Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 21.04.2004, Az.: 16 W 31/04

Untertauchen eines kongolesischer Staatsangehöriger anstelle des Nachkommens der Ausreisepflicht; Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Anordnung von Sicherungshaft; Scheitern der Bemühungen um die Beschaffung eines Passersatzpapieres; Fehlende Aussicht auf Durchführung der Abschiebung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
21.04.2004
Aktenzeichen
16 W 31/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 35384
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2004:0421.16W31.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 21.01.2004 - AZ: 28 T 68/03

Fundstelle

  • InfAuslR 2004, 306-308 (Volltext mit red. LS)

Tenor:

  1. 1.

    Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 21. Januar 2004 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise geändert und wie folgt neu gefasst: Es wird festgestellt, dass der Vollzug der Abschiebehaft ab dem 15. Juli 2003 rechtswidrig war.

  2. 2.

    Der Beteiligte hat dem Betroffenen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten zu erstatten, soweit diese seit dem 15. Juli 2003 entstanden sind.

  3. 3.

    Für das Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde wird dem Betroffenen unter Beiordnung von Rechtsanwalt F... in H... Prozesskostenhilfe bewilligt.

  4. 4.

    Beschwerdewert: 3.000 EUR.

Gründe

1

I.

Der Betroffene ist mutmaßlich kongolesischer Staatsangehöriger. Da er seiner Ausreisepflicht nicht nachgekommen, sondern stattdessen untergetaucht war, ordnete das AG Hamburg nach seiner Ergreifung am 10. Februar 2003 Abschiebehaft bis längstens zum 10. März 2003 an.

2

Die Abschiebehaft wurde durch das zuständig gewordenen Amtsgericht Hannover zwei Mal verlängert, und zwar jeweils durch Beschluss vom 7. März und vom 8. Mai 2003 (Bl. 21 ff. d.A.). Ferner hat das Amtsgericht Hannover durch Beschluss vom 17. Juni 2003 den Antrag des Betroffenen auf sofortige Entlassung aus der Haft gemäß § 10 Abs. 1 FEVG zurückgewiesen.

3

Am 10. August 2003 ist der Betroffene nach Ablauf der Haftzeit nach Maßgabe des zweiten Verlängerungsbeschlusses abgelaufen. Der Betroffene ist an diesem Tag aus der Haft entlassen worden. Er beantragt in allen drei Verfahren (erste und zweite Haftverlängerung sowie Ablehnung der sofortigen Entlassung nach § 10 FEVG) nunmehr die Feststellung, dass die Anordnung der Sicherungshaft rechtswidrig war. In allen drei Verfahren sind die die sofortige Beschwerde zurückweisenden Beschlüsse der Beschwerdekammer des Landgerichts bereits zwei Mal vom vormals zuständigen 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle wegen unzureichender Sachverhaltsaufklärung aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen worden. In allen drei Verfahren hat die Beschwerdekammer die sofortigen Beschwerden abermals zurückgewiesen. Hiergegen richten sich die sofortigen weiteren Beschwerden des Betroffenen.

4

Im vorliegenden Verfahren geht es um die zweite Verlängerung der Sicherungshaft durch Beschluss vom 8. Mai 2003 (Bl. 21 ff. d.A.). Die sofortige Beschwerde ist insoweit durch Beschluss der Beschwerdekammer vom 21. Januar 2004 abermals zurückgewiesen worden (Bl. 176 ff. d.A.).

5

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig (§ 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FEVG, §§ 27, 29 FGG). Sie führt in der Sache allerdings nur teilweise zum Erfolg, weil das Landgericht grundsätzlich zutreffend entschieden hat, dass die Voraussetzungen für die angefochtene zweite Verlängerung der Sicherungshaft vom 10. Mai bis zum 10. August 2003 gegeben waren. Jedoch war der weitere Vollzug der Sicherungshaft ab dem 15. Juli 2003 rechtswidrig, weil seit diesem Zeitpunkt feststand, dass die Abschiebung nicht möglich sein würde.

6

Der Senat hat in dem Parallelverfahren betreffend die erste Haftverlängerung (16 W 33/04) in seinem Beschluss vom 21. April 2004 ausgeführt:

"Der Vorwurf, bereits die erste Haftverlängerung vom 10. März bis 10. Mai 2003 sei rechtswidrig, weil keine begründete Aussicht bestanden habe, Passersatzpapiere für den Betroffenen zu erhalten, ist aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht gerechtfertigt. Dies steht fest auf Grund der Feststellungen, die die Beschwerdekammer unter Bezugnahme auf die zitierten Ausführungen der beteiligten Ausländerbehörde getroffen hat. Insoweit ist auch ein Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs auszuschließen. Denn bereits die vom Landgericht zitierten Ausführungen der Ausländerbehörde setzen sich mit dem Beschwerdevorbringen des Betroffenen inhaltlich auseinander. Zudem hat die Beschwerdekammer im Anschluss an das Zitat (ab Seite 6 Mitte des angefochtenen Beschlusses) eine umfassende Würdigung des gesamten Sachverhalts vorgenommen und hierbei inhaltlich sowohl die Vorwürfe der sofortigen Beschwerde als auch die Bedenken des 17. Zivilsenats hinsichtlich fehlender Feststellungen zu den Aussichten der Beschaffung eines Passersatzpapieres abgehandelt.

Der Umstand, dass es letztlich nicht möglich war, tatsächlich Passersatzpapiere zu erhalten, ist nicht geeignet, die Aussichtslosigkeit des Bemühens von vornherein in Zweifel zu ziehen, geschweige denn, dass von vornherein festgestanden hätte, dass die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten 3 Monate hätte durchgeführt werden können (§ 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG). Vielmehr legt der tatsächliche Geschehensablauf die Annahme nahe, dass der Betroffene sich bei dem Interview in seiner Botschaft am 26. Februar 2003 bewusst "dumm" gestellt hat, um hierdurch eine Identifizierung bzw. Anerkennung als kongolesischer Staatsangehöriger zu hintertreiben und dadurch die Ausstellung von Passersatzpapieren für seine Abschiebung zu verhindern, was ihm auch gelungen ist. Denn ausgehend von seiner - mittlerweile durch das Sprachgutachten bestätigten - Angabe, tatsächlich aus dem Kongo (B...) zu stammen, ist es anders nicht erklärbar, dass er gegenüber dem Botschafter keine genauen Angaben zu seiner Adresse und seinem Geburtsort machen und wichtige Gebäude der Stadt P... N..., wo er gelebt hat, nicht benennen konnte. Auch war eine Verständigung in Lingala oder Kikongo, den zwei wichtigsten Sprachen im Kongo, nicht möglich (Bl. 182 d.A.).

Das Verhalten des Betroffenen muss zudem im Gesamtzusammenhang gewürdigt werden. Zu berücksichtigen ist, dass er 1999 ohne Identitätsdokumente eingereist ist, mehrfach gegen die räumliche Beschränkung seiner Aufenthaltserlaubnis verstoßen hat, am 23. Januar, 24. November und 30. November 2000 jeweils bei der illegalen Wiedereinreise aus den Niederlanden angetroffen wurde, über längere Zeiträume untergetaucht war (29. Dezember 2000 - 20. März 2001; 8. Mai 2001 - 9. Februar 2003), im Februar 2000 in Hamburg unter Aliaspersonalien Handyverträge abschließen wollte und im Rahmen des vorliegenden Verfahrens sich bei der Befragung durch die Bezirksregierung zwecks Klärung seiner Identität weigerte, irgendwelche Angaben zu machen (Bl. 190 R d.A.). So ist bis zum heutigen Tag unklar, wann der Betroffene eigentlich geboren ist (vgl. die Stellungnahme des LK Diepholz vom 2. Dezember 2003 - Bl. 170 ff.). Die vorsätzlich unwahren Angaben über sein Geburtsdatum ergeben sich auch aus seiner Anhörung am 20. Juni 2003 (Bl. 98).

Der Betroffene legt es offenbar darauf an, seine genaue Identität zu verbergen, um sich - unter Missachtung seiner Ausreisepflicht - weiterhin in Deutschland aufhalten zu können. Letzteres hat der Betroffene bei seiner Anhörung vor dem AG Hannover am 7. März 2003 auch mittelbar eingeräumt, indem er angegeben hat, er habe Angst vor seiner Abschiebung, wenn er nach Hause zurückkehre sei dies sein Tod (Bl. 55 d.A.).

Im Ergebnis ist mit dem Landgericht davon auszugehen, dass der Beteiligte alles versucht hat, die Abschiebung tatsächlich durchzuführen, der Betroffene es aber verstanden hat, die Ausstellung von Passersatzpapieren durch seine Heimatbotschaft und damit letztlich die Abschiebung zu verhindern. Vor diesem Hintergrund besteht, auch bei Abwägung des öffentlichen Interesses an der Abschiebung gegenüber dem Freiheitsanspruch des Betroffenen, kein Anlass, die Anordnung und den Vollzug der Abschiebehaft betreffend den hier relevanten Zeitraum bis zum 10. Mai 2003 im Nachhinein als rechtswidrig zu qualifizieren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15. Dezember 2000 - 2 BvR 347/00; BGH NJW 1996, 2796 = DÖV 1996, 922; Thüringer OLG NJ 2001, 546; BayObLG InfAuslR 2000, 453; sämtlich zit. nach Juris)."

7

Diese Erwägungen treffen grundsätzlich auch für den hier angefochtenen zweiten Verlängerungsbeschluss des Amtsgerichts Hannover vom 8. Mai 2003 (Verlängerung der Sicherungshaft vom 10. Mai bis 10. August 2003) zu. Allerdings ist der weitere Vollzug der Sicherungshaft gemäß dieses Beschlusses ab dem 15. Juli 2003 rechtswidrig gewesen.

8

Die angeordnete Sicherungshaft dient allein der Durchführung der Abschiebung. Sie durfte daher ab dem Tage nicht mehr vollzogen werden, ab dem feststand, dass die Bemühungen um die Beschaffung eines Passersatzpapieres endgültig gescheitert waren und keine Aussicht auf Durchführung der Abschiebung mehr bestand. Dies war ab dem 15. Juli 2003 der Fall. Denn durch das am 14. Juli 2003 eingegangene Schreiben der Bezirksregierung vom 10. Juli 2003 erhielt der Beteiligte Kenntnis davon, dass die Botschaft des Betroffenen trotz des Sprachgutachtens eine erneute Befassung mit dem Sachverhalt ablehnte, solange keine anderen Angaben zur Person des Betroffenen gemacht würden. Insoweit hatte der Betroffene bereits zuvor (30. Juni 2003) seine Mitwirkung verweigert (Bl. 171 d.A.).

9

Nach Eingang des Schreibens der Bezirksregierung am 14. Juli 2003 musste der Beteiligte den Sachverhalt neu prüfen und bewerten. Er ist daraufhin zu der Erkenntnis gelangt, dass die Abschiebung zurzeit nicht möglich sei und hat den Betroffenen durch Schreiben vom 15. Juli 2003 zur Teilnahme an einem zentralen Modellprojekt zur Identitätsklärung bei ungeklärter Staatsangehörigkeit angemeldet (Bl. 171 d.A.). Ab diesem Tage war daher die Rechtfertigung für den weiteren Vollzug der Sicherungshaft weggefallen. Diese durfte nicht weiter vollzogen werden. Vielmehr hätte der Beteiligte für die Haftentlassung und gleichzeitige Aufhebung des Haftbefehls sorgen müssen. Insoweit wird zur Verfahrensweise auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 29. Mai 1995 Bezug genommen, in der es auszugsweise heißt (NVwZ 1996, Beilage 1, 8; zit. n. Juris):

"Wenn die Ausländerbehörde zu der Feststellung gelangt, dass der Haftantrag nicht weiter nicht weiter aufrechterhalten werden kann, hat sie den betroffenen Ausländer sofort auf freien Fuß zu setzen. Einer vorherigen Aufhebung der Haftanordnung durch das Amtsgericht bedarf es hierzu nicht. Die Befugnis der Ausländerbehörde zur sofortigen Entlassung ergibt sich aus der Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 FEVG, welche bestimmt, dass die Entscheidungen des Gerichts über eine Freiheitsentziehung von der zuständigen Verwaltungsbehörde (nicht durch das Gericht) vollzogen werden. Die Ausländerbehörde entscheidet deshalb allein darüber, ob überhaupt, wann und wie lange eine Freiheitsentziehung innerhalb der vom Gericht angeordneten Geltungsdauer vollstreckt werden soll (...). Dass die Ausländerbehörde von dieser ihr zustehenden Befugnis auch Gebrauch machen muss, sobald die Voraussetzungen für die Sicherungshaft entfallen sind, bedarf keiner Erläuterung.

Allerdings hat die Ausländerbehörde gleichzeitig mit der Freilassung des betroffenen Ausländers auch die Aufhebung der Haftanordnung bei dem zuständigen Amtsgericht zu beantragen, damit in Zukunft von der Haftanordnung kein Gebrauch mehr gemacht werden kann. Das Amtsgericht ist bei seiner Entscheidung in einem solchen Fall auf die förmliche Prüfung der Frage beschränkt, ob der Haftantrag zurückgenommen ist; weitere Erhebungen sind nicht anzustellen, weil nach § 3 Satz 1 FEVG eine notwendige Verfahrensvoraussetzung entfallen ist, sobald die Ausländerbehörde ihren Haftantrag nicht weiterverfolgt (vgl. ...). Die Rechtslage ist insoweit mit der in § 120 Abs. 3 StPO getroffenen Regelung vergleichbar."

10

Da eine entsprechende Verfahrensweise hier versäumt wurde, war für die Zeit ab dem 15. Juli 2003 die begehrte Feststellung zu treffen, dass der weitere Vollzug der Sicherungshaft rechtswidrig gewesen ist.

11

III.

1.

Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 FEVG hat die Beteiligte die zur Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen, soweit ab dem 15. Juli 2003 ein Anlass zum weiteren Vollzug der Sicherungshaft nicht mehr bestanden hat (vgl. KG Berlin, FGPrax 1998, 199).

12

2.

Ferner folgt aus den vorstehenden Ausführungen zu Ziffer II., dass dem Betroffenen für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.

Streitwertbeschluss:

Beschwerdewert: 3.000 EUR.