Anwaltsgerichtshof Niedersachsen
Beschl. v. 23.10.2017, Az.: AGH 22/17 (II 18/36a)
Bibliographie
- Gericht
- AGH Niedersachsen
- Datum
- 23.10.2017
- Aktenzeichen
- AGH 22/17 (II 18/36a)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 54299
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24.04.2017 über den Widerruf der Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Geschäftswert wird auf 12.500,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der am ........... geborene Antragsteller ist seit dem 06.04.2004 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Die Antragsgegnerin hat mit Bescheid vom 24.04.2017 die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO widerrufen (Anlage 3/Bl. 10 ff. d. A.) und mit weiterem Bescheid vom 12.07.2017 die sofortige Vollziehung angeordnet (Anlage 2/Bl. 5 ff. d. A.). Der Antragsteller hat am 26.05.2017 Anfechtungsklage gegen den Widerrufsbescheid erhoben und mit Schriftsatz vom 13.09.2017 einen Antrag nach § 80 Abs. 2 VwGO gestellt.
Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung ihrer Widerrufsverfügung angeordnet, weil diese im überwiegenden öffentlichen Interesse zur Abwehr einer konkreten Gefährdung von Fremdgeldern erforderlich sei. Nach einem Strafbefehl der Staatsanwaltschaft ... vom 26.05.2017 (Geschäfts-Nr.: NZS 1141 Js 63711/16 / vgl. a. Bl. 3 ff. Anl.hefter MiStra) habe der Antragsteller Fremdgelder nicht weitergeleitet. Am 13.05.2016 sei der dem Auftraggeber ... zustehende Erbanteil in Höhe von 10.972,46 € auf ein Rechtsanwaltssammelanderkonto des Antragstellers überwiesen, aber nicht weitergeleitet worden. Ein ebenfalls am 13.05.2016 aufgrund eines mit Frau ... ... bestehenden Mandatsverhältnisses gutgeschriebener Betrag in Höhe von 3.000,00 €, der von der Vermieterin für diese gezahlt worden sei, sei ebenfalls nicht weitergeleitet worden. Stattdessen habe der Antragsteller zwischen dem 13. und 20.05.2016 insgesamt 16.950 € von dem Anderkonto auf sein Privatkonto bei der ... ... transferiert und das Geld für eigene Zwecke verbraucht. Indem der Antragsteller mit Schreiben vom 30.06. und 05.07.2017 auf die Möglichkeit der §§ 153, 153a StPO hingewiesen habe, habe er den Schuldvorwurf eingeräumt. Daneben seien auch Gelder, welche die ... am 17.08, 08. 09. und 06.11.2015 in Höhe von insgesamt 1.530,15 € für Mandanten des Antragstellers, das Ehepaar ..., an den Antragsteller gezahlt habe, nicht weitergeleitet wurden.
Der Antragsteller begründet seinen Antrag damit, dass die Staatsanwaltschaft in der Angelegenheit ... zunächst eine Einstellung nach § 153 a Abs. 1 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Betracht gezogen und er, der Antragsteller, von dem geschuldeten Betrag auch schon rund 10.000,00 € zurückgezahlt habe. In der Angelegenheit ... habe er die Aufrechnung mit Honoraransprüchen erklärt, gleiches gelte für die Angelegenheit .... Gegen den Strafbefehl sei Einspruch eingelegt worden.
Darüber hinaus habe der Antragsteller einen Arbeitsvertrag geschlossen (Anlage 8/ Bl. 47 ff. d. A.), wonach er ab dem 01.10.2017 in der Kanzlei ... als Assessor angestellt sein werde.
Die konkrete Gefahr für die Rechtsgüter von Rechtssuchenden sei sowohl mangels hoher Wahrscheinlichkeit der Bestandskraft der angegriffenen Widerrufsverfügung als auch durch die Angestelltentätigkeit des Antragstellers ab dem 01.10.2017 ausgeschlossen.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 08.09.2017 gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Widerrufsverfügung der Rechtsanwaltschaft vom 12.07.2017 anzuordnen.
Hilfsweise beantragt er, die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft durch Widerrufsverfügung vom 12.07.2017 aufzuheben.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag vom 19.09.2017 zurückzuweisen.
Sie erwidert, dem Antragsteller sei eine Konsolidierung seiner Vermögensverhältnisse nicht gelungen, vielmehr habe das Amtsgericht ... zwischenzeitlich mit Beschluss vom 01.09.2017 das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. Für ihre Auffassung streite zudem der Strafbefehlsantrag vom 26.05.2017. Der vorgelegte Anstellungsvertrag sei entgegen den in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gestellten Anforderungen nicht schon über einen längeren Zeitraum beanstandungsfrei „gelebt“ worden
II.
1. Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig (§ 80 Abs. 5 VwGO), aber unbegründet.
a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Widerrufsverfügung vom 24.04.2017 steht der Zulässigkeit des Antrags des Antragstellers nicht entgegen. Gemäß den §§ 14 Abs. 4 S. 1, 155 Abs. 5 S. 1 BRAO wird die Postulationsfähigkeit des Rechtsanwalts durch die Anordnung, dass der Widerruf der Zulassung sofort vollziehbar ist, nicht beeinträchtigt. Verbotswidrig, also unter Verstoß gegen § 155 Abs. 2 BRAO vorgenommene Rechtshandlungen gelten hiernach zur Wahrung der Rechtssicherheit als wirksam, es sei denn, es ist eine Zurückweisung des Rechtsanwalts nach § 156 Abs. 2 BRAO erfolgt, was vor dem Antrag des Antragstellers vom 13.09.2017 nicht geschehen ist. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Rechtsanwalt bewusst über das Berufs-/Tätigkeitsverbot gemäß §§ 14 Abs. 4 S. 1, 155 Abs. 2 BRAO hinwegsetzt (vgl. BGH, Beschl. v. 23.06.2012 - AnwZ (Brfg) 58/11, NJW-RR 2012, 1336).
b) Der Antrag des Antragstellers ist jedoch nicht begründet.
aa) Da Anträge so zu verstehen sind, dass der Rechtsbehelf nach Möglichkeit Erfolg haben kann, wird der Antrag des Antragstellers in der Weise ausgelegt, dass nicht die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 08.09.2017 gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Widerrufsverfügung vom 12.07.2017 angeordnet werden soll, sondern, was einzig möglich wäre, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die Widerrufsverfügung. Allein diese Auslegung wird dem Rechtsschutzziel des Antragstellers gerecht. Die Möglichkeit eines Widerspruchs nach § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO gibt es gemäß § 80 Abs. 1 NJG weder im allgemeinen, noch kommt ein solcher Widerspruch im besonderen gegen die Anordnung des Sofortvollzugs nach § 14 Abs. 4 BRAO i. V. m. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO in Betracht; zulässiger Rechtsbehelf ist vielmehr der Antrag an das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.
bb) Zu Recht hat die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 12.07.2017 die sofortige Vollziehung der Widerrufsverfügung angeordnet, weil sie im überwiegenden öffentlichen Interesse zur Abwehr einer konkreten Gefährdung von Fremdgeldern erforderlich ist.
Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO gebotenen umfassenden Interessenabwägung ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den Widerrufsbescheid der Antragsgegnerin vom 24.04.2017 ausweislich der hierzu getroffenen Entscheidung des Senats vom 23.10.2017 (AGH 10/17), auf die hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen wird, erfolgslos geblieben ist. Darüber hinaus besteht ein besonderes Vollziehungsinteresse, weil auch nach den Angaben des Antragstellers der ihm mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft ... vom 26.05.2017 in der Angelegenheit „...“ zur Last gelegte Vorwurf zu Recht erhoben worden ist. Dass sich der Antragsteller bemüht hat und weiter bemüht, den insoweit angerichteten Schaden auszugleichen, vermag das besondere Vollziehungsinteresse nicht entfallen zu lassen. Hinzu kommt, dass sich die finanzielle Situation des Antragstellers im Laufe des Anfechtungsverfahrens und auch noch nach dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.07.2017 weiter verschlechtert hat, bis hin zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 01.09.2017.
Die Absicht des Antragstellers, gemäß dem als Anlage 8 vorgelegten Anstellungsvertrag vom 13.09.2017 ab dem 01.10.2017 als angestellter Assessor tätig zu sein, steht einer Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden und damit einem die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit rechtfertigenden besonderen Vollziehungsinteresse nicht entgegen. Der Vermögensverfall des Rechtsanwalts führt regelmäßig zu einer Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden, es sei denn, der Rechtsanwalt übt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät aus und verabredet mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern (vgl. z. B. BGH, Beschl. v. 17.03.2016 - AnwZ (Brfg) 6/16, zit. n. juris). Derartige Sicherungsmaßnahmen sieht der vorgelegte Anstellungsvertrag nicht vor.
Wesentlich ist, dass effektive Kontrollmöglichkeiten bestehen; es bedarf immer einer ausreichend engen tatsächlichen Überwachung, die gewährleistet, dass der Rechtsanwalt nicht beziehungsweise nicht unkontrolliert mit Mandantengeldern in Berührung kommt. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof betont, dass besonderes Augenmerk der Frage gelten müsse, ob die arbeitsvertraglichen Beschränkungen vom angestellten Rechtsanwalt und seinen Arbeitgebern eingehalten würden, und hieraus abgeleitet, dass es nicht ausreiche, wenn ein solcher Vertrag vorgelegt werde; vielmehr müsse der Vertrag schon über einen längeren Zeitraum beanstandungsfrei "gelebt" worden sein (vgl. BGH, Beschl. v. 19.10.2016 - AnwZ (Brfg) 37/16, zit. n., juris). Auch daran fehlt es.
2. Der Antragsteller ist gemäß § 156 Abs. 2 S. 1 BRAO zurückzuweisen, weil er mit der Antragstellung vom 13.09.2017 gegen das Berufsverbot des §§ 155 Abs. 2 BRAO verstoßen hat.
Nach § 156 Abs. 2 S. 1 BRAO sollen Gerichte oder Behörden einen Rechtsanwalt, der entgegen einem Berufs- oder Vertretungsverbot vor ihnen auftritt, zurückweisen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Die Anordnung des Sofortvollzugs des Zulassungswiderrufs hat gemäß § 14 Abs. 4 BRAO zur Folge, dass die für die Verhängung eines vorläufigen Berufs- oder Vertretungsverbots geltenden Bestimmungen der §§ 155 Abs. 2, 4 u. 5, 156 Abs. 2 BRAO entsprechend anzuwenden sind. Demzufolge ist der Antragsteller nicht mehr befugt, seine Rechtsanwaltstätigkeit auszuüben (§ 155 Abs. 2 BRAO). Ebenso wenig darf er in eigenen Angelegenheiten tätig werden, sofern eine Vertretung durch Anwälte geboten ist (§ 155 Abs. 4 BRAO) (vgl. allgemein BGH, Beschl. v. 23.06.2012 - AnwZ. (Brfg) 58/11, NJW-RR 2012, 1336 [BGH 23.06.2012 - AnwZ (Brfg) 58/11]). Letzteres ist hier der Fall, weil die Verfahren vor dem Senat nach §§ 112c Abs. 1 S. 2 BRAO, 67 Abs. 4 VwGO dem Anwaltszwang unterliegen.
In der Antragstellung liegt ein Verstoß des Antragstellers gegen das ihm auferlegte Berufs- und Tätigkeitsverbot. Der Begriff des Auftretens vor Gericht und Behörden erfasst nicht nur das Auftreten in einer mündlichen Verhandlung, die es im behördlichen Verfahren ohnehin nur ausnahmsweise gibt, sondern auch den schriftlichen Verkehr mit Gerichten und Behörden (vgl. Johnigk in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 156 BRAO, Rn. 8).
Trotz der missverständlichen Formulierung „sollen“ enthält § 156 Abs. 2 BRAO eine Zurückweisungspflicht (vgl. Johnigk in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 156 BRAO Rn. 7).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 194 Abs. 2 BRAO. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass es vorliegend nur um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung geht, und den Regelstreitwert in Höhe von 50.000,00 € angemessen herabgesetzt.
5. Der Beschluss ist unanfechtbar.