Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.01.1996, Az.: XII 21/94

Erlöschen eines abgetretenen Umsatzsteuererstattungsanspruchs; Sinn und Zweck eines Abrechnungsbescheides; Erfordernis der Bezeichnung der Gegenforderung im Abrechnungsbescheid; Sinngemäße Geltung der Vorschriften des bürgerlichen Rechts bei Aufrechnung mit und gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
18.01.1996
Aktenzeichen
XII 21/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 16651
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1996:0118.XII21.94.0A

Fundstelle

  • EFG 1996, 904-905 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Abrechnung

In dem Rechtsstreit
hat der XII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 18. Januar 1996,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ...
ehrenamtlicher Richter ...
fürRecht erkannt:

Tenor:

Der Abrechnungsbescheid vom 3. Januar 1994 und der Einspruchsbescheid vom 18. Januar 1994 werden aufgehoben.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in der selben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um das Erlöschen eines abgetretenen Umsatzsteuererstattungsanspruchs.

2

Der Klägervertreter gab am 24. September 1993 seine Umsatzsteuererklärung 1992 beim Beklagten ab, die ein Guthaben von 180,41 DM auswies. Zu dem Erstattungsanspruch teilte der Klägervertreter dem Beklagten zugleich mit, daß dieser an die Klägerin abgetreten worden sei. Die Überweisung sollte deshalb auf deren Konto erfolgen. Der Beklagte übersandte daraufhin am 20. Oktober 1993 einen amtlichen Abtretungsvordruck, den die Klägerin und ihr Prozeßbevollmächtigter entsprechend ihrer früheren Mitteilung ausfüllten. Der Vordruck ging beim Finanzamt am 22. Oktober 1993, 8.00 Uhr ein. Am 30. November 1993 erließ der Beklagte den Umsatzsteuerbescheid 1992 mit einem Erstattungsbetrag von 185,00 DM. Zugleich teilte er der Klägerin mit, daß das Guthaben mit rückständigen. Steuerschulden verrechnet werde und er die Aufrechnung erkläre. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben des Finanzamtes vom 30.11.1993 (Blatt 8 Abtretungshefter) Bezug genommen.

3

Am 3. Januar 1994 erteilte der Beklagte der Klägerin ferner einen Abrechnungsbescheid, in dem er eine Auszahlung des Guthabens ablehnte. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Der Beklagte hat die Gegenforderung weder im Abrechnungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung bezeichnet.

4

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung des Abrechnungsbescheides und der Einspruchsentscheidung. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, die Abtretung sei wirksam und deshalb vom Beklagten zu befolgen.

5

Die Klägerin beantragt,

den Abrechnungsbescheid vom 3. Januar 1994 und den Einspruchsbescheid des Beklagten vom 18. Januar 1994 aufzuheben.

6

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Er ist der Ansicht, der Erstattungsanspruch sei durch Aufrechnung erloschen. Die Abtretung des Umsatzsteuerguthabens sei erst mit Eingang der formgerechten Abtretungsanzeige vom 22. Oktober 1993 wirksam geworden. Eine Aufrechnung sei auch nach Abtretung gegenüber dem Neugläubiger wirksam, wenn sich die Forderungen im Zeitpunkt der Abtretung bereits aufrechenbar gegenübergestanden hätten. Dies sei der Fall gewesen, da die Forderung des Finanzamtes (Umsatzsteuer 1982) am 10.07.1985 fällig geworden sei. Von der Abtretung habe er erst durch die Umsatzsteuererklärung vom 24. September 1993 Kenntnis erlangt. Für eine wirksame Aufrechnung genüge nach der Rechtsprechung des BFH (Bundessteuerblatt II 1990, 523) die Konkretisierung der Gegenforderung im Klageverfahren.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet, da der Abrechnungsbescheid vom 3. Januar 1994 und der Einspruchsbescheid vom 18. Januar 1995 die Klägerin in ihren Rechten verletzen.

9

Nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 istüber Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus Steuerschuldverhältnissen betreffen, durch einen Verwaltungsakt zu entscheiden, der in Anlehnung an die frühere Regelung in § 125 der Reichsabgabenordnung allgemein als Abrechnungsbescheid bezeichnet wird. Sinn und Zweck dieses Bescheides besteht erkennbar darin, über eine Streitigkeit zwischen Schuldner und Gläubiger, die die Verwirklichung von Steueransprüchen betrifft, eine für die Beteiligten verbindliche Klärung zu schaffen. Die Anforderung an die nach § 119 AO 1977 erforderliche inhaltliche Bestimmtheit des Verwaltungsaktes sind demgemäß danach auszurichten, daß die Klärung der im Einzelfall bestehenden Streitigkeit erreicht wird (vgl. BFH, Urteil vom 5. Juli 1988 VII R 142/84, BFH/NV 1990, 69, 70).

10

Diesen Anforderungen wird der Abrechnungsbescheid in der Fassung des Einspruchsbescheides nicht gerecht, da die Gegenforderung, mit der der Beklagte aufgerechnet hat, nicht bezeichnet wurde, so daß der Verwaltungsakt nicht hinreichend bestimmt ist.

11

Der BFH geht zwar in seinen Urteilen vom 03.11.1983 VII R 153/82, BStBl II 1984, 14 und vom 06.02.1990 VII R 86/88, BStBl II 1990, 53) in Verfahren über Abrechnungsbescheide, in denen über eine Aufrechnung entschieden wurde, unter Hinweis auf § 396 Abs. 1 BGB davon aus, daß beim Bestehen mehrerer Forderungen die Aufrechnung erklärt werden könne, ohne die Gegenforderung zu benennen, mit der aufgerechnet werde. Bei der Geltendmachung einer solchen unbestimmt erklärten Aufrechnung im gerichtlichen Verfahren müsse der Aufrechnende spätestens bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz darlegen, welche Forderungen ihm nach seiner Auffassung zur Aufrechnung zur Verfügung gestanden hätten. Dieser Auffassung hat sich die Literatur (vgl. Tipke/Kruse, AO, § 226 Tz. 18; Beermann/Schultz, AO, § 226 Rdnr. 18; Schwarz/Frotscher, AO,§ 226 Rdnr. 8) im wesentlichen angeschlossen.

12

Der Senat folgt dieser Ansicht nicht, da die vorgenannte Rechtsprechung nicht hinreichend zwischen der Wirksamkeit einer Aufrechnungserklärung und den formellen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheides differenziert.

13

Gemäß § 226 Abs. 1 AO 1977 gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die§§ 387 ff. BGB und insbesondere § 396 BGB sind im Rahmen der Entscheidung über die materielle Rechtslage, ob und welche Forderungen durch Aufrechnung erloschen sind, sinngemäß anzuwenden. Dabei kann hier dahinstehen, ob einer sinngemäßen Anwendung des§ 396 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit§§ 366 Abs. 2, 367 BGB die Vorschrift des§ 225 AO entgegensteht, weil die Abgabenordnung teilweise von anderen Tilgungsgrundsätzen ausgeht. Denn die Bestimmung der Hauptforderung im vorliegenden Fall ist weder im Abrechnungsbescheid noch im Einspruchsbescheid erfolgt, so daß unabhängig von der Frage der Wirksamkeit der Aufrechnungserklärung keine hinreichende inhaltliche Bestimmtheit der angefochtenen Verwaltungsakte vorliegt.

14

Die Bezeichnung der Gegenforderung, mit der der Beklagte aufgerechnet hat, war zur inhaltlichen Bestimmtheit des Abrechnungsbescheides erforderlich. So führte der Reichsfinanzhof (Urteil vom 3. Mai 1933 IV A 289/32, RFHE 10, 145) zu § 125 RAO aus, Voraussetzung für den Erlaß eines Abrechnungsbescheides sei, daß Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt darüber bestünden, ob eine Zahlungsverpflichtung erloschen sei. Zur Entscheidung dieses Streites genüge ein Bescheid, in dem festgestellt werde, daß der oder die einzelnen Ansprüche erloschen seien.

15

Zu der Feststellung des Erlöschens gehört als wesentlicher Bestandteil die Erläuterung, durch welchen Erlöschenstatbestand eine Forderung des Steuerpflichtigen untergegangen ist. Denn Sinn und Zweck des Abrechnungsbescheides ist es, den Beteiligten über die noch bestehenden Steuerverbindlichkeiten und -erstattungsansprüche abschließende Klarheit zu verschaffen (Finanzgericht des Saarlandes, Urteil vom 6. Juli 1995 II K 192/93, EFG 1996, 46; Tipke/Kruse, AO, § 218 Tz. 6, Baumdicker, DSTZ 1982, 188, 189). Demgemäß verlangt die Rechtsprechung grundsätzlich zur hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit eines Abrechnungsbescheides, daß die Steuerart, das Steuerjahr und der zugehörige Betrag zu benennen sind und wodurch ein Erlöschen eingetreten ist (BFH, Urteil vom 8. Juni 1966 VII 293/64, BStBl III 1966, 563, BFH, Urteil vom 1. August 1979 VII R 115/76, BStBl II 1979, 74, BFH, Urteil vom 5. Juli 1988 VII R 142/84, BFH/NV 1990, 69). Dabei ist für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheides von den Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung auszugehen.

16

Eine ausreichende Bezeichnung des Erlöschensgrundes kann nur dann vorliegen, wenn der Steuerpflichtige in die Lage versetzt wird, die Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Finanzamtes zuüberprüfen. Hierzu ist erforderlich, daß neben der Benennung der Hauptforderung und der Angabe des Entstehungszeitpunktes die Gegenforderung konkretisiert wird. Hierzu gehört es auch, die Fälligkeit der Gegenforderung anzugeben, damit der Steuerpflichtige den Zeitpunkt der erstmaligen Aufrechnungsmöglichkeit ermitteln kann.

17

Ohne eine derartige Bestimmung im Abrechnungsbescheid wird dem Steuerpflichtigen jegliche Möglichkeit genommen, Einwendungen gegen das festgestellte Erlöschen seines Erstattungsanspruches vorzubringen. Bestehen z.B. mehrere Forderungen gegen den Steuerpflichtigen, so ist es durchaus denkbar, daß das Finanzamt eine aufrechenbare oder aber auch eine verjährte, getilgte bzw. nicht fällige Forderung zur Aufrechnung gestellt hat. Die fehlende Konkretisierung des Erlöschensgrundes stellt neben der unzureichenden Bestimmtheit des Verwaltungsaktes einen Verstoß gegen § 364 AO dar, der einen besonders schweren Verfahrensfehler bewirkt. Denn die hinreichende Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen ist unabdingbare Voraussetzung für die Gewährung des rechtlichen Gehörs.

18

Die fehlende Bezeichnung der Gegenforderung läßt zudem das außergerichtliche Vorverfahren sinnlos werden. Die mit dem Rechtsbehelfsverfahren bezweckte Filterwirkung, nämlich dieÜberprüfung der eigenen Verwaltungsentscheidung zum Zwecke der Berichtigung fehlerhafter Bescheide, deren Erlaß im Rahmen eines Massenverfahrens nicht zu vermeiden ist, kann nur erreicht werden, wenn dem Steuerpflichtigen Gelegenheit gegeben wird, seine sachlichen Einwendungen vorzutragen. Demzufolge widerspricht es dem Zweck des außergerichtlichen Vorverfahrens, die Bestimmung der Gegenforderung bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zuzulassen.

19

Besonderes Gewicht erhält die hinreichende Bezeichnung der Gegenforderung in den Fällen der Abtretung der Hauptforderung und der anschließenden Aufrechnung des Finanzamtes gegenüber dem Neugläubiger mit Steuerschulden des Altgläubigers, wie etwa im Streitfall. Im Regelfall weiß der Neugläubiger nicht, welche Verbindlichkeiten der Altgläubiger gegenüber dem Finanzamt hat. Rechnet das Finanzamt unter Hinweis auf § 406 BGB nunmehr auf, bedarf es gerade im Hinblick auf die Gewährung ausreichenden Rechtsschutzes der genauen Benennung der Gegenforderung. Denn nur so kann der Neugläubiger Auskunft über den Entstehungszeitpunkt, die Fälligkeit und mögliche Erlöschensgründe beim Altgläubiger erlangen. Verwiese man den Neugläubiger auf die erst in der Hauptverhandlung vorzunehmende Konkretisierung, würde dadurch der Rechtsschutz unnötig und ohne sachlichen Grund erschwert. Denn in der mündlichen Verhandlung könnte sich der Kläger (Neugläubiger) zu den Behauptungen des Finanzamtes nichtäußern, so daß es einer Vertagung des Rechtsstreites bedürfte.

20

Einer Aufhebung des Verwaltungsaktes steht § 127 Abgabenordnung nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift sind Mängel eines Verwaltungsaktes hinsichtlich des Verfahrens, der Form oder der örtlichen Zuständigkeit nicht angreifbar, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Der angefochtene Steuerbescheid leidet jedoch nicht lediglich an einem Formfehler, sondern ist seinem Inhalt nach fehlerhaft. Die inhaltliche Unbestimmtheit eines Verwaltungsaktes wird erkennbar von § 127 AO nicht erfaßt.

21

Da der Abrechnungsbescheid vom 3. Januar 1994 und der Einspruchsbescheid vom 18. Januar 1994 aus den vorstehenden Gründen aufzuheben war, brauchte der Senat nicht zu entscheiden, ob die vom Beklagten abgegebene Aufrechnungserklärung wirksam war.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

23

Der Senat hat die Revision gegen seine Entscheidung zugelassen, da er von den Entscheidungen des BFH (Urteil vom 3. November 1983 VII R 153/82, BStBl II 1984, 14; Urteil vom 6. Februar 1990 VII R 86/88, BStBl II 1990, 53) abweicht und das Urteil auf dieser Abweichung beruht (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).