Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 30.04.2013, Az.: L 9 AS 916/12
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 30.04.2013
- Aktenzeichen
- L 9 AS 916/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 41637
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2013:0430.L9AS916.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 29.02.2012 - AZ: S 45 AS 847/10
Tenor:
Auf die Berufung des Berufungsklägers wird das Urteil des Sozialgerichtes Hildesheim vom 29. Februar 2012 aufgehoben. Der Bescheid des Berufungsbeklagten vom 20. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2010 wird geändert. Der Berufungsbeklagte wird verurteilt, dem Berufungskläger für die Zeit vom 10. August 2009 bis 28. Februar 2010 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung des vollen Regelsatzes in Höhe von 359,00 EUR zu gewähren unter Anrechnung bereits in Höhe von 80 v.H. erbrachter Leistungen.
Der Berufungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Der Kläger und Berufungskläger begehrt für die Zeit vom 10. August 2009 bis 28. Februar 2010 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe der Regelleistung von 100 vom Hundert (v.H.) für einen Alleinstehenden.
Der 1987 geborene Berufungskläger lebte zunächst ohne eigenes Einkommen im Haushalt seiner Mutter. Diese erzielte eigenes Erwerbseinkommen und stand nicht im Bezug von Leistungen der Grundsicherung. Am 10. August 2009 meldete sich der Berufungskläger bei dem Berufungsbeklagten und gab an, dass ihn seine Mutter aus der Wohnung geworfen habe. Ein Zusammenleben funktioniere nicht mehr. Der Berufungskläger reichte einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ein. Ferner überreichte er eine Bescheinigung der Zentralen Beratungsstelle des Diakonischen Werkes Stadtverband D. e.V. vom 10. August 2009. Hieraus ergab sich, dass der Berufungskläger derzeit ohne festen Wohnsitz sei.
Mit Bescheid vom 20. August 2009 bewilligte der Berufungsbeklagte dem Berufungskläger für die Zeit vom 10. August 2009 bis zum 28. Februar 2010 monatlich 287,00 EUR. Dies entsprach 80 v.H. der Regelleistung.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Berufungsbeklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. April 2010 zurück.
Am 14. Mai 2010 erhob der Berufungskläger - vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten - vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim Klage. Er habe einen Anspruch auf die volle Regelleistung für einen Alleinstehenden in Höhe von 359,00 EUR monatlich (100 v.H. der Regelleistung) und nicht nur lediglich in Höhe von 80 v.H. der Regelleistung.
Mit Urteil vom 29. Februar 2012 wies das SG Hildesheim die Klage ab. Ein Anspruch des Berufungsklägers auf die volle Regelleistung bestehe nicht. Die Reduzierung der Regelleistung sei im Hinblick auf § 20 Abs. 2 Satz 2 SGB II gerechtfertigt. Die Berufung wurde vom SG nicht zugelassen.
Mit Beschluss vom 02. August 2010 ließ das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Berufungsklägers die Berufung zu.
Mit der Berufung wiederholt der Berufungskläger sein bisheriges Vorbringen. Er habe einen Anspruch auf 100 v.H. der Regelleistung.
Der Berufungskläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
1. das Urteil des Sozialgerichtes Hildesheim vom 29.Februar 2012 aufzuheben, 2. den Bescheid des Berufungsbeklagten vom 20. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2010 zu ändern, 3. ihm für den Leistungszeitraum vom 10. August 2009 bis zum 28. Februar 2010 Leistungen nach dem SGB II unter Zugrundelegung der Regelleistung in Höhe von 359,00 EUR (100 vom Hundert) abzüglich bereits geleisteter 80 vom Hundert zu bewilligen.
Der Berufungsbeklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Berufungsbeklagte hält an seinem bisherigen Vorbringen fest.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Berufungsbeklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist auch begründet. Der Berufungskläger hat für den Zeitraum vom 10. August 2009 bis zum 28. Februar 2010 einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II unter Zugrundelegung der Regelleistung von monatlich 359,00 EUR (100 v.H.).
Der Berufungskläger gehörte im streitgegenständlichen Zeitraum gem. § 7 Abs. 1 SGB II zum Kreis der hilfeberechtigten Personen. Er war nach § 9 Abs. 1 SGB II auch hilfebedürftig.
Nach der zum Leistungszeitpunkt geltenden Fassung des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II betrug die monatliche Regelleistung für Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partner minderjährig ist 359,00 EUR. Die Regelleistung für sonstige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft betrug 80 v.H. dieser Regelleistung nach Satz 1. Gem. § 20 Abs. 2a SGB II erhielten Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und ohne Zustimmung des kommunalen Trägers nach § 22 Abs. 2a SGB II umziehen, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres 80 v.H. der Regelleistung.
In Übereinstimmung mit dem SG geht der Senat davon aus, dass im Fall des Berufungsklägers eine Bewilligung der Regelleistung in Höhe von 80 v.H. gem. § 20 Abs. 2a SGB II nicht in Betracht kommt. Der Berufungskläger ist nicht im Sinne dieser Vorschrift aus dem Haushalt seiner Mutter ausgezogen und ohne Zustimmung des kommunalen Trägers in eine eigene Unterkunft umgezogen. Der Berufungskläger war vielmehr obdachlos.
Entgegen der Ansicht des SG ist der Senat jedoch der Überzeugung, dass die Bewilligung der reduzierten Regelleistung auch nicht im Hinblick auf § 20 Abs. 2 Satz 2 SGB II gerechtfertigt war. Nachdem der Berufungskläger nicht mehr gemeinsam mit seiner Mutter in einer Wohnung wohnte, ist er als Alleinstehender im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu behandeln. Denn der Berufungskläger gehörte zu diesem Zeitpunkt keiner Bedarfsgemeinschaft mehr an. Er stellte für sich allein eine Bedarfsgemeinschaft dar. Der Anspruch auf volle Regelleistung berücksichtigt insoweit den höheren Bedarf eines Alleinstehenden, der dieser Berechnung der Regelleistung zugrunde liegt. Die zum damaligen Zeitpunkt geltende Fassung des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II erstreckte sich auf Alleinstehende. Es lassen sich dem Gesetzeswortlaut keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass für die Annahme des Status als Alleinstehender neben dem Umstand des nicht mit einem anderen in Bedarfsgemeinschaft leben auch eine eigene Haushaltsführung erforderlich ist. In der für den streitigen Leistungszeitraum geltenden Fassung des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II findet sich eine solche Einschränkung nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund, gem. § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, besteht nicht.