Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 01.10.2003, Az.: L 5 V 53/00
Anspruch auf Witwenbeihilfe; Voraussetzungen der Witwenbeihilfe; Verhinderung des Aufstiegs in die gehobene Beamtenlaufbahn auf Grund der Schädigungsfolgen; Bestehen eines Anspruchs auf Berufsschadensausgleich; Bestehen eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 01.10.2003
- Aktenzeichen
- L 5 V 53/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 20976
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:1001.L5V53.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Aurich - 17.08.2000 - AZ: S 7 V 14/98
Rechtsgrundlagen
- § 48 Abs. 1 S. 1 BVG
- § 48 Abs. 1 S. 5 BVG
- § 48 Abs. 1 S. 6 BVG
Redaktioneller Leitsatz
Ein Anspruch auf Witwenrente nach § 48 Abs. 1 S. 1 BVG besteht u.a. dann nicht, wenn ein anerkannte Kriegsleiden bei einem in der Verwaltung tätigen Versorgungsempfänger nicht wenigstens wesentliche Mitursache für den verhinderten Aufstieg in die nächst höhere Laufbahn gewesen ist und auch im Nachhinein nicht mehr festgestellt werden kann, dass der Versorgungsempfänger schädigungsbedingt von der Ausübung eines anderen Berufes abgehalten wurde.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Klägerin Witwenbeihilfe nach § 48 Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.
Die Klägerin ist die Witwe des am F. geborenen und am 14. Mai 1993 verstorbenen Kriegsbeschädigten G. (B.). Bei diesem waren als Schädigungsfolgen nach § 1 BVG
Verlust des linken Beines im Oberschenkel Knick-Senkfuß rechts
anerkannt und seit dem Bescheid vom 20. September 1966 mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. bewertet. In dem zuletzt genannten Bescheid war auch eine Erhöhung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG verneint worden, weil eine besondere berufliche Betroffenheit nicht vorgelegen habe.
B. besuchte vor dem Krieg die Volksschule und anschließend die Mittelschule auf der Insel H ... Im Anschluss daran legte er bei der Kriegsmarinewerft I. eine Lehre als Elektromechaniker von 1939 bis 1942 zurück. Nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst erhielt er eine Anstellung mit Wirkung vom 15. November 1945 bei der Gemeindeverwaltung H. als Verwaltungsangestellter. Am 28. Oktober 1953 legte er die Prüfung für den mittleren Verwaltungs- und Kassendienst ab und erhielt am 26. März 1955 die Ernennungsurkunde zum Stadtobersekretär. Dem folgte die Ernennung zum Stadthauptsekretär am 14. Dezember 1964. Am 4. August 1972 wurde er zum Amtsinspektor ernannt und auf seinen Antrag am 30. September 1978 in den Ruhestand versetzt.
Nach dem Tod des B. teilten die zuletzt behandelnden Ärzte als unmittelbare Todesursache einen Darminfarkt auf Grund einer arteriellen Verschlusskrankheit mit. Als weitere wesentliche Krankheitszustände, die zurzeit des Todes bestanden haben, wurde ein Zustand nach Aorta-Operation, Zustand nach MOF, Zustand nach Orchiektomie nach Prostatakarzinom festgehalten.
Die Klägerin beantragte im Dezember 1993 Hinterbliebenenversorgung. Ihren Antrag auf Bestattungsgeld lehnte das Versorgungsamt (VA) mit Bescheid vom 3. Juni 1994 ab. In diesem Bescheid wurde festgestellt, B. sei schädigungsunabhängig verstorben. Mit derselben Begründung lehnte das VA auch eine Hinterbliebenenversorgung der Klägerin ab (Bescheid vom 15. Juni 1994/Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1994).
In ihrem Antrag von Dezember 1993 wies die Klägerin darauf hin, B. sei durch die erlittene Oberschenkelamputation und die damit verbundene erhebliche außergewöhnliche Einschränkung der Geh- und Bewegungsfähigkeit gehindert gewesen, den erlernten Beruf als Elektromechaniker auszuüben. Deshalb sei er in den Verwaltungsdienst eingetreten. Auf Grund der Schädigungsfolgen habe er sich vorzeitig pensionieren lassen. Sie hätten verhindert, dass B. die mit Ausbildung und Prüfung verbundenen Lehrgänge außerhalb der Insel H. habe besuchen können, die für einen Dienstposten in der gehobenen Beamtenlaufbahn (Besoldungsgruppe A 10, A 11) erforderlich gewesen seien. Seine Dienststelle habe im Jahre 1963 einen Antrag auf Befähigung für die Laufbahn des gehobenen Dienstes gestellt. Auch eine von der Stadt J. in den 60er-Jahren angebotene höher bewertete Stelle habe er wegen der Schädigungsfolgen nicht antreten können. Durch die schädigungsbedingte vorzeitige Zurruhesetzung sei ihm die letzte Möglichkeit genommen worden, ohne die Prüfung die gehobene Laufbahn zu erreichen. Das Witwengeld sei deshalb um 11,9 % geringer als ein nach der Besoldungsgruppe A 10 bemessenes Witwengeld, um 24 % geringer im Vergleich zu einer nach Besoldungsgruppe A 11 bemessenen entsprechenden Leistung.
Aus der vom VA eingeholten Auskunft der Stadt H. ergibt sich, dass den Anträgen auf Übernahme des B. in den gehobenen Dienst nicht habe entsprochen werden können, da nach der Niedersächsischen Laufbahn-Verordnung zwingend die Ablegung einer Aufstiegsprüfung erforderlich gewesen sei. Die Stadt habe deshalb mangels gesetzlicher Grundlage den Antrag zurückgenommen. Die Angelegenheit sei später nicht weiter verfolgt worden.
Auch die Zahlung einer Witwenbeihilfe lehnte das VA ab (Bescheid vom 18. November 1997), da die Hinterbliebenenversorgung der Klägerin durch die berufliche Neuorientierung des B. nicht gemindert gewesen sei. Bei Fortführung der Tätigkeit als Elektriker oder Feinmechaniker wäre sie wesentlich geringer als das jetzt bezogene Witwengeld aus der Beamtenversorgung. Dies gelte selbst dann, wenn B. den Beruf eines Ingenieurs erreicht hätte. Es sei nicht ersichtlich, dass die Schädigungsfolgen den Aufstieg in den gehobenen Dienst vereitelt hätten. B. habe in erster Linie aus familiären Gründen die Insel H. nicht verlassen wollen und deswegen die Aufstiegsprüfung und die erforderliche Ausbildung nicht absolvieren können. Der Arbeitgeber habe bestätigt, dass B. auf keinen Fall befördert worden wäre, auch wenn er über das 56. Lebensjahr hinaus weiter seinen Dienst versehen hätte. Auch wenn die anerkannten Schädigungsfolgen für die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand verantwortlich gewesen seien, würde die ggfs. geminderte Witwenversorgung nicht den in § 48 BVG geforderten Vomhundertsatz von 15 v.H. erreichen.
Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, verletzungsbedingt sei B. daran gehindert gewesen, das elterliche Unternehmen eines Elektrofach- und Installationsgeschäftes zu übernehmen, in welchem damals 1 Meister und 8 Fachkräfte beschäftigt gewesen seien. Vielmehr sei wegen der mangelnden Möglichkeit des B. zur vollen Mitarbeit das Geschäft auf seinen jüngeren Bruder übergegangen. Überdies habe es die Stadt H. versäumt, für den weiteren Aufstieg des B. zu sorgen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 1998).
Gegen den am 17. August 1998 abgesandten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 4. September 1998 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Aurich erhoben. Sie hat sich darauf berufen, B. habe wegen seiner Kriegsbeschädigung nicht in das väterliche Geschäft einsteigen können, weil er die dort erforderliche Mitarbeit in allen Bereichen nicht habe leisten können. Später habe er seinen jüngeren Bruder aus dem Geschäft nicht mehr verdrängen wollen. B. habe auf die Ausbildung für die gehobene Beamtenlaufbahn wegen familiärer Unwägbarkeiten verzichtet, die letztendlich auch auf die körperlichen Beschädigungen des B. zurückzuführen gewesen seien.
Das SG hat eine schriftliche Aussage des jüngeren Bruders des B., K., vom 7. Dezember 1999 und eine Auskunft der Niedersächsischen Versorgungskasse eingeholt und das amtsärztliche Gutachten des Landkreises L. vom 14. Juli 1978 beigezogen. Durch Urteil vom 17. August 2000 hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 BVG seien nicht erfüllt. Es sei nicht ersichtlich, dass der Aufstieg des B. in die gehobene Beamtenlaufbahn auf Grund der Schädigungsfolgen gescheitert sei. Dies habe vielmehr in der Gesetzeslage und in familiären Gründen seine Ursache gehabt. Es sei weder dem Vortrag der Klägerin noch den Auskünften der Stadt H. zu entnehmen, dass das anerkannte Kriegsleiden wenigstens wesentliche Mitursache für den verhinderten Aufstieg in die nächst höhere Laufbahn des B. gewesen sei. Nach telefonischer Auskunft der Stadt H. hätten für B. auch bei Weiterführung seines Dienstes bis zur gesetzlichen Altersgrenze keine Aussichten mehr bestanden, in die gehobene Laufbahn übernommen zu werden. Der vorzeitige Ruhestand habe nicht zu einer Versorgungslücke geführt, weil B. bereits im 57. Lebensjahr den Höchstruhegehaltssatz von 75 v.H. erreicht habe. Auch sei im Nachhinein nicht mehr festzustellen, dass B. schädigungsbedingt von einem Eintritt in das elterliche Geschäft abgehalten worden sei. Zwar könne ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass er bei der Ausübung des erlernten Berufs deutlich behindert gewesen wäre. Jedoch wäre angesichts der Größenordnung des Unternehmens ein leidensgerechter Einsatz auf der verwaltenden und aufsichtsführenden Ebene möglich gewesen. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 6 BVG seien nicht erfüllt. Denn B. habe nicht mindestens 5 Jahre Anspruch auf Berufsschadensausgleich gehabt. Einen solchen Anspruch habe er selbst nie geltend gemacht und entsprechende Leistungen auch nie erhalten. Die von der Rechtsprechung als gleichwertig aufgestellten Voraussetzungen seien ebenfalls nicht erfüllt. Denn nach dem Inhalt der für B. geführten Versorgungsakten sei nicht auf den ersten Blick für jeden Kundigen klar erkennbar während einer Dauer von wenigstens 5 Jahren ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich begründet gewesen. Zwar spreche viel dafür, dass die Schädigungsfolgen zumindest wesentliche Mitursache für die vorzeitige Zurruhesetzung des B. gewesen seien. Jedoch habe B. trotz der erheblichen Schädigungsfolgen die Tätigkeit im öffentlichen Dienst viele Jahre offensichtlich ohne größere Schwierigkeiten bewältigen können. Die Akten enthielten keine Hinweise darauf, dass es vor dem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst zu einer Verschlimmerung der Schädigungsfolgen gekommen sei, die eine Fortführung der beruflichen Tätigkeit erschwerten und das vorzeitige Ausscheiden aus dem Dienst erzwungen hätten. Ein schädigungsbedingter Einkommensverlust lasse sich demgemäß allein aus den Beschädigtenakten nicht herleiten.
Gegen das am 7. September 2000 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 5. Oktober 2000 eingegangenen Berufung, mit der sie ihr bisheriges Vorbringen aufgreift.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
- 1.
das Urteil des SG Aurich vom 17. August 2000 und den Bescheid vom 18. November 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 1998 aufzuheben,
- 2.
den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin Witwenbeihilfe ab Dezember 1993 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge haben die die Klägerin betreffenden Akten des VA Oldenburg (Grundlisten-Nr. M.) sowie die B. betreffenden Beschädigtenakten des VA Oldenburg (Grundlisten-Nr. N.) und die Schwerbehinderten-Akten (Az.: O.) vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
II.
Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, weil er einstimmig die Berufung für nicht begründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält.
Die gemäß § 143 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Voraussetzungen für eine Witwenbeihilfe nach § 48 Abs. 1 Satz 1 BVG sind ebenso wenig erfüllt wie die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 5 und Satz 6 BVG. Nicht ergänzungsbedürftig hat das SG die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 6 BVG dargestellt. Es hat auch die ihm vorliegenden Akten mit zutreffendem Ergebnis ausgewertet und nach seinen eigenen Ermittlungen auf Grund der Auskunft der Niedersächsischen Versorgungskasse und des Gutachtens des Amtsarztes des Landkreises L. vom 14. Juli 1978 die Anspruchsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 und auch die Voraussetzungen für die fiktive Annahme nach § 48 Abs. 1 Satz 6 BVG verneint. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen nimmt der Senat auf die Ausführungen des SG Bezug, auf die er sich zur Zurückweisung des Rechtsmittels stützt, § 153 Abs. 2 SGG.
Ergänzend ist hinzuzufügen, dass auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 5 BVG nicht vorliegen. Danach gelten die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 BVG als erfüllt, wenn der Beschädigte im Zeitpunkt seines Todes Anspruch auf die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen oder wegen nicht nur vorübergehender Hilflosigkeit Anspruch auf eine Pflegezulage hatte. Beide Varianten scheiden aus, denn B. bezog eine Grundrente nach einer MdE um 80 v.H.; demgegenüber gilt als erwerbsunfähig, wer in seiner Erwerbsfähigkeit um mehr als 90 v.H. beeinträchtigt ist, § 31 Abs. 3 Satz 2 BVG. B. erfüllte auch nicht die Voraussetzungen, unter denen wegen nicht nur vorübergehender Hilflosigkeit Anspruch auf Pflegezulage bestand. Weder hat die Klägerin dies vorgetragen, noch lassen sich hierfür Anhaltspunkte den Akten entnehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.