Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 18.04.2013, Az.: L 8 SO 390/12 B

Anspruch auf Sozialhilfe; Erbringung der Leistungen für Bildung und Teilhabe; Zusätzliche Leistungen für die Schule für das Schuljahr 2010/2011; Keine Rückwirkung der §§ 34, 34a SGB XII in der ab dem 01.01.2011 geltenden Fassung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
18.04.2013
Aktenzeichen
L 8 SO 390/12 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 53612
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2013:0418.L8SO390.12B.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - 16.11.2012 - AZ: S 32 SO 30/12

Redaktioneller Leitsatz

1. Es gibt auch in der Sozialhilfe keinen rückwirkenden Anspruch auf Leistungen zur Bildung und Teilhabe nach § 34a SGB XII in der ab 01.01.2011 geltenden Fassung für einen bereits zuvor, d.h. bis 31.12.2010, entstandenen Bedarf.

2. Dieser Anspruch auf Schulbedarf nach § 28a SGB XII in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung erforderte den Grund-Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Dies schied aus auch bei nur geringfügigen Überschreiten der Einkommensgrenzen.

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 16. November 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Klage, mit der sie zusätzliche Leistungen für die Schule in Höhe von 100,00 EUR für das Schuljahr 2010/2011 begehrt.

Die im Mai 2001 geborene Klägerin besuchte im Schuljahr 2010/2011 die Klasse 4a der D. E. und lebte in dem hier maßgeblichen Monat August 2010 in einem Haushalt mit ihrer Mutter und derem Lebensgefährten. Für die in Uelzen gelegene 3-Zimmer-Wohnung waren eine Kaltmiete von 343,40 EUR und Nebenkosten inklusive Heizkosten von 178,75 EUR (insgesamt 522,15 EUR) zu zahlen. Die Mutter bezog eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 483,40 EUR und erhielt für die Klägerin Kindergeld in Höhe von 184,00 EUR sowie - so der Beklagte - Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von 180,00 EUR. Von der Stadt Uelzen soll in der Zeit von April 2010 bis März 2011 Wohngeld in Form eines Mietzuschusses von 111,00 EUR monatlich gewährt worden sein. Der Lebensgefährte erhielt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Am 5. August 2010 beantragte die Klägerin bei der Agentur für Arbeit Uelzen die Gewährung einer zusätzlichen Leistung für die Schule auf der Grundlage des § 24a SGB II. Die Agentur für Arbeit lehnte den Antrag mit Bescheid vom 13. September 2010 ab mit der Begründung, die Klägerin erfülle nicht die Anspruchsvoraussetzungen, weil sie Leistungen nach dem SGB XII erhalte. Den hiergegen zunächst erhobenen Widerspruch nahm die Klägerin am 2. November 2010 zurück und bat um Weiterleitung des Antrages an den zuständigen Sozialhilfeträger. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10. März 2011 ab, weil die Klägerin im August 2010 keine Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten habe und auch nicht leistungsberechtigt gewesen sei, weil ihr eigenes und das Einkommen ihrer Mutter in Form von Rente, Kindergeld, Unterhalt und Wohngeld den notwendigen Lebensbedarf um 17,58 EUR übersteige. Für die Zeit ab April 2011 wurde nach Aktenlage kein Wohngeld mehr gezahlt. Der Beklagte gewährte deshalb mit Bescheiden vom 25. März 2011 für die Zeit ab April 2011 bis Juni 2012 Leistungen in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt für die Klägerin und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Mutter der Klägerin. Den gegen den Ablehnungsbescheid vom 10. März 2011 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2012 zurück. Nach den darin enthaltenen ausführlichen Berechnungen, auf die verwiesen wird, bestand bei der Klägerin im August 2010 zwar ein ungedeckter Bedarf der von 1,52 EUR. Unter Berücksichtigung des Einkommens der Mutter ergab sich danach jedoch ein übersteigendes Einkommen von 47,17 EUR. Hiergegen richtet sich die am 1. März 2012 vor dem Sozialgericht Lüneburg (SG) erhobene Klage, für die die Klägerin die Bewilligung von PKH begehrt.

Die Klägerin ist der Ansicht, ihr Schulbedarf löse eine eigenständige Bedürftigkeit aus. Zwar ergebe sich dies nicht unmittelbar aus der im August 2010 noch geltenden Regelung des § 28a SGB XII, diese Vorschrift sei jedoch verfassungskonform auszulegen. Das BVerfG habe die inhaltsgleiche Vorschrift des § 24a SGB II beanstandet (Urteil vom 9. Februar 2010 - BvL 1/09, Juris Rdnr. 203). Dem habe der Gesetzgeber mit den zum 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Neuregelungen der §§ 28 Abs. 3 SGB II und 34 Abs. 3 SGB XII Rechnung getragen.

Das SG hat den Antrag auf Bewilligung von PKH mit Beschluss vom 16. November 2012 abgelehnt. Die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg, die Entscheidung des Beklagten sei nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe weder tatsächlich im August 2010 Leistungen bezogen noch auf Grund der nachvollziehbaren Berechnungen des Beklagten einen Leistungsanspruch gehabt. Die Neuregelungen der §§ 34, 34a SGB XII seien erst mit Wirkung ab 1. Januar 2011 in Kraft getreten und enthielten ausdrücklich keine rückwirkende Regelung.

Gegen den ihr am 20. November 2012 zugestellten Beschluss richtet sich die am 4. Dezember 2012 eingelegte Beschwerde der Klägerin.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH nach § 73a Abs. 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO liegen nicht vor. Es fehlen die für ein Klageverfahren erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG verwiesen. Ergänzend ist lediglich Folgendes hinzuzufügen:

Der Beklagte hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf der Grundlage des § 28a SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung vom 16. Juli 2009 abgelehnt. Danach erhalten Schülerinnen und Schüler, die eine allgemein- oder berufsbildende Schule besuchen, für jedes Schuljahr eine zusätzliche Leistung für die Schule in Höhe von 100,00 EUR, wenn ihnen für den Monat, in dem der erste Schultag liegt, Hilfe zum Lebensunterhalt geleistet wird. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Klägerin hat im August 2010 keine Leistungen zum Lebensunterhalt erhalten.

Sie hat soweit ersichtlich auch keinen Anspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt gehabt. Nach den Berechnungen des Beklagten ist sie vielmehr in der Lage gewesen, ihren notwendigen Lebensunterhalt im Monat August 2010 selbst sicherzustellen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Verwaltungsakte weder vollständige Unterlagen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Klägerin noch aussagekräftige Bescheide zu dem Wohngeldbezug und dem SGB II-Leistungsbezug des Lebensgefährten der Mutter der Klägerin enthält. Nachvollziehbare und fundierte Einwände hat die Klägerin gegen die Berechnungen des Beklagten jedoch nicht vorgebracht.

Auf der Grundlage der Berechnungen des Beklagten besteht zwar im August 2010 ein ungedeckter Bedarf der Klägerin von 1,52 EUR. Das nicht zur eigenen Bedarfsdeckung benötigte und nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB XII aF anrechenbare Einkommen der Mutter von 47,17 EUR hat jedoch ausgereicht, diesen Bedarf zu decken. Nicht entscheidend ist, dass die Einkommensgrenze nur geringfügig überschritten wird (vgl. Gutzler in Juris-PK SGB XII, § 28a SGB XII in der Fassung vom 16. Juli 2009, Rdnr. 17f; Grube in Grube/Wahrendorf, SGG XII, 3. Auflage 2010, § 28a Rdnr. 12).

Ein Hilfebedarf ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Urteils des BVerfG vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09). Insbesondere führt die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte verfassungswidrige Ermittlung der Regelleistung nicht dazu, dass für die Klägerin eine höhere Regelleistung zu berücksichtigen wäre. Das BVerfG hat die gesetzlich festgesetzten Regelleistungsbeträge nicht für evident unzureichend gehalten und deshalb den Gesetzgeber lediglich verpflichtet, bis spätestens 31. Dezember 2010 verfassungskonforme Neuregelungen zu schaffen und dabei sicherzustellen, dass ein besonderer Bedarf gedeckt wird, eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Leistungen rückwirkend neu festzusetzen, ist ausdrücklich nicht ausgesprochen worden, vielmehr hat das BVerfG klargestellt, dass die verfassungswidrigen Normen bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber weiterhin anwendbar bleiben (vgl. BVerfG, aaO., Juris Rdnr. 211, 212, 217).

Selbst wenn die Bedarfsberechnung des Beklagten unzutreffend sein und die Klägerin im August 2010 hilfebedürftig gewesen sein sollte, besteht nach summarischer Prüfung kein Leistungsanspruch gegenüber dem Beklagten als Sozialhilfeträger. Die Klägerin dürfte vielmehr nach § 21 Satz 1 SGB XII aF von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen ist, weil sie Mitglied der Bedarfsgemeinschaft des Leistungen nach dem SGB II beziehenden Lebensgefährten ihrer Mutter ist und damit vorrangig einen Anspruch auf Sozialgeld nach § 28 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (aF) hätte. Danach erhalten Sozialgeld nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII haben. Der Begriff des Angehörigen ist im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II (Angehörige der Bedarfsgemeinschaft) zu verstehen (vgl. Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 28 Rdnr. 8 m.w.N.). Soweit die Klägerin nicht in der Lage gewesen ist, die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts aus eigenem Einkommen oder Vermögen zu beschaffen (nach den Berechnungen des Beklagten verbleibt ein ungedeckter Bedarf von 1,52 EUR), wird sie als minderjährige Tochter ihrer in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit einem Leistungsberechtigten nach dem SGB II zusammenlebenden Mutter gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II Mitglied der Bedarfsgemeinschaft des Lebensgefährten gewesen sein. Sie hätte dann zwar unter Berücksichtigung des nicht zur eigenen Bedarfsdeckung benötigten Einkommens der Mutter (§ 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II) ggf. einen Anspruch auf zusätzliche Leistung für die Schule nach § 24a SGB II aF. Einer Beiladung der Agentur für Arbeit Uelzen bedarf es dennoch nicht. Der dort gestellte Antrag ist mit bestandkräftigem Bescheid vom 13. September 2010 abgelehnt worden. Selbst auf einen Überprüfungsantrag nach 44 SGB X käme eine Leistungsgewährung nicht mehr in Betracht, weil gemäß § 40 Abs. 1 SGB II für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts § 44 Absatz 4 Satz 1 SGB X mit der Maßgabe gilt, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt.

Ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach § 53 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII scheidet ebenfalls aus. Zwar ist der Einkommenseinsatz der in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen im Rahmen der Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII eingeschränkt, es ist jedoch bereits nicht ersichtlich, dass die Klägerin infolge einer Behinderung zu dem Kreis der leistungsberechtigten Personen gehört.

Als Anspruchsgrundlage kommt auch nicht § 73 SGB XII in Betracht. Danach wäre - neben einer hier nicht glaubhaft gemachten Bedürftigkeit - Voraussetzung das Vorliegen einer atypischen, besonderen Bedarfslage, die weder durch den Schulbesuch noch durch die damit verbundenen Aufwendungen begründet ist (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2010, B 14 AS 47/09 R, Juris Rdnr. 12ff m.w.N.).

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.