Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 02.04.2004, Az.: 17 W 100/03
Sofortige Beschwerde wegen Rechtsanwendungsfehler; Befassung des Gerichts mit nicht zum Verfahren gehörenden Verfahrensgegenständen; Rechtmäßigkeit einer Ingewahrsnahme und Verbringung von Bussen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 02.04.2004
- Aktenzeichen
- 17 W 100/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 35350
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2004:0402.17W100.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 31.10.2003 - AZ: 10 T 26/03
Rechtsgrundlagen
- § 27 Abs. 1 FGG
- § 546 ZPO
- § 19 Abs. 2 NgefAG
Fundstelle
- NVwZ-RR 2005, 252 (Volltext mit red. LS)
In der Freiheitsentziehungssache
hat der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
die Richterin am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
am 2. April 2004
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige weitere Beschwerde des Landes N... gegen den Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 31. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
Das Land Niedersachsen trägt die Gerichtskosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde. Es hat dem Betroffenen dessen außergerichtliche Auslagen zu erstatten.
Beschwerdewert: 3.000 EUR.
Gründe
I.
Der Betroffene wurde von der Polizei zusammen mit etwa 70 bis 80 weiteren Personen am 10. November 2001 in zwei Bussen auf dem Weg von B... nach L..., wo sie an einer angemeldeten und nicht verbotenen Demonstration teilnehmen wollten, angehalten. Nachdem die Polizei Hinweise darauf erhalten hatte, dass sich in diesen Bussen Mitglieder des "autonomen Atomplenums Berlin" befinden könnten, die als gewaltbereit eingeschätzt wurden, sperrte die Polizei für Straße für Busse und leitete diese auf einen Parkplatz um. Dort wurden die Insassen der Busse von der Polizei mit Digitalkameras gefilmt. Ihre Personalien wurden aufgenommen, Kurzberichte gefertigt und zwei Durchsuchungen - auch des Betroffenen - durchgeführt.
Daran anschließend mussten die Busse mit Insassen in die Gefangenensammelstelle nach N... fahren. Dort wurden erneut Personendurchsuchungen durchgeführt. Die Daten der Betroffenen wurden in einen Computer eingegeben. Die von der Maßnahme Betroffenen, darunter auch der Betroffene dieses Verfahrens, wurden gegen 16:00 Uhr entlassen.
Im März 2002 erhob der Betroffene Klage beim Verwaltungsgericht L... Er verfolgte das Ziel, festzustellen, dass die ihm gegenüber vorgenommenen Maßnahmen der Identitätsfeststellung, Durchsuchung, Ingewahrsamnahme sowie die erkennungsdienstlichen Maßnahmen und die Speicherung der Daten rechtswidrig gewesen seien. Das Verwaltungsgericht hielt sich teilweise hierfür nicht für zuständig und trennte das Verfahren wegen der Ingewahrsamnahme durch Beschluss vom 8. Mai 2002 ab. Es verwies den Rechtsstreit insoweit an das Amtsgericht Lüneburg. Das Amtsgericht Lüneburg stellte durch Beschluss vom 11. Februar 2003 die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme fest. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des beteiligten Landes wies das Landgericht durch Beschluss vom 31. Oktober 2003 zurück. Dabei führt das Landgericht u.a. aus, die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme des Betroffenen nach der Durchsuchung der Personen und Feststellung der Personalien hätten nicht vorgelegen. Diese Maßnahme sei rechtswidrig gewesen.
Das Landgericht hat auf die Anhörung des Betroffenen verzichtet.
Gegen diese Entscheidung wendet sich das beteiligte Land mit der (zugelassenen) sofortigen weiteren Beschwerde. Es beruft sich darauf, die Verbringung der Busse, in denen sich auch der Betroffene befunden habe, nach Nu 11 im um sei notwendig gewesen, weil nur dort die erforderliche umfassende Durchsuchung der Busse und der Personen vorgenommen werden konnte.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, denn das Landgericht hat sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen (§ 19 Abs. 2 NgefAG).
Das Rechtsmittel ist jedoch in der Sache unbegründet.
Der Senat kann als Rechtsbeschwerdegericht die angefochtene Entscheidung nur darauf überprüfen, ob sie das Recht verletzt, also eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig anwendet (§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO).
Solche Rechtsfehler sind vorliegend auch unter Berücksichtigung des Vorbringen der sofortigen weiteren Beschwerde nicht erkennbar.
1.
Zunächst greift der Einwand des Beschwerdeführers nicht, das Landgericht habe sich in unzulässiger Weise mit Verfahrensgegenständen befasst, die nicht zu dem vom Verwaltungsgericht abgetrennten Teil gehörten und damit weiterhin der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliegen.
Das Landgericht hat - wie sich aus Tenor und Begründung der angefochtenen Entscheidung ergibt - ersichtlich nur über den schon der angegriffenen amtsgerichtlichen Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt entschieden, nämlich die Frage beurteilt, ob die weitere Ingewahrsamnahme des Betroffenen durch Verbringung der Busse und ihrer Fahrgäste nach N... rechtmäßig war oder nicht. Es hat sich zutreffend auf diesen vom Verwaltungsgericht abgetrennten Teil des insgesamt zur gerichtlichen Überprüfung gestellten Sachverhalts beschränkt.
2.
Die Entscheidung des Landgerichts, die ihm bekannten und von ihm bzw. dem Amtsgericht ermittelten Tatsachen rechtfertigten diese Verbringung der Busse samt Insassen nach N... mit der Folge einer erheblichen Verlängerung der in die Freiheitsrechte des Betroffenen eingreifenden Maßnahmen nicht, ist im Rahmen der Rechtsbeschwerde nicht zu beanstanden. Bei dieser Feststellung des Landgerichts handelt es sich um eine tatrichterliche Schlussfolgerung, bei der sich die Prüfungsbefugnis des Senats auf eine Rechtskontrolle dahin beschränkt, ob die verfahrensfehlerfrei festgestellten Tatsachen die Folgerungen des Landgerichts als möglich erscheinen lassen (BGH-Beschluss vom 10. Februar 2000 V ZB 5/00).
Es ist dem Senat insbesondere verwehrt, andere mögliche Schlussfolgerungen an die Stelle derjenigen des Landgerichts zu setzen.
Bei Anlegung dieses Prüfungsmaßstabes kann die Entscheidung des Landgerichts, wonach eine Verbringung des Betroffenen nach N... nach den durchgeführten Durchsuchungen, den Filmaufnahmen und der Feststellung der Personalien an Ort und Stelle nicht mehr notwendig und damit rechtswidrig war, von der Rechtsbeschwerde nicht erfolgreich angegriffen werden. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ist festzustellen, dass das Landgericht mit zutreffender, in sich stimmiger Begründung nicht zu erkennen vermochte, warum nicht alle notwendigen (und zulässigen) polizeilichen Maßnahmen an Ort und Stelle auf dem Parkplatz vorgenommen werden konnten, um das Maß der Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit des Betroffenen auf die unumgängliche Dauer zu beschränken .
3.
Ein Rechtsfehler liegt in der angefochtenen Entscheidung auch nicht darin, dass das Landgericht von der Anhörung des Betroffenen abgesehen hat. Zwar entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass auch das Beschwerdegericht als weiteres Tatsachengericht grundsätzlich gehalten ist, sich durch eine persönliche Anhörung des Betroffenen ein persönliches Bild zu verschaffen. Hiervon kann jedoch dann abgewichen werden, wenn Gründe für die Annahme vorliegen, eine Anhörung des Betroffenen werde neue, für die Entscheidung bedeutsame Erkenntnisse nicht erbringen. Vorliegend ist dies der Fall. Die vom Landgericht zu entscheidenden Fragen lassen sich beantworten, ohne dass es der Anhörung des Betroffenen bedarf.
Aus den vorgenannten Gründen ist das Rechtsmittel daher insgesamt unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 19 Abs. 4 NdsGefAG, 13 a FGG
Streitwertbeschluss:
Beschwerdewert: 3.000 EUR.