Sozialgericht Hannover
Urt. v. 13.02.2013, Az.: S 65 KA 381/08

Auswirkungen einer Überschreitung der Richtgrößen für Arznei- und Verbandmittel; Ausreichende Begründung eines Richtgrößenregresses

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
13.02.2013
Aktenzeichen
S 65 KA 381/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 44838
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2013:0213.S65KA381.08.0A

Tenor:

  1. 1.

    Der Beschluss des Beklagten vom 9. Juli 2008 wird aufgehoben, soweit ein Regress in Höhe von 110.417,97 DM festgesetzt worden ist.

  2. 2.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen; diese tragen die Beigeladenen selbst.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen Richtgrößenregress für das Jahr 2001.

Die Klägerin ist eine aus zwei zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Fachärzten für Allgemeinmedizin bestehende Gemeinschaftspraxis in O ... Im Jahr 2001 rechnete die Klägerin 6.078 Behandlungsfälle mit Mitgliedern der Krankenkassen und Familienversicherten (M/F) und 2.614 Behandlungsfälle mit Rentnern (R) ab. Die festgestellten Bruttoausgaben betrugen 1.810.945,79 DM für Arznei- und Verbandmittel. Der Prüfungsausschuss stellte im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen für das Jahr 2001 bei der Klägerin eine Überschreitung der Richtgrößen für Arznei- und Verbandmittel in Höhe von 81,39 % fest und teilte der Klägerin mit Schreiben vom 21. Juli 2005 einen potentiellen Regressbetrag in Höhe von 399.765,97 DM (204.397,09 EUR) mit. Mit Schreiben vom 30. September 2005 trug die Klägerin u. a. zu Praxisbesonderheiten vor. Sie machte teure Patienten geltend. Allein die 50 teuersten Patienten hätten Arzneikosten in Höhe des potentiellen Regresses verursacht. Des Weiteren machte die Klägerin Arzneimittel "außer Budget", Hilfsmittel, Unbekannte, "Neuropsych." und Asthma-Mittel geltend. Auf eine nähere Geltendmachung der Arzneimittel für leitliniengerechte Hypertonie-Behandlung, die etwa 33 % des gesamten Verordnungsvolumens abdecke, verzichtete die Klägerin vorläufig.

Mit Beschluss vom 21. November 2005 setzte der Prüfungsausschuss einen Regress in Höhe von 223.876,19 DM (114.466,08 EUR) für die Überschreitung der Richtgrößen für Arznei- und Verbandmittel fest. Praxisbesonderheiten wurden in Höhe von 263.167,53 DM anerkannt. Für weitere Abzüge wurde ein Betrag in Höhe von 34.587,63 DM berücksichtigt.

Gegen den am 12. Dezember 2005 versandten Beschluss erhob die Klägerin am 11. Januar 2006 Widerspruch. Mit Schreiben vom 7. März 2007 rügte die Klägerin die späte Prüfung und die Datenlage. Sie legte eine Auflistung von Daten vor, die entweder fehlerhafte Preise, Hilfsmittel, keine Mengenangaben, der Klägerin unbekannte Arzneimittel oder Tage, an denen die Ärzte der Klägerin nicht gearbeitet hätten, enthielten. Darüber hinaus trug die Klägerin vor, dass sie eher eine fachärztliche als eine allgemeinärztliche Versorgung leisten würde. Dies sei als Praxisbesonderheit zu berücksichtigen. Die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehme einen großen Anteil ein. 77 % der Patienten seien Hypertoniker, wohingegen laut der Erhebungen des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in allgemeinmedizinischen Praxen normalerweise nur 21 % Hypertoniker behandelt würden.

Auch die umfassende Versorgung der Asthma-Patienten und der neuropsychiatrischen Erkrankungen sei als Praxisbesonderheit anzuerkennen. Ebenso seien Verordnungen von Wochenenden oder Feiertagen herauszurechnen. Mit Schreiben vom 20. November 2007 verwies die Klägerin auf die Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen, Allergie und Neurodermitis. In den Daten des Prüfungsausschusses seien Verordnungen enthalten, die die Klägerin nicht kenne oder üblicherweise nicht verordne. Diese Datensätze umfassten Verordnungskosten in Höhe von 66.241,96 EUR. Bei den Rentnern liege ein Großteil an Patienten mit einem Alter von über 80 Jahren vor. In der Sitzung des Beklagten vom 9. Juli 2008 gab der Kläger als Praxisbesonderheit an, dass über 70 % der Patienten Herz-Kreislauf-Erkrankungen hätten. Der Kläger habe dadurch in erheblichem Maß fachärztliche Verordnungen ausstellen müssen. Weitere Besonderheiten seien die Durchführung von Langzeitblutdruckmessungen, TSH-Bestimmungen, Sonographien der Schilddrüse sowie Ortsrandlage und der besonders hohe Rentneranteil in der Praxis.

Der Beklagte reduzierte den Regress mit Beschluss vom 9. Juli 2008 auf den Betrag in Höhe von 110.995,38 DM (56.751,04 EUR) und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Er bezog sich dabei zunächst auf die vom Prüfungsausschuss zu Grunde gelegten Werte bezüglich der Überschreitung der Richtgrößen für Arznei- und Verbandmittel. Vom Überschreitungsbetrag zog der Beklagte Beträge für nicht dem Datensatzformat entsprechende Datensätze sowie weitere Beträge gem. der Anlagen 1, 2 und 5 zur Entscheidung in Höhe von insgesamt 54.603,33 DM (110,78 DM, 54.111,89 DM und 380,66 DM) ab. Der Beklagte berücksichtigte Praxisbesonderheiten in Höhe von nunmehr insgesamt 270.621,65 DM gem. der Anlage 3. Der Vortrag der Klägerin sei unstrukturiert und für den Beklagten nicht nachvollziehbar gewesen. Dennoch habe der Beklagte im Rahmen der freien Würdigung der Gesamtverordnungssituation der Klägerin das von dieser zur Behandlung von Hypertoniepatienten eingesetzte Präparat Norvasc stellvertretend für einen diesbezüglichen erkennbaren, jedoch nicht konkret verifizierbaren Praxis-Schwerpunkt zu 90 % aus dem Verordnungsvolumen herausgerechnet. Darüber hinaus erkannte der Beklagte die Versorgung von fünf Patienten als Versicherte mit besonderem Versorgungsbedarf in Höhe von 101.398,24 DM an.

Der Beschluss des Beklagten wurde am 14. August 2008 ausgefertigt. Gegen den Beschluss vom 9. Juli 2008 hat die Klägerin am 26. August 2008 Klage erhoben.

Die Klägerin ist im Wesentlichen der Auffassung, dass die dem Regress zu Grunde gelegten Daten fehlerhaft und die vorgetragenen Praxisbesonderheiten nicht ausreichend berücksichtigt seien. Das Behandlungsregime der Klägerin umfasse in weiten Teilen auch die Funktion einer internistischen, orthopädischen und neurologisch-psychiatrischen fachärztlichen Versorgung. Diesbezüglich liege die Klägerin über dem Durchschnitt der Vergleichsgruppe. Bei Sonographien liege die Klägerin mit 137 %, bei Ergometrien mit 473 %, bei Schilddrüsen-Sonographien mit 700 % und bei Elektrokardiogrammen mit 10.456 % über dem Durchschnitt der Fachgruppe im Jahr 2001. Der Ortsteil Ehmen, in dem sich die Praxis befinde, werde auch fachärztlich von der Klägerin versorgt.

Des Weiteren seien die Prüfentscheidungen zu spät erfolgt. Der Prüfungsausschuss hätte innerhalb von vier Jahren nach den jeweiligen Quartalen und der Beschwerdeausschuss innerhalb von zwei Jahren nach der Entscheidung des Prüfungsausschusses entscheiden müssen. Soweit der Beklagte in seiner Entscheidung nicht auf die vorgetragenen Praxisbesonderheiten eingegangen sei, liege ein Ermessensausfall vor. Wegen der fehlenden Begründung liege ein Verstoß gegen § 35 SGB X vor. Insbesondere hätte der Beklagte auf die vorgetragenen Schwerpunkte im Bereich Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma-Erkrankungen, Allergien und Neurodermitis-Patienten eingehen und diesbezüglich nachfragen müssen. Verordnungen von Lipidsenkern, Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, Calciumantagonisten, inhalativen Kortikoiden, ACE-Hemmern und AT1-Blockern hätten als Praxisbesonderheit anerkannt werden müssen. Die Entscheidung des Beklagten erscheine willkürlich.

Läge man die Richtgrößen für das Land Brandenburg zu Grunde, welches nach einer Erhebung der Barmer eine geringere Morbidität aufweise, so käme ein Regress nicht mehr in Betracht. Außerdem habe der Apotheker der Deutschen BKK, Herr P., der Klägerin zugesichert, dass kein Regress zu erwarten sei.

Mit Schriftsatz vom 30. März 2011 hat die Klägerin im Klageverfahren vorgetragen, dass sie Datensätze mit Verordnungskosten in einem Umfang von 340.007,12 DM keinem ihrer Patienten habe zuordnen können. Auf den Hinweis der Kammer vom 19. September 2011, dass anhand der übrigen Daten eine Überprüfung vorgenommen werden könnte und müsste, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 9. Januar 2012 vorgetragen, dass beispielsweise 33 Verordnungen über Elobact in den Regressdaten enthalten seien, wohingegen die Klägerin mit Hilfe ihrer Praxissoftware nur 22 Verordnungen habe finden können.

Der Beklagte hat daraufhin erwidert, dass Datenfehler nicht in einem Umfang vorlägen, der eine Beiziehung der Originalverordnungsbelege oder Printimages erfordere. Soweit Preisdifferenzen geltend gemacht worden seien, hätten lediglich Unterschiede in einem Umfang von insgesamt 435,00 DM verifiziert und zum Abzug gebracht werden können. Darüber hinaus könnten auf Grundlage der im Verwaltungsverfahren von der Klägerin mit Schreiben vom 7. März 2007 vorgetragenen "fehlerhaften Preise" weitere 577,41 DM berücksichtigt werden. Diesbezüglich hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis erklärt. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen.

Die Klägerin ist darüber hinaus der Auffassung, dass sie mit der Anlage 17 im Widerspruchsverfahren ausreichend substantiiert Datenfehler in einem Umfang von 66.241,96 DM vorgetragen habe. Eine Pflicht zur Prüfung der Richtigkeit der zu Grunde gelegten Daten sei auf die tatsächlichen Möglichkeiten des geprüften Arztes zu begrenzen. Ansonsten werde die Amtsermittlungspflicht, die dem Beklagten obliege, in ihr Gegenteil verkehrt. Die Bereinigung der Datenfehler durch den Beklagten sei nicht nachvollziehbar.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss des Beklagten vom 9. Juli 2008 aufzuheben,

hilfsweise

den Beklagten zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, dass der angefochtene Beschluss rechtmäßig sei. Die Prüfungsentscheidungen seien rechtzeitig erfolgt. Auch seien die Richtgrößen rechtzeitig veröffentlicht worden. Eine dem Regress vorausgehende Beratungspflicht gebe es nicht. Praxisbesonderheiten seien nicht ausreichend substantiiert vorgetragen worden, soweit sie nicht berücksichtigt worden seien. Insbesondere die vorgetragenen Schwerpunkte im Bereich Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma und neuropsychiatrische Erkrankungen seien anhand der Verordnungsdaten nicht nachvollziehbar gewesen. Auch die Diagnose-Häufigkeiten bei Schilddrüsenerkrankungen, Allergien und Neurodermitis reichten für sich genommen für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit nicht aus. Die vorgetragenen Durchschnittszahlen seien nicht repräsentativ, da sie sich nur auf einzelne Quartale, einzelne Krankenkassen, andere Zeiträume oder andere Bundesländer beziehen würden. Der Beschluss des Beklagten sei ausreichend begründet. Es sei nicht erforderlich, detailliert den kompletten "Gedankengang" des Beklagten darzustellen. Die Klägerin sei mit weiterem Vortrag zu Praxisbesonderheiten und Datenfehlern im Klageverfahren präkludiert.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

Die Beigeladene zu 1. ist der Auffassung, dass eine Begrenzung von Richtgrößenregressen auch vor dem 1. Januar 2011 nach § 106 Abs. 5c SGB V auf 25.000,- EUR zu erfolgen habe. Die gesetzgeberische Entwicklung sei auch für die zurückliegenden Fälle zu berücksichtigen. Deswegen sei auch eine kürzere Verjährungsfrist anzuwenden. Unter Bezugnahme auf eine bei einem anderem Allgemeinarzt vorgeworfenen Verordnung über eine Freka Cid Salbe in Höhe von 478.156,62 DM, die von der Krankenkasse nach Retaxierung mit wenigen DM bezahlt worden sei, ist die Beigeladene zu 1. der Auffassung, dass die Datenlieferungen der Krankenkassen nicht ausreichend manifestiert seien. Im vorliegenden Verfahren lägen Datenfehler aufgrund einer Diskrepanz zwischen der ersten und zweiten Datenlieferung sowie aufgrund von substantiiert geltend gemachten Datenfehlern vor. Insgesamt sei die "5 %-Grenze" überschritten, sodass die Originalverordnungsbelege bzw. Printimages hätten beigezogen werden müssen. Des Weiteren hätten die Schwerpunkte der klägerischen Tätigkeit in den Bereichen Rheuma, Orthopädie, Asthma, COPD und Pulmologie vollständig als Praxisbesonderheiten berücksichtigt werden müssen. So habe der Beklagte beispielsweise für das Jahr 2003 pulmologische Medikationen als Praxisbesonderheiten anerkannt.

Die Beigeladene zu 2. ist der Auffassung, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig sei. Datenfehler, Praxisbesonderheiten und kompensatorische Einsparungen seien nicht substantiiert vorgetragen worden. Vortrag im Klageverfahren sei nicht mehr zu berücksichtigen. Der Beschluss sei ausreichend begründet. Die Entscheidungen seien rechtzeitig ergangen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, insbesondere auf den Inhalt der näher bezeichneten Schriftstücke nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet.

1. Das Begehren der Klägerin im Sinne von § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) war nicht als Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren auszulegen. Ergebnis einer erneuten Entscheidung des Beklagten kann insofern zwar auch die durch Verpflichtung erreichbare Aufhebung des ursprünglich vom Prüfungsausschuss festgesetzten Regresses sein, aber streitgegenständlich ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. zuletzt Urt. v. 19.10.2011, Az: B 6 KA 38/10 R, Rn. 11; Urt. v. 29.6.2011, Az: B 6 KA 16/10 R, Rn. 10 mwN; jew. zit. nach [...]) allein der das Verwaltungsverfahren abschließende Beschluss des Beschwerdeausschusses. Der Beschwerdeausschuss wird mit seiner Anrufung für das weitere Prüfverfahren ausschließlich und endgültig zuständig; sein Bescheid ersetzt den ursprünglichen Verwaltungsakt des Prüfungsausschusses bzw. der Prüfungsstelle. Wird insoweit diese abschließende Entscheidung aufgehoben, ist dem Begehren des geprüften Arztes genüge getan. Darüber hinaus würde die Verpflichtung zu einer erneuten Entscheidung die Gefahr einer für den Kläger belastenden Entscheidung beinhalten. Diese Gefahr ist jedoch grundsätzlich nicht von seinem Klagebegehren mit umfasst.

Durch die Aufhebung des Regresses ist dem Beschwerdeausschuss eine erneute Entscheidung nicht verwehrt. Vielmehr ist dem Beschwerdeausschuss je nach Begründung des aufhebenden Urteils postprozessual im Umfang des zuvor festgesetzten Regresses eine neue Entscheidung eröffnet. Insofern wird bereits die Auffassung vertreten, dass bei belastenden Verwaltungsakten wie dem z.B. hier vorliegenden angefochtenen Regressbescheid grundsätzlich nur die Anfechtungsklage und gerade nicht die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die statthafte Klageart ist (vgl. hierzu und im Folgenden: Clemens in: jurisPK-SGB V, § 106 SGB V, Rn. 371 ff., Stand: Mai 2013). Für diese Auffassung spricht die Systematik in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und im Sozialgerichtsgesetz (SGG), nach der die Neubescheidungsverpflichtung im Rahmen der sog. Vornahmeklagen geregelt ist (vgl. in § 113 Abs. 5 VwGO den Zusammenhang von Satz 1 mit Satz 2; vgl. ebenso in § 131 SGG den Zusammenhang von Absatz 2 mit Absatz 3), welche auch hier nicht einschlägig ist. Vertragsärzte, die gegen Richtgrößenregresse gerichtlich vorgehen, begehren in erster Linie die endgültige Beseitigung des Regresses und nicht eine erneute Entscheidung des Beschwerdeausschusses. Für den Fall, dass die ursprüngliche Entscheidung des Prüfungsausschusses bzw. der Prüfungsstelle wieder aufleben würde, läge die Notwendigkeit einer erneuten Entscheidung vor. Dies ist aber gerade aufgrund des Überganges der Zuständigkeit auf den Beschwerdeausschuss nicht der Fall. Die Entscheidung des Beschwerdeausschusses wird durch das Klagebegehren begrenzt aufgehoben, nämlich soweit überhaupt ein Regress festgesetzt wurde. Dem Beschwerdeausschuss ist in der Bandbreite von einer erneuten Festsetzung eines Regresses in der ursprünglichen Höhe bis zum Absehen von einem Regress eröffnet. Es ist insofern nach den Erfolgsaussichten der Klage zu differenzieren.

Wird der Regress endgültig aufgehoben, handelt es sich um eine reine Anfechtungsklage im klassischen Sinne. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn bezüglich der Anerkennung von Praxisbesonderheiten in einem den streitgegenständlichen Regress überschreitenden Maße kein Beurteilungsspielraum besteht, oder wenn aufgrund von Datenfehlern ein Regress nicht festgesetzt werden kann.

Wird hingegen lediglich wegen fehlerhafter Ausübung von Beurteilungsspielräumen aufgehoben, so erfolgt zunächst keine endgültige Aufhebung. Dem Beschwerdeausschuss wird begrenzt durch die Urteilsbegründung eine erneute Entscheidung eröffnet. Im Interesse der Rechtssicherheit hat der geprüfte Arzt einen Anspruch gegenüber dem Beschwerdeausschuss auf die Information, ob eine erneute Entscheidung beabsichtigt ist. Zu beachten ist diesbezüglich, dass der geprüfte Arzt durch eine unterbleibende Entscheidung nicht beschwert wäre. Bildlich ausgedrückt könnten Klagen gegen Richtgrößenregresse, die keine endgültige Aufhebung nach sich ziehen, Anfechtungs- und Eröffnungsklagen genannt werden. Dem Beschwerdeausschuss wird nach (Teil-)Aufhebung seiner Entscheidung die Möglichkeit einer erneuten Entscheidung eröffnet. Bei einer erneuten Entscheidung ist der Beschwerdeausschuss nur an die Begründung des Aufhebungsurteiles gebunden. Da die Eröffnung keine Gestaltung für sich darstellt, sondern vielmehr Folge der "vorläufigen" Aufhebung ist, bleibt richtigerweise die dogmatische Bezeichnung der "Anfechtungsklage". Es handelt sich insofern lediglich um eine Unterart der Anfechtungsklage.

Soweit nur Teile des Regresses rechtswidrig sind, erfolgt eine Teilaufhebung. Auch bezüglich der teilweise aufgehobenen Entscheidung steht es dem Beschwerdeausschuss dann frei, erneut einen Regress festzusetzen oder aber von einer erneuten Entscheidung abzusehen.

2. Die Klage ist begründet, weil der Beschluss des Beklagten vom 9. Juli 2008 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, soweit ein Regress in Höhe von 110.417,97 DM festgesetzt worden ist. In diesem Umfang war der streitgegenständliche Beschluss des Beklagten aufzuheben. Soweit der Beklagte das angenommene Teilanerkenntnis in Höhe von 577,41 DM erklärt hat, war der Regress bereits vermindert und nicht mehr aufzuheben.

a) Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 106 SGB V i.V.m. § 84 SGB V jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2000 (GKV-Gesundheitsreformgesetz, BGBl. I, S. 2626 ff.) i.V.m. der Vereinbarung über die Festsetzung von Richtgrößen gem. § 84 Abs. 3 SGB V und die Prüfung der Wirtschaftlichkeit bei Überschreitung der Richtgrößen gem. § 106 SGB V für das Jahr 2001 (Richtgrößen-Vereinbarung). Die Richtgrößen für das Jahr 2001 sind im Niedersächsischen Ärzteblatt 12/2000, S. 115 ff., veröffentlicht worden.

b) Der am 14. August 2008 in Bescheidform ausgefertigte Beschluss vom 9. Juli 2008 ist formell rechtswidrig.

aa) Der angefochtene Beschluss ist nicht ausreichend begründet im Sinne von § 35 SGB X. Der Beklagte hat nicht ausreichend dargelegt, warum er teilweise Praxisbesonderheiten anerkannt hat und teilweise wiederum nicht. Auch wenn - wie der Beklagte richtig vorgetragen hat - nicht sämtliche Erwägungen vom Beklagten im Detail auszuführen sind und die Anforderungen an die Darlegungen und Berechnungen nicht überspannt werden dürfen, da sich Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung regelmäßig an einen sachkundigen Personenkreis richten, so ist es dennoch erforderlich, dass auch die Prüfgremien ihre Ausführungen zum Vorliegen der Voraussetzungen für Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung in dem zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens ergehenden Bescheid derart verdeutlichen, dass im Rahmen der - infolge von Beurteilungs- und Ermessensspielräumen der Gremien eingeschränkten - sozialgerichtlichen Überprüfung zumindest die zutreffende Anwendung der einschlägigen Beurteilungsmaßstäbe im Einzelfall erkennbar und nachvollziehbar ist. Die Ausführungen müssen erkennen lassen, wie das Behandlungsverhalten des Arztes bewertet wurde und auf welchen Erwägungen die getroffene Kürzungsmaßnahme beruht (siehe: BSG, Urt. v. 16.7.2003, Az: B 6 KA 14/02 R, Rn. 22 mwN, zit. nach [...]).

Diese höchstrichterlichen Grundsätze sind nach Ansicht der Kammer verletzt, wenn ein Prüfgremium - wie vorliegend der Beklagte - in dem das Verwaltungsverfahren abschließenden Beschluss die ggf. vorhandenen eigenen sachkundigen Erkenntnisse nicht nachvollziehbar darlegt. Ausführungen dergestalt, dass keine Abweichungen vom Fachgruppendurchschnitt erkennbar gewesen seien, ohne den Fachgruppendurchschnitt näher darzulegen, lassen nicht nur jeden Überzeugungswert, sondern auch eine Nachvollziehbarkeit gänzlich vermissen. Soweit ggf. Werte der Vergleichsgruppe bei der Entscheidung des Beklagten nicht vorhanden gewesen sind, hätten zumindest die zu Grunde gelegten Erfahrungswerte dargelegt werden müssen. Es muss auch nachvollziehbar sein, woraus sich die Erfahrungswerte ergeben. Mit steigender Unsicherheit der Erfahrungswerte wäre nämlich ein jeweils höherer Sicherheitsabschlag vorzunehmen gewesen. Ob der Beklagte solche - nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, aaO) tragenden - Erwägungen angestellt hat, ist aus der Begründung nicht ersichtlich.

bb) Die Kammer sah sich auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 23. März 2011, Az: B 6 KA 9/10 R, nicht gehalten, die Anforderungen an die Begründung eines Richtgrößenregressbescheides niedriger anzusetzen. In diesem Verfahren hat das Bundessozialgericht (aaO) zwar den Richtgrößenregress für das Jahr 2002 als rechtmäßig angesehen, allerdings unterscheidet sich der dort angefochtene Bescheid hinsichtlich der Begründung von dem hier streitgegenständlichen Bescheid. Im dort angefochtenen Bescheid hatte der beklagte Beschwerdeausschuss nicht nur eine Unterteilung in 36 Untergruppen vorgenommen, sondern auch den Umfang etwaiger Praxisbesonderheiten mit Hilfe der Durchschnittswerte der jeweiligen Untergruppe ermittelt. Die jeweiligen Werte der Vergleichsgruppe waren in Relation zu den Werten des geprüften Arztes gesetzt worden. Anhand dieser Relation ließ sich nachvollziehbar begründen, ob eine Praxisbesonderheit vorlag oder nicht vorlag. Eine solche nachvollziehbare Begründung fehlt vorliegend.

cc) Der Formmangel ist hier auch nicht gem. § 42 SGB X wegen eines offensichtlich fehlenden Einflusses auf das Ergebnis des Bescheides unbeachtlich. Eine solche Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im Sinne von § 42 SGB X kann bei faktischer Alternativlosigkeit der Entscheidung angenommen werden (BSG, Urt. v. 6.5.2009, Az: B 6 KA 7/08 R, Rn. 30 mwN; vgl. auch: Urt. v., 16.7.2008, Az: B 6 KA 57/07 R, Rn. 22 mwN, jew. zit. nach [...]). Diese Alternativlosigkeit muss sich allerdings auf den Bereich beschränken, der für den jeweiligen Kläger eine Verbesserung seiner Rechtsposition eröffnet, da ansonsten keine Rechtsverletzung gegeben wäre. Eine Alternativlosigkeit liegt dementsprechend bei Richtgrößenprüfungsentscheidungen dann vor, wenn eine günstigere Entscheidung für den geprüften Arzt ausgeschlossen ist. Dies kann der Fall sein, wenn der geprüfte Arzt im Verwaltungsverfahren nicht bzw. nicht ausreichend substantiiert zu Praxisbesonderheiten vorgetragen hat. Die Kammer hat darüber hinaus in ständiger Rechtsprechung (unveröffentlicht) entschieden, dass ein Begründungsfehler des Beschwerdeausschusses unbeachtlich ist, wenn auch nach dem Vortrag des geprüften Arztes das Vorliegen einer Praxisbesonderheit ausgeschlossen ist. Eine solche Alternativlosigkeit liegt hier nicht vollständig vor.

Die Klägerin hatte mit Schreiben vom 7. März 2007 im Widerspruchsverfahren ausreichend substantiiert zu ihren Praxisbesonderheiten vorgetragen und die Kammer kann hinsichtlich der vorgetragenen Schwerpunkte zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma und Schilddrüsenerkrankungen nicht ausschließen, dass der Beklagte bei Beachtung seiner Begründungspflichten einen geringeren Regress festgesetzt hätte. Im Übrigen schließt die Kammer zumindest hinsichtlich der vorgetragenen Verordnungsbereiche das Vorliegen von Praxisbesonderheiten aus, soweit die Frage nicht offen gelassen werden kann.

(1) Hinsichtlich der vorgetragenen Praxisbesonderheit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist dem Beklagten zuzugestehen, dass der Vortrag mangels ausreichender Spezifizierung nicht geeignet ist, eine Praxisbesonderheit der Höhe nach anzuerkennen und herausrechnen zu können. Praxisbesonderheiten können nur im Vergleich mit anderen Praxen festgestellt werden, da es sich um Besonderheiten bei der Patientenversorgung handelt, die vom Durchschnitt der Arztgruppe signifikant abweichen und die sich aus einem spezifischen Zuschnitt der Patientenschaft des geprüften Arztes ergeben, der im Regelfall in Wechselbeziehung zu einer besonderen Qualifikation des Arztes steht (BSG SozR 4-2500, § 106, Nr. 23 , Rn. 27; vgl. auch: BSG, SozR 4-2500, § 87, Nr. 10, Rn. 35; BSG, SozR 3-2500, § 106, Nr. 50, S. 265; BSG, SozR 3-2500, § 106, Nr. 27).

Es obliegt dem geprüften Arzt, spezielle Strukturen aufzuzeigen, etwa indem er die bei ihm schwerpunktmäßig behandelten Erkrankungen aufzählt und mitteilt, welcher Prozentsatz seiner Patienten ihnen jeweils zuzuordnen ist und welcher Aufwand an Arzneimitteln für die Therapie der konkreten Erkrankung erforderlich ist (siehe: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 8.10.2010, Az: L 3 KA 23/10 B ER, S. 10, unveröffentlicht, unter Bezugnahme auf: Clemens, [...]PK, § 106 Rn. 120 mwN). Diese Anteile an Erkrankungen mit den jeweils verordneten Medikamentenmengen können sodann in das Verhältnis zu anderen Praxen gesetzt werden, um erkennen zu können, ob eine Besonderheit im Sinne besonders überdurchschnittlicher Werte vorliegt.

Diesen Anforderungen wird der Vortrag der Klägerin im Verwaltungsverfahren nicht gerecht. Allerdings musste sich dem Beklagten aufgrund des Vortrages der Klägerin zumindest die Möglichkeit des Vorliegens einer Praxisbesonderheit aufdrängen. Die Klägerin hat insofern nachvollziehbar vorgetragen, dass 77 % ihrer Patienten Hypertoniker gewesen seien, wohingegen der Durchschnitt bei 21,5 % in allgemeinärztlichen Praxen liege. Die Richtigkeit dieser Zahlen kann zunächst dahingestellt bleiben. Der Beklagte konnte sich jedoch bei diesem Vortrag mit seiner Argumentation nicht auf eine fehlende Substanz des Vortrages zurückziehen. Wenn ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Praxisbesonderheit vorliegen, besteht eine ausreichende Grundlage für weitere Ermittlungen von Amts wegen. Zumindest hätte der Beklagte die Klägerin auf die nach seiner Ansicht bestehende fehlende Substanz des Vortrages hinweisen müssen, um der Klägerin die Möglichkeit zu geben, ihren Vortrag weiter zu substantiieren. Soweit der Beklagte stellvertretend 90 % der Verordnungen für Norvasc als Praxisbesonderheit berücksichtigt hat, reicht dies nicht aus, da sich dem Beklagten aufdrängen musste, dass nicht nur Verordnungen von Norvasc zur Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen von der Klägerin eingesetzt wurden. Die Kammer konnte auch keine Gleichwertigkeit einer etwaigen überschießenden Berücksichtigung dieses Medikamentes mit dem Wert der Verordnungen der übrigen hierfür eingesetzten Medikamente annehmen.

(2) Die Verordnungen gegen Asthma und Schilddrüsenerkrankungen sind von der Klägerin ausreichend substantiiert als Praxisbesonderheit vorgetragen worden. Auch wenn die Prozentzahlen nicht ausdrücklich mitgeteilt wurden, hätte sich der Beklagte mit Hilfe der von der Klägerin eingereichten Anlagen diese fehlenden Zahlen problemlos selbst errechnen können. Die Klägerin hat insofern mit den Anlagen 11 und 14 im Widerspruchsverfahren sog. "Knopfdrucklisten" eingereicht, aus denen sich sämtliche Verordnungen für die Therapiebereiche Asthma und Schilddrüsenerkrankungen sowie die Summen der jeweiligen Verordnungen und Verordnungsvolumina ergaben. Mit Hilfe der Summen und der Gesamtzahl der Verordnungen und des Gesamtverordnungsvolumens hätte sich der Beklagte problemlos den relativen Anteil errechnen können. Bezüglich der Therapiebereiche Asthma und Schilddrüsenerkrankungen konnte die Kammer auch nicht ausschließen, dass Praxisbesonderheiten vorlagen. Aufgrund der Gesamtverordnungsvolumina in Höhe von 79.231,48 DM und 19.343,69 DM ist nicht auszuschließen, dass die Klägerin über dem Durchschnitt der Fachgruppe lag, zumal die Klägerin nachvollziehbar vorgetragen hat, dass sie sich in diesen Bereichen spezialisiert habe. Im Bereich der Schilddrüsenerkrankungen ist die Spezialisierung vor dem Hintergrund der selbst durchgeführten Schilddrüsensonographien besonders nachvollziehbar. Da der Beklagte weder den Fachgruppendurchschnitt noch etwaige Schätzungsgrundlagen für die Verordnungsbereiche Asthma und Schilddrüsenerkrankungen mitgeteilt hat, war die Regressentscheidung wegen des Fehlens einer ausreichenden Begründung aufzuheben. Gleiches gilt für den mit der Anlage 11 im Widerspruchsverfahren näher mitgeteilten Verordnungsbereich der neurologisch-psychiatrischen Arzneimittel, dessen Gesamtverordnungsvolumen nach Angaben der Klägerin 80.223,90 DM beträgt.

(3) Bei dem vorgetragenen Verordnungsbereich Allergie und Neurodermitis beträgt das Gesamtverordnungsvolumen 35.588,68 DM. Aufgrund der Verordnungen und der Relation zum Gesamtverordnungsvolumen von 1.810.945,79 DM schließt die Kammer aufgrund der eigenen Fachkunde diesbezüglich das Vorliegen einer Praxisbesonderheit aus. Verordnungen über Alfason, Allergospasmin, Allergovit, Betensol, Cromohexal, Decode, Decortin, Dermatop, Ecural, Linola, Lisino, Nasonex, Ultralan, Xusal und Zyrtec sowie einzelne andere Verordnungen sind der Art und dem Umfang nach nicht untypisch für eine allgemeinmedizinische Praxis im Jahr 2001. Zu berücksichtigen war außerdem, dass die Verordnungen von Allergospasmin bereits für den Verordnungsbereich Asthma als Praxisbesonderheit angegeben worden waren, sodass die Kammer insgesamt aufgrund eigener Erfahrungswerte selbst bei Hinzurechnung eines Sicherheitszuschlages davon ausgehen konnte, dass das angegebene Verordnungsvolumen für Allergie und Neurodermitis unterhalb des Durchschnitts der Fachgruppe der Allgemeinmediziner für das Jahr 2001 liegt. Die Kammer schätzt das durchschnittliche Verordnungsvolumen einer allgemeinmedizinischen Praxis für den Therapiebereich Allergie und Neurodermitis auf 4 % des Gesamtverordnungsvolumens. Bei Abzug eines Sicherheitszuschlages in Höhe von 2 % ergäbe sich ein Durchschnittswert von 2 %, der einem Verordnungsvolumen von 36.218,92 DM bei der Klägerin entspräche. Die Klägerin liegt bereits nach ihren eigenen Angaben mit einem Verordnungsvolumen von 35.588,68 DM unterhalb dieses Volumens. Hierbei sind die Verordnungen von Allergospasmin nicht berücksichtigt.

(4) Im Übrigen liegt auch nach Ansicht der Kammer kein ausreichend substantiierter Vortrag der Klägerin zu Praxisbesonderheiten vor. Es sind insofern keine greifbaren Anhaltspunkte für Verordnungsbereiche ersichtlich, deren Verordnungsvolumina die Überschreitung des Richtgrößenvolumens als Praxisbesonderheit rechtfertigen könnten. Soweit die Klägerin auf teure und alte Patienten verwiesen hat, kann die Kammer diesbezüglich nicht auf das Vorliegen einer Praxisbesonderheit schließen. Auch diesbezüglich hätte die Klägerin die Krankheiten sowie die verordneten Medikamente mitteilen müssen. Diesbezüglich lag auch keine Hinweispflicht des Beklagten vor, die verletzt wurde. Zwar ist dem geprüften Arzt grundsätzlich die Möglichkeit zu eröffnen, seine Rechte durch gezielten Vortrag wahrnehmen zu können, hieraus ergibt sich aber für die Prüfgremien keine Hinweispflicht dahingehend, dass dem jeweiligen Arzt mitgeteilt werden muss, ab welchem Vortrag Praxisbesonderheiten vorlägen. Die Besonderheit bei der Prüfung von Praxisbesonderheiten liegt nämlich gerade darin, dass die Prüfgremien ihrerseits nicht wissen können, welche Praxisbesonderheiten der jeweilige Arzt hat. Dies weiß in der Regel nur der geprüfte Arzt. Darüber hinaus ist es nicht so - wie es oft in Richtgrößenverfahren vorgetragen wird -, dass notwendige Verordnungen für einen einzelnen Patienten, die den Richtgrößenbetrag überschreiten, bereits eine Praxisbesonderheit begründen. Vielmehr werden Praxisbesonderheiten gerade nicht anhand einzelner Patienten bestimmt, sondern anhand aller Patienten. Notwendige Verordnungen, die die Richtgrößen überschreiten, gibt es in jeder Arztpraxis. Erst die Gesamtschau aus den getätigten Verordnungen und der Struktur der Patientenschaft kann eine Praxisbesonderheit im Vergleich zu anderen Praxen begründen. Aus der Begrifflichkeit der "Besonderheit" ergibt sich des Weiteren, dass entweder der Bedarf von Patientenseite und/oder das Leistungsangebot des geprüften Arztes jeweils vom Bedarf bzw. Leistungsangebot in anderen Praxen abweichen muss und zwar dergestalt, dass sich hierdurch offensichtlich die Möglichkeit notwendig erhöhter Verordnungskosten ergibt (zur näheren Definition von Praxisbesonderheiten s.o. 2b) cc) (1)).

Diese Umstände sind den geprüften Ärzten vielleicht nicht in der dargebrachten Formulierung präsent, allerdings ergibt sich diese Notwendigkeit aus der Natur der Wirtschaftlichkeitsprüfung mit der dazu ergangenen gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung insbesondere zu den Praxisbesonderheiten. Die Beurteilung, ob und in welcher Höhe Praxisbesonderheiten vorliegen, obliegt in langer Übung den von der Gemeinsamen Selbstverwaltung gestellten Mitgliedern der Prüfgremien. Dies musste auch den beiden Ärzten der Klägerin bekannt sein und zwar bereits bei den Verordnungen im Jahr 2001. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätten sie sich hinreichende Gedanken über die Kosten ihrer Verordnungen machen müssen.

Soweit sich die Klägerin auf eine deutlich erhöhte Anzahl älterer Patienten berufen hat, ist zu beachten, dass für ältere Versicherte grundsätzlich bereits eine erhöhte Richtgröße zu Grunde gelegt ist. Das Alter allein ist außerdem bereits nicht geeignet eine Praxisbesonderheit zu begründen. Darüber hinaus können auch ältere Menschen einen unterdurchschnittlichen Versorgungsbedarf haben. Gerade der erhöhte Versorgungsbedarf hätte von der Klägerin näher dargelegt werden müssen. Dies ist nicht geschehen.

c) Der Bescheid ist darüber hinaus ggf. auch materiell rechtswidrig. Im Falle einer erneuten Entscheidung wird der Beklagte sich mit den vorgetragenen Datenfehlern auseinandersetzen müssen. Etwaiger Vortrag zu Datenfehlern und dessen Prüfung sind nicht auf das Verwaltungsverfahren begrenzt (a.A.: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 28.5.2009, Az: L 3 KA 99/08 ER, Rn. 26, zit. nach [...]; vgl. auch: Beschl. v. 8.10.2010, Az: L 3 KA 23/10 B ER, S. 11, unveröffentlicht). Der Vertragsarzt ist zwar in der Wirtschaftlichkeitsprüfung grundsätzlich gehalten, Tatsachen vor den Prüfgremien vollständig vorzutragen, und mit Vortrag im Gerichtsverfahren ausgeschlossen, den er bereits im Verwaltungsverfahren hätte vortragen können (vgl. hierzu und im Folgenden: BSG, Urt. v. 15.11.1995, Az: 6 RKa 58/94; Urt. v. 6.5.2009, Az: B 6 KA 17/08 R, Rn. 24, unter Bezugnahme auf: BSG, SozR 4-2500, § 106, Nr. 19 Rn. 22; vgl. auch: LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 24.11.2010, Az: L 11 KA 4/09, Rn. 40; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.11.2012, Az: L 7 KA 120/08, Rn. 38; jew. zit. nach [...]), allerdings lässt sich die rechtsschutzverkürzende Wirkung der Präklusion nur mit den für die Prüfgremien eröffneten Beurteilungs- und Ermessensspielräumen rechtfertigen (vgl. hierzu: LSG Hessen, Urt. v. 20.3.2013, Az: L 4 KA 60/10, Rn. 31 mwN; ebenfalls bereits kritisch: LSG Hessen, Urt. v. 28.11.2007, Az: L 6/7 KA 624/03, Rn. 38; jew. zit. nach [...]). Das Bundessozialgericht geht insofern in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt: BSG, Urt. v. 19.10.2011, Az: B 6 KA 38/10 R, Rn. 17 mwN, zit. nach [...]) davon aus, dass sich die Kontrolle der Gerichte bei der Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen, denen ein Beurteilungsspielraum zugrunde liegt, darauf beschränkt, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtiger und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Verwaltung die Grenzen eingehalten hat, die sich bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Wirtschaftlichkeit" ergeben, und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zu treffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist. Nur soweit Beurteilungs- und Ermessensspielräume für die Prüfgremien aufgrund der Fachkunde und der paritätischen Besetzung eröffnet sind, liegt ein sachlicher Grund für eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle vor (vgl. BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011, Az: 1 BvR 857/07, Rn. 70 ff. mwN; Beschl. v. 27.11.1990, Az: 1 BvR 402/87, Rn. 56; jew. zit. nach [...]). Das Gericht kann nicht anstelle der Prüfgremien von eröffneten Beurteilungs- und Ermessensspielräumen Gebrauch machen. Hinsichtlich der Bewertung von Datenfehlern sind den Prüfgremien allerdings keine Beurteilungs- und Ermessensspielräume eröffnet. Eine dem Regress zu Grunde gelegte Verordnung ist entweder dem Grunde und der Höhe nach richtig oder sie ist nicht bzw. nicht in dem zu Grunde gelegten Umfang veranlasst worden. Diese Prüfung kann auch das Gericht durchführen. Der Umstand, dass Vortrag zu Datenfehlern in der Sphäre des Vertragsarztes liegt, und nur der Vertragsarzt zu einem solchen Vortrag in der Lage ist, rechtfertigt nicht eine Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten. Etwaig schuldhaft später Vortrag kann insofern bei der Kostenentscheidung nach § 155 Abs. 4 VwGO i.V.m. § 197a SGG Berücksichtigung finden. Bei der Beurteilung der Schuld ist zu prüfen, ob die Prüfgremien ein Mitverschulden trifft, weil sie nicht ausreichend auf die Pflichten zur Substantiierung des Vortrages zu Datenfehlern vorgetragen haben.

Die Fehlerhaftigkeit von Daten ist substantiiert vorzutragen (vgl. hierzu und im Folgenden: BSG, Urt. v. 16.7.2008, Az: B 6 KA 57/07 R, Rn. 14ff. und 21, zit. nach [...]), da den elektronisch übermittelten Verordnungsdaten der Anscheinsbeweis der Richtigkeit und Vollständigkeit zukommt. Die Anforderungen an die Substantiierung dürfen nicht überspannt werden.

Die Kammer konkretisiert diese höchstrichterlichen Vorgaben dahingehend, dass die geprüften Ärzte mit denen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zunächst überprüfen müssen, ob eine fragliche Verordnung veranlasst worden ist. Die Einzelverordnungsstatistik in Niedersachsen enthält hierzu mehrere Angaben, nämlich die Versichertennummer, die Pharmazentralnummer, den Handelsnamen, das Verordnungsdatum und den Verordnungsbetrag. Sollte einer dieser Angaben nicht vorhanden oder fehlerhaft sein, ist der geprüfte Arzt zunächst gehalten, anhand der restlichen Daten eine Überprüfung zusammen mit den ihm zur Verfügung stehenden Informationen aus der eigenen Dokumentation bzw. seiner Praxis-EDV vorzunehmen. Beispielsweise kann bei einem fehlenden Handelsnamen mit Hilfe der Pharmazentralnummer und der Versichertennummer geprüft werden, ob dem Patienten oder der Patientin die fragliche Verordnung ausgestellt worden ist. Kann eine Versichertennummer nicht zugeordnet werden, weil beispielsweise ein Wechsel der Krankenkasse zwischenzeitlich erfolgt ist, so ist der geprüfte Arzt lediglich gehalten, über seine Kassenärztliche Vereinigung den Versichertennamen herauszufinden. Darüber hinaus gehende Ermittlungen sind dem geprüften Arzt nicht zuzumuten. Die Anforderungen wären überspannt.

Der geprüfte Arzt muss nicht den Beweis führen, dass eine Verordnung nicht von ihm getätigt wurde. Es genügt, wenn sich aus dem Vortrag des Vertragsarztes die nicht unabweisbare Möglichkeit der Unrichtigkeit ergibt. Sind z.B. in der Dokumentation des geprüften Arztes zwar Verordnungen der Art nach vorhanden (beispielsweise Verordnungen von Plavix), aber nicht in der Anzahl dokumentiert, in der sie in der Einzelverordnungsstatistik erfasst ist, ergibt sich hieraus bereits die Möglichkeit, dass in der Einzelverordnungsstatistik Verordnungen fälschlicherweise erfasst sind. Über die Dokumentation hinaus stehen dem geprüften Arzt auch keine weiteren Möglichkeiten der Überprüfung zur Verfügung. In diesem Fall sind die fraglichen Printimages bzw. Originalverordnungsbelege beizuziehen, um deren Richtigkeit zu überprüfen. Lediglich aufgrund des Zeitablaufes könnte den Krankenkassen nicht mehr zugemutet werden, dass sie die Printimages und Originalverordnungsbelege noch vorhalten müssen. Soweit dies allerdings rechtshängige Gerichtsverfahren betrifft, kann dieser Einwand nicht greifen, da auch den betroffenen und geprüften Vertragsärzten in diesen Verfahren zugemutet wird, ihre Daten und Belege zur Erforschung des Sachverhalts aufzubewahren.

Sollte eine Beiziehung nicht möglich sein, weil - wie nun mittlerweile für die Richtgrößenprüfungen für die Jahre 2001 bis 2003 in Niedersachsen verhäuft der Fall - diese Unterlagen mittlerweile vernichtet worden sind, ist der Verordnungsbetrag vom zu Grunde gelegten Gesamtverordnungsbetrag abzuziehen, sofern nicht die Verordnung als Praxisbesonderheit oder Datenfehler bereits anderweitig Berücksichtigung gefunden hat und sich deshalb auf die Regresssumme nicht auswirkt.

Von den Prüfgremien selbst als Datenfehler anerkannte Verordnungen, substantiiert angezweifelte Verordnungen im obigen Sinne und nachgewiesen falsche Verordnungen sind schließlich in der Summe in das Verhältnis zum Bruttoverordnungsvolumen zu setzen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (siehe hierzu: BSG, Urt. v. 2.11.2005, Az. B 6 KA 63/04 R, Rn. 33, zit. nach [...]) ist der Anscheinsbeweis eigentlich erst erschüttert, wenn wenigstens 5 % der für den betroffenen Vertragsarzt elektronisch erfassten Verordnungskosten nach Durchführung einer Einzelprüfung in Abzug zu bringen sind. Zwar können die Prüfgremien angezweifelte Daten "herausrechnen", aber dem Vertragsarzt darf dadurch nicht die Möglichkeit der Widerlegung des Anscheinsbeweises genommen werden. Auf die Beiziehung der Originalverordnungsbelege oder Printimages hat der betroffene Vertragsarzt nicht nur bei einer nachgewiesenen sondern auch bei einer substantiiert vorgetragenen Unrichtigkeit bzw. von den Prüfgremien von sich aus anerkannten Unrichtigkeit einen Anspruch. Kommen die Prüfgremien diesem Anspruch auf Beiziehung nicht nach, ist auch der Verordnungsumfang für anerkannte und substantiiert angezweifelte Verordnungen bei der Prüfung, ob die sog. 5 %-Grenze überschritten ist, zu berücksichtigen. Bei Überschreitung der sog. 5 %-Grenze (vgl. hierzu auch: BSG, Urt. v. 16.7.2008, Az: B 6 KA 57/07 R, Rn. 20; Urt. v. 6.5.2009, Az: B 6 KA 17/08 R, Rn. 24 mwN; jew. zit. nach [...]), ist sodann aufgrund des Wegfalles des Anscheinsbeweises die Prüfung anhand der Originalverordnungsbelege bzw. Printimages insgesamt durchzuführen. Wenn diese nicht vorhanden sind, muss zumindest im Umfang der anerkannten, der substantiiert angezweifelten und der nachgewiesen fehlerhaften Daten der Regressbetrag vermindert werden. Darüber hinaus muss zumindest ein Sicherheitsabschlag hinzugefügt werden (vgl. BSG, aaO), der im Zweifel die vollständige Aufhebung des Regresses nach sich ziehen muss.

Vorliegend hat die Klägerin exemplarisch für Verordnungen von Elobact eine Prüfung mit Hilfe der eigenen Praxissoftware durchgeführt. Von 33 zu Grunde gelegten Verordnungen konnten nur 22 verifiziert werden. Die Verordnungen sind auch nicht anderweitig als Datenfehler oder Praxisbesonderheit vom Beklagten berücksichtigt worden. Die beigeladenen Krankenkassenverbände sind bislang nicht zu den fraglichen Printimages bzw. Originalverordnungsbelegen gefragt worden. Die weitere Sachaufklärung auch zu den anderen vorgetragenen Datenfehlern konnte dem Verwaltungsverfahren überlassen werden, da die streitgegenständliche Regressentscheidung bereits aufgrund der nicht ausreichend begründeten Ablehnung der Anerkennung von Praxisbesonderheiten aufzuheben war, soweit ein Regress festgesetzt worden war.

Abschließend ist für die weitere Prüfung auf Datenfehler darauf hinzuweisen, dass die Klägerin bis zur Erreichung der 5%-Grenze gehalten ist, substantiiert zu Datenfehlern vorzutragen. Soweit die Klägerin vorgetragen hat, dass ihr der Aufwand des substantiierten Vortrages unzumutbar sei, stellt das Durchsuchen der Praxissoftware mit Suchbegriffen noch einen zumutbaren Aufwand dar, wohingegen die Erstellung eines Suchprogramms mit tagelangem Suchlauf dem geprüften Arzt nicht zumutbar ist, wenn er vergleichbare Datenfehler bereits vorgetragen hat. Diesbezüglich ist nämlich der Aufwand des geprüften Arztes mit dem Aufwand für die Krankenkassen für die Beibringung eines Printimages bzw. Originalverordnungsbeleges abzuwägen. Bei der Gewichtung ist zu berücksichtigen, dass die Widerlegung des Anscheinsbeweises dem geprüften Arzt obliegt. Unzureichende Informationen oder Dokumentationen gehen zunächst zu seinen Lasten. Im Falle einer Beweisnot oder eines unzumutbaren Aufwandes für die Widerlegung des Anscheinsbeweises kann zumindest bei hinreichenden Anhaltspunkten für die Fehlerhaftigkeit von Daten, wenn nämlich beispielsweise bereits für einen vergleichbaren Fehler der hohe Aufwand einmal mit dem Ergebnis der Fehlerhaftigkeit betrieben worden ist, die Substantiierungspflicht reduziert sein.

d) Der Vortrag der Klägerin zu Praxisbesonderheiten im Klageverfahren war nicht mehr zu beachten. Die geprüften Ärzte sind insofern gehalten, alle relevanten Umstände bereits im Verwaltungsverfahren vorzutragen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urt. v. 16.7.2008, Az: B 6 KA 57/07 R, Rn. 22 mwN, zit. nach [...]; zu weiteren Nachweisen siehe oben) unterliegt die Bewertung der Wirtschaftlichkeit durch die Prüfgremien einem Beurteilungsspielraum, der in gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt kontrolliert werden kann.

e) Im Übrigen ist der angefochtene Beschluss nicht zu beanstanden.

aa) Die Höhe der Richtgrößen gab der Kammer keinen weiteren Anlass zur Prüfung. Der Gesetzgeber hatte die Festlegung der Gemeinsamen Selbstverwaltung überlassen. Dass die Richtgrößen schlechterdings nicht eingehalten werden konnten, ist der Kammer nicht ersichtlich. Es kann vielmehr als allgemein bekannt unterstellt werden, dass dem Großteil der Vertragsärzte die Einhaltung der Richtgrößen ggf. unter Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten gelungen ist. Soweit die Klägerin diesbezüglich darauf verweist, dass dies für sie als besonderer Fall nicht möglich war, so kann dieser Einwand nur im Rahmen der Prüfung von Praxisbesonderheiten gegenüber denjenigen Ärzten Gehör finden, die mit den Richtgrößen nicht in Kollision geraten sind. Hierfür obliegt dem geprüften Arzt die Darlegungslast, der die Klägerin vorliegend nicht hinsichtlich aller vorgetragenen Praxisbesonderheiten gerecht geworden ist.

Soweit für das Jahr 2001 keine Eingliederung der Richtgrößen nach Alter und Krankheit vorgenommen wurde, ist lediglich darauf hinzuweisen, dass eine solche Vorgabe erst aufgrund der Vorgaben des Gesetzes zur Ablösung der Arznei- und Heilmittelbudgets (Arzneimittelbudgetablösungsgesetz - ABAG) ab dem 31. Dezember 2001 gilt. Die Klägerin kann darüber hinaus weder auf die Richtgrößen in Brandenburg noch auf die Aussage eines Mitarbeiters einer Krankenkasse verweisen. Maßgeblich für die streitgegenständliche Prüfung sind die für Niedersachsen vereinbarten Richtgrößen und angewendet werden diese nicht vom Mitarbeiter einer Krankenkasse, sondern von den zuständigen Prüfgremien. Der von der Klägerin genannte Apotheker konnte insofern weder eine verbindliche Aussage zum Ausgang der Richtgrößenprüfung treffen noch durch die Aussage ein schützenswertes Vertrauen für die Klägerin schaffen.

bb) Die Berechnung der Richtgrößenüberschreitung erfolgte gem. §§ 3 und 5 i.V.m. der Anlage 5 der Richtgrößenvereinbarung 2001. Wegen der Berechnung im Einzelnen wird gem. § 136 Abs. 3 SGG auf den Inhalt des angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Der Beklagte hat insofern mit Hilfe der Fallzahlen die Richtgrößenvolumina bestimmt und diese den tatsächlichen Ausgaben gegenüber gestellt.

cc) Auch mit dem Einwand, dass die Prüfung der Verordnungen auf Einhaltung der Richtgrößen eher hätte stattfinden müssen, kann die Klägerin nicht durchdringen. Aufgrund der Schwierigkeit und des Umfangs des Prüfverfahrens sowie vor dem Hintergrund der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. zuletzt: BSG, Beschl. v. 20.10.2010, Az: B 6 KA 26/10 B, Rn. 10 mwN, zit. nach [...]) sieht die Kammer es als gerechtfertigt an, dass die betroffenen Vertragsärzte - zumindest bis zur Gesetzesänderung 2008 - vier Jahre lang mit einem Wirtschaftlichkeitsprüfverfahren rechnen mussten, und zwar aufgrund des Charakters als Jahresprüfung mit Beginn nach dem Ende des geprüften Jahres. Hier begann dementsprechend die vierjährige Ausschlussfrist am 1. Januar 2002 und endete am 31. Dezember 2005. Der Prüfungsausschuss hat am 21. November 2005 entschieden. Die Vertragspartner der Wirtschaftlichkeitsprüfung können zwar eine kürzere Frist regeln. Dies ist aber vorliegend nicht geschehen. Etwaige Fristen zur Übermittlung von Daten wie sie z.B. in den Bundesmantelverträgen geregelt sind, verkürzen jedenfalls die vierjährige Ausschlussfrist nicht. Sie dienen lediglich der Beschleunigung des Verfahrens, welches sicherlich vor dem Ablauf von vier Jahren abgeschlossen werden sollte, aber nicht muss. Entgegen der Auffassung der Klägerin musste der Beklagte nicht innerhalb von zwei Jahren nach Entscheidung des Prüfungsausschusses entscheiden. Für den Beschwerdeausschuss gilt weder eine zwei- noch eine vierjährige Frist (vgl. hierzu und im Folgenden: BSG, Beschl. v. 11.5.2011, Az: B 6 KA 5/11 B, Rn. 8ff. mwN, zit. nach [...]). Etwaiges schutzwürdiges Vertrauen, dass mit einem Regress nach einer gewissen Zeit nicht mehr zu rechnen ist, ist bereits durch die Entscheidung des Prüfungsausschusses zerstört. Lediglich negative Folgen für die Sachaufklärung, die aufgrund des Zeitablaufes entstehen, können zu Lasten des Beschwerdeausschusses gehen.

dd) Dem Beklagten kann auch kein treuwidriges Verhalten vorgehalten werden, soweit der Beklagte die geltende Rechtslage anwendet. Dies ist zumindest hinsichtlich der Durchführung des streitgegenständlichen Prüfverfahrens innerhalb einer Zeit von vier Jahren der Fall, wobei die erste Entscheidung nicht von dem Beklagten, sondern vom Prüfungsausschuss getroffen wurde. Eine solch späte Prüfung mag einen Aufbau existenzgefährdender Richtgrößenregressvolumina nach sich ziehen. Aber auch aus diesem Umstand ergibt sich noch keine Treuwidrigkeit auf Seiten des Beklagten. Weder liegt ein Verhalten des Beklagten vor, zu dem sich der Beklagte in Widerspruch gesetzt hätte, noch hat der Beklagte einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass die Klägerin auf ein Unterlassen der Richtgrößenprüfung hätte vertrauen können und dürfen. Die Richtgrößen waren vielmehr allgemein bekannt. Die Klägerin musste insofern nicht nur mit der Prüfung für ein Jahr, sondern mit einer Prüfung für jedes Jahr rechnen.

ee) Auch der Einwand der Beigeladenen zu 1., dass die mittlerweile geltende kürzere Ausschlussfrist gem. § 106 Abs. 2 Satz 3 SGB V Anwendung finden solle, verfängt nicht. Diese Regelung ist erst zum 1. Januar 2008 in Kraft getreten. Für eine analoge Anwendung fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Auch wenn im Gesetzesentwurf (BT-Drucks. 16/3100, S. 136) davon die Rede ist, dass "Zeiträume von mehr als zwei Jahren zwischen dem geprüften Verordnungszeitraum und dem Abschluss der Prüfung für die Betroffenen unzumutbar sind", so hat sich der Gesetzgeber insoweit bewusst mit Art. 46 Abs. 8 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (BGBl. 2007, I, S. 471) für das Inkrafttreten am 1. Januar 2008 entschieden. Eine Planwidrigkeit ist nicht gegeben.

ff) Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1. war vorliegend auch nicht eine Begrenzung des Richtgrößenregresses auf 25.000,- EUR gem. § 106 Abs. 5c SGB V durchzuführen. Diese Regelung ist erst zum 1. Januar 2011 in Kraft getreten. Für eine analoge Anwendung fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Auch wenn im Gesetzesentwurf (BT-Drucks. 17/2413, S. 29) davon die Rede ist, dass sehr hohe Erstattungsbeträge in den ersten beiden Jahren vermieden werden sollen, so hat sich der Gesetzgeber insoweit bewusst mit Art. 12 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz - AMNOG) (BGBl. 2010, I, S. 2276 f.) für das Inkrafttreten am 1. Januar 2011 entschieden. Eine Planwidrigkeit ist nicht gegeben.

gg) Der Beklagte war auch nicht gehalten, anstatt des vorgenommenen Regresses eine Beratung nach § 106 Abs. 5a SGB V durchzuführen, da eine solche lediglich bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens im Umfang von 15 bis 25 % in Betracht kommt. Vorliegend hat die Klägerin ihr Richtgrößenvolumen um mehr als 25 % überschritten. Soweit zum 1. Januar 2012 durch das Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (BGBl. 2011, Teil I, Nr. 70, S. 2983-3022) der Grundsatz Beratung vor Regress in § 106 Abs. 5e SGB V geregelt worden ist, gilt dies ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/10156, S. 95) nur für Verfahren vor den Prüfgremien und nicht für Klageverfahren.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Dem Beklagten waren als unterlegenem Beteiligten die Kosten aufzuerlegen. Soweit der streitgegenständliche Beschluss des Beklagten nur teilweise aufgehoben worden ist, handelt es sich dennoch um ein vollständiges Obsiegen der Klägerin. Ihr Klagebegehren konnte schlechterdings nur auf Aufhebung des nach dem angenommenen Anerkenntnis verbliebenen belastenden Teils des angefochtenen Beschlusses ausgelegt werden. Diesbezüglich liegt eine vollständige Aufhebung vor. Den Beigeladenen waren keine Kosten aufzuerlegen, da sie keine Anträge gestellt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren auch nicht dem Beklagten oder der Staatskasse aufzuerlegen. Gründe für eine solche Billigkeitsentscheidung (§ 162 Abs. 3 VwGO) waren weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.