Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.01.1996, Az.: VIII 195/91

Gewährung einer Rücklage durch das Finanzamt im Billigkeitswege ; Billigkeit der sofortigen Besteuerung des Gewinns aus einer Veräußerung eines von einem Landwirt erworbenen Grundstücks ; Steuerliche Begünstigung der stillen Reserven, die über einen längeren Zeitraum hinweg beim Steuerpflichtigen angewachsen sind; Besteuerung von Veräußerungsgewinnen bei den Einkünften aus Landwirtschaft und Forstwirtschaft

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
23.01.1996
Aktenzeichen
VIII 195/91
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 18635
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1996:0123.VIII195.91.0A

Verfahrensgegenstand

Einkommensteuer 1988

Der VIII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
in der Sitzung vom 23. Januar 1996,
an der mitgewirkt haben:
1. Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
2. Richter am Finanzgericht ...
3. Richter am Finanzgericht ...
4. ehrenamtliche Richterin ...
5. ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rücklage gemäß § 6 b EStG in Höhe von 201.862,00 DM im Billigkeitswege gemäß § 163 AO.

2

Streitjahr ist das Jahr 1988.

3

Der jetzige Kläger ist als Rechtsnachfolger seines Vaters in den Prozeß eingetreten. Der Vater des Klägers ist im Verlaufe des Prozesses im Jahre 1991 verstorben. Klägerin ist die Ehefrau des verstorbenen und Mutter des jetzigen Klägers.

4

Der Vater des Klägers war Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebes, den er verpachtete. Er erzielte weiterhin Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft im Sinne des § 13 EStG. Den Gewinn ermittelte er gemäß § 4 Abs. 1 EStG. Mit Vertrag vom 08.09.1986 erwarb der Vater des Klägers zur Erweiterung seines Betriebes ein Grundstück von dem Landwirt M.. Dieses Grundstück war mit einem Wohnhaus, einem Rinderstall, einem Schweinestall und einer Scheune bebaut. Auf dem Grundstück sollten, nachdem die erworbene Scheune im Jahre 1987 durch einen Brand zerstört worden war, zwei landwirtschaftliche Gerätehallen errichtet werden.

5

Das Vorhaben konnte nicht ausgeführt werden. Die Stadt ... verweigerte mit Bescheid vom 26.07.1988 die Baugenehmigung, weil der Vater des Klägers und die Klägerin nicht bereit waren, die denkmalrechtliche Auflage zu erfüllen, die Neubauten mit roten Ziegeln zu verklinkern.

6

Im Anschluß daran entschloß sich der Vater des Klägers die Neubauten auf einem eigenen Grundstück im Außenbereich durchzuführen, weil er sein unternehmerisches Konzept geändert hatte. Daher verkaufte er das von dem Landwirt M. erworbene Grundstück am 02.06.1989 mit einem Buchgewinn von 201.862,00 DM. Mit dem Veräußerungserlös wurde der Neubau im Außenbereich finanziert.

7

Mit der Einkommensteuererklärung 1988 beantragte er die Gewährung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung gemäß Abschnitt 35 EStR in Höhe des Veräußerungsgewinns. Der Beklagte (das Finanzamt -FA-) lehnte diesen Antrag ab und erhöhte den Gewinn für das Jahr 1988 gemäß § 4 a Abs. 2 Nr. 1 EStG um 100.931,00 DM.

8

Im Rahmen des Einspruchsverfahrens beantragten der Vater des Klägers und die Klägerin eine Rücklagenbildung gemäß § 6 b EStG aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO. Dieser Antrag blieb erfolglos.

9

Gegen die ablehnende Entscheidung wurde Klage erhoben. Die Kläger vertreten hier die Ansicht, die Besteuerung des Veräußerungserlöses sei unbillig, weil der Verkauf aufgrund des Brandschadens und der verweigerten Baugenehmigung vorgenommen worden sei. Auch sei der Veräußerungserlös allein zum Neubau betrieblich notwendiger Anlagen verwendet worden. Die Nichteinhaltung der 6-Jahresfrist des § 6 b EStG sei allein auf Umstände zurückzuführen, die die Kläger nicht zu vertreten hätten.

10

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides über die Ablehnung der Gewährung einer Rücklage nach § 6 b EStG im Billigkeitswege gemäß § 163 AO und des dazu ergangenen Beschwerdebescheides der OFD Hannover vom 14.03.1991 zu verpflichten, den Klägern eine Rücklagenbildung in Höhe von 201.862,00 DM gemäß § 6 b EStG aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO zu gewähren.

11

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Es vertritt die Auffassung, daß keine Gründe ersichtlich seien, die die Gewährung einer Rücklagenbildung über den Anwendungsbereich des Wortlautes des § 6 b EStG hinaus rechtfertigen würden. Nach dem Gesetzeswortlaut sei nur der Veräußerungsgewinn zu begünstigen, der bei dem Verkauf von Wirtschaftsgütern entstanden sei, die mindestens sechs Jahre zum Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen gehört hätten. Diese Voraussetzung sei bei den Klägern nicht erfüllt. Auch beruhe die Veräußerung des Grundstücks allein auf der freiwilligen Entscheidung der Kläger. Sie sei zwar durch den Brand und die Verweigerung der Baugenehmigung motiviert, aber dennoch nicht zwangsläufig gewesen. Daher sei eine Billigkeitsmaßnahme nicht notwendig.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage ist nicht begründet.

14

Das FA hat die Gewährung einer Rücklage nach § 6 b EStG im Billigkeitswege gemäß § 163 AO ermessensfehlerfrei abgelehnt. Die Entscheidung, ob eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO gewährt wird, steht im Ermessen des beklagten Finanzamtes. Das Finanzgericht ist daher darauf beschränkt, die Entscheidung auf Ermessensfehler zu überprüfen (BFH-Urteil vom 07.05.1981, VII R 64/79, BStBl II, 608).

15

Die Entscheidung des FA im vorliegenden Fall läßt einen Ermessensfehler nicht erkennen. Zu Recht hat das FA angenommen, daß die sofortige Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung des vom Landwirt M. erworbenen Grundstücks nicht sachlich unbillig im Sinne des§ 163 AO sei.

16

Sachliche Unbilligkeit im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, daß die Einziehung der Steuer im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Besteuerung nicht mehr gerechtfertigt ist. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewußt in Kauf genommen hat, rechtfertigen eine Billigkeitsmaßnahme nicht (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 24.09.1976, I R 41/75, BFHE 120, 212, BStBl II 1977, 127).

17

Die Vorschrift des § 6 b EStG erlaubt es, Gewinne steuerfrei zu stellen, die bei der Veräußerung bestimmter Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens entstanden sind. § 6 b EStG stellt dabei eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, das alle Veräußerungsgewinne, die im Rahmen von Gewinneinkünften erzielt werden, steuerpflichtig sind. Die Steuerfreiheit solcher grundsätzlich steuerpflichtiger Gewinne soll nach dem Gesetzeszweck nur gewährt werden, wenn die zu besteuernden stillen Reserven bei einem Wirtschaftsgut entstanden sind, das längere Zeit dem Unternehmen diente. Begünstigt sind nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift nur die stillen Reserven, die über einen längeren Zeitraum hinweg beim Steuerpflichtigen angewachsen sind (so auch BFH-Urteil vom 17.07.1980, IV R 136/77, BFHE 131, 313, BStBl II 1981, 84). Daher verlangt§ 6 b Abs. 4 Nr. 2 EStG, daß das veräußerte Wirtschaftsgut mindestens sechs Jahre ununterbrochen zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört hat. Die 6-Jahresfrist stellt somit keine formelle Anforderung dar; vielmehr soll sie gewährleisten, daß nur die Gewinne rücklagefähig sind, die nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift begünstigt werden sollen.

18

Die 6-Jahresfrist des § 6 b Abs. 4 Nr. 2 EStG ist im Streitfall unstreitig nicht eingehalten. Das veräußerte Grundstück gehörte lediglich etwas mehr als zwei Jahre zum Betriebsvermögen des väterlichen Betriebes.

19

Die Besteuerung des Veräußerungsgewinnes läuft auch dem Zweck des § 6 b EStG nicht zuwider. Vielmehr entspricht die sofortige Besteuerung des Veräußerungsgewinns gerade dem Zweck der Vorschrift. Stille Reserven, die - wie im Streitfall - nur über einen Zeitraum von zwei Jahren beim Steuerpflichtigen angewachsen sind, sollen sofort besteuert werden. Würde den Klägern die Rücklagenbildung im Billigkeitswege gestattet, so würde der Gesetzeszweck des § 6 b EStG unterlaufen.

20

Die Besteuerung des Veräußerungsgewinns ist auch keine besondere Härte für die Kläger, die zur Herstellung der Einzelfallgerechtigkeit durch die Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme ausgeglichen werden muß; denn die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen ist bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft gemäß § 13 EStG der Regelfall, weil es sich um Gewinneinkünfte handelt.

21

Daneben beruht der Verkauf auch nicht auf für die Kläger unabwendbaren Zwängen. Die Bebauung des verkauften Grundstückes war grundsätzlich möglich. Der Vater des Klägers war jedoch nicht bereit, Bauauflagen zu erfüllen. Hätte er diese erfüllt, so hätte er wie geplant das neu erworbene Grundstück bebauen können. Die Verweigerung der Baugenehmigung durch die Stadt ... führte nur dazu, daß der Vater des Klägersüber ein neues Unternehmenskonzept nachdachte. Dabei kam man offensichtlich zu dem Entschluß, die notwendigen Bauten auf den eigenen Grundstücken im Außenbereich zu errichten. Dieser Entschluß wurde jedoch freiwillig gefaßt. Die Verweigerung der Baugenehmigung war nur der Anlaß zu dieser Neuorientierung. Auch das Abbrennen der erworbenen Scheune war nicht ausschlaggebend für den Verkauf des Grundstückes. Nach dem die Scheune abgebrannt war, war beabsichtigt, statt einer nunmehr zwei Gerätehallen zu errichten. Dementsprechend wurde ein Bauantrag gestellt, der den Neubau von zwei Gerätehallen aufwies. DieÄnderung dieser Pläne war durch den Brandschaden nicht beeinflußt. Insgesamt beruhte der Verkauf deshalb auf einem freiwilligen Entschluß.

22

Nach alldem war die Klage abzuweisen.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.