Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 22.07.2021, Az.: 12 B 6051/20

Familiennachzug; humanitäre Gründe; Umgehung; Visumsverfahren

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
22.07.2021
Aktenzeichen
12 B 6051/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70896
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

In § 25b Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist das Tatbestandsmerkmal des Lebens in einer familiären Lebensgemeinschaft aus systematischen Gründen dahingehend einschränkend auszulegen, dass es nicht zu bejahen ist, wenn in Nachzugskonstellationen durch Umgehung des Visumsverfahrens eine familiäre Lebensgemeinschaft hergestellt wurde.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin - 12 A 6050/20 - gegen das im Bescheid vom 10.11.2020 unter III. angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot wird angeordnet.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahren tragen die Antragstellerin zu 7/8 und die Antragsgegnerin zu 1/8.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage - 12 A 6050/20 - gegen den Bescheid vom 10.11.2020 anzuordnen,

hilfsweise, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die Abschiebung der Antragstellerin bis zur Entscheidung des Gerichts über die Klage gegen den Bescheid vom 10.11.2020 vorübergehend auszusetzen,

ist mit dem Hauptantrag teilweise zulässig und insoweit wiederum teilweise begründet. Der Hilfsantrag hat keinen Erfolg.

I. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist nur teilweise zulässig.

1. Soweit die Antragstellerin sich mit ihrer Klage gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis richtet, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung unstatthaft. Die Statthaftigkeit eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO setzt voraus, dass die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Beendigung einer gesetzlichen Erlaubnis- oder Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) oder einer Fiktion des Fortbestandes des bisherigen Aufenthaltstitels nach § 81 Abs. 4 AufenthG bewirkt hat. Denn nur dann kann eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht entfallen lassen. Im Falle der Antragstellerin ist keine Fiktionswirkung eingetreten. Zwar gilt gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Aufenthalt eines Ausländers, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als erlaubt. Die Antragstellerin befand sich zum Zeitpunkt der Antragstellung aber nicht rechtmäßig im Bundesgebiet. Sie bedurfte gemäß § 4 Abs. 1 AufenthG eines Aufenthaltstitels. Die Befreiung nordmazedonischer Staatsangehöriger wie der Antragstellerin von der Visumspflicht nach § 15 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) i.V.m. Art. 4 Abs. 1 und Anhang II der EU-Verordnung 2018/1806 (Visa-VO 2018) betrifft nur Kurzaufenthalte, die 90 Tage innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen nicht überschreiten. Für längerfristige Aufenthalte müssen auch sie gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ein nationales Visum einholen. Der Aufenthalt der Antragstellerin war nach den Umständen des Einzelfalles von Anfang an auf einen langfristigen Verbleib im Bundesgebiet aus familiären Gründen gerichtet. Sie hatte am 25.07.2020 in Nordmazedonien die Ehe mit dem bereits seit 2013 in Deutschland lebenenden nordmazendonischen Staatsangehörigen C. geschlossen. Nach eigenen Angaben reiste sie ungefähr zweieinhalb Wochen später, nämlich am 10.08.2020, in die Bundesrepublik ein und meldete am gleichen Tage unter der Anschrift ihres Ehemannes ihren Wohnsitz an. Am 02.10.2021 stellte ihr Prozessbevollmächtigter vorsorglich einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, nachdem die Antragsgegnerin die Antragstellerin aufgrund der Meldung angeschrieben hatte. Demnach reiste die Antragstellerin offenbar ein, um nach der Eheschließung dauerhaft mit ihrem Ehemann zusammenzuleben. Sofern sie erstmalig im gerichtlichen Verfahren vorgetragen hat, sie sei besuchsweise zu ihrem Mann gezogen und der Wille zum Daueraufenthalt sei aufgrund der Pandemie und der derzeitigen Widrigkeiten im Inland entstanden, wirkt dieses Vorbringen verfahrensangepasst. Es ist lebensfremd, für einen Kurzaufenthalt einen Wohnsitz bei der Meldebehörde anzumelden. Zudem wurde die Behauptung nicht weiter konkretisiert, etwa durch die Vorlage eines bereits gebuchten Rückreisetickets (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation Nds. OVG, Beschl. v. 12.07.2012 – 8 ME 94/12 –, juris Rn. 5 f.). Eine Ausnahme nach § 39 Satz 1 Nr. 3 AufenthV ist ebenfalls nicht gegeben. Danach können Staatsangehörige eines in Anhang II der Visa-VO 2018 aufgeführten Staates wie die Antragstellerin, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Zum einen befand die Antragstellerin sich – wie soeben ausgeführt – nicht rechtmäßig im Bundesgebiet. Zum anderen ist die maßgebliche Tatbestandsvoraussetzung für die begehrte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 4 AufenthG oder § 30 AufenthG, nämlich die Ehe mit dem Stammberechtigten, mit der Eheschließung im Juli 2020 bereits vor der Einreise entstanden.

Da somit keine Konstellation gegeben ist, in der Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO begehrt werden kann, ist der Hilfsantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 3, 1 VwGO statthaft.

2. Soweit die Klage sich gegen die Abschiebungsandrohung richtet, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hingegen statthaft, weil diese gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 64 Abs. 4 Satz 1 des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (NPOG) sofort vollziehbar ist.

3. Desgleichen ist der Suspensiveffekt der Klage gegen das unter der aufschiebenden Bedingung der Abschiebung angeordnete befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG ausgeschlossen. Nach der neuen gesetzlichen Konzeption handelt es sich bei der Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1, 2 AufenthG in der seit dem 21.08.2019 geltenden Fassung um einen einheitlichen Verwaltungsakt, der nicht zwischen der Anordnung des Verbots und dessen Befristung aufgespalten werden kann (vgl. Nds.OVG, Urt. v. 06.05.2020 - 13 LB 190/19 -, juris Ls. 2 u. Rn. 54 m.w.N.).

II. Soweit der Hauptantrag zulässig ist, hat er teilweise Erfolg.

Das Verwaltungsgericht kann die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen, wenn das Interesse des betroffenen Ausländers, von einem Vollzug der Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit überwiegt. Bei dieser Interessenabwägung kommt der Erfolgsaussicht der Klage im Hauptsacheverfahren maßgebliche Bedeutung zu. Hier wird sich die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 10.11.2020 nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich als rechtmäßig erweisen (nachfolgend unter 1.). In Bezug auf das befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot wird die Klage hingegen wahrscheinlich Erfolg haben, sodass die aufschiebende Wirkung insoweit angeordnet wird (nachfolgend unter 2.).

1. Die Abschiebungsandrohung entspricht den gesetzlichen Anforderungen aus §§ 58, 59 AufenthG. Die Antragstellerin war und ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, da sie die erforderliche Aufenthaltserlaubnis nicht besitzt. Die Ausreiseaufforderung richtet sich zwar dem Wortlaut nach an den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin. Insoweit ist aber offenkundig, dass entgegen der irrtümlichen Bezeichnung die Antragstellerin angesprochen werden sollte. Tatsächlich hat sie den Fehler auch nicht moniert, möglicherweise nicht einmal wahrgenommen. Die bis zum 20.11.2020 bemessene Ausreisefrist geht knapp über das Mindestmaß von sieben Tagen hinaus, ist aber angesichts des erst kurzen Aufenthalts der Antragstellerin im Bundesgebiet noch angemessen, um eine geordnete Ausreise zu ermöglichen.

2. Die bedingte Anordnung eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Fall der Abschiebung wird sich voraussichtlich als rechtswidrig erweisen. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristeten. § 11 Abs. 3 AufenthG sieht vor, dass nach Ermessen über die Länge der Frist zu entscheiden ist und dass sie außer in den Fällen der Absätze 5 und 5b fünf Jahre nicht überschreiten darf.

Eine Überprüfung der Ermessensentscheidung nach Maßgabe von § 114 Satz 1 VwGO ergibt, dass die Antragsgegnerin von ihrem Ermessen nicht ausreichend Gebrauch gemacht hat. Für die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots, das für den Fall der Abschiebung erlassen wird, gilt grundsätzlich derselbe Maßstab wie für ein ausweisungsbedingtes Einreise- und Abschiebungsverbot (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 14.02.2013 – 8 LC 129/12 –, juris Rn. 62). Demnach muss die Behörde bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist den Zweck des mit der Abschiebung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots in den Blick nehmen. Dieses soll den Ausländer treffen, weil er Anlass für Vollstreckungsmaßnahmen gegeben hat und die Besorgnis besteht, dass dies bei einem künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet erneut der Fall sein könnte. Insofern soll die Abschiebesperrfrist den abgeschobenen Ausländer zur Beachtung des deutschen Aufenthaltsrechts im Allgemeinen und der Ausreisepflichten im Besonderen anhalten, um erneuten Zwangsvollstreckungsbedarf zu verhindern (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 06.07.2020 - OVG 3 B 3/20 -, juris Rn. 25). In einem ersten Schritt bedarf es der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange dieser Zweck das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr tragen kann. In einem zweiten Schritt muss die so bestimmte Höchstfrist an höherrangigem Recht, das heißt an verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Grundgesetz (GG)), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gemessen und gegebenenfalls relativiert werden. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers einzustellen, sondern es bedarf unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange (vgl. zu diesem zweischrittigen Prüfprogramm im Fall der Ausweisung BVerwG, Urt. v. 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, juris Rn. 42; Urt. v. 22.02.2017 - 1 C 27/16 - juris Rn. 23; Nds. OVG, Urt. v. 14.02.2013 – 8 LC 129/12 –, juris Rn. 50 ff.).

Hier hat die Antragsgegnerin den Zweck des abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots zutreffend umrissen und im ersten Schritt eine Befristung auf die Dauer von drei Jahren für verhältnismäßig gehalten. Im zweiten Schritt hat sie dann jedoch festgehalten, es seien keine Umstände erkennbar, die zu einer kürzeren Befristungsdauer führen könnten. Dabei hat sie übersehen, dass der Ehemann der Klägerin im Bundesgebiet lebt und über eine bis März 2022 geltende Aufenthaltserlaubnis verfügt. Diese Gegebenheit hätte im Lichte von Art. 6 Abs. 1 GG zu einer Verkürzung der Sperrfrist führen müssen.

Da die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots als einheitlicher Verwaltungsakt anzusehen sind (s.o. unter I.3), wird aufgrund des voraussichtlichen Ermessensfehlers bei der Befristungsentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage gegen das auf drei Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot als Ganzes angeordnet.

III. Der Hilfsantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dazu muss der Antragsteller gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft machen, dass ihm der in der Hauptsache verfolgte Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und dass die begehrte Anordnung zur Sicherung seiner Rechtsverwirklichung erforderlich ist (Anordnungsgrund). Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Aussetzung ihrer Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht. Danach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf eine Verfahrensduldung zu (nachfolgend unter 1.), und ihre Abschiebung ist auch nicht aus anderen Gründen unmöglich (nachfolgend unter 2.).

1. Für die Dauer eines Erteilungsverfahrens für eine Aufenthaltserlaubnis kann ausnahmsweise durch eine einstweilige Anordnung gemäß § 123 VwGO eine Aussetzung der Abschiebung erwirkt werden, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommt. Derartige ausländerrechtliche Regelungen sind solche, die implizieren, dass der angestrebte aufenthaltsrechtliche Status auch vom Inland aus verfolgt werden kann. In diesem Fall ist zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) eine Ausnahme von dem Grundsatz zu machen, wonach die Erteilung einer Duldung für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens aus gesetzessystematischen Gründen ausscheidet, wenn ein vorläufiges Bleiberecht nach § 81 AufenthG nicht eingetreten ist (Nds. OVG, Beschl. v. 02.08.2018 – 8 ME 42/18 –, juris Rn. 28; Beschl. v. 20.01.2021 – 8 ME 136/20 -, juris Rn. 5 m.w.N.; auf die Fälle beschränkt, in denen eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens aufrecht zu erhalten: Nds. OVG, Bschl. v. 25.04.2019 – 13 ME 86/19 –, juris Rn. 4 m.w.N.). Ob die angestrebte Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 4 AufenthG nur vom Inland aus eingeholt werden kann und für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von der Nachholung des Visumsverfahrens abgesehen werden könnte, kann offenbleiben. Denn für beide Aufenthaltstitel sind die Voraussetzungen nicht erfüllt (nachfolgend unter a) und b)).

a) Gemäß § 25b Abs. 4 Satz 1 AufenthG soll dem Ehegatten, der mit einem Begünstigten nach Absatz 1 in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, unter bestimmten weiteren Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Zwar ist der Ehemann der Antragstellerin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG und sie lebt mit ihm in familiärer Gemeinschaft. Das Tatbestandsmerkmal des Lebens in einer familiären Lebensgemeinschaft ist jedoch aus systematischen Gründen dahingehend einschränkend auszulegen, dass es nicht zu bejahen ist, wenn in Nachzugskonstellationen durch Umgehung des Visumsverfahrens eine familiäre Lebensgemeinschaft hergestellt wurde. Alternativ kann auch angenommen werden, dass dann ein atypischer Fall vorliegt, in dem die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt werden „soll“. Die gesetzliche Konzeption sieht vor, dass für den Nachzug zu in Deutschland lebenden Familienangehörigen vom Ausland aus gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ein Visum einzuholen ist. Wenn dieses Visumsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wird, ist der Anwendungsbereich von § 25b Abs. 4 AufenthG nicht eröffnet, weil die familiäre Lebensgemeinschaft eben noch nicht besteht, sondern erst hergestellt werden soll. Für den Familiennachzug hat der Gesetzgeber in §§ 27 ff. AufenthG umfangreiche Regelungen geschaffen. Für den Nachzug zu Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b hat er in § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG insbesondere normiert, dass eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nur aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland erteilt werden darf. Diese Regelung würde leerlaufen, wenn durch eine illegale Einreise eine familiäre Lebensgemeinschaft im Sinne von § 25b Abs. 4 AufenthG geschaffen werden könnte. Da die Antragstellerin ohne das erforderliche Visum eingereist ist und nur deshalb bereits jetzt im Bundesgebiet mit ihrem Ehemann zusammenlebt, kann sie sich nicht auf § 25b Abs. 4 AufenthG berufen.

b) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach §§ 30 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist ausgeschlossen, weil keine humanitären Gründe im Sinne von § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vorliegen. Die restriktive Regelung des § 29 Abs. 3 AufenthG wurde damit begründet, dass ein genereller Anspruch auf Familiennachzug zu aus humanitären Gründen aufgenommenen Ausländern die Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland zur humanitären Aufnahme unvertretbar festlegen und einschränken würde. Nicht familiäre Bindungen allein, sondern alle Umstände, die eine humanitäre Dringlichkeit begründen, seien für die Entscheidung maßgeblich, ob und wann welche Ausländer aus humanitären Gründen aufgenommen und ihnen der Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt werden solle. Ein dringender humanitärer Grund liege insbesondere vor, wenn die Familieneinheit auf absehbare Zeit nur im Bundesgebiet hergestellt werden könne (Bundestags-Drucksache 15/420, S. 81; zum letzteren auch Hessischer VGH, Beschl. v. 05.06.2012 – 3 B 823/12 –, juris Rn. 8). Demnach kann der Schutz von Ehe und Familie nur berücksichtigt werden, wenn er selbst eine humanitäre Dimension erreicht (Zeitler in HTK-AuslR, Stand 04.06.2017, zu § 29 Abs. 3 Rn. 9 f.; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020; § 29 Rn. 36; Tewocht in BeckOK Ausländerrecht, 29. Edition, Stand 01.01.2021, § 29 Rn. 9). Dies ist bei der Antragstellerin nicht der Fall. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb die erst kürzlich geschlossene Ehe nicht im gemeinsamen Herkunftsland der Antragstellerin und ihres Ehemannes geführt werden kann. Die Asylanträge beider Eheleute wurden bestandskräftig als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Der Ehemann der Klägerin wurde zwar über einen längeren Zeitraum im Bundesgebiet geduldet und erhielt schließlich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG. Die Aussetzung seiner Abschiebung beruhte aber zunächst auf der Reiseunfähigkeit seiner später verstorbenen damaligen Ehefrau und danach auf einer Eingabe bei der Härtefallkommission. Nach dem Tod seiner Ehefrau im Februar 2017 und dem Abschluss des Härtefallverfahrens im Dezember 2020 bestehen keine Duldungsgründe mehr. Insbesondere stehen die Elternrechte und –pflichten des Ehemannes aus Art. 6 GG einer Aufenthaltsbeendigung nicht entgegen, weil sein mit ihm im Haushalt lebender Sohn mittlerweile volljährig ist. Er ist auch nicht als „faktischer Inländer“ im Sinne von Art. 8 EMRK zu betrachten, da er erst im Jahr 2013 im Alter von 41 Jahren in die Bundesrepublik eingereist ist und vorher in Nordmazedonien gelebt hat. Deshalb kann nicht angenommen werden, dass er so gravierend entwurzelt ist, dass er sich in seinem Herkunftsland nicht mehr reintegrieren könnte (vgl. zur rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise aus Art. 8 EMRK Nds. OVG, Beschl. v. 17.08.2020 - 8 ME 60/20 -, juris Rn. 65).

Darauf, ob die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind, kommt es nach alledem nicht an.

2. Die Abschiebung der Antragstellerin ist weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich. Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG gebieten es regelmäßig nicht, dem Wunsch eines Ausländers nach familiärem Zusammenleben im Bundesgebiet zu entsprechen, wenn ein solches Zusammenleben auch im Heimatland des Ausländers oder eines Familienangehörigen zumutbar möglich ist. Ob es dem Ausländer oder Familienangehörigen zuzumuten ist, das Bundesgebiet zu verlassen und die familiäre Lebensgemeinschaft in einem anderen Land zu führen, hängt dabei maßgeblich von dem aufenthaltsrechtlichen Status des Ausländers oder Familienangehörigen im Bundesgebiet ab (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 09.12.2019 – 8 ME 92/19 –, juris Rn. 8; Beschl. v. 19.09.2017 – 13 ME 192/17, V.n.b., jeweils m.w.N.). Wie bereits erörtert, ist ein gemeinsames Leben der Antragstellerin mit ihrem Ehemann in Nordmazedonien nicht ausgeschlossen. Es ist auch nicht unzumutbar, denn der Ehemann ist erst seit Dezember 2020 im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, sodass von einem verfestigten aufenthaltsrechtlichen Status nicht die Rede sein kann.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Gericht geht für die Kostenquote davon aus, dass die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots an dem Streitwert einen Anteil von einem Achtel hat (vgl. für den Fall einer Ausweisung mit Abschiebungsandrohung und befristetem Einreise- und Aufenthaltsverbot VG Hannover, Beschl. v. 30.06.2020 - 12 B 1649/20 –, juris Rn. 53).

IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 1.5 i.V.m. Nr. 8.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).