Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.04.2004, Az.: 13 Verg 6/04
Europaweite Ausschreibung im öffentlichen Verfahren von Telekommunikationslösungen für die Bereiche Stadt Göttingen, Fachbereich Feuerwehr und Landkreis Göttingen; Korrekturverpflichtung des Auftraggebers im Hinblick auf einen Vergabefehler, der lediglich bei Gelegenheit des Verfahrens ohne Bezug zu Rechten des Antragstellers festgestellt wurde; Aufhebung des Vergabeverfahrens durch die Vergabekammer
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.04.2004
- Aktenzeichen
- 13 Verg 6/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 35410
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2004:0408.13VERG6.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VK Lüneburg - 03.01.2004 - AZ: 203-VgK 41/2003
Rechtsgrundlagen
- § 97 Abs.1 GWB
- § 114 Abs. 1 S. 2 GWB
Fundstellen
- BauRB 2004, VI Heft 6 (Kurzinformation)
- EUK 2004, 125-126
- OLGReport Gerichtsort 2004, 439-441
- Vergabe-News 2004, 98
- WuW 2004, 1109-1110
In dem Vergabeverfahren
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 30. März 2004
durch
die Richter am Oberlandesgericht Dr. Knoke, Ulmer und Wiese
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg vom 3. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens ausschließlich der notwendigen Auslagen der Auftraggeberin trägt die Beigeladene nach einem Wert von bis zu 65.000 EUR.
Gründe
I.
Die Antragstellerin schrieb im offenen Verfahren Telekommunikationslösungen für die Bereiche Stadt Göttingen, Fachbereich Feuerwehr und Landkreis Göttingen einheitlich europaweit aus. In der Ausschreibung war folgende Klausel enthalten:
"Besondere Hinweise zur Preisgestaltung - Fachbereich Feuerwehr der Stadt Göttingen
Der Fachbereich der Feuerwehr der Stadt Göttingen kann den Auftrag für seinen Teil (Kapitel 2) frühestens Anfang 2004 erteilen. Die Ausführung dieses Teils soll in den Jahren 2004 und 2005 erfolgen. Für den Fall, dass der Fachbereich Feuerwehr den Auftrag nicht erteilen kann, sind im Angebotsschreiben 'EVM(L)Ang' die eventuell anfallenden Mehrkosten für Kapitel 1 und 3 anzugeben, die auf Grund eines verringerten Leistungsumfangs entstehen könnten."
Angebote gaben ab unter anderem die Antragstellerin, die Beigeladene und die Firma S. Die von letzterer für die Feuerwehr angebotene Lösung erschien der Auftraggeberin für diesen Bereich vorzugswürdig. Weil sie aber das Gesamtangebot der Fa. S. nicht bezuschlagen wollte, entschied sich die Auftraggeberin, den Bereich Feuerwehr herauszunehmen und die Wertung der Angebote nur für den Bereich Stadt und Landkreis Göttingen fortzusetzen. Sie kam dann zu dem Ergebnis, dass der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen sei. Auf die entsprechende Mitteilung leitete die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren ein und rügte nach Einsicht in den Vergabevermerk unter anderem, dass die Entscheidung, den Bereich Feuerwehr herauszunehmen, nicht hinreichend dokumentiert sei.
Durch den angefochtenen Beschluss hat die Vergabekammer über das Begehren der Antragstellerin hinaus, die lediglich eine Wiederholung der Wertung der vorliegenden Angebote erstrebte, die Auftraggeberin angewiesen, das gesamte Vergabeverfahren aufzuheben und erneut durchzuführen. Denn nur so könne das vergaberechtliche Transparenzgebot erfüllt werden.
Dagegen wendet sich die sofortige Beschwerde, die zwar hinnimmt, dass die Wertung der Angebote zu wiederholen sei, jedoch die Änderung des Beschlusses insoweit erstrebt, als die Aufhebung des Vergabeverfahrens angeordnet wurde. Dies sei nicht nötig, da allein durch eine sachgerechte Wertung und Dokumentation der Wertung im Vergabevermerk ein vergaberechtskonformes Verfahren möglich sei. Auf die Klausel dürfe nicht abgestellt werden, weil diese Klausel bereits in der Angebotsanforderung enthalten und nicht rechtzeitig gerügt worden sei. Die Präklusionswirkung erfasse auch solche Vergabefehler, die eine Nachprüfungsstelle von Amts wegen erkenne. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB schließe deshalb eine Erstreckung des Vergabenachprüfungsverfahrens auf mögliche Rechtswidrigkeit beim Gebrauch der Vorbehaltsklausel über die Feuerwehr aus, denn Gegenstand des Vergabenachprüfungsverfahrens könnten nur Verletzungen von Bieterrechten sein, die rechtzeitig gerügt wurden.
Auch wenn die Vergabekammer dieser Klausel für rechtswidrig, weil intransparent halte, rechtfertige das also nicht die Aufhebung der Ausschreibung. Das verstoße gegen § 114 Abs. 1 Satz 1 GWB, weil eine solche Entscheidung vom Rechtsschutzziel des Antragstellers nicht umfasst gewesen sei.
Sie sei auch unverhältnismäßig. Gerügt worden seien nur Wertungsfehler, die durch die Nachholung der Wertung und deren Dokumentation vergaberechtskonform zu beseitigen seien. Das gelte auch für den Vorbehalt. In der mündlichen Verhandlung erläuterte die Beigeladene, dass eine vergaberechtskonforme Vergabe nach erneuter Durchführung der Wertung dann möglich sei, wenn die Auftraggeberin von dem Vorbehalt keinen Gebrauch mache. Auch eine mit dieser Rechtsauffassung des Senats verbundene Anweisung zur erneuten Wertung der Angebote sei also geeignet, ein vergaberechtskonformes Verfahren zu sichern und mithin als milderes Mittel gegenüber der von der Vergabekammer angeordneten Aufhebung der gesamten Ausschreibung geboten.
Die Beigeladene beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Auftraggeberin zu verpflichten, das Vergabeverfahren ab dem Zeitpunkt vor der Wertung der Angebote zu wiederholen.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortige Beschwerde der Beigeladenen zurückzuweisen.
Die Auftraggeberin stellt keinen Antrag.
Die Antragstellerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.
II.
1.
Die zulässige sofortige Beschwerde der Beigeladenen hat keinen Erfolg.
a)
Der Senat teilt die Auffassung von Reidt, Stickler, Glahs, Vergaberecht, 2. Aufl. 2003, § 114 Rn. 13, dass eine Korrekturverpflichtung des Auftraggebers im Hinblick auf einen Vergabefehler, der lediglich bei Gelegenheit des Verfahrens, also gleichsam zufällig und ohne Bezug zu Rechten des Antragstellers festgestellt wurde, nicht von § 114 Abs. 1 Satz 2 GWB gedeckt ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies immer der Fall sein muss, wenn es sich dabei um einen solchen Vergabefehler handelt, der nicht rechtzeitig gerügt worden ist (so wohl: BayObLG München, Baurecht 2001, Seite 93 m.w.N. und OLG Naumburg, OLGR Naumburg 2002, 174). Denn mit der rechtzeitigen Rüge, die Gründe für die Herausnahme der Feuerwehr seien nicht ausreichend dokumentiert, hatte die Antragstellerin diese Entscheidung auch in der Sache angegriffen.
b)
Hier war die Vergabekammer schon deshalb gezwungen, das gesamte Vergabeverfahren aufzuheben, weil die Beschränkung auf die Anordnung einer neuen Wertung ebenfalls wieder zu einem vergaberechtswidrigen Ergebnis geführt hätte.
In solchen Fällen hat der Senat bereits früher (vgl. Beschluss vom 8. November 2001 - 13 Verg 9/01 - NZ Bau, 2002, 400) die Aufhebung der Ausschreibung angeordnet. Diese Notwendigkeit besteht dann, wenn "eine vergaberechtskonforme Wertung der vorliegenden Angebote und ein entsprechender Zuschlag auf der Grundlage der vorliegenden Ausschreibung nicht möglich ist." In solchen Fällen muss nicht nur der Vergabesenat, sondern auch die Vergabekammer darauf hinwirken, dass das vergaberechtswidrige Vergabeverfahren nicht weiter durchgeführt wird.
ba)
Das vorliegende Verfahren ist unheilbar vergaberechtswidrig, weil eine transparente Bewertung und Entscheidung und deren Dokumentation in einem Vergabevermerk nicht möglich ist, mithin auch seine Fortführung zu vergaberechtswidrigen Ergebnissen führen würde.
Das beruht darauf, dass für den Vorbehalt, die Leistungen gemäß Kap. 2 für den Fachbereich Feuerwehr der Stadt Göttingen nicht in Auftrag zu geben, keine nachvollziehbaren und berechenbaren Kriterien angegeben sind. Nach dem Wortlaut dieses Vorbehaltes kann die Auftraggeberin davon absehen, anders als ursprünglich geplant das gesamte Leistungsverzeichnis an einen Bieter zu vergeben, wenn die Feuerwehr den Auftrag "nicht erteilen kann". Welche Kriterien dafür erfüllt sein müssen, ist nicht zu erkennen. Folglich ist auch eine Entscheidung darüber, ob von diesem Vorbehalt Gebrauch gemacht wird oder nicht, nicht in einer Art und Weise zu fällen und zu dokumentieren, dass sie den Anforderungen an die Transparenz und Überprüfbarkeit des Entscheidungsganges, die § 97 Abs.1 GWB fordert, genügen kann. Für die Prüfung des wirtschaftlichsten Angebotes ist es aber erforderlich, vorab zu entscheiden, ob alle Kapitel vergeben werden sollen oder nur die Kapitel 1 und 2. Das zeigt schon das vorliegende Verfahren. Denn die technische Qualität der Gebote zum Kapitel 2 der Beigeladenen und der Antragstellerin war derart, dass sie die Auftraggeberin veranlassten, ihrer Bewertung nur die Kapitel 1 und 3 zu Grunde zu legen und die Vergabe des Kapitels 2 an die Bieterin S. in einem anderen Verfahren in Aussicht zu stellen. Vorfrage für die Wertung ist also zunächst die Auswahl der zu vergebenden Kapitel. Deshalb muss jede Wertung notwendig die Frage einbeziehen, ob von dem Vorbehalt Gebrauch gemacht werden soll oder nicht. Eine solche Wertung würde aber zwangsläufig wieder vergaberechtswidrig sein. Denn für diese Überprüfung gibt die Klausel selbst keine Grundlage her, ein der Überprüfung zu Grunde liegender Vergabevermerk der Auftraggeberin würde ebenfalls darunter leiden, dass Kriterien nicht erkennbar wären. Er wäre intransparent und vergaberechtswidrig, die Entscheidung müsste erneut aufgehoben werden.
bb)
Die Beigeladene verkennt, dass dies auch dann der Fall wäre, wenn sich die Auftraggeberin entscheiden sollte, von dem Vorbehalt keinen Gebrauch zu machen. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass ein Bieter (z.B. S.) das Vorliegen von Gründen in einem erneuten Vergabenachprüfungsverfahren vortragen könnte, die eine Nutzung des Vorbehaltes und damit ein Absehen von der Vergabe des Kapitel 2 "Feuerwehr" zu seinem Vorteil erzwingen sollen. Das könnte auch mit dem Ziel erfolgen, in einer weiteren Ausschreibung wegen technischer Vorteile den Zuschlag für das Kapitel 2 "Feuerwehr" zu erhalten. Dann wäre weder die Vergabekammer noch der Vergabesenat in der Lage, zu überprüfen, ob die Auftraggeberin gezwungen war, von dem Vorbehalt Gebrauch zu machen oder ob ihre Entscheidung, davon nicht Gebrauch zu machen, rechtens ist. Auch für diese Überprüfung gibt die Klausel selbst keine Grundlage her. Sie wäre zwangsläufig wieder intransparent und vergaberechtswidrig, die Entscheidung müsste erneut aufgehoben werden.
bc)
Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn die Vorbehaltsklausel so zu verstehen ist, dass die Auftraggeberin frei willkürlich handeln darf. Zwar wäre, soweit in einer solchen Ausschreibungsbedingung an sich ein Vergaberechtsfehler zu sehen ist, dieser mangels Rüge präkludiert. Die Entscheidungskriterien wären deutlich, eine Dokumentation der Entscheidung einfach und transparent. Nach dem Wortlaut der Vorbehaltsklausel ist die Entscheidung, ob die Telefonanlage für die Feuerwehr in die Vergabe einbezogen wird oder nicht, jedoch nicht der Willkür der Feuerwehr oder der Auftraggeberin überlassen. Denn dort ist die Rede davon, dass "der Fachbereich Feuerwehr den Auftrag nicht erteilen kann", mithin sind äußere Gründe gemeint, nicht eine freie Willensentscheidung des Fachbereichs Feuerwehr der Auftraggeberin.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, wobei die Erstattung der notwendigen Auslagen der Auftraggeberin nicht in Betracht kommt, weil diese sich nicht an dem Verfahren beteiligt hat.
Ulmer
Wiese