Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.01.1996, Az.: XII (IV) 242/93
Zuordnung von Gerichtskostenauslagen zu dem Übergangsgewinn oder zu dem Veräußerungsgewinn; Voraussetzungen für eine Aktivierungspflicht von Forderungen eines Rechtsanwaltes hinsichtlich einer Fälligkeitsvereinbarung mit dem Mandanten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 18.01.1996
- Aktenzeichen
- XII (IV) 242/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 24874
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1996:0118.XII.IV242.93.0A
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs. 1 EStG
- § 611 BGB
- § 670 BGB
- § 675 BGB
- § 1 Abs. 1 BRAGO
- § 16 Abs. 1 BRAGO
- § 18 BRAGO
Fundstellen
- DB (Beilage) 1997, 23 (Kurzinformation)
- EFG 1996, 527-528 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Einkommensteuer 1988
Der XII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 18. Januar 1996,
an der mitgewirkt haben:
1. Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht ...
2. Richter an Finanzgericht ...
3. Richter an Finanzgericht ...
4. ehrenamtlicher Richter ... Gewerkschaftssekretär
5. ehrenamtlicher Richter ... Geschäftsführer
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Gerichtskostenauslagen dem Übergangsgewinn oder dem Veräußerungsgewinn zuzuordnen sind.
Der Kläger betrieb bis zum 2. Januar 1988 eine Rechtsanwaltspraxis, die er durch Kaufvertrag vom selben Tage an eine neu gegründete Gesellschaft bürgerlichen Rechts veräußerte. Bis zum 31.12.1987 ermittelte der Kläger seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG. Zum 2. Januar 1988 ging er zum Bestandsvergleich über. Die streitigen Auslagen berücksichtigte er bei der Berechnung des Veräußerungserlöses.
Im Anschluß an eine beim Kläger durchgeführte Außenprüfung erfaßte der Beklagte die Aufwendungen für verauslagte Gerichtskosten in Höhe von 47.548,55 DM und noch vorrätigen Gerichtskostenstempelmarken i.H.v. 14.563,30 DM (insgesamt 62.111,85 DM) als laufenden Gewinn, da der Kläger diese Aufwendungen im Rahmen der Überschußrechnung im Zeitpunkt der Verausgabung als Betriebsausgaben erfaßt hatte. Der Veräußerungsgewinn wurde entsprechend vermindert. Den Einspruch gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid 1988 wies der Beklagte als unbegründet zurück.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zurechnung der streitigen Gewinnerhöhung beim Veräußerungsgewinn.
Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor, eine Aktivierungspflicht der gekauften und verbrauchten Gerichtskostenmarken habe zum Übergangszeitpunkt nicht bestanden, da er die persönliche Haftung für die Zahlung der Gerichtskosten übernommen habe. Die Gerichtskosten seien als halbfertige Arbeiten dem Veräußerungsgewinn zuzurechnen. Zudem habe er mit seinem Mandanten bei Übernahme der einzelnen Aufträge vereinbart, daß die verauslagten Kosten zusammen mit den nach Erledigung der Angelegenheit ihm zustehenden Gebühren erhoben würden. Gemäß § 1 Abs. 1 BRAGO setze sich die Vergütung eines Rechtsanwalts aus den Gebühren und Auslagen zusammen. Diese Vergütung könne nach § 18 Abs. 1 BRAGO erst nach Erteilung einer Rechnung gefordert werden. Fällig sei die Vergütung nach Auftragserledigung oder Beendigung der Angelegenheit, § 16 BRAGO. Aus diesem Grund handele es sich auch bei den Auslagen um einen Teil der nicht aktivierungspflichtigen Vergütung, so daß lediglich eine Erfassung beim Veräußerungsgewinn zulässig sei.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 1988 in der Fassung vom 30.03.1993 dahingehend zu ändern, daß die Einkünfte aus selbständiger Arbeit von 106.818,00 DM auf 44.706,00 DM herabgesetzt werden und der Veräußerungsgewinn von 463.254,00 DM auf 525.365,00 DM heraufgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, die Aufwendungen seien nach dem Urteil des BFH vom 28. Januar 1960, IV 226/58 S als Aufwendungen von einigem Gewicht zu aktivieren und daher zu Recht dem laufenden Gewinn zuzuordnen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte hat die Forderungen auf Erstattung der verauslagten Gerichtskosten sowie der Gerichtsstempelmarken zu Recht dem laufenden Gewinn zugeordnet.
Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, ist für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns von der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG auszugehen. Soweit der Steuerpflichtige - wie im Streitfall der Kläger - seinen Gewinn zunächst durch Überschußrechnung ermittelt hat, ist fiktiv zur Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich überzugehen. Dieser Übergang zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG dient nicht nur der Ermittlung des Veräußerungsgewinns, sondern vor allem der richtigen Erfassung des laufenden Gewinns. Denn die Aktivierung von bisher nicht erfaßten Forderungen führt zu einer Erhöhung des laufenden Gewinns (vgl. BFH-Urteil vom 13.12.1979 IV R 69/74, BStBl II 1980, 239, 241).
Die Aktivierungspflicht von Forderungen eines Freiberuflers besteht grundsätzlich für alle Forderungen, sobald sie entstanden sind. Fälligkeitsvereinbarungen und Abrechnungsmodalitäten beeinflussen diesen Zeitpunkt nicht (vgl. BFH-Urteil vom 24.03.1960 IV 93/58 U, BStBl III 1960, 268, 269). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt, so daß die Erstattungsansprüche des Klägers gegenüber den Mandanten sowie der Wert der noch vorhandenen Gebührenmarken zu aktivieren waren.
Die Gebührenmarken verkörpern, solange sie nicht für einen bestimmten Kostentatbestand verwandt wurden, einen Rückforderungsanspruch des Klägers gegenüber der Gerichtskasse, also dem Land Niedersachsen. Gerichtskostenmarken dokumentieren lediglich die Einzahlung einer Geldsumme bei der Gerichtskasse in Höhe ihres jeweiligen Wertes. Durch Rückgabe der Kostenmarken kann der Gegenwert in Geld jederzeit erlangt werden, so daß die Forderung des Klägers als Teil des Betriebsvermögens zu aktivieren, also dem Übergangsgewinn zuzurechnen war.
Dies gilt auch für die Erstattungsansprüche des Klägers gegenüber seinen Mandanten wegen der von ihm verauslagten Gerichtskosten.
Der Kläger schloß als Rechtsanwalt mit seinen Mandanten gemäß §§ 675, 611 BGB Geschäftsbesorgungsverträge mit Dienstleistungscharakter zum Zwecke der Prozeßführung oder Besorgung einer sonstigen Rechtsangelegenheit (vgl. Palandt/Putzo, BGB, 54. Aufl., Einführung vor § 611 Rdn. 21). Aus diesen Auftragsverhältnissen stand dem Kläger gemäß § 670 BGB ein Aufwendungsersatzanspruch zu, der mit der Verausgabung der Gerichtskosten bzw. der Verwendung der vorhandenen Kostenmarken entstanden war.
Entgegen der Ansicht des Klägers steht einer Aktivierungspflicht der Aufwendungsersatzansprüche weder die sich aus den §§ 16 Abs. 1, 18, 1 Abs. 1 BRAGO ergebende Fälligkeits- und Einforderbarkeitsregelung für die Rechtsanwaltsvergütung entgegen noch die mit den Mandanten getroffene Vereinbarung.
Die §§ 16 Abs. 1, 18, 1 Abs. 1 BRAGO enthalten ebenso wie die Vertragsabrede mit den Mandanten lediglich eine Regelung über den Erhebungszeitpunkt, also die Fälligkeit, und die Voraussetzungen für eine Geltendmachung des Anspruchs, also dessen Einklagbarkeit. Die dem Rechtsanwalt zustehende Vergütung, also die Gebühren und Auslagen, werden entsprechend der mit den Mandanten für die Aufwendungsersatzanspüche getroffenen Vereinbarung fällig, wenn der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendigt ist. Die Entstehung der einzelnen Gebühren und Auslagenansprüche wird hiervon nicht berührt (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 26. Aufl., § 16 BRAGO Rdn. 1).
Im übrigen beschränken sich die §§ 1 ff. BRAGO lediglich auf Gebühren und Auslagen, die ihre Grundlage in der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung selbst haben, so daß ein zivilrechtlicher Anspruch auf Ersatz anderer Auslagen, wie etwa von verauslagten Gerichtsgebühren, hiervon nicht berührt wird (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 26. Aufl., § 1 BRAGO Rdn. 1).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.