Landgericht Braunschweig
Urt. v. 21.03.2018, Az.: 3 O 1270/17 (131)

Abgasskandal; unzulässige Abschalteinrichtung; Rückruf

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
21.03.2018
Aktenzeichen
3 O 1270/17 (131)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74057
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BGH - 06.02.2024 - AZ: VI ZR 526/20

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wenn ein Auto keiner Rückrufaktion im Zusammenhang mit dem sog. Abgasskandal unterliegt und auch vom Statement of Facts nicht erfasst ist, reicht die Vorlage eines Prüfberichts, wonach der Stickoxid(NOx)-Ausstoß dieses Fahrzeugs den gesetzlichen, im NEFZ-Rollenprüfstand einzuhaltenden Grenzwert im realen Straßenbetrieb auf einer festgelegten Teststrecke im normalen Straßenverkehr weit überschreitet, nicht aus, um die Behauptung, der Motor des Pkws sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet, zu substantiieren.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: Wertstufe bis 65.000,00 €.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten als Herstellerin des Motors im Wege des Schadensersatzes die Rückerstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung seines in einem Autohaus neu gekauften, vom sog. Abgasskandal betroffenen Pkws.

Der Kläger erwarb am 19.07.2012 von der XXX einen neuen Pkw XXX zum Bruttokaufpreis von 60.500,20 € (Anlage K 1). Herstellerin des Motors ist die Beklagte. Das Fahrzeug wurde am 30.10.2012 zugelassen und am 02.11.2012 an den Kläger ausgeliefert. Der Kläger ist vorsteuerabzugsberechtigt und bekam die Umsatzsteuer in Höhe von 9.659,70 € erstattet. Den Kaufpreis finanzierte er in Höhe von 17.615,20 € über die XXX Bank (Anlage K 1c), den Rest zahlte er in bar. Für den am 15.11.2015 vollständig abgelösten Darlehensvertrag wandte er 1.454,36 € Zinsen auf. Darüber hinaus wandte er 720,00 € Zulassungskosten (Anlage K 1a), 719,64 € auf den mit der XXX für den Pkw abgeschlossenen XXX Vertrag (Anlage K 1b), 178,90 € Mietwagenkosten zwecks Abholung des Pkws im XXX Werk (Anlage K 1d), 379,46 € für Winterreifen und 997,98 € für notwendige Reparaturen an dem Auto (Anlagen K 1e) auf.

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe den Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer illegalen Abschalteinrichtung versehen. Er ist der Ansicht, deshalb gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss und aus unerlaubter Handlung zu haben und hat die Beklagte deshalb mit vorprozessualem Anwaltsschreiben vom 07.02.2017 (Anlage K 4) bis zum 15.02.2017 zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe des Pkws aufgefordert.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke XXX 150 kW mit der Fahrgestellnummer XXX im Wege des Schadensersatzes an ihn 50.804,50 € unter Anrechnung einer noch zu beziffernden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zuzüglich Zulassungskosten von 720,00 €, Kosten für den XXX Vertrag von 719,64 €, Zinsen von 1.454,36 €, Kosten für den Mietwagen von 178,90 €, Kosten für die Winterräder in Höhe von 379,46 € sowie für notwendige Reparaturen in Höhe von 997,98 € zu zahlen;

2. festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 16.02.2017 im Annahmeverzug befindet;

3. die Beklagte zu verurteilen, außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.251,48 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, dass der klägerische Pkw vom sog. Abgasskandal betroffen sei und dass sie den Kläger getäuscht und geschädigt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte schon dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch weder aus §§ 311 Abs. 2 Nr. 3 u. Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB noch aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB, §§ 826, 31 BGB oder aus § 831 BGB zu, weil er nicht hinreichend dargetan hat, dass die Beklagte im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verwendet hat. Mangels Begründetheit der Hauptforderung können auch die Klageanträge zu 2. und 3. keinen Erfolg haben.

Unstreitig ist, dass der Kläger bislang weder von der Beklagten als Herstellerin des Motors noch von der XXX als Fahrzeugherstellerin, aber auch nicht vom Autohaus XXX als Verkäufer eine Mitteilung erhalten hat, wonach sein Pkw einer Rückrufaktion unterliege.

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat zwar mit - aus einer Vielzahl von Parallelverfahren gerichtsbekanntem - Bescheid vom 15.10.2015 (400-52.V/001#018) die Ausrüstung von Dieselmotoren der Beklagten mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 festgestellt und als nachträgliche Nebenbestimmungen für die jeweils erteilten Typgenehmigungen gem. § 25 Abs. 2 EG-FGV angeordnet, dass die Beklagte zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typgenehmigungen verpflichtet ist, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen sowie geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Dieser Rückrufbescheid betrifft jedoch ausschließlich Aggregate des Typs EA 189 EU5. Zu der Motorreihe EA 189 der Beklagten gehören 4-Zylinder-Motoren mit 1,6 und 2,0 l Hubraum sowie 3-Zylinder-Motoren mit 1,2 l Hubraum (vgl. Wikipedia-Artikel VW EA189). Nicht dazu zählt der Motor „XXX“ im XXX des Klägers, der laut einschlägiger, im Internet veröffentlichter Preisliste XXX (Stand: Mai 2012) mit einem 6-Zylinder-Motor ausgestattet ist.

Soweit das KBA am 23.01.2018 auf seiner Homepage mitgeteilt hat, dass bei der Überprüfung „XXX“ ebenfalls unzulässige Abschalteinrichtungen nachgewiesen worden seien und dass das KBA deshalb in der Woche zuvor verpflichtende Rückrufe dieser Fahrzeuge angeordnet habe, betrifft dies ausdrücklich nur Fahrzeuge der Abgasnorm Euro 6. Der klägerische Pkw fällt aber unstreitig unter die Abgasnorm Euro 5. Daraus folgt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug auch von dieser neuen Rückrufaktion nicht betroffen ist.

Der Kläger kann sich damit anders als die Besitzer der von den Rückrufen betroffenen Fahrzeuge nicht auf eine Tatbestandswirkung von bestandskräftigen Bescheiden des KBA berufen. Auch in dem vom Kläger angeführten Statement of Facts zwischen dem XXX und der Beklagten ist vom 3,0 l-Diesel-Motor im Zusammenhang mit dem in den USA verkauften XXX nur für die Modelljahre („MY“) 2014 bis 2016 die Rede, d. h. ebenfalls nicht von dem bereits 2012 gekauften Auto des Klägers.

Soweit der Kläger schließlich mit nachgelassenem Schriftsatz vom 27.02.2018 einen Prüfbericht des XXX (XXX) der XXX e. V. zu den Akten gereicht hat, wonach mit seinem Pkw an zwei Tagen insgesamt zehn Messfahrten durchgeführt worden seien, die ergeben hätten, dass „das streitgegenständliche Fahrzeug die gesetzlichen Grenzwerte im NEFZ Modus um das 9,7fache“ überschreite, lässt auch dieser Prüfbericht, seine Richtigkeit unterstellt, entgegen der Ansicht des Klägers nicht den Schluss zu, dass in seinem Auto eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet wird. In dem Bericht wird unter 1.3 (Seite 4 unten) und unter 4. (Seite 10) ausdrücklich ausgeführt, dass die Messungen mit mobilen Messgeräten im realen Fahrbetrieb auf einer festgelegten Teststrecke im normalen Straßenverkehr durchgeführt würden. Ziel sei es herausfinden, ob die Fahrzeuge auch unter normalen Fahrbedingungen, also nicht nur im NEFZ-Prüfzyklus im Labor die Abgasvorschriften einhielten. Damit hat der Prüfbericht aber die vom Kläger für den Nachweis einer unzulässigen Abschaltvorrichtung selbst postulierten Vergleichswerte gar nicht geliefert. Der Kläger trägt nämlich vor, dass die Prüfanstalten „das Fahrzeug einmal im NEFZ auf dem Rollenprüfstand und sodann in einer Vielzahl von nachgefahrenen NEFZ-Zyklen auf der Straße“ testeten. Halte das Fahrzeug nur auf dem Prüfstand die gesetzlichen Grenzwerte ein und überschreite es auf der Straße grundsätzlich immer die gesetzlichen Grenzwerte im selben Testzyklus um ein Vielfaches, stehe fest, „dass das Fahrzeug mit illegalen Abschalteinrichtungen versehen“ worden sei. Demgegenüber hat das XXX den tatsächlichen Stickoxid(NOx)-Ausstoß des klägerischen Pkws weder auf dem NEFZ-Rollenprüfstand ermittelt noch „in einer Vielzahl von nachgefahrenen NEFZ-Zyklen“, sondern allein im normalen Straßenverkehr.

Nach alledem bleibt die Behauptung des Klägers, der Motor seines Autos sei von der Beklagten mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet worden, ohne hinreichende Substanz.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

III.

Die im Beschlusswege erfolgte Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in §§ 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 S. 1, 63 Abs. 2 S. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO.