Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 17.10.2003, Az.: L 5/9 V 23/00

Schädigungsfolge "ticartige Zuckungen im Gesicht"; Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung; Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP); Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation; Soldat der Deutschen Wehrmacht im zweiten Weltkrieg; Persönlichkeitsänderungen nach Extrembelastung; Historische Entwicklung des Krankheitsbegriffs

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
17.10.2003
Aktenzeichen
L 5/9 V 23/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 19980
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:1017.L5.9V23.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 12.04.2000 - AZ: S 15 V 184/99

Redaktioneller Leitsatz

Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG besteht, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht.

Tenor:

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 12. April 2000 wird aufgehoben. Der Bescheid vom 11. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1999 wird geändert. Der Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 12. Oktober 1976 zurückzunehmen und als weitere Schädigungsfolge "ticartige Zuckungen im Gesicht" seit 6. Mai 1975 festzustellen. Die Berufung wegen höherer Versorgungsleistungen von Januar 1967 bis August 1987 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Rechtsstreit betrifft (jetzt noch) den Umfang der Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Der am H. geborene Kläger erlitt als Soldat der Deutschen Wehrmacht im zweiten Weltkrieg Verletzungen, die zunächst mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. (Unanerkennungsbescheid vom 19. September 1950, sodann mit einer MdE um 60 v.H. ab 1. Februar 1965 bewertet wurden (Bescheid vom 10. Mai 1967). Im Bescheid von Mai 1967waren als Schädigungsfolgen im Sinne der Entstehung

3

1.

Verlust des linken Beines im Unterschenkel 2. Störung der Kreislaufversorgung am Herz

4

festgestellt.

5

Am 6. Mai 1975 beantragte der Kläger, gestützt auf einen Arztbrief des Nervenarztes Dr. I., Neufestsetzung der Versorgungsbezüge "infolge Verschlimmerung" des anerkannten WDB-Leidens. Auf der Grundlage eines Untersuchungsgutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr. J. vom 9. Juli 1976 wurde der Antrag bestandskräftig abgelehnt (Bescheid vom 12. Oktober 1976), weil es an einer Verschlimmerung auch in Form einer zusätzlichen Schädigung fehle. Nachdem eine MdE um 80 v.H. festgestellt war (Urteil SG Oldenburg vom 18. Juni 1982, erkannte das Versorgungsamt (VA) mit (Abhilfe-) Bescheid vom 20. Juli 1990 mit Wirkung vom 1. September 1987 eine MdE um 70 v.H. nach § 30 Abs. 1 BVG, um 80 v.H. nach § 30 Abs. 2 BVG an und stellte als Schädigungsfolgen fest:

  1. 1.

    Verlust des linken Beines im Unterschenkel mit Bewegungseinschränkung des Stumpfes im Kniegelenk und Stumpf-Nervenschmerzen,

  2. 2.

    Störung der Kreislaufversorgung am Herzen.

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Nach zwischenzeitlichen erfolglosen Anträgen beantragte der Kläger am 18. September 1998 die Feststellung eines "Verschüttungssyndroms" als Schädigungsfolge und bat um Überprüfung der MdE. Er stützte sich auf ein Attest des Arztes für Allgemeinmedizin K. sowie auf eine Bescheinigung der Neurologischen Klinik L ... Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme des Dr. M. blieb der Antrag erfolglos (Bescheid vom 11. November 1998), weil die Voraussetzungen des § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) nicht erfüllt seien. Der auf einen Arztbrief der neurologischen Abteilung des Kreiskrankenhauses N. sowie einen Arztbrief der chirurgischen Abteilung dieser Klinik gestützte Widerspruch, mit dem der Kläger auch die Zuerkennung einer Pflegezulage beantragte, blieb nach gutachtlicher Stellungnahme des Chirurgen Dr. O. und versorgungsärztlicher Stellungnahme des Dr. M. erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1999).

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Mit der am 11. Juni 1999 bei Gericht eingegangenen Klage, die sich auf die Neufeststellung der Schädigungsfolgen sowie die Feststellung einer MdE um 100 v.H. richtete, hat der Kläger sein Ziel weiterverfolgt. Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat mit Gerichtsbescheid vom 12. April 2000 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, die Voraussetzungen des § 44 SGB X seien gegenüber dem Bescheid vom 12. Oktober 1976 nicht erfüllt. Neue tatsächliche Erkenntnisse hätten sich nicht ergeben, die ein Umdenken im Zusammenhang mit der bisherigen Kausalitätsbeurteilung des Beklagten notwendig machten. Die durch die früheren Äußerungen der Dres. J., P. und Prof. Dr. Q. in den Gutachten vom 9. Juli 1976, 13. November 1978 und 2. Juli 1979 herausgearbeiteten Erkenntnisse, neurologische Defizite hätten sich unabhängig von einem Verschüttungserlebnis schicksalhaft entwickelt, seien nicht widerlegt. Der Arzt K. habe ohne nähere wissenschaftliche Belege ein Verschüttungstrauma mit plötzlich auftretenden Gesichtszuckungen sowie damit verbundenen Schüttelbewegungen am ganzen Körper, Schwindelattacken, Gleichgewichtsstörungen, Atemnotanfälle, Angstzustände, innere Unruhe, Schlafstörungen und migräneartige Kopfschmerzen genannt. Die Neurologin Dr. Dr. R. habe die Zuordnung des Beschwerdebildes als eine erlebnis-reaktive Entwicklung mit psychosomatischen Störungen lediglich für möglich gehalten. Die für den Ursachenzusammenhang geforderte Wahrscheinlichkeit sei damit nicht belegt. Wissenschaftliche Forschungsergebnisse, die eine Beweisführung des Klägers ermöglichen könnten, seien nicht ersichtlich.

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Gegen den am 18. April 2000 abgesandten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit der am 18. Mai 2000 eingegangenen Berufung, mit der er zunächst die Verpflichtung erbat, das Verschüttungssyndrom als Folge des augenblicklichen Gesundheitszustands anzuerkennen und den Umfang der MdE neu festzusetzen. Ferner vertritt er die Auffassung, die MdE sei entsprechend der Einschätzung der durch den Senat befragten Sachverständigen seit 1969 zu erhöhen und dem Kläger seitdem erhöhte Versorgung zu zahlen; eine Erhöhung der MdE auf einen 80 v.H. übersteigenden Wert verfolgt er nicht weiter.

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Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen jetzt noch,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des SG Oldenburg vom 12. April 2000 aufzuheben und den Bescheid vom 11. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1999 zu ändern,

  2. 2.

    den Beklagten zu verpflichten, unter Rücknahme des Bescheides vom 12. Oktober 1976 seit 6. Mai 1975 "ticartige Zuckungen im Gesicht" als weitere Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung festzustellen,

  3. 3.

    den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Versorgung nach einer MdE um 70 v.H. von Januar 1967 bis 31. August 1987 zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

11

Der Beklagte hält den Gerichtsbescheid für zutreffend.

12

Der Senat hat Beweis erhoben durch ein Untersuchungsgutachten der Ärzte für Neurologie und Psychiatrie Frau S./Dr. T. vom 24. Juni 2003. Sie kommen zum Ergebnis, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verletzungsereignis und den ticartigen Erscheinungen im Gesicht des Klägers sei wahrscheinlich.

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Neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge haben die den Kläger betreffenden Beschädigtenakten (Az.: U.) sowie die Schwerbehinderten-Akten (Az.: V.) des VA Oldenburg und die Akten S 1d V 293/76, S 1 VS 95/81, S 1b V 366/81, S 1 VS 744/84 sowie S 1a V 10206/96 des SG Oldenburg vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Mit Zustimmung der Beteiligten hat der Senat gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden.

15

Die gemäß § 143 SGG zulässige Berufung ist, soweit sie der Kläger nicht zurückgenommen hat, teilweise begründet. Zu Recht macht der Kläger als weitere Schädigungsfolge ticartige Erscheinungen im Gesicht geltend. Das Rechtsmittel ist unbegründet, soweit der Kläger höhere Versorgung von Januar 1967 bis Ende August 1987 geltend macht.

16

1.

Nicht mehr zur Entscheidung des Senats steht die Frage des Umfangs der MdE seit September 1987. Denn der Kläger hat die seit 1. September 1987 festgestellte MdE um 80 v.H mit Schriftsatz vom 2. August 2003 nach dem Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme akzeptiert. Damit ist die Berufung in diesem Umfang zurückgenommen.

17

2.

Soweit der Kläger als weitere Schädigungsfolge "ticartige Zuckungen im Gesicht" geltend macht, ist die Berufung begründet. Der gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässige Feststellungsantrag hat Erfolg.

18

Prüfungsmaßstab ist § 44 SGB X. Dessen Voraussetzungen hat das SG nicht ergänzungsbedürftig im Gerichtsbescheid dargestellt. Hierauf wird zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen Bezug genommen.

19

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und dem Gesamtergebnis des Verfahrens, § 128 Abs. 1 SGG, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass zwischen dem Schädigungsereignis vom 17. März 1944 und den ticartigen Erscheinungen im Gesicht des Klägers ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne der Entstehung wahrscheinlich ist. Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung wird gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG die überwiegende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs gefordert. Sie besteht, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. Diese Voraussetzungen sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erfüllt. Die Sachverständigen S. und Dr. T. haben überzeugend unter Heranziehung der rechtsnormähnlichen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996" (AHP, dort S. 251 und 306) eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) des Klägers nach sorgfältiger Auswertung des Akteninhalts und eigener Untersuchung festgestellt und weitere differentialdiagnostische Erklärungsmöglichkeiten aus psychiatrischer Sicht ausgeschlossen.

20

Sie haben angesichts fehlender fremdenamnestischer Informationen offen gelassen, ob eine akute Belastungssituation im Sinne des ICD 10: F 43.0 bei dem Kläger vorgelegen hat; sie haben aber den einen Zeitraum von 3 - 4 Tagen nach der Verletzung umfassenden Erinnerungsverlust des Klägers als Hinweis auf eine solche Störung gewertet. Auch haben sie nachvollziehbar die für die Annahme der PTBS bedeutsamen Symptome im Wesentlichen bejaht. Die PTBS entsteht als verzögerte oder protrahierte Reaktion auf eine Situation außergewöhnlicher Drohung oder katastrophenartigen Ausmaßes. Als Symptome sind bedeutsam häufig unwillkürliche Erinnerungen an das Trauma, Vermeidung von Situationen und Objekten, die mit dem Ereignis zusammenhängen, allgemeiner sozialer Rückzug und Symptome eines erhöhten Erregungsniveaus, verbunden mit Schlafstörungen sowie verschiedenen ängstlichen, depressiven und zum Teil auch dissoziativen Symptomen.

21

Die Sachverständigen haben überzeugend nachgewiesen, dass mit Ausnahme des allgemeinen sozialen Rückzugs die übrigen Symptome bei dem Kläger festzustellen sind. Bei ihm treten Albträume auf, die als unwillkürliche Erinnerung an das Trauma zu bezeichnen sind. Hierin liegt eine Aktivierung von Gedächtnisfragmenten, die einer bewussten Erinnerung nicht zugänglich sind oder deren Erinnerung im Wachzustand auf Grund der damit verbundenen affektiven Belastung vermieden wird. Damit ist gleichzeitig das Kriterium der Vermeidung von Situationen und Objekten, die mit dem Ereignis zusammenhängen, erfüllt. Symptome eines erhöhten Erregungsniveaus, Schlafstörungen sowie dissoziative Symptome ergeben sich aus den von den Sachverständigen zitierten Schilderungen der Ehefrau. Sie belegen nächtliches Schreien und Albträume des Klägers. Auch ist der Kläger in der Vergangenheit mehrfach von zu Hause weggelaufen im Zusammenhang mit Gedanken an Russland und wusste danach nicht, wie es dazu gekommen ist. Außerdem sind die Muskelzuckungen ohne organneurologische Ursachen (vgl. die Gutachten Dr. J. vom 9. Juli 1976, Prof. Dres. W. vom 2. Juli 1979, Gutachten Dr. P. vom 13. November 1978, Arztbrief Dr. I. vom 17. April 1975) selbst Zeichen eines erhöhten Erregungsniveaus. Zwar haben die Sachverständigen darauf hingewiesen, dass (nach der aktuellen Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation ICD 10) späte chronifizierte Folgen von extremer Belastung, d.h. solche, die noch Jahrzehnte nach der belastenden Erfahrung bestehen, als andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung zu klassifizieren sind. Allerdings sind aus den Akten und aus der aktuellen Exploration die für diese Diagnose erforderlichen Merkmale wie feindliche oder misstrauische Haltung der Welt gegenüber, sozialer Rückzug, Gefühl der Leere und Hoffnungslosigkeit, chronisches Gefühl von Nervosität wie bei ständigem bedroht sein, Entfremdung, für die Sachverständigen nicht zu entnehmen gewesen. Sie beschränken sich auf die Mutmaßung, dass es dem Kläger über den angesprochenen Somatisierungsprozess gelungen ist, die durch die traumatischen Erfahrungen ausgelöste intrapsychische Spannung zu externalisieren und damit die Entwicklung einer andauernden Persönlichkeitsänderung zu verhindern.

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Gegen die Diagnose spricht nicht, dass nach dem Akteninhalt erstmals nach Ablauf von 10 Jahren nach dem Verletzungsereignis, nämlich in einer ärztlichen Stellungnahme vom 10. April 1954 "Corea minor" festgestellt und die Frage des Zusammenhangs mit der anerkannten Herzstörung aufgeworfen wurde. In dem Gutachten des Dr. X. vom 8. Dezember 1954 sind grimassierende Gesichtsbewegungen, ticartige Zuckungen der Augenlider, der Nase und der Mundwinkel erwähnt, die bei Ablenkung verschwinden. Zwar entwickelt sich in der Regel eine PTBS innerhalb von 6 Monaten nach dem Erleben der extrem belastenden Situation (vgl. Pschyrembel, Stichwort Belastungsstörung, posttraumatische), es kommt jedoch auch eine spätere Manifestation in Betracht (Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 12. bis 13. November 1997 zu Punkt 1.1; auch die vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger herausgegebenen "Empfehlungen für die sozialmedizinische Beurteilung psychischer Störungen", Stand Oktober 2001 bejahen, die Möglichkeit, dass - wenn auch selten - die Störung dem Trauma mit einer Latenz von länger als 6 Monaten folgen kann (a.a.O. S. 42).

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Nachvollziehbar ist auch begründet, dass das über den als typisch bezeichneten Zeitraum von 6 Monaten hinaus verzögerte erste Auftreten der Muskelzuckungen nur vordergründig gegen einen kausalen Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis spricht. Die Erklärung, dass es nach Überstehen der akuten Bedrohung zunächst zur Ausbildung von psychischen Schutz- und Bewältigungsmechanismen gekommen ist, ist einleuchtend. Der Kläger hat nach den nachvollziehbaren Erläuterungen durch die Sachverständigen seine seelische Spannung in ein körperliches Symptom übersetzt (Somatisierung). Hierin liegt eine somatoforme Funktionsstörung, die nicht durch das vegetative Nervensystem vermittelt wird.

24

Angesichts der bei organneurologischer Unversehrtheit des Klägers fehlenden alternativen Erklärungsmöglichkeiten haben die Sachverständigen nachvollziehbar auf einen wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen dem Schädigungsereignis und den ticartigen Zuckungen geschlossen.

25

Die Sachverständigen haben anhand der historischen Entwicklung des Krankheitsbegriffs ebenso nachvollziehbar dargestellt, dass diese - damals nicht erkannte - Schädigungsfolge bereits zum Zeitpunkt des Bescheides vom 12. Oktober 1976 bestanden hat.

26

3.

Der Antrag auf höhere Versorgung des Klägers wegen MdE ab Januar 1967 ist unbegründet. Ihm steht § 44 Abs. 4 SGB X entgegen. Dessen S. 3 ermöglicht zu Gunsten eines Leistungsempfängers die Leistungsgewährung für einen Zeitraum von 4 Jahren vor der Antragstellung. Dabei meint S. 3 den Antrag auf Rücknahme des Bescheides, nicht etwa den ersten Antrag auf Zahlung einer Sozialleistung. Der Überprüfungsantrag des Klägers stammt vom 18. September 1998, sodass eine höhere Versorgung seit Beginn des Jahres 1994 in Betracht käme. Seither hat der Kläger jedoch stets Versorgung nach einer MdE um 80 v.H. erhalten (seit September 1987). Eine höhere Versorgung für die Zeit davor schließt das Gesetz aus.

27

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der Kläger die Berufung teilweise zurückgenommen hat. Im Übrigen beschränkt sich der Erfolg des Klägers auf die Feststellung einer weiteren Schädigungsfolge ohne Auswirkung auf die Höhe der MdE.

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Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.