Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.03.2005, Az.: 9 LA 46/05

Antrag; Asyl; Asylanerkennung; Baath-Regierung; Berufung; Dauerhaftigkeit; Einführung; Erkenntnislage; Erkenntnismittel; Erkenntnismittelliste; Flüchtling; Flüchtlingseigenschaft; Geltendmachung; Genfer Konvention; instabile Verhältnisse; Irak; rechtliches Gehör; Schutz; Sicherheitslage; Tatsache; Verfolgungslage; Wegfall der Umstände; Widerruf; Zulassungsantrag; Änderung; Änderung der politischen Verhältnisse

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.03.2005
Aktenzeichen
9 LA 46/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 51010
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 27.01.2005 - AZ: 6 A 1915/04

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Für den Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Feststellung der Dauerhaftigkeit der Änderung der politischen Verhältnisse entscheidungserheblich. Dagegen ist eine umfassende Klärung des gesamten sonstigen politischen Umfeldes bzw. möglicher politischer Entwicklungen nicht erforderlich.

Gründe

1

Die im erstinstanzlichen Verfahren durch die Sozietät Dr. M. und M. aus Bielefeld anwaltlich vertretenen Kläger wenden sich gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11. November 2004, durch den die Feststellung, dass bei ihnen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen, widerrufen und festgestellt worden ist, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die damaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger haben im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2004 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Im Hinblick darauf hat das Verwaltungsgericht das Verfahren mit Urteil vom 27. Januar 2005 ohne mündliche Verhandlung durch den Einzelrichter - auch insoweit wurden keine Bedenken erhoben - entschieden.

2

In dem dagegen gerichteten Zulassungsverfahren haben sich die Kläger nunmehr durch ihre - neue - Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Mit dem Zulassungsantrag wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) sowie ein Verfahrensmangel in der Form des Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG iVm Art. 103 Abs. 3 GG) geltend gemacht. Der Zulassungsantrag der Kläger hat keinen Erfolg.

3

Das angegriffene Urteil deckt sich hinsichtlich seiner Begründung und im Ergebnis sowohl mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als auch mit der des erkennenden Senats. Der Widerruf einer - rechtmäßigen oder auch von Anfang an rechtswidrigen - Anerkennung als politisch Verfolgter bzw. der Widerruf von Abschiebungsschutz nach §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG ist nach § 73 Abs. 1 AsylVfG zulässig, wenn sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich geändert haben. Eine Änderung der Erkenntnislage oder deren abweichende Würdigung genügt dagegen nicht (so grundlegend Urt. d. BVerwG vom 19.9.2000 - 9 C 12.00 -, DVBl. 2001, 216 = NVwZ 2001, 335 = BVerwGE 112, 80; ferner Urt. v. 8.5.2003 - 1 C 15.02 -, DVBl. 2003, 1280 = NVwZ 2004, 114 = BVerwGE 118, 174). Entscheidungserheblich ist dabei die Feststellung der Dauerhaftigkeit der Änderung der politischen Verhältnisse, hier also der Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein. Entsprechend diesen Vorgaben hat das BVerwG in seinem ebenfalls ein Widerrufsverfahren eines irakischen Staatsangehörigen betreffenden Urteil vom 25. August 2004 (1 C 22.03 - NVwZ 2005, 89 = DÖV 2005, 77 = AuAS 2005, 5 =Asylmagazin 11/2004, 35 = DVBl 2004, 1440 (Ls)) das Folgende ausgeführt:

4

"Eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht ...... ist aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklung der politischen Verhältnisse im Irak entbehrlich. Der Senat kann diese Entwicklung, die in jedem Falle eine zum Widerruf berechtigende und verpflichtende nachträgliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG darstellt, selbst abschließend beurteilen. Der Kläger hat bei einer Rückkehr in den Irak inzwischen offenkundig nicht mehr mit politischer Verfolgung zu rechnen. Dies ergibt sich daraus, dass nach den während des Revisionsverfahrens eingetretenen allgemeinkundigen Ereignissen im Irak das Regime von Saddam Hussein durch die amerikanischen und britischen Truppen beseitigt worden ist."

5

Dass der Sturz des Regimes von Saddam Hussein nach allen vorliegenden Erkenntnissen eindeutig und unumkehrbar ist, und zwar trotz der weiterhin, ja sich noch verstärkenden problematischen Sicherheitslage im Irak, insbesondere im Hinblick auf terroristische Anschläge, entspricht auch der jüngeren und inzwischen ständigen Rechtsprechung des Senats (seit Beschl. v. 30.3.2004 - 9 LB 5/03 -, NVwZ-RR 2004, 614 = Asylmagazin 5/2004, S. 13 = AuAS 2004, 153). Eine Rückkehr der Baath-Regierung kann nach den derzeit gegebenen Machtverhältnissen und der Offenkundigkeit der veränderten politischen Gegebenheiten nach wie vor als ausgeschlossen bewertet werden. Der angegriffene Widerrufsbescheid vom 11. November 2004 begegnet nach alledem keinen rechtlichen Bedenken.

6

Vor dem oben aufgezeigten Hintergrund kommt der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zu. Der Zulassungsantrag sieht den grundsätzlichen Klärungsbedarf insoweit, dass mit dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 die grundsätzlich klärungsbedürftige Rechts- und Tatsachenfrage auftrete, „ob § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG aufgrund der Geltung des § 60 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Voraussetzungen des Art. 1 C Nr. 5 Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - zu prüfen und auszulegen ist, mit der Konsequenz, dass ein Widerruf der Flüchtlingseigenschaft erst dann erfolgen darf, wenn nach dem Wegfall der Umstände, aufgrund derer die Person, vorliegend die Kläger, als Flüchtling anerkannt worden ist, es der Flüchtling nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt („Wegfall-der-Umstände-Klausel“). Bereits der Wortlaut von Art. 1 C Nr. 5 GFK lasse erkennen, dass allein der Wegfall der früheren politischen Verfolgung, die maßgeblich für die Anerkennung als Flüchtling war, nicht die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertige, wenn der Schutz des Herkunftslandes nicht in Anspruch genommen werden könne. Vielmehr sei nach Ziffer II.A.6 der UNHCR-Richtlinie zu Art. 1 C Nr. 5 und 6 GFK darauf abzustellen, dass anerkannte Konventionsflüchtlinge nicht zur Rückkehr in instabile Verhältnisse gezwungen werden sollten. Der Auffassung der Kläger, dass ein „ausreichender Schutz“ des irakischen Staates zur Zeit nicht gegeben sei und deshalb der vorgenommene Widerruf rechtswidrig sei, ist nicht zu folgen. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 2. Dezember 2004 - 9 LA 354/04 - festgestellt. dass im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AuslG der Feststellung der Dauerhaftigkeit der Veränderungen der politischen Verhältnisse vorrangige Bedeutung zukommt. Dagegen ist eine umfassende Klärung des gesamten sonstigen politischen Umfeldes bzw. möglicher zukünftiger politischer Entwicklungen nicht erforderlich. Dies fordert auch nicht der zum 1. Januar 2005 in Kraft getretene § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit dem Erfordernis der Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559).Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang auf die ihrer Auffassung nach gegenteilige Beschlussfassung der Innenministerkonferenz verweisen sowie auf den Umstand, dass derzeitig auch in Niedersachsen eine zwangsweise Abschiebung in den Irak nicht durchgeführt werde (vgl. z. B. Erlass des Niedersächsischen Ministers für Inneres und Sport etwa vom 25.3.2003), folgt daraus keine andere rechtliche Beurteilung. Aus dem Erlass vom 25. März 2003 ist nämlich nicht der von den Klägern gewünschte Schluss zu ziehen, dass der irakische Staat zur Zeit keinen ausreichenden Schutz im Sinne des Art. 1 C Nr. 5 GFK gewährleisten kann. Die Erlasslage trägt vielmehr dem Umstand Rechnung, dass der Irak derzeitig über den internationalen Flughafen von Bagdad nicht anzufliegen ist (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2.11.2004, S. 14).

7

Das angegriffene Urteil ist auch nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist nicht feststellbar. Allerdings verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich die Tatsachengerichte, nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zu verwerten, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind und zu denen sich die Beteiligten äußern können. Nur bei Kenntnis der zugrunde gelegten Erkenntnismittel können die Beteiligten ihr eigenes Prozessverhalten steuern und z. B. auch Beweisanträge stellen (BVerfG, Beschl. v. 18.7.2001 - 2 BvR 982/00 - InfAuslR 2001, 463 = AuAS 2001, 187). Vorliegend hat das Verwaltungsgericht weder einzelne konkrete Erkenntnismittel noch umfassend eine Erkenntnismittelliste in das Klageverfahren eingeführt. Die Nichteinführung von Erkenntnismitteln verletzt aber nicht das rechtliche Gehör der Kläger. Wird eine Verletzung rechtlichen Gehörs wegen nicht ordnungsgemäßer bzw. nicht hinreichender Einführung von Erkenntnismitteln geltend gemacht, ist neben der Bezeichnung, welches Erkenntnismittel welchen Inhalts nicht eingeführt worden sein soll, darzulegen, in welchem Zusammenhang das Verwaltungsgericht dieses Erkenntnismittel herangezogen hat und was - bei ordnungsgemäßer Einführung - in Bezug auf die in diesem Erkenntnismittel enthaltenen Tatsachen vorgetragen worden wäre (OVG Lüneburg, Beschl. v. 7.7.1997 - 12 L 3297/97 -, AuAS 1997, 215; Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 RdNrn 645 und 646). Daran fehlt es hier. Der allgemeine Hinweis der Kläger, bei Einführung der von ihnen bezeichneten Erkenntnismittel hätten sie Gelegenheit gehabt, bereits im Vorfeld der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu den Erkenntnisquellen Stellung zu nehmen und Anträge zu stellen, ist damit nicht ausreichend, um eine Zulassung der Berufung unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs erreichen zu können (vgl. hierzu auch OVG Münster, Beschl. v. 3.7.1996 - 25 A 2968/96.A - AuAS 1996, 263).