Anwaltsgerichtshof Niedersachsen
v. 13.06.2017, Az.: AGH 13/15 (II 9/40)

Bibliographie

Gericht
AGH Niedersachsen
Datum
13.06.2017
Aktenzeichen
AGH 13/15 (II 9/40)
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2017, 54290
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Gerichtsbescheid ist im  Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in  Höhe  von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Der Streitwert wird auf 62.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft durch Bescheid der Beklagten vom 03.06.2015.

Der Kläger ist 19… geboren, verheiratet und hat drei erwachsene Söhne. Er war seit 1986 zugelassener selbstständiger Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in … W. Der Kläger erkrankte am 17.07.2012 dauerhaft und ist infolge bis heute arbeitsunfähig.

Mit Verfügung vom 23.10.2012 unter Verlängerung bis 31.03.2015 befreite die Beklagte den Kläger von seiner Kanzleipflicht. Auf Antrag des Klägers wurde als Zustellungsbevollmächtigte dessen Ehefrau,  Frau K. B., …, bestellt.

Am 23.06.2014 gab der Kläger die Eidesstattliche Versicherung über seine Vermögenslosigkeit ab.

Die Beklagte widerrief die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft mit hier angegriffenem Bescheid vom 03.06.2015. Zur Begründung berief sich die Beklagte auf § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO, demnach die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen ist, wenn der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben, es sei denn, dass sein Verbleiben in der Rechtsanwaltschaft die Rechtspflege nicht gefährdet. Die Beklagte stützte sich in ihrer Begründung auf das medizinische Gutachten der Frau Dr. med. M. B.-E. vom 16.02.2014, demnach der Kläger seit dem 18.07.2012 an einer psychiatrischen Erkrankung mit der Diagnose: Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome mit somatischem Syndrom (IDC-10 F 32.2) leide. Das Gutachten stellt fest, dass der Kläger aufgrund seiner Erkrankung gehindert ist, berufliche juristische Sachverhalte zu erfassen und zu würdigen, Mandanten in ihren Rechtsangelegenheiten zu beraten und ihre Interessen zielgerichtet nach außen zu vertreten.

Der Kläger war durch die Beklagte mit Schreiben vom 20.03.2015 aufgefordert worden, darzulegen, ob sich seine gesundheitliche Situation verbessert habe. Er war ferner aufgefordert worden, ein weiteres medizinisches Gutachten vorzulegen, um die Annahme auszuschließen, dass eine nicht nur vorübergehende Dienstunfähigkeit vorliege und der Kläger seinen Beruf als Rechtsanwalt weiterhin ordnungsgemäß ausüben könne.

Mit Schreiben vom 21.03.2015 hatte der Kläger der Beklagten daraufhin mitgeteilt, dass er weiterhin arbeitsunfähig krankgeschrieben sei, und ein Attest des Facharztes für Nervenheilkunde A. L. vom 09.02.2015 vorgelegt. Zugleich hatte der Kläger beantragt, erneut die Kanzleipflichtbefreiung zu verlängern.

Weiter stützte die Beklagte die Widerrufsentscheidung auf § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, demnach die Zulassung zu widerrufen ist, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtssuchenden nicht gefährdet sind.

Die Beklagte stützt sich hierbei auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, nach der ein Vermögensverfall anzunehmen ist, wenn der Rechtsanwalt in ungeordneten, schlechten finanziellen Verhältnissen steht, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen, wobei die Erwirkung von Schuldtiteln und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen Beweisanzeichen für den Vermögenverfall sind. Sie stützt sich ferner auf die Vermutung gem. §14 Abs. 2 Nr. 7 2. Halbsatz BRAO, demnach ein Vermögensverfall als vorliegend vermutet wird, wenn der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis eingetragen ist. Diese Voraussetzungen seien durch die vorliegende Eintragung nach Maßgabe des § 882 c ZPO gegeben. Die Beklagte führt insoweit 7 Eintragungsanordnungen

des Obergerichtsvollziehers K. sowie weitere Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger in ihrem Bescheid vom 03.06.2015, auf den Bezug genommen wird, auf. Danach beliefen sich die vollstreckbaren Forderungen gegen den Kläger in der Summe auf rund 53.500,00 €.

Der Kläger war mit Schreiben vom 20.03.2015 durch die Beklagte zu dem beabsichtigten Widerruf der Zulassung angehört worden. Der Kläger hatte in seiner Stellungnahme vom 23.04.2015 erklärt, dass ein Sparguthaben in Höhe von 62.239,20 € zur vollständigen Begleichung der Verbindlichkeiten genutzt werden könne. Dieses Geld sei jedoch nicht liquide, da eine Freigabe der Y-Bank erst am 09.06.2015 erfolgen könne. Vorausgegangen war eine Mitteilung des Klägers vom 31.03.2015 an die Beklagte, dass durch Umfinanzierung der bestehenden Baudarlehen ein Sparguthaben bei der X-Bank, welches der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau innehatte, abgelöst werden könne. Zudem führte der Kläger aus, dass das selbst genutzte Einfamilienhaus verkauft werden könnte, um Verbindlichkeiten mit dem erzielten Kaufpreis zu tilgen.

Der Kläger erhob gegen den ihm am 05.06.2015 zugestellten Bescheid vom 03.06.2015 unter dem 06.07.2015 – einem Montag – eingegangen am selben Tag per Telefax Klage und beantragte,

1. die Widerrufsverfügung und Zurückweisungsverfügung der Beklagten vom 03.06.2015 aufzuheben und

2. die Beklagte zu verpflichten, den Kläger gem. § 29 Abs. 1 BRAO von der Pflicht des § 27 Abs. 1 BRAO zu befreien, im Bezirk der Rechtsanwaltskammer O. eine Kanzlei zu unterhalten.

Zur Begründung wiederholt und vertieft der Kläger seine im Verwaltungsverfahren gemachten Ausführungen, bestreitet insbesondere die Ansicht, er könne dauerhaft seinen Beruf nicht (mehr) ausüben, auch die Befreiung von der Kanzleipflicht sei nicht geeignet, die Gefährdung der Rechtspflege auszuschließen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie stützt ihren Antrag maßgeblich auf ihre Begründung in dem angegriffenen Bescheid.

Mit Schreiben vom 26.08.2015 erklärte der Kläger den Verzicht gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO auf die Rechte aus seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zum Ablauf des 30. September 2015. Ferner kündigte er die Rücknahme der Klage an.

Mit Bescheid vom 01.09.2015 widerrief die Beklagte im Hinblick auf die Verzichtserklärung des Klägers dessen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mit Ablauf des 30.09.2015.

Der Bescheid war adressiert an den Kläger persönlich unter der Anschrift …, der Privatanschrift des Klägers, welche dieser auch in seinen Schriftsätzen immer angegeben hat.

Die Zustellung erfolgte mit Postzustellungsurkunde, wonach unter dem 03.09.2015 die Zustellung durch Einwurf in den Briefkasten am Wohnsitz des Klägers erfolgt sei. Der Kläger übersandte dieses Schreiben ungeöffnet an die Beklagte zurück. Er berief sich darauf, dass eine ordnungsgemäße Zustellung an ihn nicht erfolgt sei. Zur Begründung berief er sich darauf, dass Zustellung an ihn gem. § 30 BRAO nur durch Zustellung an die von ihm benannte Zustellungsbevollmächtigte, seine Ehefrau, Frau K. B., …, erfolgen könne.

Mit richterlichem Hinweis vom 3. November 2015 wurden die Parteien, namentlich den Kläger, darauf hingewiesen, dass die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten nicht bedeute, dass an den Rechtsanwalt nicht mehr selbst zugestellt werden könne. Für den Fall, dass die Zustellung nachgewiesen werden könne, wäre der Widerruf der Zulassung wegen Verzichts des Klägers wohl mittlerweile bestandskräftig, sodass die Klage unzulässig geworden sei, da das mit der Klage begehrte Rechtsschutzziel nicht mehr erreichbar sei. Es wurde deshalb angeregt, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Der Kläger nahm auf den Hinweis des Senats mit Schriftsatz vom 15.11.2015 Stellung und wiederholte seine Rechtsauffassung, demnach eine wirksame Zustellung nur über die benannte  Zustellungsbevollmächtigte, aber nicht direkt gegenüber ihm als den betroffenen Rechtsanwalt, erfolgen könne. Eine Erledigungserklärung gab lediglich die Beklagte ab.

Mit richterlichem Schreiben vom 26. November 2015 wurden die Parteien darüber informiert, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 112 c  Abs. 1 BRAO, 84 Abs. 1 VwGO in Betracht gezogen werde; den Parteien wurde Gelegenheit zur Stellungnahme unter Einräumung einer Zweiwochenfrist gewährt.

Stellungnahmen sind nicht eingegangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten beigezogene Personalakte betreffend den Kläger Bezug genommen; letztere war Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats.

II.

1. Die Entscheidung konnte im vorliegenden Fall durch Gerichtsbescheid ergehen, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§§ 112 c Abs. 1 BRAO, 84 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Die Parteien wurden gemäß  §§ 112 c Abs. 1 BRAO,  84 Abs. 1 S. 2 VwGO zu dieser Form der Entscheidung angehört. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

2. Die Klage ist zwar fristgerecht innerhalb der Monatsfrist beim Anwaltsgerichtshof eingegangen, gleichwohl mittlerweile unzulässig.

Der Kläger begehrt mit der Klage die Aufhebung der Widerrufsverfügung der Beklagten vom 03.06.2015 sowie Verpflichtung der Beklagten, den Kläger weiter von seiner Pflicht zur Unterhaltung eines Kanzleisitzes zu befreien.

Das Begehren des Klägers ist durch den von ihm unter dem 26.08.2015 zwischenzeitlich erklärten Verzicht auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gem. § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO mit Ablauf des 30.09.2015 unzulässig geworden.

Aufgrund dessen besteht kein Rechtsschutzbedürfnis seitens des Klägers für die begehrte Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides vom 03.06.2015, weil das vom Kläger mit der Klage begehrte Rechtsschutzziel nicht mehr erreicht werden kann. Denn die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft ist jedenfalls durch die erklärte Verzichtserklärung vom 26.08.2015 und nachfolgende Zustellung des hierauf ergangenen Widerrufsbescheides der Beklagten vom 01.09.2015 durch Postzustellungsurkunde unter dem 03.09.2015 mit dessen Bestandskraft erloschen. Das Gericht hat in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ob das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis noch besteht.

Die Zustellung des Widerrufsbescheides vom 01.09.2015 ist wirksam an den Kläger selbst erfolgt. Unzutreffend beruft sich der Kläger darauf, dass bei Stellung eines Zustellungsbevollmächtigten nur noch an diesen und nicht mehr an ihn selber zugestellt werden kann.

Insoweit berücksichtigt der Kläger nicht hinreichend, dass die Zustellung über einen Zustellungsbevollmächtigten nicht an die Stelle der persönlichen Zustellung an den betroffenen Rechtsanwalt, sondern nur daneben tritt. Nach der amtlichen Begründung des Entwurfs einer Bundesrechtsanwaltsordnung vom 24. November 1954 dient die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten der Sicherung des Zustellungsverkehrs in den besonderen Formen, welche die Prozessordnungen für Zustellungen an Anwälte vorsehen (BT - Drucksache 2/1004, S.73 zu § 42 BRAO - E). Auch § 30 Abs. 1 BRAO in der jetzt geltenden Fassung soll gewährleisten, dass Zustellungen, in den in § 30 Abs. 2 BRAO genannten erleichterten Formen der Zivilprozessordnung erfolgen können und Auslandszustellungen vermieden werden (vgl. die amtliche Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und kostenrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2008, BT-Drucksache 16/11385, S. 35 zu Nr. 11). Insoweit dient die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten nur zur Ermöglichung und Einhaltung der erleichterten Zustellungsmöglichkeiten nach der Zivilprozessordnung. Sie führt jedoch nicht zum Ausschluss der höchstpersönlichen Zustellung an den betroffenen Rechtsanwalt.

Mithin war die Klage als unzulässig abzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 112 c  Abs. 1 BRAO, 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 112c Abs. 1 BRAO, 167 Abs. 1, 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 194 Abs. 1 BRAO, 52 Abs. 1 GKG sowie auf § 194 Abs. 2 S. 1 BRAO. Soweit der Kläger die Aufhebung des Widerrufsbescheides begehrt, beläuft sich der Wert auf 50.000,00 €; soweit darüber hinaus der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur weiteren Befreiung von der Kanzleipflicht begehrt, war der Wert mit einem Viertel hiervon, d.h. weiteren 12.500,00 €, zu bemessen, insgesamt also 62.500,00 €.

Der Gerichtsbescheid hat die Wirkung eines Urteils (§§ 112c Abs. 1 BRAO, 84 Abs. 3 HS. 1 VwGO).

Gründe, die Berufung zuzulassen (§§ 112e BRAO, 124 Abs. 2 VwGO), bestehen nicht.