Landgericht Braunschweig
Urt. v. 14.02.2018, Az.: 3 O 1211/17

Abgasskandal; Schadensersatz; Erwerb in Kenntnis

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
14.02.2018
Aktenzeichen
3 O 1211/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74499
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Dem Erwerber eines erst Monate nach Bekanntwerden des sog. Abgasskandals von einem Autohaus gebraucht gekauften VW-Dieselmodells steht gegen den Hersteller von Fahrzeug und Motor kein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung zu, weil im Hinblick darauf, dass diese Thematik die täglichen Nachrichten bereits monatelang beherrscht hatte, nach aller Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass auch der Erwerber bei Abschluss des Kaufvertrages von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem betreffenden Pkw wusste.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: 6.000,00 €.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Schadensersatz von der Beklagten als Herstellerin seines in einem Autohaus gekauften Gebrauchtwagens, der vom sog. Abgasskandal betroffen ist.

Der Kläger kaufte am 09.02.2016 von der XXX, XXX, einen gebrauchten Pkw XXX zum Preis von 26.350,00 €. Dieser Pkw ist mit einem Dieselmotor der Baureihe XXX ausgestattet.

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) war bereits mit - nicht angefochtenem - Bescheid vom 15.10.2015 - XXX - (Bl. 38 f. d. A.) zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Motoren mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet seien, und ordnete als nachträgliche Nebenbestimmungen für die jeweils erteilten Typgenehmigungen gem. § 25 Abs. 2 EG-FGV an, dass die Beklagte zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typgenehmigungen verpflichtet ist, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen sowie geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen, was durch Beibringen geeigneter Nachweise zu belegen ist.

Mit Schreiben vom 01.06.2016 (Bl. 21 d. A.) bestätigte das KBA unter Bezugnahme auf seinen Bescheid XXX vom 15.10.2015 (bei der Datumsangabe 14.10.2015 handelt es sich um einen offenbaren Übertragungsfehler), dass für die betroffenen Fahrzeugtypen aus Cluster 6 (Verkaufsbezeichnungen: u. a. XXX), dieser Nachweis inzwischen geführt worden und dass die von der Beklagten vorgestellte Änderung der Applikationsdaten geeignet sei, die Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge herzustellen.

Mit Rundschreiben aus September 2016 (Bl. 2 f. d. Anlagenbandes Kläger) drückte die Beklagte dem Kläger ihr Bedauern darüber aus, dass sein Vertrauen in die Marke Volkswagen vor dem Hintergrund der „Stickoxidproblematik“ derzeit auf die Probe gestellt werde, entschuldigte sich dafür, teilte ihm mit, dass auch sein XXX davon betroffen sei, dass deshalb eine - für den Kläger kostenlose - Umprogrammierung des Motorsteuergeräts erforderlich sei, dass die dafür benötigte Software zur Verfügung stehe, bat ihn, sich umgehend mit einem autorisierten Partner für XXX in Verbindung zu setzen, damit ein Termin vereinbart werden könne, und wies ihn darauf hin, dass bei Nicht-Teilnahme an der Rückrufaktion eine Betriebsuntersagung gem. § 5 FZV durchgeführt werden könne.

Der Kläger, der das Software-Update inzwischen hat durchführen lassen und sein Fahrzeug weiterhin ohne Einschränkungen nutzt, forderte mit Anwaltsschreiben vom 13.04.2017 (Bl. 4 f. d. Anlagenbandes Kläger) die Beklagte wegen „weit gesunkenen“ Wiederverkaufswertes seines Autos auf, bis spätestens 02.05.2017 einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach anzuerkennen, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten und zunächst einen pauschalen Schadensersatz von 6.000,00 € zuzüglich Anwaltsgebühren zu zahlen. Die Beklagte reagierte darauf nicht.

Der Kläger behauptet, sein Pkw habe infolge der gesetzeswidrigen Manipulation der Motorsteuerungssoftware durch die Beklagte einen sich auf den durchschnittlichen Wiederverkaufspreis auswirkenden Wertverlust von mindestens 6.000,00 € erlitten, weil es seit Bekanntwerden des „Dieselskandals“ mit einem Makel - ähnlich dem eines Unfallschadens - behaftet sei und zudem die Befürchtung bestehe, dass das Fahrzeug nach Durchführung des Software-Updates eine verringerte Energie, einen höheren Kraftstoffverbrauch und eine veränderte Geräuschentwicklung aufweise. Er meint, deshalb einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus unerlaubter Handlung zu haben.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Schadensersatz von mindestens 6.000,00 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.05.2017 zu zahlen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Schadensersatz von 6.000,00 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.05.2017 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, den Kläger getäuscht und geschädigt zu haben, zumal sie bereits am 22.09.2015 mit einer Ad-hoc-Mitteilung die Öffentlichkeit über die „Dieselthematik“ informiert habe, über die „Dieselgate-Affäre“ seitdem in sämtlichen Medien berichtet sowie in der Öffentlichkeit diskutiert werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch weder aus §§ 823, 31 BGB i. V. m. § 263 StGB (1.) noch aus § 826 BGB (2.) zu. Mangels Begründetheit des Klageantrages zu 1. kann auch die Nebenforderung zu 2. keinen Erfolg haben.

1. Eine Täuschungshandlung der Beklagten i. S. von § 263 StGB im Erwerbszeitpunkt hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt, weil das KBA zwar durch seinen bestandskräftigen Rückrufbescheid vom 15.10.2015 für andere Gerichte und Behörden bindend (vgl. BGH NJW-RR 2007, 398, 399 [BGH 21.09.2006 - IX ZR 89/05] m. w. N.) festgestellt hat, dass die Beklagte im Motorsteuergerät der betroffenen Fahrzeuge eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verwendet hat, die Erregung eines Irrtums darüber gerade beim Kläger jedoch begrifflich ausgeschlossen ist, weil der Kläger das Fahrzeug erst am 09.02.2016, d. h. viereinhalb Monate nach Bekanntwerden des sog. Abgasskandals kaufte, als diese Thematik die täglichen Nachrichten bereits monatelang beherrscht hatte. Schon nach seinen in Öffentlichkeit und Medien gebräuchlichen Bezeichnungen wie „Dieselgate“, „Dieselskandal“, und „VW-Abgasskandal“, aber auch nach der betroffenen Motorbauart (Dieselmotoren mit 1,2 l, 1,6 l und 2,0 l Hubraum) lag es nahe, dass die Thematik auch den den Kläger interessierenden XXX betraf, und nach aller Lebenserfahrung hat sich nach deren Bekanntwerden auch jeder Käufer eines VW-Dieselmodells darüber informiert. Dass und warum dies beim Kläger nicht zugetroffen haben soll, hat er nicht ausgeführt, weshalb davon auszugehen ist, dass er bei Abschluss des Kaufvertrages Kenntnis vom Einbau der Motorsteuerungs-Software auch in seinem Pkw hatte (vgl. OLG Braunschweig, Beschlüsse vom 02.11.2017 und vom 28.11.2017 - 7 U 69/17 -).

2. Nach dem Grundsatz „volenti non fit iniuria“ fehlt es an der Sittenwidrigkeit der behaupteten Schädigungshandlung, wenn der Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs beim Erwerb von eben diesem Umstand bereits wusste, wovon nach den obigen Ausführungen (siehe oben I. 1.) hier auszugehen ist (vgl. OLG Braunschweig, a. a. O.).

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

III.

Die im Beschlusswege erfolgte Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in § 48 GKG, § 3 ZPO.