so stabilisierender Faktor erwiesen, dass der Antragsteller wenigstens um ihrer Willen von weiterem Betäubungsmittelkonsum Abstand nehmen könnte.

Der Antragsteller ist außerdem nicht wirtschaftlich integriert und bezog seit der Entlassung aus dem Maßregelvollzug Leistungen nach dem SGB II. Nachhaltige Bemühungen um eine Arbeitsstelle, deren Umfeld und geregelte Abläufe seinen Alltag ordnen und stabilisieren könnten, hat er nicht dargelegt. Infolge seiner Wirbelsäulenverletzung und keiner erkennbaren beruflichen Qualifikation sind sie auch nur begrenzt Erfolg versprechend. Dass der Antragsteller ohne eigene Einkünfte (nachdem die Leistungen nach dem SGB II infolge der Ausweisung eingestellt worden sind) weiterhin regelmäßig Cannabis konsumiert, begründet ein manifestes Risiko, dass er erneut Straftaten im Bereich des Betäubungsmittelhandels begeht, zumal er über den Erwerb von Cannabis zum Zweck des Eigenverbrauchs stetigen Kontakt zur Drogenszene aufrechterhält. Angesichts des Umfangs und Organisationsgrades der im Jahr 2016 abgeurteilten Taten muss die Kammer auch davon ausgehen, dass der Antragsteller vor seiner Verhaftung über ein Netzwerk innerhalb der Drogen(handel)szene verfügte und mit der Rückkehr in sein früheres Wohnumfeld auch an diese Kontakte nahtlos anknüpfen oder ähnliche Kontakte kurzfristig wieder aufbauen kann und wird. Er ist im Übrigen auch an seinen früheren Wohnorten mit dem Handel mit Betäubungsmitteln in Erscheinung getreten.

Von dieser pessimistischen Prognose bleiben indes das tatsächliche Verhalten des Antragstellers innerhalb seiner Familie und das Verhältnis zu seinen Kindern zunächst unberührt. Der andauernde Drogenkonsum des Antragstellers und sein Rückfall während des Vollzugs waren nach Verlaufsberichten im Maßregelvollzug Gegenstand von Auseinandersetzungen innerhalb der Ehe und die Ehefrau des Antragstellers hat danach erklärt, dass sie bei einem neuerlichen Rückfall eine Trennung in Erwägung ziehe. Die jüngsten Äußerungen der Ehefrau des Antragstellers und seiner Tochter erwähnen die Rückfälle des Antragstellers nicht, was dahingehend keine weitere Beurteilung durch die Kammer im Verfahren um vorläufigen Rechtsschutz zulässt. Die Kammer legt der Abwägung insoweit ein intaktes familiäres Verhältnis zugrunde, in dem sich der Antragsteller wie beschrieben hilfsbereit und zuverlässig einbringt und ein enges und vertrauensvolles Näheverhältnis zu seinen Kindern pflegt.

Auch angesichts dessen beansprucht hier die Beendigung des Aufenthalts Vorrang vor dem familiären Interesse und insbesondere den Interessen der Kinder. Die Kinder sind zum einen nicht mehr im Kleinkindalter, wo sie die Trennung von ihrem Vater nicht verstehen und als unwiederbringlich empfinden. Sie sind vielmehr damit aufgewachsen, ihren Vater über längere Zeit nur besuchsweise im Maßregelvollzug zu sehen. Davon wird der neuerliche Verlust nicht geringer, er müsste den Kindern aber vermittelbar sein. Die Ehefrau des Antragstellers hat ihn bereits in Kenntnis der bestandskräftigen Ausweisung geheiratet und weiß um die unsichere Bleibeperspektive des Antragstellers. Ausschlaggebend für die Abwägung ist letztlich, dass der Antragsteller mit der Unterbringung im Maßregelvollzug, der Therapie mit schrittweise gewährten Lockerungen, der zunächst auf regelmäßige Kontrollen beschränkten Weisung und der verlängerten Anbindung an die forensische Institutsambulanz zahllose Unterstützungsangebote erhalten hat, die ihm dabei hätten helfen können, den Kontakt zu seiner Familie dauerhaft herzustellen und zu sichern. Tatsächlich muss er den Widerruf der Strafaussetzung und die erneute Trennung von seiner Familie befürchten. Nach der im geschlossenen Vollzug erfolgreichen Therapie kann auch nicht zugunsten des Antragstellers angenommen werden, dass er schlechthin außerstande wäre, diese Hilfestellungen anzunehmen. Schon nach den eigenen Abwägungen und Entscheidungen des Antragstellers tritt das Wohl seiner Familie regelmäßig hinter dem Drogenkonsum und -handel zurück; dieses Abwägungsdefizit kann und muss die Gesellschaft nicht dadurch ausgleichen, dass dem Antragsteller der Verbleib im Bundesgebiet durchgehend gestattet wird. Eine andere Abwägung wäre jedenfalls für Dauer des Hauptsacheverfahrens allenfalls geboten, wenn und solange der Antragsteller erneut im Maßregelvollzug oder anderweitig geschlossen untergebracht würde.

Dem familiären Interesse lässt sich dadurch hinreichend Rechnung tragen, dass die Wirkungen der Ausweisung befristet werden. Ob die hier gewählte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG) rechtmäßig ist, ist hinsichtlich der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht jedoch regelmäßig und auch hier unerheblich und daher im Verfahren um vorläufigen Rechtsschutz nicht zu prüfen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.1.2020 – 11 S 3477/19 –, juris Rn. 34).

Auch auf eine Rechtsstellung als sogenannter „faktischer Inländer“ kann sich der Antragsteller in Anbetracht der gehäuften Straffälligkeit, der bereits einmal erfolgten Ausweisung sowie der nicht gelungenen wirtschaftlichen Integration des Antragstellers nicht berufen.

Auch Art. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (ENA) vom 12. Dezember 1955 steht der Ausweisung nicht entgegen, da diese Vorschrift eine Ausweisung ermöglicht, wenn die Betroffenen die Sicherheit des Staates gefährden oder gegen die öffentliche Ordnung verstoßen.

2. Die Abschiebungsandrohung ist voraussichtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie entspricht den gesetzlichen Anforderungen der §§ 58, 59 AufenthG. Mit Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

Die Antragsgegnerin hat zunächst eine angemessene Frist für die freiwillige Ausreise von 30 Tagen gesetzt, die die längste in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorgesehene Frist ist und die familiären Interessen des Antragstellers weitestmöglich wahrt.

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nicht begründet. Prozesskostenhilfe erhält gemäß §§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hier fehlt es nach den vorstehenden Ausführungen an hinreichenden Erfolgsaussichten.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 1.5 i. V. m. Nr. 8.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11). Die Kammer sieht von einer Reduzierung des Streitwerts im Eilverfahren ab, weil mit der Entscheidung über die begehrte Aufenthaltssicherung angesichts der drohenden Beeinträchtigung der familiären Bindungen des Antragstellers die Hauptsache im Wesentlichen vorweggenommen wird.