Sozialgericht Hannover
Urt. v. 11.11.2013, Az.: S 59 AS 1180/12

Begrenzung der Absetzung von Aufwendungen auf damit zeitlich in Zusammenhang stehendes Einkommen

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
11.11.2013
Aktenzeichen
S 59 AS 1180/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 55821
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2013:1111.S59AS1180.12.0A

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Kosten sind nicht zu erstatten.

  3. 3.

    Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten.

Der am 16. Mai 1974 geborene Kläger stand in dem hier maßgeblichen Zeitraum im laufenden Bezug von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Mit Bescheiden vom 24. Februar 2011, 7. März 2011, 17. März 2011, 17. Mai 2011 und 1. August 2011 waren dem Kläger und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. April 2011 bis zum 30. September 2011 bewilligt worden. In dieser Zeit ging der Kläger einer Erwerbstätigkeit nach. Am 15. August 2011 erhielt der Kläger eine zunächst von seinem Treuhänder - er befand sich in der Wohlverhaltensphase seiner Privatinsolvenz - einbehaltene Nachzahlung von Arbeitsentgelt für Juli 2011 in Höhe von 525,00 Euro. Dies führte für Juli 2011 auf Seiten der Bedarfsgemeinschaft zu einer Nachzahlung in Höhe von insgesamt 587,40 Euro (diesbezüglich bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 11. November 2011 entsprechende Leistungen). Nach Anhörung des Klägers hob der Beklagte mit Bescheid vom 16. Januar 2012 seine Bescheide über die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. August 2011 bis zum 31. August 2011 teilweise auf und forderte einen Betrag in Höhe von 191,78 Euro zurück. Bei der Aufhebungsentscheidung wurde neben dem ursprünglich erlassenen Bescheiden auch ein nicht existenter Bescheid vom 26. März 2011 genannt. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2012 zurückwies.

Am 26. März 2012 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Hannover Klage erhoben.

Er ist der Auffassung, dass der Beklagte mit der Nachzahlung für Juli 2011 die geltend gemachte Forderung hätte aufrechnen müssen. Weiter trägt er vor, dass im Übrigen das Geld im Rahmen der normalen Lebensführung verbraucht worden sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 16. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die getroffene Entscheidung für richtig.

Der Kammer hat neben der Prozessakte auch die Verwaltungsakte des Beklagten vorgelegen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 16. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn der Beklagte hat zu Recht die Bescheide vom 24. Februar 2011, 7. März 2011, 17. März 2011, 17. Mai 2011 und 1. August 2011 gemäß § 40 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), § 330 Abs. 3 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) teilweise aufgehoben. Der Kläger hat den überzahlten Betrag in Höhe von 191,78 Euro gemäß § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X zu erstatten.

Nach § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II gilt für das Verfahren nach diesem Buch das Zehnte Buch. Gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II sind die Vorschriften des Dritten Buches über die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 und 4) entsprechend anwendbar.

Gemäß § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, wenn die in § 48 Abs. 1 S. 2 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Aufhebung vorliegen.

Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

Bei den Bewilligungsbescheiden handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, da mit ihnen ein auf Dauer berechnetes oder in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten begründet worden ist (vgl. Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 45 Rn. 63).

Sofern der ursprüngliche Verwaltungsakt rechtmäßig ergangen ist, ist eine Änderung regelmäßig dann wesentlich im Sinne dieser Vorschrift, wenn durch die den ursprünglich erlassenen Verwaltungsakt nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen wird. Daher sind in der Regel alle Änderungen wesentlich, die dazu führen, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht oder so nicht hätte erlassen dürfen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Februar 1986 - 7 RAr 55/84, Rn. 15 nach [...]). Dies bestimmt sich anhand des materiellen Rechts.

Ausgehend hiervon ist nach dem Erlass der ursprünglichen Bescheide eine wesentliche Änderung eingetreten. Denn durch das Einkommen, das der Kläger am 15. Oktober 2011 erhalten hat, ist die Hilfebedürftigkeit für die Zeit vom 1. August 2011 bis zum 31. August 2011 teilweise entfallen.

Dabei war der Beklagte vorliegend gemäß § 40 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X, § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III verpflichtet, den Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Danach ist der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Durch das Einkommen ist die Hilfebedürftigkeit des Klägers im maßgeblichen Zeitraum teilweise entfallen. Denn das Einkommen ist gemäß §§ 9, 11, 11a, 11b SGB II zu berücksichtigen.

Da die Ausübung von Ermessen im vorliegenden Fall durch § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III ausgeschlossen ist, kann ein gegebenenfalls auf Seiten des Klägers vorhandenes Vertrauen nicht berücksichtigt werden. Dies begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 6. November 1997 - 11 RAr 7/97 zum inhaltsgleichen § 152 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz). Unbillige Härten können durch Erlass oder Stundung vermieden werden (vgl. Mertin in: Hauck/Noftz, SGB X, Lieferung 2/09, K § 48, Rn. 84). Im Übrigen ist der Einwand, dass das Geld im Rahmen der normalen Lebensführung verbraucht sei, nicht ausreichend, um einen Vertrauensschutz anzunehmen.

Der Kläger ist vor der Entscheidung angehört worden. Die Aufhebung erfolgte auch innerhalb der Frist nach § 48 Abs. 4 in Verbindung mit § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X. Nach dieser Vorschrift muss die Behörde den Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit innerhalb eines Jahres nach Kenntnis, der diese rechtfertigenden Tatsachen aufheben. Kenntnis erlangte der Beklagte im August 2011 (Bl. 734 der Verwaltungsakte des Beklagten), die hier angefochtene Entscheidung erging am 18. Januar 2012, also innerhalb eines Jahres. Die Nennung des nicht existenten Bescheides vom 26. März 2011 ist vorliegend unschädlich. Dies führt nicht zu einer mangelnden Bestimmtheit im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X. Vielmehr geht die Aufhebung insoweit schlicht ins Leere (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 196/11 R, Rn. 19 nach [...]).

Zwar berücksichtigt der Bescheid vom 11. November 2011 bereits das Einkommen, enthält aber auch eine entsprechende Ankündigung, dass erst noch eine Aufhebung erfolge. Insoweit erfolgte mit dem Bescheid vom 11. November 2011 (noch) keine Neubewilligung der Leistungen für die Zeit vom 1. August 2011 bis zum 31. August 2011.

Die Berechnung der überzahlten Leistungen hat der Beklagte korrekt vorgenommen. Insbesondere hat er zu Recht bei der Anrechnung des Einkommens im August 2011 "nur" die 30-Euro-Pauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeldverordnung berücksichtigt. Denn der entsprechende Absetzbetrag für Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit ist bereits im Juli 2011 berücksichtigt worden. Den "Verlust" des Freibetrages für erwerbstätige Leistungsberechtigte hat der Kläger hinzunehmen. Denn dies entspricht der grundsätzlichen Systematik des SGB II, dass Aufwendungen nur von damit zeitlich in Zusammenhang stehenden Einkommen abgesetzt werden und daraus folgend anspruchserhöhend wirken können (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 27. März 2013 - L 11 AS 810/11, Rn. 27 nach [...] zu der Konstellation, in der Einkommen aus Erwerbstätigkeit im selben Monat in zwei Teilbeträgen gezahlt wurde).

Die entstandene Überzahlung hat der Kläger gemäß § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X zu erstatten.

Keinesfalls war der Beklagte - wie der Kläger meint - zu einer Aufrechnung verpflichtet. Eine Aufrechnung kommt nur in Betracht, wenn die Gegenforderung der Behörde bestandskräftig festgestellt worden ist (vgl. Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, 45. Lieferung, § 43, Rn. 86 ff.). Gegen diese Entscheidung ist jedoch die vorliegende Klage erhoben worden; in Bestandskraft ist sie daher nicht erwachsen. Selbst wenn man "nur" ein Wirksamwerden des Erstattungsbescheides forderte (vgl. ebenda), hat seinerzeit eine Aufrechnungslage nicht bestanden, da die Auszahlung der weiteren Leistungen für Juli 2011 vor Erlass bzw. Bekanntgabe der hier angefochtenen Entscheidung erfolgte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Kammer hat die Berufung zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zumisst (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Es ist nicht höchstrichterlich geklärt, welche Freibeträge bei der Auszahlung von Erwerbseinkommen in mehreren Teilbeträgen zu berücksichtigen ist.