Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 23.10.2003, Az.: L 16 KR 13/01
18. Lebensjahr; Altersgrenze; Behandlungsplan; gesetzliche Krankenversicherung; Kieferanomalie; kieferchirurgische Behandlung; Kieferorthopädie; kieferorthopädische Behandlung; Krankenversicherung; LSG-Dokumentation; Retrogenie; Schweregrad
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 23.10.2003
- Aktenzeichen
- L 16 KR 13/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48591
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 12.03.2001 - AZ: S 7 KR 133/93
- nachfolgend
- BSG - 20.06.2005 - AZ: B 1 KR 20/04 B
Rechtsgrundlagen
- § 29 Abs 1 S 1 SGB 5
- § 28 Abs 2 S 2 SGB 5
- § 28 Abs 2 S 3 SGB 5
Tenor:
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 12. März 2001 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zur Erstattung der Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung des Klägers zu 1. in der Zeit von März 1993 bis September 1994 verpflichtet ist.
Der im Februar 1971 geborene Kläger zu 1. war im fraglichen Zeitraum über seinen Vater, den Kläger zu 2., bei der Beklagten familienversichert. Er litt an einer ausgeprägten mandibulären Retrognathie (Wachstumdefizit des Unterkiefers) mit zusätzlicher Retrogenie (Zurückweichen des Unterkiefers). Nachdem sich der Kläger zu 1. offenbar bereits in der Kindheit verschiedentlich kieferorthopädischen Behandlungen unterzogen hatte, suchte er am 29. Oktober 1991 die Klinik für Kiefer- und Gesichtschirurgie des Krankenhauses (ZKH) S-J-Strasse auf. Nach dem Bericht des Direktors dieser Klinik Prof. Dr. Dr. K vom 3. Januar 1993 ließen die Okklusionsstörungen (Störungen des Kontaktes zwischen Zähnen des Ober- und Unterkiefers) mit Zahnengstand damals den normalen Lippenschluss in Ruhe nicht zu, da die Oberkieferfrontzähne auf der Unterlippe ruhten. Die Zahnstellungsanomalie lasse die Entwicklung einer Parodontopathie mit vorzeitigem Zahnverlust erwarten. Prof. Dr. Dr. K empfahl dem Kläger zu 1. eine kombinierte kieferorthopädische/kieferchirurgische Behandlung. Dieselbe Empfehlung gab auch der vom Kläger zu 1. in etwa zeitgleich aufgesuchte Kieferchirurg Dr. Dr. S ab, der darüber hinaus im Oktober 1991 bei ihm zwei Weisheitszähne entfernte (vgl. Bericht vom 9. September 1993).
Im August 1992 suchte der Kläger zu 1. den Kieferorthopäden Dr. Dr. K zu einer diagnostischen Untersuchung sowie zu einer Beratung über Therapiemöglichkeiten auf (vgl. Stellungnahme vom 10. November 1999). Am 14. Juli 1993 reichte sodann der Kläger zu 2. bei der Beklagten den kieferorthopädischen Behandlungsplan des Dr. Dr. K vom 2. März 1993 einschließlich zwei Rechnungen über bis dahin erbrachte ärztliche Leistungen ein.
Mit Bescheid vom 23. August 1993 lehnte die Beklagte die Bezuschussung der kieferorthopädischen Behandlung ab. Zur Begründung führte sie aus, nach § 28 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) in der zum 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Fassung gehöre die kieferorthopädische Behandlung von Versicherten, die zu deren Beginn das 18. Lebensjahr vollendet hätten, nicht zur zahnärztlichen Behandlung. Dies gelte nicht für Versicherte mit schweren Kieferanomalien, die ein Ausmaß hätten, das kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erfordere. Indessen sei aus dem Behandlungsplan nicht zu ersehen, dass eine schwere Kieferanomalie vorliege.
Hiergegen legten die Kläger am 8. September 1993 Widerspruch ein, in dem sie geltend machten, bei dem Kläger zu 1. liege sehr wohl eine schwere Kieferanomalie vor.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme der Ärztin für Kieferorthopädie Frau Dr. Sch S vom 4. Oktober 1993 ein und wies sodann den Widerspruch der Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 1993 zurück. Ergänzend führte sie hierin aus, es lägen auch die Voraussetzungen der Übergangsregelung des Art. 33 § 5 des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) nicht vor, da ihre Entscheidung über den Behandlungsplan weder vor dem 5. November 1992 ergangen sei noch die Behandlung vor dem 1. Januar 1993 begonnen habe. Der Behandlungsplan sei erst wesentlich später, nämlich im März 1993, ausgestellt worden.
Mit ihrer am 20. Dezember 1993 erhobenen Klage haben die Kläger geltend gemacht, im vorliegenden Fall sei für die Kostenerstattung noch das alte Recht maßgebend, da der Kläger zu 1. bereits als Kind in den 70er Jahren bei den Kieferorthopäden Dr. W und Dr. B in B in Behandlung gestanden habe. Außerdem habe sich der Kläger zu 1. im August 1992 – und damit vor dem Stichtag – in die kieferorthopädische Behandlung des Dr. Dr. K begeben. Im Übrigen leide er ausweislich der Stellungnahme des Prof. Dr. Dr. K vom 3. Januar 1993 an einer schweren Kieferanomalie, die der kombinierten kieferorthopädisch-kieferchirurgischen Behandlung bedürfe. Von einer schweren Kieferanomalie sei nach der Begründung des Gesetzentwurfes zum GSG u. a. bei einer skelettalen Dysgnathie (Kieferfehlentwicklung) auszugehen, die auf der Grundlage eines einheitlichen Therapiekonzepts chirurgische Korrekturmaßnahmen in Form von Kieferosteotomien und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erforderten. Zu diesen skelettalen Dysgnathien zähle u. a. die Mikrogenie, die in der Kieferchirurgie auch Retrogenie genannt werde. Gerade hieran aber leide der Kläger zu 1. Prof. Dr. Dr. K habe ihm damals geraten, vor dem chirurgischen Eingriff zunächst eine kieferorthopädische Behandlung durchführen zu lassen. Die schwere Kieferanomalie des Klägers zu 1. sei nach Abschluss der kieferorthopädischen Vorbehandlung im September/Oktober 1995 in der Kiefer- und Gesichtschirurgie des ZKH S-J-Strasse operativ behoben worden.
Demgegenüber hat die Beklagte an ihrer bisherigen Auffassung festgehalten.
Das Sozialgericht (SG) Bremen hat eine Auskunft des Kieferorthopäden Dr. Dr. K vom 10. November 1999 eingeholt. Hierin hat dieser ausgeführt, die Behandlung des Klägers zu 1. in seiner Praxis habe sich auf eine kieferorthopädische Behandlung beschränkt. Von Seiten der Kieferchirurgie sei vorher eine kombinierte kieferchirurgische/-orthopädische Behandlung geplant gewesen. Im August 1992 habe sich der Kläger zu 1. zu einer diagnostischen Untersuchung und einer Beratung über Therapiemöglichkeiten in seiner Praxis befunden.
Mit Urteil vom 12. März 2001 hat das SG sodann die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, der Erstattungsanspruch bestehe nicht, da die kieferorthopädische Behandlung des Klägers zu 1. erst nach Vollendung seines 18. Lebensjahres begonnen worden sei. Der Behandlungsbeginn werde durch den Zeitpunkt der Aufstellung des kieferorthopädischen Behandlungsplans bestimmt. Der Kieferorthopäde Dr. Dr. K habe diesen am 2. März 1993 erstellt und später bestätigt, dass die Behandlung am 10. März 1993 begonnen habe. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger zu 1. 22 Jahre alt gewesen. Bei den von den Klägern zur Begründung eines früheren Behandlungsbeginns angeführten Konsultationen und Behandlungen bei Zahnärzten, Kieferorthopäden und Kieferchirurgen habe es sich allenfalls um vorbereitende Maßnahmen gehandelt. Zu diesem Zeitpunkt habe noch kein kieferorthopädisches Konzept bestanden. Ein Anspruch der Kläger ergebe sich auch nicht aus den Übergangsregelungen des GSG, da die Krankenkasse nicht bereits vor dem 5. November 1992 über den Anspruch schriftlich entschieden habe. Weiterhin erfülle der Kläger zu 1. auch nicht die Voraussetzungen, unter denen die kieferorthopädische Behandlung ausnahmsweise auch für über 18-jährige Versicherte übernommen werde. Er habe nicht an einer schweren Kieferanomalie gelitten, die ein Ausmaß gehabt habe, welches kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erforderte. Zwar habe Prof. Dr. Dr. K die bestehende Kieferanomalie durchaus als schwer eingestuft. Für die Auslegung des Begriffs "schwere Kieferanomalie" seien die Gesetzesmaterialien zum GSG und das gemeinsame Rundschreiben der Spitzenverbände vom 9. Dezember 1992 mit Anmerkungen zu § 28 SGB V heranzuziehen. Auch wenn die Aufzählung keine Normqualität besitze, könne sie aber als Auslegungsrichtschnur dienen. Die beim Kläger vorgelegene Retrogenie sei nicht in der Aufzählung enthalten. Diese könne nicht mit der im Rundschreiben aufgeführten Mikrogenie gleichgesetzt werden, denn diese bezeichne eine Unterentwicklung des Unterkiefers. Selbst wenn aber eine schwere Anomalie bejaht würde, sei zweifelhaft, ob eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahme erforderlich gewesen sei. Dies sei hier unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Kieferorthopädin Dr. Sch-S nicht erkennbar. Entsprechende Hinweise ergäben sich auch nicht aus der Stellungnahme des Dr. Dr. K vom 10. November 1999.
Gegen das ihnen am 19. März 2001 zugestellte Urteil haben die Kläger am 18. April 2001 Berufung eingelegt. Sie machen ergänzend geltend, das SG gehe bei seiner Auslegung des Art. 33 § 5 GSG von der falschen Voraussetzung aus, dass der Behandlungsbeginn ausschließlich von dem Zeitpunkt der Aufstellung des kieferorthopädischen Behandlungsplans bestimmt werde. Dies werde nicht durch den Gesetzeswortlaut gedeckt, denn dort sei nur von einer schriftlichen Entscheidung der Krankenkasse die Rede. Weiter sei darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber für alle ärztlichen Leistungen den Ausdruck "Behandlung" gewählt habe. Darunter fielen auch Untersuchungsmaßnahmen, die Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, Krankenhausbehandlung sowie das Ausstellen von Bescheinigungen (§ 73 SGB V). Unter Behandlungsbeginn sei demgemäß nicht die Aufstellung des Behandlungsplanes, sondern das Einsetzen der Therapie zu verstehen. Diese habe aber lange vor dem Stichtag (5. November 1992) eingesetzt. Indem das SG für den Behandlungsbeginn ausschließlich von dem Zeitpunkt der Aufstellung des kieferorthopädischen Behandlungsplans ausgegangen sei, habe es unberücksichtigt gelassen, dass vor Inkrafttreten des GSG die schriftliche Aufstellung eines solchen Plans nicht erforderlich gewesen sei. Vielmehr habe ein Konzept genügt, das hier aber vorgelegen habe. Demgemäß habe es sich bei den früheren Konsultationen und Behandlungen bei Zahnärzten, Kieferorthopäden und Kieferchirurgen nicht lediglich um vorbereitende Maßnahmen gehandelt. Im Übrigen habe bei dem Kläger zu 1. auch eine schwere Kieferanomalie vorgelegen. Die bei ihm vorgelegene Retrogenie sei jedenfalls mit den im gemeinsamen Rundschreiben vom 9. Dezember 1992 erwähnten Kieferanomalien vergleichbar. Schließlich sei erst jetzt aufgefallen, dass der Anspruch des Klägers zu 1. auf kieferorthopädische Versorgung auch auf § 29 Abs. 1 SGB V gestützt werden könne. Denn er sei in die medizinisch begründete Indikationsgruppe mit Kiefer- und Zahnfehlstellungen gefallen, die das Kauen, Beißen, Sprechen und Atmen erheblich beeinträchtigten.
Die Kläger beantragen,
1. das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 12. März 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. August 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 1993 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger zu 2. Behandlungskosten in Höhe von 4.008,36 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend macht sie geltend, beim Kläger zu 1. habe keine kombinierte kieferorthopädische/kieferchirurgische Behandlung stattgefunden, denn eine solche kombinierte Behandlung beinhalte, dass die Maßnahmen aufeinander abgestimmt seien und in einem Gesamtkonzept deutlich würden. Dies sei hier nicht der Fall. Auch die im September 1995 durchgeführte chirurgische Maßnahme lasse keine kombinierte Behandlung erkennen.
Dem Senat haben außer der Prozessakte die den Kläger zu 1. betreffenden Unterlagen der Beklagten vorgelegen. Beide Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozess- und Beiakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 f. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger ist zulässig. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Das SG und die Beklagte haben zutreffend entschieden, dass die Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die kieferorthopädische Behandlung des Klägers zu 1. in der Zeit von März 1993 bis Mai 1994 haben.
Gemäß § 13 Abs. 3 SGB V hat die Krankenkasse, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, dem Versicherten die für ihre Beschaffung aufgewendeten Kosten zu erstatten.
Die Voraussetzungen des geltend gemachten Erstattungsanspruchs liegen hier nicht vor. Nach §§ 2 Abs. 1, 2 i. V. m. 11 Abs. 1 Nr. 4, 27 Abs. 1 Nr. 2 und 28 Abs. 1, 2 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten u. a. Leistungen der zahnärztlichen Behandlung zur Verfügung. Bestandteil der zahnärztlichen Behandlung ist auch die kieferorthopädische Behandlung, die in § 29 SGB V gesondert geregelt ist. Der in § 13 Abs. 3 SGB V geregelte Kostenerstattungsanspruch tritt an die Stelle des an sich gegebenen Sachleistungsanspruchs, sofern die Kasse diesen infolge eines Versagens des Beschaffungssystems nicht erfüllt hat.
Ein solches Versagen ist hier nicht anzunehmen. Die Beklagte hat die von den Klägern begehrte und in der Zeit von März 1993 bis Mai 1994 auf eigene Kosten beim Kläger zu 1. durchgeführte kieferorthopädische Behandlung nicht zu Unrecht abgelehnt.
Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der hier für den Leistungszeitraum maßgeblichen Fassung des GSG vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I, S. 2266) haben Versicherte Anspruch auf Übernahme von 80 v. H. der Kosten der im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung durchgeführten kieferorthopädischen Behandlung in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Weiterhin ergibt sich aus § 28 Abs. 2 Satz 2 SGB V, ebenfalls i. d. F. des GSG, dass die kieferorthopädische Behandlung nicht zur zahnärztlichen Behandlung von Versicherten gehört, die zu Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben. Eine Ausnahme gilt nach Satz 3 der genannten Vorschrift für Versicherte mit schweren Kieferanomalien, die ein Ausmaß haben, das kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erfordert.
Hiernach konnte der im Februar 1971 geborene Kläger zu 1. von der Beklagten die Bezuschussung der bei ihm durchgeführten kieferorthopädische Behandlung nicht verlangen, da er bei Behandlungsbeginn bereits das 18. Lebensjahr vollendet hatte. Wie auch das SG zutreffend ausgeführt hat, bestimmt sich der Behandlungsbeginn durch den Zeitpunkt der Aufstellung des kieferorthopädischen Behandlungsplans, auch wenn die eigentliche Behandlung erst danach beginnt und wichtige Vorbereitungshandlungen schon vor diesem Zeitpunkt liegen sollten. Das Datum des Behandlungsplans belegt in nachprüfbarer Weise die Feststellung der Behandlungsnotwendigkeit sowie den Behandlungswunsch des Versicherten und die Behandlungsbereitschaft des Zahnarztes. Dem Behandlungsplan kommt demnach vor dem Hintergrund der in § 28 Abs. 2 SGB V geregelten Altersgrenze nicht nur eine zahnmedizinische, sondern darüber hinaus eine anspruchsbegründende Bedeutung zu (vgl. BSGE 81, 245, 246 [BSG 09.12.1997 - 1 RK 11/97]; BSG vom 25.3.2003 – B 1 KR 17/01 R –, S. 7 des Umdrucks). Der Behandlungsplan des Kieferorthopäden Dr. Dr. K datiert vom 2. März 1993. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger zu 1. bereits 22 Jahre alt und überschritt somit die nach dem Gesetz maßgebliche Altersgrenze.
Weiterhin hat das SG zutreffend ausgeführt, dass im vorliegenden Fall nicht die Übergangsregelung des Art. 33 § 5 GSG zugunsten der Kläger eingreift. Danach haben Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und deren kieferorthopädische Behandlung vor dem 1. Januar 1993 begonnen hat, Anspruch auf Übernahme der kieferorthopädischen Behandlung einschließlich zahntechnischer Leistungen in der Höhe, wie sie das am 31. Dezember 1992 geltende Recht vorsah, wenn die Krankenkasse vor dem 5. November 1992 über den Anspruch bereits schriftlich entschieden hat. Weder hat – wie bereits ausgeführt – die fragliche kieferorthopädische Behandlung des Klägers vor dem 1. Januar 1993 begonnen noch hat die Beklagte vor dem 5. November 1992 über den Anspruch bereits schriftlich entschieden. Auf den Umstand, dass eine kieferorthopädische Therapie des Klägers zu 1. möglicherweise bereits in seiner Kindheit stattgefunden hat, kommt es nicht an. Sofern dies, wie vorgetragen, der Fall war, waren diese Behandlungsmaßnahmen längst abgeschlossen. Von etwaigen früheren Behandlungsplänen konnten für die aktuelle, vom Kläger in der Zeit von März 1993 bis Mai 1994 durchlaufene Therapie keine Rechtswirkungen mehr ausgehen. Dies zeigt sich schon daran, dass die hier fragliche Behandlung durch die kieferorthopädische Behandlungsplanung des Dr. Dr. K vom 2. März 1993 neu festgelegt worden ist.
Des Weiteren teilt der Senat die Auffassung des SG, dass der Kläger zu 1. nicht die Voraussetzungen erfüllt, unter denen die kieferorthopädische Behandlung für über 18-Jährige zur zahnärztlichen Behandlung gehört und damit nach § 28 Abs. 2 Satz 3 SGB V i. d. F. des GSG ausnahmsweise von der Krankenkasse getragen wird. Das Vorliegen einer Kieferanomalie, die einen Schweregrad erreicht hat, der kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erfordert, ist nicht anzunehmen. Dem steht nicht entgegen, dass Prof. Dr. Dr. K und Dr. Dr. S, die den Kläger zu 1. im September/Oktober 1991 untersucht bzw. behandelt haben, jeweils von einer schweren Kieferanomalie ausgegangen sind. Wie bereits das SG ausgeführt hat, sind für die Auslegung dieses Begriffs die Gesetzesmaterialien vom GSG bzw. das gemeinsame Rundschreiben der Spitzenverbände vom 9. Dezember 1992 heranzuziehen. Danach zählt zu den schweren Kieferanomalien u. a. die Gruppe der skelettalen Dysgnathien. Hierzu gehört zwar auch die bei dem Kläger von den genannten Ärzten festgestellte Retrogenie. Allerdings ist dieses Krankheitsbild nicht in der Gesetzesbegründung bzw. dem vorerwähnten Rundschreiben aufgeführt. Der Auffassung der Kläger, dass die Retrogenie mit der in der Aufstellung a. a. O. aufgeführten Mikrogenie identisch sei, ist nicht zu folgen. Bereits nach der Wortbedeutung beinhaltet die Retrogenie, bei der es sich um ein Zurückweichen des Unterkiefers handelt, einen weniger schwerwiegenden Befund als die Mikrogenie, die eine Unterentwicklung des Unterkiefers bezeichnet. Selbst wenn es sich jedoch bei der beim Kläger zu 1. vorgelegenen Retrogenie um eine schwere Kieferanomalie im Rechtssinne gehandelt haben sollte, ist hier zweifelhaft, ob für deren Behandlung, wie es die Gesetzesbegründung bzw. das Rundschreiben verlangen, eine kombinierte kieferorthopädische und -chirurgische Behandlungsmaßnahme auf der Basis eines therapeutischen Gesamtkonzepts erforderlich war. Auch dies hat das SG zutreffend ausgeführt. Hiergegen sprechen die tatsächlichen Umstände des Behandlungsablaufs. Zwar haben Prof. Dr. Dr. K und Dr. Dr. S entsprechend ihren Ausführungen in den Berichten vom 9. Januar 1992 und 9. September 1993 dem Kläger zu 1. anlässlich der im September/Oktober 1991 durchgeführten Untersuchungen empfohlen, nach der damals bevorstehenden Aufnahme seines Studiums in P dort einen Kieferorthopäden aufzusuchen und ihn zu veranlassen, mit ihnen einen gemeinsamen Plan für eine kombinierte Behandlung zu erstellen. Hierzu ist es indessen nach den eigenen Angaben der Kläger nicht gekommen. Der Behandlungsplan des Kieferorthopäden Dr. Dr. K vom 2. März 1993, der der hier streitigen Behandlungsmaßnahme zugrunde liegt, sah jedenfalls keine chirurgischen Maßnahmen vor. Darauf hat zutreffend die Beratungsärztin der Beklagten Frau Dr. Sch-S in ihren Stellungnahmen vom 4. Oktober 1993 und 1. März 1994 hingewiesen. Auch der Kieferorthopäde Dr. Dr. K selbst hat in seiner Auskunft gegenüber dem SG vom 10. November 1999 ausgeführt, dass sich die Behandlung des Klägers zu 1. in seiner Praxis auf eine kieferorthopädische Behandlung beschränkt habe. Weitere chirurgische Behandlungsabsichten bestanden damals offenbar nicht. Dies ergibt sich indirekt aus seiner Bemerkung, von Seiten der Kieferchirurgie sei vorher eine kombinierte kieferchirurgische/kieferorthopädische Behandlung geplant gewesen. Dieses Vorhaben aber war – wie bereits ausgeführt – bis zum Beginn der Behandlung durch Dr. Dr. K nicht umgesetzt worden. Zwar hat eine kieferchirurgische Behandlung des Klägers zu 1. mehr als ein Jahr nach Abschluss der kieferorthopädischen Therapie im September 1995 stattgefunden. Vor dem Hintergrund der Ausführungen des Dr. Dr. K ist indessen nicht davon auszugehen, dass diese mit seiner Behandlung durch einen Gesamtplan verbunden war.
Nach alledem kann die Berufung der Kläger keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es hat kein Anlass bestanden, die Revision zuzulassen.