Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 01.10.2003, Az.: L 10 LW 15/03
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eines Landwirtes; Vollschichtiges Leistungsvermögen; Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 01.10.2003
- Aktenzeichen
- L 10 LW 15/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 19925
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:1001.L10LW15.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Osnabrück - AZ: S 15 LW 15/00
Rechtsgrundlage
- § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ALG
Redaktioneller Leitsatz
Bei der Möglichkeit der Verrichtung jedenfalls körperlich leichter Arbeiten scheidet eine verminderte Erwerbsfähigkeit nach § 13 ALG aus.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 7. Mai 2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der 1952 geborene Kläger ist Landwirt und war bis 1999 daneben als Vermessungsgehilfe tätig. Unter Hinweis auf einen im März 1999 erlittenen Schlaganfall und einen im April 1999 erfolgten Aortenklappenersatz beantragte der Kläger im Juni 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 1. September 1999 ab, nachdem die Internistin Dr. I. in ihrem Gutachten vom 5. August 1999 den Kläger für noch in der Lage gehalten hatte, vollschichtig körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten ohne Verletzungsgefahren, Klettern und Steigen, einseitige Körperhaltungen und besonderen Zeitdruck zu verrichten und der Kläger zuvor am 17. Mai 1999 mit einem dementsprechend festgestellten Leistungsvermögen aus einem stationären Heilverfahren entlassen worden war. Während des sich anschließenden Widerspruchsverfahrens nahm der Kläger vom 27. Oktober bis 24. November 1999 an einem weiteren stationären Heilverfahren teil, aus dem er mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne größere Verletzungsgefahr bei Berücksichtigung einer Feinmotorikstörung seines linken Armes entlassen wurde. Nachdem auch der behandelnde Kardiologe Dr. J. in einer ärztlichen Bescheinigung vom 27. Januar 2000 zu dem Ergebnis gekommen war, dass der Kläger zwar nicht mehr vollschichtig in der Landwirtschaft tätig sein könne, ihm aber eine vollschichtige Tätigkeit mit leichter körperlicher Belastung, überwiegend im Wechsel zwischen Stehen und Sitzen ohne Zeitdruck, insbesondere ohne Heben von Lasten über maximal 10 kg auch weiterhin möglich sei, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2000 zurück.
Im nachfolgenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Osnabrück Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte beigezogen und Gutachten der Kardiologin Dr. K. vom 7. Mai 2001 und des Neurologen und Psychiaters Dr. L. vom November 2001 eingeholt. Die Sachverständige Dr. K. hat die Aortenklappenfunktion als regelrecht erachtet, und der Sachverständige Dr. L. hat als Folge des erlittenen Schlaganfalls diskrete linksseitige Funktionsstörungen sowie ebenso diskrete Funktionsstörungen der Gleichgewichtsregulation gefunden. Beide Sachverständige haben den Kläger für in der Lage gehalten, vollschichtig bis zu körperlich mittelschwere Arbeiten ohne erhöhtes Verletzungspotenzial bzw. nicht mit Absturzgefahr und besonderen Ansprüchen an die Feinmotilität der linken Hand zu verrichten. Das SG hat die Klage sodann mit Gerichtsbescheid vom 7. Mai 2003 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen darauf hingewiesen, dass der Kläger auf Grund seines vollschichtigen Leistungsvermögens nicht erwerbsunfähig sei.
Der Kläger hat gegen den ihm am 20. Mai 2003 zugestellten Gerichtsbescheid am 13. Juni 2003 Berufung eingelegt. Er meint, auf Grund der bei ihm vorliegenden Schwindelerscheinungen und der erhöhten Gefahr von Ohnmachtsanfällen nicht mehr zur vollschichtigen Verrichtung einer Tätigkeit in der Lage zu sein. Hierbei beruft er sich auf eine ärztliche Bescheinigung des ihn behandelnden Allgemeinmediziners Dr. M. vom 5. Juni 2003, in der dieser ausführt, dass bei dem Kläger eine dopplersonographisch nachgewiesene Minderperfusion der linken Vertebralarterie vorliege, die zu Schwindelerscheinungen und vermutlich auch bereits zu einer Synkope geführt habe. Mit Schriftsatz vom 26. September 2003 weist er ergänzend darauf hin, wegen der Kombination seiner bestehenden Gesundheits- und Funktionsstörungen nicht mehr in der Lage zu sein, werktäglich noch drei Stunden zu arbeiten.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des SG Osnabrück vom 7. Mai 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 1. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2000 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen EU zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Osnabrück vom 7. Mai 2003 zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugestimmt.
Dem Senat haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht auch nach Auffassung des erkennenden Senats kein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß § 13 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) zu.
Nach dem Ergebnis der während des Verwaltungsverfahrens und im ersten Rechtszug durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger noch zur vollschichtigen Verrichtung jedenfalls körperlich leichter Arbeiten in der Lage ist, ohne dass bei ihm eine so genannte atypische Leistungseinschränkung oder eine Summierung erheblicher Leistungsbeeinträchtigungen vorliegen. Er ist damit weder erwerbsunfähig im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ALG in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung, noch voll oder teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 13 Abs. 1 ALG in der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung. Der geltend gemachte Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit scheidet damit aus, ohne dass auf die fehlende weitere tatbestandsmäßige Voraussetzung der Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft einzugehen ist.
Alle als Gutachter oder Sachverständige gehörten Ärzte sind in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der durchgeführten stationären Heilverfahren zu dem Schluss gekommen, dass der Kläger noch zur vollschichtigen Verrichtung jedenfalls körperlich leichter Arbeiten fähig ist. Dabei ist berücksichtigt, dass der im April 1999 operativ erfolgte Aortenklappenersatz dauerhaft zu einer genügenden Herzfunktion geführt hat. So konnte der Kläger bereits am 4. Mai 1999 im Belastungs-EKG bis 125 Watt belastet werden, ohne dass Angina pectoris-Beschwerden auftraten. Eine entsprechende Belastbarkeit hat sich auch bei späteren Untersuchungen, etwa durch die Sachverständige Dr. K. bestätigt, sodass ohne Weiteres von einer dauerhaften Funktionstüchtigkeit des Aortenklappenersatzes ausgegangen werden kann. Da bereits eine Beschränkung der Belastbarkeit auf 50 bis 75 Watt nach allgemeiner Erkenntnis die Verrichtung körperlich leichter Arbeiten zulässt (vgl. Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, 5. Aufl., S. 202, 237), bestehen auf kardiologischem Fachgebiet keine Zweifel an einer ausreichenden Leistungsfähigkeit des Klägers, vollschichtig körperlich leicht zu arbeiten. Die Folgen des im März 1999 erlittenen Schlaganfalls hatten sich bereits im Zeitpunkt des stationären Heilverfahrens vom 26. April bis 17. Mai 1999 weitestgehend zurückgebildet, sodass im Zeitpunkt der Untersuchung durch die Gutachterin Dr. I. im Juli 1999 lediglich feinmotorische Störungen der linken Körperseite verblieben waren. Zuletzt hat der vom SG gehörte Sachverständige Dr. L. im Juni 2001 lediglich diskrete linksseitige Funktionsstörungen und ebenso diskrete Funktionsstörungen in der Gleichgewichtsregulation nach Augenschluss oder auch im Dunkeln festgestellt, ohne hierdurch das Leistungsvermögen des Klägers wesentlich beeinträchtigt zu sehen. Dr. L. hat darüber hinaus weder Aufmerksamkeits- oder Konzentrationsdefizite noch Leistungsminderungen im kognitiven Bereich feststellen können.
Kommen danach die im Klageverfahren gehörten Sachverständigen sowohl aus kardiologischer als auch aus neurologischer Sicht zu dem Ergebnis, dass der Kläger vollschichtig jedenfalls körperlich leichte Arbeit leisten kann, so sieht der erkennende Senat keine Anhaltspunkte, an der Richtigkeit dieses Ergebnisses zu zweifeln. Den Zustand nach erfolgtem Aortenklappenersatz und dem bestehenden Lumbalsyndrom ist durch den Ausschluss körperlich schwerer Arbeiten hinreichend Genüge getan. Der als Folge der Herzklappenoperation bestehenden Notwendigkeit einer lebenslangen Marcumar-Versorgung entspricht es, dass für den Kläger Arbeiten mit erhöhter Verletzungsgefahr ausgeschlossen sind. Den zuletzt von Dr. L. beschriebenen diskreten Funktionsstörungen in der Gleichgewichtsregulation ist durch einen Ausschluss von Arbeiten mit Absturzgefahr genügend Rechnung getragen. Dass bei dem Kläger, der Rechtshänder ist, diskrete Funktionsstörungen bezüglich der Feinmotorik der linken Hand verblieben sind, schränkt seine Leistungsfähigkeit lediglich dahin ein, dass Arbeiten, die besondere Ansprüche an die Feinmotilität der linken Hand erfordern, ausscheiden. Die genannten Einschränkungen beeinträchtigen den Kläger indes in der Verrichtung körperlich leichter Arbeiten nicht wesentlich. Er muss sich deshalb mit seinem verbliebenen Leistungsvermögen auf das Gesamtfeld des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen, ohne dass es der Benennung einer konkreten Tätigkeit bedarf.
Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren rechtfertigt keine von dem angefochtenen Gerichtsbescheid abweichende Entscheidung. Der Kläger trägt vor, dass auf Grund einer nachgewiesenen Minderdurchblutung der linken Vertebralarterie Schwindelerscheinungen und eine Synkope aufgetreten seien. Er beruft sich insoweit auf eine Bescheinigung seines Hausarztes Dr. M. vom 5. Juni 2003. Hieraus ergeben sich indes kein Anhaltspunkte für eine zwischenzeitlich eingetretene weitere Verminderung des Leistungsvermögens. Ob dopplersonographisch eine Minderperfusion der linken Vertebralarterie nachgewiesen ist, ist für sich genommen ohne Bedeutung, da es für die Feststellung einer Erwerbsminderung nicht auf Diagnosen, sondern allein auf das Vorliegen und das Ausmaß von Leistungsbeeinträchtigungen ankommt. Die in diesem Zusammenhang genannten Schwindelerscheinungen bestehen bereits seit längerer Zeit und sind beispielsweise schon in dem ärztlichen Entlassungsbericht über das im Oktober/November 1999 durchgeführte stationäre Heilverfahren und in der beigezogenen Bescheinigung des Hals-, Nasen-, Ohrenarztes Dr. N. vom 25. Februar 2000 beschrieben. Sowohl die Sachverständige Dr. K. als auch der Sachverständige Dr. L. haben in ihren Gutachten die vom Kläger angegebenen Schwindelerscheinungen aufgeführt und bei ihrer Leistungsbeurteilung berücksichtigt. Ihnen ist durch einen Ausschluss von Arbeiten mit Absturzgefahr hinreichend Genüge getan. Dass in letzter Zeit eine Zunahme der Schwindelerscheinungen aufgetreten ist, wird weder vom Kläger behauptet, noch ist solches der Bescheinigung des Hausarztes zu entnehmen. Ob daneben tatsächlich ein erhöhtes Risiko zu Ohnmachtsanfällen besteht, ist für den Senat nicht zu erkennen. Dr. M. hat in seiner Bescheinigung lediglich davon gesprochen, dass die Minderperfusion der linken Vertebralarterie "vermutlich auch bereits zu einer Synkope bei vertebrobasilärer Insuffizienz geführt" habe. Eine tatsächlich dauerhaft bestehende und einer ärztlichen Behandlung nicht zugängliche Funktionsstörung vermag der Senat in diesem Zusammenhang nicht zu erkennen. Der weitere Vortrag des Klägers in dem Schriftsatz vom 26. September 2003 enthält keine neuen Gesichtspunkte, die Anlass zu einer anderen Beurteilung oder zur Durchführung erneuter Ermittlungen auf medizinischem Gebiet geben könnten. Die in dem Schriftsatz aufgezählten Gesundheitsstörungen sind ausweislich des Akteninhalts bekannt und von den Sachverständigen Dr. K. und Dr. L. in ihren Gutachten berücksichtigt und bewertet worden. Das Vorbringen des Klägers enthält keine Anhaltspunkte, dass hierbei in jüngerer Zeit wesentliche Veränderungen eingetreten sind, die zwischenzeitlich ein rentenrelevantes Herabsinken seines Leistungsvermögens bewirkt haben könnten. Das gilt im Besonderen auch für die in dem Attest der Neurologin und Psychiaterin Dr. O. vom 18. September 2003 mitgeteilten Befunde einer Lese- und Rechtschreibschwäche sowie einer unterdurchschnittlichen Gesamtintelligenz. Diese Funktionsbeeinträchtigungen sind in dem nervenärztlichen Gutachten des Dr. L. ausgiebig erörtert und sodann bei der Bewertung des Leistungsvermögens des Klägers berücksichtigt worden. Eine Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wird durch sie nicht relevant eingeschränkt.