Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.03.2005, Az.: 13 ME 523/04
Öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Planfeststellunsbeschlusses; Inhaltliche Anforderungen des § 146 Abs. 4 S. 3 Verwaltungsgericht (VwGO) an die Beschwerdeschrift; Ausnahmecharakter der Anordnung der sofortigen Vollziehung; Hochwasserschutz als Mahnahme zur Gefahrenabwehr; Aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage als Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 17.03.2005
- Aktenzeichen
- 13 ME 523/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 32206
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2005:0317.13ME523.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 28.10.2004 - AZ: 6 B 113/04
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO
- § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO
- § 80 a Abs. 3 VwGO
- § 146 Abs. 4 S. 3 VwGO
- Art. 19 Abs. 4 GG
Fundstelle
- ZUR 2005, 329 (red. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Planfeststellungsbeschuss für den Ausbau des linksseitigen Elbedeiches in Artlenburg - Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 13. Senat -
am 17. März 2005
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 28. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 92.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten, auf dem Elbedeich bei F. gelegenen Grundstücks. Er begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (6 A 159/04) gegen den auf Antrag des Beigeladenen erlassenen Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Lüneburg vom 21. Juni 2004. Danach ist u.a. beabsichtigt, für den Ausbau des linksseitigen Elbedeiches das Grundstück des Antragstellers in Anspruch zu nehmen, das dort befindliche Wohnhaus nebst vorhandenem Teilkeller abzureißen und anschließend den Deich neu aufzubauen.
Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat den Antrag durch Beschluss vom 28. Oktober 2004 im Wesentlichen aus folgenden Gründen abgelehnt:
Die gegen den Planfeststellungsbeschluss gerichtete Anfechtungsklage habe nach summarischer Prüfung aller Voraussicht nach keinen Erfolg. Die Abwägung des Interesses des Antragstellers, mit der Ausführung des planfestgestellten Vorhabens vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zu beginnen, gegen das öffentliche Interesse und das Interesse des Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses gehe zum Nachteil des Antragstellers aus. Die im angefochtenen Planfeststellungsbeschluss vorgesehene Inanspruchnahme des Grundstücks des Antragstellers sei rechtlich nicht zu beanstanden. Ein auf dem Deich befindliches Gebäude, das nicht nur mit seinen Fundamenten, sondern zudem mit einem Teilkeller in den Deichkörper hineinrage, schwäche und gefährde die Deichfestigkeit in erheblichem Maße. Die Erfahrungen aufgrund der Hochwässer im August 2002 und Januar 2003 hätten ferner gezeigt, dass der derzeitige Deichzustand im Bereich des Grundstücks des Antragstellers nicht dem erforderlichen Hochwasserschutz genüge. Die in Betracht kommenden "Alternativen" (Eindeichung des Hausgrundstücks mit einem grünen Deich, Errichtung einer Hochwasserschutzmauer vor bzw. hinter dem Grundstück) seien nicht realisierbar oder aber nicht geeignet, einen gleichwertigen ausreichenden Hochwasserschutz zu verwirklichen.
Der Antragsteller hat dagegen am 12. November 2004 Beschwerde eingelegt und diese am 25. November 2004 begründet. Er führt im Wesentlichen aus, die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge bereits nicht den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO; insbesondere sei eine besondere Dringlichkeit nicht dargelegt worden. Dagegen spreche vielmehr das Verhalten des Vorhabensträgers. Noch im Mai 2002 sowie im Februar 2003 sei ihm ein lebenslanges Wohnrecht auf seinem Grundstück für dessen Verkauf an den Beigeladenen angeboten worden. Darüber hinaus seien aus Anlass der Hochwässer in den Jahren 2002 und 2003 konkrete Beeinträchtigungen der Deichsicherheit in Höhe seines Grundstücks nicht zu beobachten gewesen. Dieser Befund stelle auch das Gutachten der G. mbH (....) vom 22. Januar 2004 in Frage, auf das sich das Verwaltungsgericht sowie der Antragsgegner im Wesentlichen stützten. Im Übrigen sei als Alternative eine Spundwand zwischen Hausgrundstück und Elbe möglich. Ein Unterhaltungsweg sei nicht erforderliche, könne aber durchaus angelegt werden. Im Übrigen wird auf die Beschwerdebegründung Bezug genommen.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 28. Oktober 2004 zu ändern und die aufschiebende Wirkung seiner Klage - 6 A 159/04 - gegen den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Lüneburg vom 21. Juni 2004 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner, der vorliegend gemäß § 8b des Gesetzes vom 5. November 2004 (Nds. GVBl. S. 394) mit Wirkung vom 1. Januar 2005 "Nachfolgebehörde" der aufgelösten Bezirksregierung Lüneburg geworden ist, beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluss und tritt dem Vorbringen des Antragstellers entgegen.
Der Beigeladene hat einen Antrag nicht gestellt. In der Sache tritt er dem Antragsgegner bei.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Bezirksregierung Lüneburg Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch erfolglos.
Die Beschwerde ist nach § 146 Abs. 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist sie rechtzeitig eingelegt und auch begründet worden. Sie enthält ferner den nach § 146 Abs. 4 VwGO erforderlichen Antrag.
Die Beschwerdeschrift genügt auch den inhaltlichen Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Danach muss der Beschwerdeführer die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Nicht ausreichend ist eine pauschale Bezugnahme oder unveränderte Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens. Der Beschwerdeführer muss sich vielmehr inhaltlich mit den tragenden Gründen des Verwaltungsgerichts auseinander setzen und aufzeigen, weshalb diese aus seiner Sicht nicht haltbar und überprüfungsbedürftig sind. Aus den angeführten Gründen muss sich die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben. Nicht ausreichend ist es daher, wenn in der Begründung nur dargelegt wird, dass das Verwaltungsgericht eine andere Ermessensentscheidung als die getroffene in rechtmäßiger Weise hätte erlassen können. Bei einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Entscheidung im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes ist es deshalb erforderlich, darzulegen, dass diese im Ergebnis rechtswidrig ist. Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen des Antragstellers. Gem. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO prüft das Oberverwaltungsgericht nur die dargelegten Gründe.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen.
Entgegen der Ansicht des Antragstellers genügt die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem angefochtenen Planfeststellungsbeschluss den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist Ausdruck des allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatzes, dass dem Betroffenen, in dessen Rechte eingegriffen wird, die für diesen Eingriff maßgeblichen Gründe bekannt zu geben sind, damit er seine Rechte wirksam wahrnehmen und die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels abschätzen kann. Zugleich soll die Begründungspflicht der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes Interesse die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfordert. Schließlich soll das Gericht - auch wenn es im Ergebnis eine eigene Ermessensentscheidung über das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses für die sofortige Vollziehung trifft - Kenntnis von den Erwägungen der Behörde erlangen. Nach diesem Erfordernis einer eigenständigen, äußerlich erkennbaren und nicht lediglich "formelhaften" Begründung für die Vollziehungsanordnung hat die Behörde die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe darzulegen, die im konkreten Fall ein Vollziehungsinteresse ergeben und die zu ihrer Entscheidung, wegen dieses besonderen Interesses von der Anordnungsmöglichkeit des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO Gebrauch zu machen, geführt haben (vgl. BVerfGE 6, 32 [44] [BVerfG 16.01.1957 - 1 BvR 253/56]; OVG Lüneburg, NdsVBl. 1996, 137; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage, § 80 Rn. 84 ff.; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, Rn. 752 ff.).
Diese Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht zu Recht als erfüllt angesehen. Der Planfeststellungsbeschluss vom 21. Juni 2004 enthält unter Abschnitt VI, S. 16 diese Maßstäbe berücksichtigende Darlegungen des besonderen öffentlichen Interesses, das ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig macht und hinter dem das Interesse des Antragstellers zurücktreten muss. Mit dem hier betroffenen Abschnitt des linksseitigen Elbedeiches bei Artlenburg soll das letzte Teilstück des Hochwasserdeiches zwischen der Staustufe Geesthacht und Bleckede nach den anerkannten Regeln der Technik ausgebaut werden. Die sofortige Durchführung der Maßnahme auf der letzten etwa 2,5 km langen Deichstrecke soll die Deichsicherheit erhöhen und das Gefährdungspotenzial für die im betroffenen Deichabschnitt lebenden Menschen und dort gelegenen Grundstücke verringern. Handelt es sich - wie im vorliegenden Fall des Hochwasserschutzes - um Maßnahmen, die der Gefahrenabwehr dienen (vgl. § 2 NDG), und gehen die Gründe für die sofortige Vollziehung insoweit auch aus den Umständen des Falles hervor, ist es der Behörde nicht verwehrt, sich auf eine knappe Darlegung der Gründe zu beschränken (vgl. Finkelnburg/Jank, Rn. 755 ff.). Der nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 Satz 1 NDG i.V.m. §§ 119 ff. Nds. Wassergesetz (NWG) erlassene Planfeststellungsbeschluss enthält unter Abschnitt III Nr. 3, S. 7 f. Erwägungen zur Planrechtfertigung und unter Abschnitt IV, S. 11 ff. die Entscheidung und Begründung über Stellungnahmen und Einwendungen, in Abschnitt IV Nr. 18, S. 15 f. in Bezug auf die vom Antragsteller erhobenen Einwendungen zum vorgesehenen Abriss des Wohnhauses. Der Antragsgegner hat insoweit sowohl mit den jüngsten Hochwasserereignissen im August 2002 und Januar 2003 als auch mit den Ergebnissen des Gutachtens der G. mbH (....) vom 22. Januar 2004 ausführlich das Erfordernis der baldigen Fertigstellung des Deiches und die damit verbundene konkrete Inanspruchnahme des Grundstücks des Antragstellers begründet. Weitere Erwägungen, die die Planfeststellungsbehörde zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung zusätzlich hätte anführen müssen, um im Hinblick auf die Inanspruchnahme des Grundstücks des Antragstellers die sofortige Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses darzulegen, drängen sich nicht auf. Vielmehr liegt eine auf den konkreten Einzelfall abgestellte, substantiierte und nicht lediglich formelhafte Begründung des sofortigen Vollziehungsinteresses vor. Ob die Darlegungen insoweit zutreffend sind und die Anordnung der sofortigen Vollziehung inhaltlich zu rechtfertigen vermögen, ist im Rahmen der Formvorschrift des § 80 Abs. 3 VwGO ohne Bedeutung.
Die vom Verwaltungsgericht getroffene Ermessensentscheidung erweist sich aber auch in materieller Hinsicht als gerechtfertigt.
Im Rahmen der Entscheidung nach §§ 80 a Abs. 3 i.V.m. 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, bei der das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung trifft, bedarf es einer Abwägung der gegenseitigen Interessen der Beteiligten. Maßgeblich ist, ob das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs oder das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Für das Interesse des Betroffenen, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, sind zunächst die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs von Belang. Ein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel anzunehmen, wenn die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene summarische Überprüfung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergibt, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann ein öffentliches Vollziehungsinteresse nicht bestehen. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt das Vollziehungsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers in der Regel nur dann, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht. Die nach § 80 Abs. 1 VwGO für den Regelfall vorgeschriebene aufschiebende Wirkung von Widerspruch und verwaltungsgerichtlicher Klage ist eine adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie und ein fundamentaler Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Prozesses. Andererseits gewährleistet auch der in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte umfassende effektive Rechtsschutz die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe im Verwaltungsprozess nicht schlechthin. Überwiegende öffentliche Belange können es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten (vgl. BVerfG NVwZ 2004, 93 [94]; BVerfGE 35, 382 [401 f.]; BVerfGE 51, 268 [284] [BVerfG 13.06.1979 - 1 BvR 699/77]; BVerfGE 65, 1 [BVerfG 15.12.1983 - 1 BvR 209/83] [70 f.]). Für die sofortige Vollziehbarkeit ist daher ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwer wiegender die dem Einzelnen auferlegte Belastung ist und je eher die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfG NVwZ 2004, 93 [94]; BVerfGE 35, 382 [402]; BVerfGE 38, 52 [BVerfG 16.07.1974 - 1 BvR 75/74] [58]; BVerfGE 69, 220 [228]). Ist der Ausgang des Hauptverfahrens offen, sind die sonstigen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen, und dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist stattzugeben, wenn das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs nicht überwiegt.
Nach diesen Grundsätzen ist die angegriffene Ablehnung des Aussetzungsbegehrens auch in der Sache rechtlich nicht zu beanstanden. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses überwiegt das Interesse des Antragstellers, von der Inanspruchnahme seines Grundstücks bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens einstweilen verschont zu bleiben. Das ergibt sich daraus, dass der angefochtene Planfeststellungsbeschluss sich im Zuge der summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweist und mit der Durchführung des planfestgestellten Vorhabens für den Ausbau des linksseitigen Elbedeiches in Artlenburg nicht bis zur Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses, deren Eintritt noch nicht abzusehen ist, abgewartet werden kann.
Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, es bestünden erhebliche Zweifel, ob die Planfeststellungsbehörde alle abwägungserheblichen Aspekte und Belange des Antragstellers richtig erfasst, gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Abwägungsfehler sind nämlich nicht ersichtlich.
Entscheidungen der Planfeststellungsbehörde unterliegen den Anforderungen des Abwägungsgebotes. Diesen entspricht eine vom Planungsziel her gerechtfertigte Planung nur, wenn eine Abwägung überhaupt stattfindet, wenn in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, und wenn weder die Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Das Abwägungsgebot wird innerhalb des so gezogenen Rahmens nicht verletzt, wenn sich die Planfeststellungsbehörde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (s. grundlegend dazu: BVerwGE 48, 56 [63 f.]; vgl. ferner Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Auflage, Rn. 996 ff.). Davon ausgehend, ist ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot nicht ersichtlich. Als abwägungserheblicher Belang hat insbesondere das Eigentum des betroffenen Antragstellers die ihm gebührende Berücksichtigung gefunden (vgl. Abschnitt IV Nr. 18, S. 15 f. des Planfeststellungsbeschlusses). Dass sich die Planfeststellungsbehörde im Rahmen der Abwägung zu Gunsten des Hochwasserschutzes und demzufolge notwendig für die Zurückstellung der Eigentümerbefugnisse des Antragstellers entschieden hat, ist damit unbedenklich.
Der Antragsteller vermag auch die Bewertung von anderen Möglichkeiten im Ergebnis nicht mit Erfolg anzugreifen. Auch insoweit liegt ein Abwägungsfehler nicht vor. Zu einer rechtlich einwandfreien Abwägung gehört, dass "Planungsalternativen" einschließlich der "Null-Variante" geprüft werden. Dabei ist die Planfeststellungsbehörde zu einer Grobanalyse befugt (vgl. BVerwGE 100, 238[BVerwG 25.01.1996 - 4 C 5/95] [249 f.]; BVerwGE 107, 1[BVerwG 19.05.1998 - 4 A 9/97] [11]; Breuer, Rn. 1003). Ein Abwägungsfehler liegt erst vor, wenn die Planfeststellungsbehörde andere Lösungen, die sich ernsthaft aufdrängen, nicht berücksichtigt hat (BVerwG NVwZ 1993, 887 [BVerwG 02.11.1992 - BVerwG 4 B 205.92] [888]). Im Planfeststellungsverfahren wurde auf Anforderung der Planfeststellungsbehörde sowohl die Herausnahme des Grundstücks aus der Planung als auch der Bau einer Hochwasserschutzwand zur Eindeichung des Hausgrundstücks des Antragstellers erwogen (Blatt 26 ff. der Beiakte C). Diese Varianten, die den Erhalt des Hauses des Antragstellers ermöglicht hätten, stufte die Planfeststellungsbehörde aus Gründen der Deichsicherheit indessen als nicht vertretbar ein. Insbesondere die vom Antragsteller ins Auge gefasste Spundwand vor oder hinter seinem Haus scheidet als mögliche Alternative aus. Der erforderliche Hochwasserschutz ist weder durch eine weitere Duldung des bestehenden Zustands noch durch Errichtung einer Spundwand zu erreichen. Das Vorbringen des Antragstellers, auch eine Spundwand sei möglich und ein Unterhaltungsweg entbehrlich oder aber anders zu planen, ist nicht geeignet, diese Einschätzung rechtlich zu erschüttern. Auf einen Unterhaltungsweg kann aus Gründen des Hochwasser- und Deichschutzes nicht verzichtet werden. Die Planfeststellungsbehörde weist mit Recht darauf hin, dass ein Unterhaltungsweg nicht nur zur Unterhaltung der in Frage stehenden Spundwand, sondern der ungehinderten Unterhaltung der Deiche mit Spezialmaschinen dient. Neben dem Mähen der Deiche muss auch das Mähgut abgeräumt werden. Ein Unterhaltungsweg ist ferner erforderlich, um nach Hochwässern das Treibgut abzuräumen, das anderenfalls eine Gefahr für die Deiche und die Schifffahrt darstellt. Auch soweit der Antragsteller die im Hinblick auf die Planentscheidung angesprochenen wirtschaftlichen Überlegungen des Verwaltungsgerichts in Frage stellt, kann dies nicht zu einer anderen Entscheidung führen. Kostengesichtspunkte waren bei der Planentscheidung von nur untergeordneter Bedeutung. Die Planungsvarianten wurden maßgeblich aus Gründen des Hochwasserschutzes und nicht aus Kostengründen verworfen (vgl. Abschnitt IV Nr. 18, S. 16 des Planfeststellungsbeschlusses).
Der Antragsteller kann sich ferner nicht mit Erfolg darauf berufen, das Gutachten der GGU vom 22. Januar 2004 habe neue Erkenntnisse über den maßgeblichen Sachverhalt nicht gebracht und könne die Notwendigkeit des Abrisses des Hauses und des Altdeiches nicht begründen. Das Gutachten ist methodisch nicht zu beanstanden. An der Fach- und Sachkompetenz der Gutachter bestehen keine Zweifel. Die GGU erkundete am 8. Januar 2004 den Aufbau des Altdeichkörpers und die Fundamente des Hauses des Antragstellers durch zwei Rammkernsondierungen bis 5 m Tiefe (BS 36 nach DIN 4021) und zwei Schürfgruben bis 1,3 m Tiefe. Die Schürfgrube 1 wurde an der Südostecke des Hauses bei Deich-Kilometer 29+060 bis in eine Tiefe von etwa 1 m angelegt. Nach Nordwesten ist das Grundstück bei etwa Deich-Kilometer 29+090 durch eine Feldsteinmauer begrenzt und der neue Deich bis annähernd an die Grundstücksgrenze fertig gestellt. In der Deichachse wurde an der Feldsteinmauer der Schurf 2 bis in eine Tiefe von etwa 1,3 m unter Gelände gegraben. Die Durchströmung des Altdeichkörpers im Profil bei Deich-Kilometer 29+060 wurde durch eine "untergrundhydraulische Berechnung am vertikal ebenen System modelliert." Die Ansicht des Antragstellers, das aus dem Schurf 1 verwendete Material stamme lediglich aus einer Tiefe von 40 cm, findet im Gutachten keine Grundlage. Die Schürfung 1 erfolgte ausweislich des Gutachtens (S. 4) bis 1 m Tiefe. Die weiteren Ausführungen des Antragstellers zur "Ungleichförmigkeitszahl" und Standsicherheit gehen daher insoweit fehl.
An der Einschätzung der Planfeststellungsbehörde, es bestehe das Risiko eines Deichbruches, ändert auch der Umstand nichts, dass bislang konkrete Beeinträchtigungen der Deichsicherheit im Bereich des Grundstücks des Antragstellers, insbesondere durch die jüngsten Hochwasser im August 2002 sowie im Januar 2003 nicht aufgetreten sind. Der Antragsteller vermag mit dem Hinweis darauf nicht mit Erfolg die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung anzugreifen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist die von der Planfeststellungsbehörde dargelegte (belastbare) Prognose, dass in dem konkreten Bereich das Risiko eines Deichbruches besteht. Voraussetzung der Anordnung der sofortigen Vollziehung ist hingegen nicht, dass bereits konkrete Auswirkungen eingetreten sind. Dies würde die Anforderungen an planerische Entscheidungen überspannen. Vielfach sind bei Planfeststellungen die zu Grunde gelegten tatsächlichen Umstände erst in Zukunft zu erwarten und somit nur einer Prognose zugänglich. Eine solche ist regelmäßig mit nicht unerheblichen Unsicherheiten belastet. Der Planfeststellungsbehörde kommt insofern eine Einschätzungsprärogative in der Gestalt eines begrenzten Prognosespielraums zu. Planerische Entscheidungen, die aufgrund einer prognostischen Einschätzung zukünftiger tatsächlicher Einwirkungen getroffen werden müssen, sind danach hinsichtlich ihrer Prognose rechtmäßig, wenn diese unter Berücksichtigung aller verfügbaren Daten in einer der Materie angemessenen und methodisch einwandfreien Weise erarbeitet worden sind (vgl. Breuer, a.a.O., Rn. 1004). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Prognose der Planfeststellungsbehörde, dass in dem konkreten Bereich das Risiko eines Deichbruches besteht, wird gestützt durch die neuesten Erkenntnisse aus den Hochwässern in den Jahren 2002 und 2003 sowie durch die grundbautechnische Untersuchung der GGU vom 22. Januar 2004, die zu dem Ergebnis kommt, dass der Deichkörper nicht sicher gegen "Suffosion" sei, in der Grenzfläche zwischen Keller und den Sanden des Deichkörpers die Gefahr einer konzentrierten Durchströmung bestehe und Schäden am Deich und eine Beeinträchtigung des Hochwasserschutzes möglich seien.
Das Dringlichkeitsinteresse an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses ist ebenfalls gegeben. Gegen die Annahme einer besonderen Dringlichkeit sprechen weder das Verhalten des Vorhabensträgers noch der Umstand, dass dem Antragsteller im Mai 2002 oder zuletzt im Februar 2003 im Rahmen der Suche nach einer einvernehmlichen Lösung ein lebenslanges Wohnrecht auf seinem Grundstück für den Fall des Verkaufs an den Beigeladenen angeboten worden ist. Vielmehr wird daran, dass die Maßnahme mit Ausnahme des Teilstücks im Bereich des Grundstücks des Antragstellers bereits umgesetzt ist, deutlich, dass der Vorhabensträger die Maßnahme als besonders dringlich ansieht. Dies dokumentierte auch die Planfeststellungsbehörde gegenüber dem Antragsteller bereits mit Schreiben vom 4. Juni 2003 (Blatt 67 der Beiakte C), in dem sie mitteilte:
"Das Planfeststellungsverfahren für das Deichbauvorhaben des Artlenburger Deichverbandes steht unmittelbar vor dem Abschluss durch Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses [...]. Für Teilabschnitte wurde wegen der Dringlichkeit der Maßnahme bereits die Zulassung vorzeitigen Baubeginns angeordnet und mit dem Bau teilweise begonnen."
Der Antragsteller kann sich insoweit auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es im Hinblick auf sein Grundstück deshalb an der Dringlichkeit fehle, weil der Vorhabensträger die rechtlichen Möglichkeiten für einen Zugriff auf das Grundstück bislang nicht genutzt habe. Zu Recht weist der Antragsteller dazu darauf hin, dass der Planfeststellungsbeschluss die Zulässigkeit eines Vorhabens unabhängig von der dinglichen und schuldrechtlichen Rechtslage der Grundstücke, die für die Realisierung des Vorhabens in Anspruch genommen werden müssen, regelt. Die Planfeststellung ist keine Enteignungsentscheidung. Sie gewährt auch nicht das Recht, Gegenstände, die einem anderen gehören, oder Grundstücke und Anlagen, die im Besitz eines anderen stehen, in Besitz zu nehmen. Insofern konnte der Beigeladene aus rechtlichen Gründen auf dem Grundstück des Antragstellers bisher nichts tun. Ob für die Durchführung der Maßnahme gemäß dem festgestellten Plan eine Enteignung zulässig ist, muss gegebenenfalls in einem nachfolgenden Enteignungsverfahren geprüft werden, in dem der Planfeststellungsbeschluss allerdings für die Eigentümer der planbetroffenen Grundstücke eine enteignende Vorwirkung hat, d.h. er ist im Enteignungsverfahren zu Grunde zu legen und für die Enteignungsbehörde bindend, § 129 Abs. 2 NWG.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 66 Abs. 3 Satz 2, 68 Abs. 1 Satz 4 GKG).
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 92.000,00 EUR festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Uffhausen
Schiller