Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.03.2005, Az.: 1 OA 295/04

Anfechtbarkeit; außerordentliche Beschwerde; behördliche Maßnahme; beiderseitige Erledigungserklärung; Bescheidung; Beschwerde; Einstellungsbeschluss; Entscheidung; Erledigung; Erledigungserklärung; Hauptsache; Hauptsacheentscheidung; Hauptsacheerledigung; Kostenentscheidung; Rechtsbehelf; Statthaftigkeit; Untätigkeitsklage; Willkürverbot

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.03.2005
Aktenzeichen
1 OA 295/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50617
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 15.10.2004 - AZ: 2 A 291/04

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Haben die (Haupt-)Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt, ist die Kostenentscheidung auch dann nicht anfechtbar, wenn der Untätigkeitskläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht § 161 Abs. 2 - statt § 161 Abs. 3 - VwGO angewandt (Abgrenzung zu OVG Lüneburg, B. v. 21.10.1980 - 6 OVG B 86/80 -, LS in: NJW 1981, 1111).

2. Zur Zulässigkeit einer außerordentlichen Beschwerde.

3. Es bleibt unentschieden, ob die Kosten einer auf bestimmte behördliche Maßnahmen gerichteten Untätigkeitsklage auch dann der Behörde gem. § 161 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen sind, wenn sich diese lediglich zum Erlass einer ermessensgerechten Entscheidung verpflichtet und die Beteiligten das Verfahren daraufhin in der Hauptsache für erledigt erklären. Es ist jedenfalls nicht willkürlich, das zu verneinen.

Gründe

1

Der Kläger erstrebt Rechtsschutz gegen den im Tenor genannten, aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärung der Hauptbeteiligten ergangenen Einstellungsbeschluss, in dem ihm das Verwaltungsgericht ¾ der Verfahrenskosten auferlegt hat. Kläger und Beklagte streiten um die Statthaftigkeit der gegen die Kostenentscheidung erhobenen Beschwerde sowie darum, ob zu Lasten der Beklagten § 161 Abs. 3 VwGO anzuwenden gewesen wäre.

2

Der Kläger wollte die Beklagte verpflichtet sehen, seinen Grundstücksnachbarn, den Beigeladenen, bauaufsichtsbehördlich die Beseitigung mehrerer Einstellplätze sowie aufzugeben, diesen Bereich als Pflanzinsel zu gestalten. Von dem Kläger durch Anwaltsschreiben auf die Anlegung dieser Einstellplätze aufmerksam gemacht, führten Mitarbeiter der Beklagten am 13. Mai 2003 eine Ortsbesichtigung durch. Durch Schreiben vom gleichen Tage (Bl. 13 GA) forderte diese die Beigeladenen dazu auf, baurechtmäßige Zustände zu schaffen, und gab der Hoffnung Ausdruck, die Angelegenheit werde sich ohne weitere Auseinandersetzung erledigen lassen. Am 26. August 2004 erhob der Kläger Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu dem oben umrissenen bauaufsichtsbehördlichen Einschreiten zu veranlassen, hilfsweise diese zu verurteilen, ihn ermessensfehlerfrei über den Erlass einer Rückbauverfügung zu bescheiden. Nachdem die Beklagte durch Schriftsatz vom 27. September 2004 (Bl. 49 GA) mitgeteilt hatte, sie erkenne einen Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung an, hat der Kläger am 8. Oktober 2004 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und eine Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 3 VwGO zu Lasten der Beklagten beantragt. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen, jedoch der vom Kläger gewünschten Kostengrundentscheidung widersprochen.

3

Mit dem hier angegriffenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht das Verfahren eingestellt und dem Kläger auf der Grundlage von § 161 Abs. 2 VwGO ¾ , der Beklagten ¼ der Verfahrenskosten auferlegt; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat es für nicht erstattungsfähig erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei der Erledigungserklärung des Klägers handele es sich zum Teil um eine verkappte Klagerücknahme.

4

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, der die Beklagte entgegentritt.

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Die Beschwerde ist entgegen der Annahme des Klägers nicht statthaft. § 158 Abs. 2 VwGO steht dem entgegen. Hiernach ist die Entscheidung über die Kosten unanfechtbar, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache, wie hier, nicht ergangen ist. Der Senat folgt dabei der ganz überwiegenden Meinung, welche diese Vorschrift nicht nur dann anwendet, wenn die Kostenentscheidung auf der Grundlage von §§ 161 Abs. 2, 155 Abs. 2, 156 oder 160 VwGO ergangen ist, sondern auch dann, wenn zwischen den Beteiligten umstritten ist, ob sie nach § 161 Abs. 3 oder Abs. 2 VwGO zu treffen gewesen wäre (vgl. etwa Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Komm., § 158 Rdnr. 11; Kopp-Schenke, VwGO, Komm. 13. Aufl., § 158 Rdnr. 5; Eyermann-Rennert, VwGO, Komm., 11. Aufl., § 158 Rdnr. 5; Bader, VwGO, Komm., 7. Aufl., § 158 Rdnr. 7; OVG Berlin, B. v. 10.5.1983 - 2 L 6.83 -, DÖV 1983, 686; OVG Koblenz, B. v. 21.12.1984 - 7 B 87/84 -, LS in DÖV 1985, 588). Die vom 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg unter dem 21. Oktober 1980 (- 6 OVG B 86/80 -, LS in NJW 1981, 1111) vertretene gegenteilige Auffassung ist überholt. Die zitierten Gerichtsentscheidungen ergingen zur Vorläufervorschrift des § 158 Abs. 2 VwGO, Art. 2 § 8 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (vom 31.3.1978, BGBl. I S. 446, EntlG). Art. 2 § 8 Satz 1 EntlG lautete: Der Beschluß nach § 161 Abs. 2 VwGO ist unanfechtbar. Das warf die Frage auf, ob nur solche Beschlüsse der Beschwerde entzogen sein sollten, welche die Kosten auf der Grundlage von § 161 Abs. 2 VwGO verteilt hatten, und damit Beschlüsse angreifbar bleiben sollten, in denen zum Nachteil und gegen die Rechtsauffassung eines der Beteiligten diese Vorschrift und nicht § 161 Abs. 3 VwGO angewandt worden war. Die letztgenannte Meinung verfocht nur der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg. Die übrigen Gerichte kamen trotz des Wortlauts von Art. 2 § 8 Satz 1 EntlG mit folgender Begründung zum gegenteiligen Ergebnis: Maßgeblich sei allein, dass die Kostenentscheidung in dem Sinne „nach § 161 Abs. 2 VwGO“ getroffen werde, dass die Hauptbeteiligten das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt hatten. Maßgeblich solle also der Anlass der Kostenentscheidung, nicht jedoch der Beschlussinhalt, d.h. die Vorschrift sein, auf welche die Kostenentscheidung gestützt wurde. Das folge aus dem Sinn der Vorschrift, die Obergerichte von der Nachprüfung von Kostenentscheidungen zu entlasten, zu deren Kontrolle sie dann doch den Tatsachen- und Rechtsfragen hätten nachgehen müssen, von denen die Kostenentscheidung abhängig gemacht worden und abhängig zu machen war. Nur wegen der Kostenentscheidung sollte das Obergericht diese Last nicht mehr tragen müssen.

6

Diese Sicht der Dinge hat sich der Gesetzgeber durch die Streichung des Satzteils „nach § 161 Abs. 2 VwGO“ zu eigen gemacht. Dementsprechend führt die Begründung zum Regierungsentwurf des 4. VwGO-Änderungsgesetzes (BTDr. 11/7030, S. 36 zu Art. 1 Nr. 43 des Entwurfs) die Kostengrundentscheidung nach § 161 Abs. 2, § 155 Abs. 2, § 160 VwGO nur als Beispielsfälle auf. Daraus ergibt sich mit hinreichender Eindeutigkeit, dass jetzt, sozusagen erst recht, eine nach übereinstimmender Erledigungserklärung getroffene Kostenentscheidung nicht mehr und schon gar nicht darauf soll überprüft werden können, ob das Verwaltungsgericht zu Recht § 161 Abs. 2 oder 3 VwGO angewandt hat. Das würde zudem in ganz untypischer Weise die Rechtsbehelfsmöglichkeiten vom Inhalt der angegriffenen Entscheidung abhängig machen und nicht, wie sonst, schlicht an die gewählte Form anknüpfen.

7

Die Beschwerde kann auch nicht mit Erfolg in eine außerordentliche Beschwerde oder eine Gegenvorstellung umgedeutet werden. Das wird für den Fall diskutiert, dass die angegriffene Kostengrundentscheidung willkürlich ist und gegen sie daher grundsätzlich die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde eröffnet ist (so etwa Bader, aaO, § 158 Rdnr. 5). Der Senat kann unentschieden lassen, ob angesichts von § 321a ZPO (G. v. 27.7.2001, BGBl. I S. 1887) und § 152a VwGO (vgl. Anhörungsrügegesetz vom 9.12.2004, BGBl. I S. 3220) ein solcher außerordentlicher Rechtsbehelf überhaupt noch bestehen kann oder ob die Schaffung der genannten speziellen Rechtsbehelfsmöglichkeiten mit der Folge abschließenden Charakter haben, dass daneben außerordentliche Rechtsbehelfe nicht mehr eröffnet sind (so wohl BVerwG, B. v. 1.2.2005 - 10 B 75.04 -, Vnb). Nach Einfügung von § 321a ZPO dürfte die Überprüfung einer mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidung außerdem dem Gericht vorbehalten sein, das die Entscheidung getroffen hat (vgl. BVerwG, B. v. 2.10.2004 - 2 B 90.04 -, NVwZ 2005, 232; B. v. 16.5.2002 - 6 B 28.02 -und 6 B 29.02 -, Buchholz 310 § 152 VwGO Nr. 14).

8

Das kann indes unentschieden bleiben. Denn willkürlich, d.h. nach Gesetzeswortlaut, -sinn und -zweck nicht mehr begründbar und der zu bewältigenden Situation völlig unangemessen ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Kostengrundentscheidung gerade nicht. Es entspricht zwar einer weit verbreiteten Meinung, dass die Kostenentscheidung auf der Grundlage von § 161 Abs. 3 VwGO auch dann zu treffen ist, wenn der Kläger die nach § 75 VwGO erforderliche Zeit abgewartet, die Behörde nach Erhebung der Untätigkeitsklage den Antrag ablehnt und der Kläger daraufhin unverzüglich das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt (vgl. z.B. Eyermann-Rennert, VwGO 11. Aufl., § 161 Rdnr. 21; Kopp-Schenke, aaO, § 161 Rdnr. 37; Bader, aaO, § 161 Rdnr. 37; Redeker/von Oertzen, VwGO, Komm. 14. Aufl., § 161 Rdnr. 11; BayVGH, B. v. 25.8.1976 - Nr. 4 II/76 -, NJW 1976, 21412142). Zur Begründung wird unter Hinweis auf den Wortlaut des § 161 Abs. 3 VwGO, der schlechthin, d.h. auf alle Fälle des § 75 VwGO verweist, angeführt, die Kostenfolge des § 161 Abs. 3 VwGO sei Sanktion dafür, dass die Behörde § 75 VwGO zuwider das Begehren des Klägers nicht beschieden und diesen so zur Klage veranlasst habe. Auch wenn die nach Klageerhebung getroffene Sachentscheidung nicht dem Ziel des Klägers entspreche, wären durch ein Gerichtsverfahren verursachte Kosten nicht entstanden, hätte die Behörde in Einklang mit § 75 VwGO gehandelt und so dem Bürger die Möglichkeit gegeben, sich nach rechtzeitiger Bescheidung seines Begehrens auf der Grundlage der von der Behörde geltend gemachten Gründe zu überlegen, ob er sich wirklich zur Klageerhebung entschließt. Das Ergebnis sei nicht unbillig. Die Behörde brauche lediglich die Abgabe der Erledigungserklärung zu verweigern. Dann werde im Rahmen des Erledigungsstreits geprüft, ob der Kläger sein Ziel wirklich erreicht habe und die Sache daher im Rechtssinne erledigt sei.

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Diese Meinung ist indes nicht unumstritten (vgl. zum Folgenden die Nachweise bei Kopp-Schenke, aaO, FN 60; Günther, DVBl. 1988, 612, 620; OVG Koblenz, B. v. 19.1.1971 - 2 B 3/71 -, NJW 1971, 1855, 1856; OVG Berlin, B. v. 27.10.1983 - 2 L 4.83 -, DÖV 1987, 817; Ring, NVwZ 1995, 1191). Sie knüpft daran an, dass § 161 VwGO insgesamt Fälle der Erledigung betrifft. Erledigt im Rechtssinne sei das Begehren eines Klägers aber nicht, wenn die Behörde seinen auf die Vornahme eines bestimmten Verwaltungshandelns gerichteten Antrag nach Erhebung der Untätigkeitsklage in einer ihm ungünstigen Weise bescheide. Dann habe der Kläger lediglich eine Bescheidung erreicht. Das Ziel seiner Untätigkeitsklage sei jedoch im Regelfall (Ausnahme: die Widerspruchsbehörde bescheidet nicht den vom Nachbarn gegen eine Baugenehmigung eingelegten Rechtsbehelf und der vorsichtige Bauherr möchte erst auf der Grundlage eines bestandskräftigen Bauscheins bauen) nicht auf eine bloße Bescheidung, sondern auf eine bestimmte, seinem Anliegen günstige Bescheidung gerichtet.

10

Das zeigt, dass der vom Verwaltungsgericht eingenommene Standpunkt jedenfalls nicht willkürlich ist. Auch als außerordentlicher Rechtsbehelf gedeutet, kann das Begehren des Klägers daher keinen Erfolg haben.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es besteht hier kein Anlass, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären; denn die ihnen ungünstige Kostengrundentscheidung im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2004 stand in diesem Beschwerdeverfahren nicht zur Diskussion.