Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 22.04.2013, Az.: L 11 AL 145/12 B

Erstattung von Kosten für ein Widerspruchsverfahren im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren; Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
22.04.2013
Aktenzeichen
L 11 AL 145/12 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 41636
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2013:0422.L11AL145.12B.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 05.10.2012 - AZ: S 26 AL 351/12

Fundstelle

  • NZS 2013, 760

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 5. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe

I. Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe (PKH) für sein vor dem Sozialgericht (SG) Hannover geführtes Klageverfahren S 26 AL 351/12. In diesem Klageverfahren geht es um die Erstattung von Kosten für ein Widerspruchsverfahren.

Das Jobcenter Region F. hatte gegenüber dem Kläger die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) teilweise aufgehoben und die Erstattung zu viel gewährter Leistungen i.H.v. 48,70 Euro verlangt (Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 18. Februar 2011). Die Beklagte, die für das Jobcenter die Vollstreckung von Forderungen besorgt, forderte den Kläger mit Mahnung vom 7. August 2011 zur Zahlung des Restbetrags i.H.v. 23,92 Euro auf und verlangte Mahngebühren i.H.v. 0,80 Euro. Die Mahnung enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung dahingehend, dass gegen die Erhebung der Mahngebühr Widerspruch eingelegt werden könne.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 18. Februar 2011 bereits durch Abhilfebescheid des Jobcenters vom 6. Juli 2011 aufgehoben worden sei. Daraufhin half die Beklagte dem Widerspruch hinsichtlich der Mahngebühr ab und erklärte sich bereit, die notwendigen Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren zu übernehmen. Dagegen wurde die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten als nicht notwendig angesehen (Abhilfebescheide vom 8. Dezember 2011 und 2. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2012).

Mit der am 24. April 2012 beim Sozialgericht Hannover erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Entscheidung der Beklagten, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren nicht notwendig gewesen sei. Er habe Anspruch auf Erstattung sämtlicher Kosten des Widerspruchsverfahrens, auch derjenigen für den von ihm beauftragten Rechtsanwalt.

Das SG hat die Gewährung von PKH für das Klageverfahren mit Beschluss vom 5. Oktober 2012 abgelehnt. Nach der Rechtsprechung des 13. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 28. Juni 2011 - L 13 AS 43/11) bestehe kein Anspruch auf PKH, wenn in einer vergleichbaren Fallkonstellation ein vernünftiger Bemittelter einen Rechtsanwalt bereits deshalb nicht mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt haben würde, weil sein wirtschaftliches Risiko außer Verhältnis zu dem erstrebten wirtschaftlichen Erfolg stehe (z.B. bei einem Streitwert von 13,- Euro). Diese für das gerichtliche Verfahren geltenden Grundsätze seien auch auf das vorgeschaltete Verwaltungsverfahren zu übertragen. Im vorliegenden Fall ständen die Mahngebühren i.H.v. nur 0,80 Euro gegenüber den ggf. vom Kläger zu tragenden Rechtsanwaltskosten in einem krassen Missverhältnis.

Gegen den dem Kläger am 18. Oktober 2012 zugestellten Beschluss richtet sich seine am 19. November 2012 (Montag) eingelegte Beschwerde. Der Kläger verweist auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 02. November 2012 (B 4 AS 97/11 R) und des LSG Bayern vom 12. Mai 2010 (L 16 AS 829/09), wonach für das Widerspruchsverfahren die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten regelmäßig zu bejahen sei. Dem Bürger sei es nur in Ausnahmefällen möglich, selbst seine Rechte gegenüber Behörden ausreichend zu wahren.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von PKH, da seiner Rechtsverfolgung die hinreichende Erfolgsaussicht fehlt (vgl. zu dieser Voraussetzung für die Gewährung von PKH: § 73a Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung - ZPO -). Die Beklagte hat nach derzeitigem Sach- und Streitstand rechtsfehlerfrei die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren verneint.

Anders als im sozialgerichtlichen Klageverfahren (vgl. hierzu: § 193 Abs 3 SGG) handelt es sich bei den Kosten der Bevollmächtigung eines Rechtsanwaltes im Widerspruchsverfahren nicht generell um zur Rechtsverfolgung notwendige Ausgaben. Vielmehr bestimmt § 63 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), dass die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts nur dann erstattungsfähig sind, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Der Grundsatz, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren in aller Regel notwendig ist, weil dem Bürger eine rechtskundige Behörde gegenübersteht (Grundsatz der Waffengleichheit, vgl. etwa: BSG, Urteil vom 2. November 2012 - B 4 AS 97/11 R, Rn 20 m.w.N.), gilt jedoch nicht ausnahmslos. Vielmehr ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes z.B. nicht notwendig, wenn es lediglich um die Klärung tatsächlicher Fragen geht oder aus dem angegriffenen Bescheid ersichtlich ist, dass die Entscheidung auf einem Missverständnis beruht, welches im Widerspruchsverfahren leicht aufgeklärt werden kann (BSG, aaO., Rn 22; ebenso: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. Oktober 2012 - L 19 AS 667/12 B, Rn 13f.). Maßstab ist insoweit, ob aus Sicht eines vernünftigen bzw. verständigen Beteiligten hierzu die Unterstützung eines Rechtsanwaltes notwendig erscheint (LSG Nordrhein-Westfalen, aaO.; Mutschler in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: 76. Ergänzungslieferung 2012, § 63 SGB X, Rn 17; Heße in: Rolfs/Giesen/Kreikeboom/Udsching, Beck?scher Online-Kommentar Sozialrecht - BeckOK -, Stand: März 2013, § 63 Rn 16; Roos in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 63 Rn 26 - jeweils m.w.N.).

Im vorliegenden Fall bezogen sich sowohl die Mahnung als auch die Mahngebühr auf den bereits vom Jobcenter aufgehobenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 18. Februar 2011. Dies war für den Kläger auch offensichtlich, weil dieser Bescheid auf S. 2 der Mahnung ausdrücklich als Grund der Vollstreckung genannt wurde. Da dem Kläger der den Bescheid vom 18. Februar 2011 aufhebende Bescheid vom 6. Juli 2011 am 8. Juli 2011 - also nur ca. ein Monat vor der Mahnung - zugegangen war, hätte der Kläger die Beklagte, die lediglich als Inkassostelle für das Jobcenter tätig geworden ist, ohne weiteres selbst auf deren Missverständnis (Unkenntnis von der Aufhebung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides) hinweisen können. Dieses für den Kläger offen zu Tage tretende Missverständnis der Beklagten erforderte somit nicht die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes, zumal dessen Beauftragung (einschließlich der insoweit erforderlichen Besprechung über den Gegenstand der Beauftragung) mit einem höheren Aufwand verbunden gewesen sein dürfte als eine kurze schriftliche oder auch telefonische Mitteilung an die Beklagte. Für eine Kontaktaufnahme hatte die Beklagte alle erforderlichen Angaben in den Bescheid aufgenommen (Telefonnummer, Faxnummer sowie E-Mail-Adresse). Nach alledem hätte der Kläger im vorliegenden Fall mit geringem Aufwand das klar erkennbare Missverständnis auch ohne Hinzuziehung eines Bevollmächtigten beseitigen können.

Abschließend weist der Senat darauf hin, dass die Gewährung von PKH für das erstinstanzliche Verfahren nicht allein aufgrund der Höhe des Streitwerts ("Bagatellbetrag") abgelehnt werden kann. Zunächst stimmt der Senat der Rechtsprechung des 13. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen nicht zu, wonach PKH in Verfahren um sogenannte Bagatellbeträge generell nicht gewährt werden kann (Beschluss vom 28. Juni 2011 - L 13 AS 43/11), insbesondere wegen der anderslautenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2011 - 1 BvR 1737/10, NJW 2011, 2039, Rn 27, sowie Beschluss des erkennenden Senats vom 22. März 2013 - L 11 AS 949/10 B mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Unabhängig davon geht es im Klageverfahren S 26 AS 351/12 überhaupt nicht mehr um die von der Beklagten bereits "stornierte" Mahngebühr von 0,80 Euro, sondern um die deutlich über diesem Betrag liegenden Rechtsanwaltskosten für das Widerspruchsverfahren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).