Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 19.03.2020, Az.: VgK-02/2020

Vergabe eines Vertrags ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
19.03.2020
Aktenzeichen
VgK-02/2020
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 24183
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
die xxxxxx,
- Antragsgegnerin-
wegen
de-facto-Vergabe von Postdienstleistungen
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden Regierungsdirektor Gaus, den hauptamtlichen Beisitzer Dipl.-Sozialwirt Tiede und den ehrenamtlichen Beisitzer KAR Kruse im schriftlichen Verfahren nach Lage der Akten beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Das Nachprüfungsverfahren hat sich in der Hauptsache erledigt. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin im Zeitpunkt der Erhebung des Nachprüfungsantrags in ihren Rechten verletzt war.

  2. 2.

    Die Kosten (Gebühren und Auslagen der Vergabekammer) werden auf xxxxxx € festgesetzt.

  3. 3.

    Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Antragsgegnerin ist von der Entrichtung der Kosten persönlich befreit.

  4. 4.

    Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

    Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin erforderlich.

Begründung

I.

Die Antragsgegnerin hat am 14.01.2020/30.01.2020 mit der Beigeladenen einen Vertrag über die Ausführung von Postdienstleistungen ab dem 01.02.2020 geschlossen. Die Laufzeit des Vertrages ist unbestimmt. Der Beauftragung der Beigeladenen ging kein formales Vergabeverfahren voraus.

Die Antragstellerin war seit dem Jahr 2006 von der Antragsgegnerin mit der Ausführung von Postdienstleistungen beauftragt. Dabei war sämtliche Ausgangspost abzuholen, zu frankieren und zuzustellen. Am 17.12.2019 erklärte die Antragsgegnerin die Kündigung des Vertrages vom 15.03.2006 zum 31.01.2020.

Der Auftragswert würde den nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB maßgeblichen Schwellenwert für Liefer- und Dienstleistungen in Höhe von 214.000 € überschreiten. Ob es sich um einen Auftrag über besondere Dienstleistungen nach § 130 Abs. 1 GWB handelt ist strittig. In diesem Fall betrüge der maßgebliche Schwellenwert nach § 130 Abs. 1 GWB 750.000 €.

Die Antragstellerin begründet ihren Nachprüfungsantrag wie folgt:

Die Antragstellerin sei in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt, der von der Antragsgegnerin abgeschlossene Vertrag mit einem dritten Unternehmen sei gemäß § 135 GWB nichtig. Die Antragsgegnerin sei verpflichtet gewesen, den am 14.01.2020/30.01.2020 abgeschlossenen Vertrag über die Ausführung von Postdienstleistungen europaweit auszuschreiben. Die Ausschreibung sei ohne vorherige Bekanntmachung erfolgt. Aufgrund der fehlenden Bekanntmachung des Auftrages im Amtsblatt der EU sei der geschlossene Vertrag gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB für nichtig zu erklären.

Es handele sich nicht um eine Leistung, die unter den Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU falle. Der Schwellenwert für die dort genannten Dienstleistungen betrage 750.000,00 € netto. Hier würden privilegierte und nicht privilegierte Tätigkeiten aufeinandertreffen, für die dann vollumfänglich das strengere allgemeine Vergaberecht und damit auch der allgemeine Schwellenwert für Dienstleistungen von derzeit 214.000,00 € netto gelten würde. Dieser werde durch die vergebene Leistung, bei einer maßgeblichen Höchstlaufzeit für eine Rahmenvereinbarung von vier Jahren, überschritten. Aufgrund des Schreibens vom 30.01.2020 gehe die Antragstellerin davon aus, dass die Antragsgegnerin einen zeitlich unbefristeten Vertrag, jedenfalls einen langlaufenden Vertrag abgeschlossen habe. Die Möglichkeit einer kurzfristigen Kündigung sei für die Ermittlung des Auftragswertes unerheblich, da sämtliche Optionen und Verlängerungszeiträume aus der Rahmenvereinbarung zu berücksichtigen seien. Die Antragstellerin behaupte, dass der nunmehr abgeschlossene Vertrag über Optionen bzw. Möglichkeiten einer Vertragsverlängerung eine Laufzeit von mindestens 4 Jahren aufweise. Wenn der Vertrag keine Höchstlaufzeit aufweise, wäre gemäß § 3 Abs.11 VgV zur Ermittlung des Auftragswertes der 48fache Monatswert anzusetzen, wonach der Schwellenwert ebenfalls überschritten wäre.

Der Behauptung, bei der an das neue Unternehmen erfolgten Vergabe handele es sich um einen vergaberechtlich zulässigen Interimsauftrag, werde nachdrücklich widersprochen. Ein Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung könne die Antragsgegnerin nicht rechtskonform durchgeführt haben. Die Antragsgegnerin könne sich auch nicht auf eine etwaige Dringlichkeit berufen, da sie selbst durch die Kündigung den Beschaffungsbedarf zum 01.02.2020 begründet habe. Voraussetzungen für eine Verhandlungsvergabe, eine beschränkte Ausschreibung, eine freihändige Vergabe oder eine Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb seien nicht gegeben.

Die Antragstellerin beantragt:

  1. 1.

    Der von der Antragsgegnerin mit einem dritten Unternehmen abgeschlossene Vertrag über die Ausführung von Postdienstleistungen wird für nichtig erklärt.

  2. 2.

    Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ihren Beschaffungsbedarf im Rahmen eines förmlichen Vergabeverfahrens nach den Vorschriften der Vergabeverordnung zu befriedigen.

  3. 3.

    Der Antragstellerin wird Akteneinsicht gewährt. Die Akteneinsicht hat hierbei insbesondere den von der Antragsgegnerin abgeschlossenen Vertrag über die Ausführung von Briefdienstleistungen und den dazugehörigen Vergabevermerk zu umfassen.

  4. 4.

    Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

Die Antragsgegnerin beantragt:

  1. 1.

    Die Anträge der Antragstellerin werden als unzulässig und unbegründet zurückgewiesen.

  2. 2.

    Der Antragstellerin werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.

  3. 3.

    Der Antragstellerin wird lediglich im nachfolgend beschriebenen Umfang Akteneinsicht gewährt.

Der im Jahre 2006 mit der Antragstellerin geschlossene Vertrag über Postdienstleistungen sei gekündigt worden, nachdem die Leistungen von der Antragstellerin über eine längere Zeit nicht mängelfrei erbracht worden seien. Die Antragsgegnerin habe regelmäßig darauf hingewiesen, dass die Leistungen der Antragstellerin nicht mängelfrei erbracht worden seien.

Der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, da der hier einschlägige Schwellenwert von 750.000 € nicht erreicht werde.

Der neue Vertrag umfasse nur folgende Leistungen:

- Abholung der Sendungen,

- Frankierung aller Briefsendungen,

- Sortieren und Nummerieren der Abgangspost,

- Vorsortierung und Zusammenführung (Konsolidierung) der Briefsendungen mit Briefsendungen anderer Kunden,

- Einlieferung der Briefsendungen bei einem Briefzentrum der Deutsche Post AG durch die xxxxxx,

- Monatliche Abrechnung auf eine Kostenstelle.

Es gelte der Schwellenwert von 750.000 €, da der überwiegende Teil der Leistungen, nämlich die Abholung der Sendungen und die Einlieferung bei einem Briefzentrum der Deutsche Post AG, auf besondere Dienstleistungen im Sinn von § 130 GWB entfalle.

Auch der Schwellenwert von 214.000 EUR werde nicht erreicht. Mit Schreiben vom 07.02.2020 sei der Antragstellerin bereits erläutert worden, dass lediglich beabsichtigt sei, einen kurzzeitigen Vertrag abzuschließen, um dann die Leistungen vergabekonform auszuschreiben. Dementsprechend sei der jetzt abgeschlossene Vertrag zum 30.08.2020 gekündigt worden. Unter Berücksichtigung der für die Laufzeit des Vertrages voraussichtlich anfallenden Kosten werde der Schwellenwert von 214.000 EUR bei Weitem nicht erreicht. Der Nachprüfungsantrag sei daher auch bei Berücksichtigung dieses Schwellenwertes unzulässig.

Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet. Die Leistungsmängel hätten zur Kündigung des Vertrages mit der Antragstellerin geführt. Sollte nachvollziehbar erläutert werden, wie diese Mängel in Zukunft vermieden werden, sei die Antragsgegnerin selbstverständlich bereit, die Antragstellerin an einem zukünftigen Ausschreibungsverfahren zu beteiligen.

Vom Akteneinsichtsrecht seien der vertrauliche neue Vertrag mit seinen Anlagen sowie der im Schriftsatz genannten Teilbetrag ausgenommen.

Da die Antragstellerin über das notwendige vergaberechtliche Wissen verfüge, werde die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten bestritten.

Mit Schreiben vom 05.03.2020 teilte die Vergabekammer der Antragstellerin mit, dass die Antragsgegnerin den neuen Vertrag gekündigt habe und erklärt habe, eine erneute vergabekonforme Ausschreibung durchzuführen. Der Rüge vom 29.01.2020 sei somit abgeholfen. Die Antragstellerin wurde gebeten zu erklären, ob sich das Nachprüfungsverfahren somit erledigt habe.

Die Antragstellerin erklärte, dass sich der Nachprüfungsantrag nicht erledigt habe, da nicht erkennbar sei, ob die Kündigung überhaupt zivilrechtlich wirksam sei, und beantragt hilfsweise zu dem gestellten Hauptantrag:

- es wird festgestellt, dass die Antragstellerin durch die ohne förmliches Vergabeverfahren durchgeführte Vergabe des Auftrages vom 14.01.2020/30.01.2020 über die Ausführung von Postdienstleistungen für die Antragsgegnerin in ihren Rechten verletzt ist.

Der maßgebliche Zeitpunkt für die Schätzung des Auftragswertes sei der Tag der Einleitung des Vergabeverfahrens, eine im Nachgang erfolgende Kündigung würde an der Rechtsnatur des Vertrages als einem dem EU-Vergaberecht unterfallenden Beschaffungsvorgang nichts ändern.

Maßgeblich sei vorliegend der Schwellenwert für "klassische" Dienstleistungen von 214.000 € netto. Bei den in Rede stehenden Briefdienstleistungen handele es sich nicht um andere besondere Dienstleistungen im Sinne von § 130 GWB, sondern um die ausdrücklich in der Gesetzesbegründung genannten multimodalen Kurierdienste bzw. die Postzustellung und Postbeförderung auf der Straße. Bereits ein geringer Anteil nicht privilegierter Dienstleistungen führe dazu, dass für die gesamte Leistung der niedrigere Schwellenwert Anwendung fände. Die Antragsgegnerin habe die gesamte Leistungskette ausgeschrieben und vergüte diese in vollem Umfang gegenüber ihrem Vertragspartner. Hierbei käme es nicht darauf an, ob der Vertragspartner diese Leistungen selbst erbringe oder diese Leistungen vom Universaldienstleister xxxxxx als Nachunternehmer ausführen lasse.

Im Falle einer Erledigung begehrt die Antragstellerin im Rahmen eines Fortsetzungsfeststellungsantrages die Feststellung ihrer Rechtsverletzung durch die erfolgte de-facto-Vergabe.

Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehe, da die Antragsgegnerin mehrfach verdeutlicht habe, die Postdienstleistungen erneut vergaberechtswidrig national auszuschreiben. So bestehe eine akute Wiederholungsgefahr für den vorliegend in Rede stehenden Vergaberechtsverstoß. Zudem bestehe durch die vorgerichtlichen Anwaltskosten für die Erstellung des Rügeschreibens ein materielles Interesse an der Feststellung des begangenen Vergaberechtsverstoßes. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten durch die Antragstellerin sei notwendig gewesen.

Da sich die Nichtigerklärung auch auf die Vertragspartnerin auswirke, sei diese beizuladen.

Mit Schreiben der Vergabekammer an die Antragstellerin wurde darauf hingewiesen, dass von einer Beiladung abgesehen worden sei, da eine Kündigungsbestätigung der Vertragspartnerin

vorliege und sie daher von einer abgeschlossenen Abhilfe ausgehe. Ein Hauptantrag wäre somit nicht weiterzuverfolgen. Erst nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen könne die Vergabekammer über einen Fortsetzungsfeststellungsantrag entscheiden. Dieser sollte allerdings nicht nur hilfsweise, sondern als Hauptantrag gestellt werden.

Daraufhin hat die Antragstellerin ihren Hauptantrag für erledigt erklärt. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei nunmehr als Hauptantrag weiter zu verfolgen.

Sowohl Antragstellerin als auch Antragsgegnerin haben einem schriftlichen Verfahren zugestimmt.

II.

Die Vergabekammer entscheidet mit Zustimmung der Beteiligten im schriftlichen Verfahren gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB. Im vorliegenden Fall einer Vergabe, die sowohl soziale und andere besondere Dienstleistungen gemäß § 130 GWB betrifft als auch Dienstleistungen, die nicht in Anhang XIV der RL 2014/24/EU enthalten sind, ist nicht der besondere Schwellenwert für soziale und andere besondere Dienstleistungen anzuwenden, sondern der regelmäßige Schwellenwert. Das ergibt sich zum einen aus dem Ausnahmecharakter des § 130 GWB, zum anderen aus dem überwiegenden Gewicht der anderen Dienstleistungen und dem objektiven vorrangigen Interesse des Auftraggebers an den nicht von der eng auszulegenden Ausnahme des § 130 GWB umfassten Dienstleistungen (vgl. nachfolgend zu 1). Die Vergabekammer hat von einer Beiladung abgesehen, weil der öffentliche Auftraggeber auf den Nachprüfungsantrag hin den streitigen Dienstleistungsvertrag gekündigt hat und diese Kündigung vom Dienstleister akzeptiert worden ist. Auf die Frage, ob diese Kündigung zum rechtlich frühestmöglichen Zeitpunkt in Kraft tritt, kommt es jedenfalls dann nicht an, wenn der Zeitraum der Kündigung den zur Vorbereitung eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens erforderlichen Zeitraum von 6-9 Monaten nicht übersteigt (vgl. nachfolgend zu 2).

Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist zulässig und begründet.

1. Der ursprüngliche auf die Feststellung der Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrags gerichtete Nachprüfungsantrag war zum Zeitpunkt der Erhebung am 18.02.2020 zulässig.

Die Antragsgegnerin ist öffentliche Auftraggeberin i. S. des § 99 Nr. 2 GWB. Sie ist eine GmbH im Eigentum einer Gebietskörperschaft.

Nach § 99 Nr. 2 GWB sind auch andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen, öffentliche Auftraggeber, wenn Stellen, die unter Nr. 1 fallen, sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihre zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmen. Die Antragsgegnerin ist zu dem besonderen Zweck gegründet worden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen. Das Allgemeininteresse ergibt sich aus dem Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze, Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Nach § 1 KHG ist Zweck des Gesetzes die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser, um eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern zu gewährleisten und zu sozial tragbaren Pflegesätzen beizutragen. Gemäß § 9 KHG fördern die Länder auf Antrag des Krankenhausträgers Investitionskosten, darunter insbesondere für die Errichtung von Krankenhäusern für die Erstausstattung mit notwendigen Anlagegütern, für die Wiederbeschaffung von Anlagegütern und weitere im Einzelnen genannte Positionen. Somit handelt es sich bei dem Betrieb eines zu errichtenden Krankenhauses auch in der Form eines privatrechtlichen Unternehmens nicht um eine auf Gewinnerzielung gerichtete gewerbliche Tätigkeit, sondern um eine im Wesentlichen mit öffentlichen Mitteln geförderte und ermöglichte Aufgabe zur Versorgung der Bevölkerung gemäß § 1 KHG.

Die Vergabekammer nimmt an, dass der Landkreis die Antragsgegnerin aufgrund seiner Gesellschafterstellung voll haftend und daher überwiegend finanziert.

Der streitbefangene ohne Vergabeverfahren vergebene Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 106 Abs. 1 GWB. Dabei geht die Vergabekammer davon aus, dass für den vorliegenden Vertrag ein Schwellenwert von 214.000 € gilt.

Der 4. Teil des GWB gilt nur für Aufträge, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die Schwellenwerte erreichen oder überschreiten, die nach den EU-Richtlinien festgelegt sind. Es gilt der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 14.01.2020 an Stelle des eigentlich erforderlichen Vergabeverfahrens gültige Schwellenwert.

Sowohl die inhouse Postdienstleistungen (Frankieren und Konsolidieren) als auch die als Anhang umschriebenen Zustelldienste sind Dienstleistungen. Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge i. S. d. § 103 Abs. 4 GWB gilt gem. § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU und der delegierten VO (EU) 2019/1828 der Kommission vom 30.10.2019 für alle im Jahr 2020 begonnenen Verfahren für Dienst- und Lieferaufträge ein Schwellenwert von 214.000 €. Allerdings gilt für soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie EU 2014/24/EU ein Schwellenwert von 750.000 €. Die Antragsgegnerin beruft sich darauf, dass nur dieser Schwellenwert hier zu beachten gewesen sei.

Die Vergabekammer ist nicht der Auffassung, dass für den vorliegenden Auftrag der hohe Schwellenwert für besondere und soziale Dienstleistungen zugrunde zu legen wäre. Diese Dienstleistungen unterfallen einem etwas erleichterten Vergaberechts Regime, weil nach der Begründung des GWB (BR-Drucks 367/15, Seite 137) für diese Dienstleistungen unter anderem die grenzüberschreitende Bedeutung fehle. Dies ist bei dem Wettbewerb eines bundesweit agierenden Unternehmens mit einem gleichfalls weitgehend bundesweit organisierten Gesellschaftsverband nicht ohne weiteres zu bestätigen. Zwar gehören bestimmte Briefpostdienste zu den in Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU genannten Dienstleistungen, nicht jedoch alle Dienstleistungen, die zur Erbringung der hier beauftragten Leistungen erforderlich sind. Dies betrifft insbesondere die von der Antragstellerin benannten Leistungen Postzustellung (CPV 64121100-1) und Postbeförderung auf der Straße (CPV 60160000-7). Bei den besonderen Dienstleistungen gemäß § 130 GWB handelt es sich um eine Ausnahme, die eng zu interpretieren ist. Erwägungsgrund 119 zur Richtlinie 2014/24/EU weist ausdrücklich darauf hin, dass der Bezug auf eine Abteilung nicht automatisch ein Bezug auf die Unterabteilungen bedeute. Somit sind privilegiert nur solche sozialen oder besonderen Dienstleistungen, die ausdrücklich im einzelnen im Anhang XIV Richtlinie 2014/24/EU aufgeführt sind. Typengemischte Verträge, die Leistungen nach CPV Codes des Anhangs XIV mit solchen außerhalb des Anhangs XIV verbinden, unterfallen daher nicht dem erleichterten Vergaberechtsregime.

Bilden Konsolidierung, Sortierung und Postzustellung eine einheitliche und nicht ohne weiteres trennbare Dienstleistung, so erscheint daher die von der Antragsgegnerin angeführte Auffassung, es handele sich um andere besondere Dienstleistungen nicht überzeugend. Mit den Entscheidungen der VK Bund (VK Bund, Beschluss vom 27.09.2017, VK 2 -102/17; VK Bund, Beschluss vom 02.08.2017, VK 2 - 74/17) geht auch die VK Niedersachsen davon aus, dass die hausinternen Dienstleistungen und der Versand einen einheitlichen Auftrag bilden. So legt das auch § 11 PostG unter Rückgriff auf § 4 Nr. 3 PostG nahe, der die Beförderung als das Einsammeln, Weiterleiten oder Ausliefern von Postsendungen an den Empfänger definiert. Maßgeblich ist daher hier der niedrigere Schwellenwert von 214.000 €.

Ob dieser Schwellenwert überschritten ist, richtet sich nach der Höhe der vom Auftraggeber an den Dienstleister für die Erbringung der Dienstleistung im Laufe des Vertrags zu leistenden gesamten Vergütung.

§ 3 Abs. 11 Nr. 2 VgV bestimmt, dass bei Aufträgen mit unbestimmter Laufzeit der 48fache Monatswert netto (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 VgV) zugrunde zu legen ist. Der konkrete Auftragswert ist gemäß § 3 VgV vorher zu schätzen. Da aufgrund der Direktvergabe eine Schätzung fehlt, legt die Vergabekammer nach den gleichen Maßstäben das Angebot des Dienstleisters zugrunde.

Das Angebot enthält einen Jahresnettopreis im unteren 5-stelligen Bereich für die Dienstleistungen Frankierung, Konsolidierung, Transport und einen weiteren Jahresnettopreis als "Auslagen" im oberen 5-stelligen Bereich für Porto, ohne Berücksichtigung volumenabhängiger Rabatte. Umgerechnet auf 48 Monate wird somit der Schwellenwert von 214.000 € überschritten.

Für die Überschreitung des Schwellenwerts ist es unerheblich, wie der Auftraggeber oder wie hier im Initiativangebot der Anbieter einzelne Positionen bezeichnet. Falls sich Darstellungen wie "Auslagen" als irreführend erweisen, es in Wirklichkeit keine Auslagen sind, ist der Schwellenwert nicht nur auf einen Teil der Vergütung, sondern auf die gesamte Vergütung zu beziehen.

Addiert man die möglichen Jahreswerte der Gesamtleistung einschließlich der Auslagen, so wird der Schwellenwert für Dienstleistungen von 214.000 € innerhalb von 48 Monaten (4 Jahren) deutlich überschritten. Folgt man der Vertragsstruktur und legt nur die hausinternen Dienstleistungen als vergaberelevant zugrunde, so wird er unterschritten.

Die Vergabekammer hat daher zu prüfen, ob es zulässig ist, den Auftrag auf die hausinternen Dienstleistungen zu begrenzen und die Zustelldienste als Auslagen an einen Dritten bei der Berechnung der Vergütung und damit des Schwellenwerts aus dem Vertrag auszugliedern. Eine solche Vorgehensweise ist beispielsweise für Steuern möglich, weshalb GWB und VgV für die Berechnung des Schwellenwertes immer die Nettoentgelte zugrunde legen.

Das Porto ist aber trotz hoheitlicher Geschichte keine Steuer sondern eine Vergütung für die Dienstleistung der Postzustellung. Schon nach dem objektiven Interesse des Auftraggebers handelt es sich bei der Frankierung um eine notwendige Dienstleistung, um dessen Interesse am gewünschten Erfolg, dem Versand der Briefe an die jeweiligen Empfänger zu erzielen. Ausweislich des hausinternen Schreibens vom 03.02.2020 hat die Auftraggeberin ein großes Interesse daran, ihre aufgegebene Post zuverlässig und innerhalb postüblicher Laufzeiten den Empfängern zukommen zu lassen. Die Antragsgegnerin wollte also den Erfolg einer Universaldienstleistung gemäß § 11 PostG erzielen. Es wäre lebensfremd anzunehmen, die Auftraggeberin habe lediglich ein Interesse daran, die ausgehende Post hausintern sortieren zu lassen, nicht aber zu versenden, wie das die Struktur der Vergütung nahelegt.

Auch wettbewerbsrechtlich erscheint die Annahme, bei den Entgelten für Porto handele es sich lediglich um Auslagen nicht lebensnah. Auslagen gehören zu den notwendigen Kosten des Angebots und sind daher immer und zwingend in eindeutiger und erschöpfender Weise in die Vergütungen einzupreisen. Dazu und deshalb muss der Auftraggeber gemäß § 121 Abs. 1 GWB den Auftragsgegenstand in der Leistungsbeschreibung entsprechend genau beschreiben. Ein Auftraggeber, der sein Leistungsverzeichnis (etwa für Kurierdienste) so abfasst, dass notwendige Betriebskosten des Auftragnehmers (etwa Kraftstoffe) nicht Teil der Vergütung seien, obwohl sie erkennbar zur Vertragserfüllung erforderlich sind, kann sich nicht erfolgreich auf die Unterschreitung etwaiger Schwellenwerte berufen. Er hat willkürlich notwendige Teile der Vergütung ausgeklammert. Er erhält auch aus den Angeboten keine zuverlässigen Informationen über das wirtschaftlichste Angebot, weil infolge seiner unzureichenden Leistungsbeschreibung die Menge der später abzurechnenden Betriebsmittel im Angebot nicht eindeutig und erschöpfend zu bezeichnen ist, von ihm später aufwändig zu kontrollieren sein wird.

Die Entscheidung für einen Konsolidierer hat auch notwendige wettbewerbsrechtliche Folgewirkungen für die eigentliche Zustellung. Sie darf daher nicht von den Zustelldienstleistungen getrennt werden. Nur die xxxxxx ist bereit, für Konsolidierungsmaßnahmen Dritter Rabatte auf das Porto zu gewähren. Mit der Entscheidung, die hausinternen Dienstleistungen einem Konsolidierer zu übertragen ist daher wettbewerblich auch die unabänderliche Vorentscheidung getroffen, dass die hausexterne Postzustellung ausschließlich von der Deutschen Post AG durchgeführt werden kann. Alles andere würde zu einer doppelten Vergütung führen, da Anbieter wie die Antragstellerin Fremdkonsolidierung nicht vergüten.

Zusätzlich spricht das oben dargestellte wirtschaftliche Gewicht der Versendung dafür, dass die vereinbarten Aufwendungen in erster Linie dem Versand der Post dienen sollten. Der in den Auslagen für Porto enthaltene Wert der Postzustellung beträgt ein Mehrfaches des Wertes der hausinternen Postdienstleistungen.

Die Verpflichtung der Deutschen Post AG, Post von jedermann anzunehmen, führt zu der Besonderheit, dass innerhalb dieses wettbewerbsrechtlich einheitlichen Vorgangs eine vertragsrechtliche Bruchstelle entsteht. Diese besteht entweder in einem Wechsel des Auftraggebers oder in einer einvernehmlich nicht aufgeklärten Vertretung (Geschäft mit dem, den es angeht).

Sowohl der Konsolidierer als auch dessen Konkurrenten mit Betriebsstrukturen wie bei der Antragstellerin nehmen die Zustelldienstleistungen der Deutschen Post AG ungefragt in Anspruch. Obwohl der Auftrag des öffentlichen Auftraggebers an den Dienstleister die gesamte Postzustellung inhouse und extern umfasst, entsteht nach Auffassung des OLG Düsseldorf kein Vertragsverhältnis des Auftraggebers mit der Deutschen Post AG (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.06.2012 - Verg 14/12 - mit Hinweis auf entgegenstehende Rechtsprechung). Ebenso wäre vertretbar, dass die Post ihre regelmäßig wirtschaftlich geringfügige Dienstleistung des einzelnen Frachtvertrags über einen Brief nach § 449 HGB gegenüber demjenigen erbringt "den es angeht", also unter Hinnahme einer ggf. bestehenden nicht aufgeklärten Vertretung (Schubert in: Münchener Kommentar zum BGB, § 164, Rn. 164). Dann käme ein Vertragsverhältnis mit dem Auftraggeber zustande, wobei der vom Auftraggeber benannte Dienstleister gegenüber der Post als unerkannter Vertreter des Auftraggebers auftritt. Eine Entscheidung der Rechtsfrage ist nicht erforderlich, wie beide Rechtsfiguren den Ablauf vollständig erfassen. § 3 der Postdienstleistungsverordnung gibt der Deutschen Post AG grundsätzlich keinen Vorbehalt, eine Versendung abzulehnen. Also überschreitet der vorliegende Vertrag den Schwellenwert von 214.000 €.

Die Antragstellerin ist gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Sie hat ein Interesse am Auftrag und beschreibt die Verletzung von Rechten, weil eine echte de-facto-Vergabe, also eine Vergabe ohne jegliche Einhaltung des Vergaberechts im 4. Teil des GWB, stattgefunden habe. Sie erhebt die unter I. dargestellten Beanstandungen. Auf der Ebene der Zulässigkeitsprüfung geht es nur darum, ob der Nachprüfungsantrag der Vergabekammer ermöglicht, einen konkreten Sachverhalt aus der Vergabeentscheidung auf einen möglichen Vergabeverstoß prüfen zu können. Es genügt daher für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können.

Verstöße gegen drittschützende Verfahrensvorschriften, hier die Auftragsvergabe ohne jedes Vergabeverfahren sind für die Schadensdarlegung geeignet.

Eine mindestens fahrlässige Fehlannahme zur Unterschreitung des Schwellenwertes ist wie auch sonst die Wahl des richtigen Vergabeverfahrens und die Missachtung der Informations- und Wartefrist unmittelbar drittschützend im Sinne des § 97 Abs. 6 GWB. Nach dieser Vorschrift haben Unternehmen einen Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden. Die Überschreitung des Schwellenwertes ist die sachliche Voraussetzung dafür, dass der Antragsteller vergaberechtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann. Die Regelung ist aus diesem Grunde unmittelbar drittschützend.

Ob der Antragstellerin durch die falsche Verfahrenswahl tatsächlich ein Schaden zugefügt worden ist, bleibt grundsätzlich der Prüfung der Begründetheit vorbehalten (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 - X ZB 14/06, zitiert nach VERIS).

Eine Rügepflicht des Antragstellers bestand gemäß § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB nicht. Nach dieser Ausnahmevorschrift gilt die eigentlich bestehende Verpflichtung zur Rüge nicht bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB.

Wird ein Vertrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist, so liegt eine echte de-facto-Vergabe vor. Das Ziel einer Rüge, den Antragsgegner und öffentlichen Auftraggeber vom Vergabeverstoß abzuhalten wird nicht mehr erreicht, wenn der öffentliche Auftraggeber seinen Verstoß nicht mehr korrigieren kann. Eine Rüge ist sinnlos und damit entbehrlich, wenn der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag bereits erteilt hat (Maimann in: Kulartz/Kus/Porz/ Prieß, GWB-Vergaberecht, § 135 GWB, Rn. 33).

Der Antrag der Antragstellerin auf Feststellung der Unwirksamkeit des mit der Beigeladenen geschlossenen Vertrags ist nicht nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB präkludiert. Danach kann die Unwirksamkeit nach § 135 Abs. 1 GWB nur festgestellt werden, wenn sie im Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Information der betroffenen Bieter und Bewerber durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrags, jedoch nicht später als 6 Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht worden ist. Hier fehlt es an einer Information des Antragstellers durch den Antragsgegner, so dass es ausschließlich auf die Sechsmonatsfrist ankommt. Diese berechnet sich unabhängig von der Kenntnis des Antragstellers und der Möglichkeit der Kenntnis des Antragstellers ausschließlich nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.09.2013; Voppel in: Voppel/Osenbrück/Bubert, VgV, Anhang zu § 62 VgV, § 135 GWB, Rn. 64, 67). Da der mit dem Dienstleister geschlossene Vertrag vom 14.01.2020 (Unterschrift Antragsgegnerin) bzw. 30.01.2020 (Unterschrift Dienstleister) datiert, lief die Feststellungsfrist nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB erst im Juli 2020 ab, so dass der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit nicht verfristet war.

2. Der Antrag, eine Rechtsverletzung der Antragsteller durch die rechtswidrige Beauftragung der Beigeladenen festzustellen, ist gemäß § 168 Abs. 2 GWB zulässig. Hat sich das Nachprüfungsverfahren durch Erteilung des Zuschlags, durch Aufhebung oder durch Einstellung des Vergabeverfahrens oder in sonstiger Weise erledigt, stellt die Vergabekammer auf Antrag eines Beteiligten fest, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag setzt voraus, dass sich ein ursprünglich zulässiger Nachprüfungsantrag während des Nachprüfungsverfahrens, also vor der Sachentscheidung der Vergabekammer erledigt (OLG Celle, Beschluss vom 07.03.2019, 13 Verg 1/19). Hier erfolgte die Kündigung des zunächst auf unbefristete Zeit geschlossenen Vertrages erst am 02.03.2020 nach Erhebung des Nachprüfungsantrags und erkennbar als Reaktion darauf.

Da die Kündigung vom Dienstleister akzeptiert wurde und zusätzlich die Antragstellerin gemäß der Anregung der Vergabekammer nicht mehr auf der sofortigen Feststellung der Unwirksamkeit bestand, konnte die Vergabekammer von einer Beiladung absehen.

Obgleich die Kündigung nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgte, sondern mit einer Frist von 6 Monaten, sieht die Vergabekammer darin bei wirtschaftlicher Betrachtung eine vollständige Erledigung der Hauptsache. Die Antragsgegnerin kann sowohl bei einer Unwirksamkeitserklärung durch die Vergabekammer als auch bei einer Kündigung zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine Ermessensentscheidung darüber treffen, wie die Interimsvergabe bis zum Zeitpunkt der Ausschreibung erfolgt (vgl. VK Rheinland, Beschluss vom 28.01.2020-VK 3/20).

Das erforderliche Verfahren richtet sich nach den für die kurze Zeit der Interimsvergabe maßgeblichen Auftragssummen, die bei einer Dauer von ca. 6 Monaten unstreitig die Schwellenwerte der europaweiten Vergabe unterschreiten. Wie von der Vergabekammer in einer anderen Angelegenheit angenommen (VK Niedersachsen, VgK-42/2017, Beschluss vom 06.02.2018) bedarf es zur Vorbereitung eines europaweiten Vergabeverfahrens eines Vorlaufs von ca. 6-9 Monaten. Mit der Kündigung zu einem Zeitpunkt von 6 Monaten hat die Antragsgegnerin daher die notwendigen Voraussetzungen für die baldmöglichste Einleitung eines vergaberechtskonformen Vergabeverfahrens geschaffen, dabei zugleich die nur schwer angreifbare und von der Antragstellerin auch nicht angegriffene Entscheidung über die Interimsvergabe (VK Rheinland, Beschluss vom 28.01.2020 - VK 3/20) bis zu diesem Zeitpunkt getroffen.

Die Antragstellerin hat hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Dies ergibt sich für einen Antragsteller häufig aus der Möglichkeit eines Schadensersatzanspruches. Die Entscheidung der Vergabekammer entfaltet für einen solchen Sekundäranspruch gem. § 179 GWB ausdrücklich Bindungswirkung. Ebenso besteht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, wenn eine (konkrete) Wiederholungsgefahr in Bezug auf einen nach Auffassung des Antragstellers vor Erledigung begangenen Vergabeverstoß zu besorgen ist (Kadenbach in: Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 168, Rn. 49). Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 07.02.2020 angekündigt, die Postdienstleistungen nach nationalem Vergaberecht vergeben zu wollen. Das ist nach den Ausführungen oben unzulässig. Damit besteht für die Antragstellerin konkrete Wiederholungsgefahr.

3. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist auch begründet. Nach der obigen Ausführung zu 11.1 ist der Schwellenwert für die europaweite Vergabe überschritten, so dass die Absicht der Vergabe europaweit bekannt zu machen ist. Hierzu bedarf es einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gemäß § 121 GWB und der Durchführung eines der in § 119 GWB genannten Vergabeverfahren. Ein Direktauftrag, wie hier erfolgt, ist gemäß § 14 UVgO nur bis zu einem voraussichtlichen Auftragswert von 1.000 € zulässig. Auch § 8 Abs. 4 Nr. 17 UVgO erlaubt in Verbindung mit Landesrecht (NwertVO) nur bei recht geringen Auftragswerten (in Niedersachsen 25.000 €) eine Verhandlungsvergabe. Selbst dieses einfache Verfahren wurde hier unterlassen. Der Rechtsverstoß ist daher deutlich. § 130 GWB ist insoweit drittschützend (Mußgnug in: Pünder/Schellenberg, GWB, §130, Rn. 35).

III. Kosten

Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB.

Die in Ziffer 2 des Tenors festgesetzte Gebühr ergibt sich aus einer Interpolation des Auftragswertes innerhalb des Gebührenrahmens nach § 182 Abs. 2 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 €, die Höchstgebühr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

Die Vergabekammer hat zur Ermittlung des Auftragswerts den Mittelwert der von der Antragstellerin in der Antragsschrift geschilderten Jahresnettovolumina für 4 Jahre (48 Monate) zugrunde gelegt. Volumenabhängige Rabatte bei der Postzustellung wurden dabei nicht berücksichtigt, da diese kein konstanter sondern variabler Bestandteil des Vertrages sind. Dies ergibt ein Nettovolumen von xxxxxx € und folglich einen Bruttowert von xxxxxx € brutto. Dieser Betrag entspricht dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.

Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx € brutto ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmungen in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostenlast folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Der Begriff der Kosten umfasst die Gebühren und die Auslagen der der Vergabekammer. Für die Ermittlung des Unterliegens ist nicht auf einen etwaigen Antrag abzustellen. Gemäß § 168 Abs. 1 Satz 2 GWB ist die Vergabekammer an Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Da die Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat sie die Kosten zu tragen. Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung der Kosten gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 BVerwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2005, Az.: WVerg 0014/04). Zwar wurde das BVerwKostG mit Wirkung vom 15.08.2013 aufgehoben, jedoch ist es aufgrund der starren Verweisung aus § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB auf das BVerwKostG in der Fassung vom 14.08.2013 hier weiter anzuwenden. Inhaltlich entspricht die dortige Regelung § 8 BGebG.

Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten. Hier gilt zunächst das oben zu Ziffer 3. Ausgeführte.

Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war antragsgemäß auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Obwohl das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, ist wegen der Komplexität des Vergaberechts, des Verfahrensrechts im Nachprüfungsverfahren sowie der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltliche Beratung und Begleitung für die Antragstellerin erforderlich.

Dem Einwand der Antragsgegnerin, die Antragstellerin sei vergaberechtlich kundig genug, um ihre Interessen selbst zu wahren, folgt die Vergabekammer nicht. Zwar gab es bereits etliche streitige Vergabenachprüfungsverfahren nicht nur vor der Vergabekammer Niedersachsen mit Trägern dieses oder ähnlicher Markennamen der Antragstellerin (nur VK Niedersachsen: VgK-22/2018; VgK-39/2017; VgK-03/2016), die von ihr teilweise erfolgreich geführt wurden (OLG Celle, Beschluss vom 11.09.2018 13 Verg 4/18). Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass es sich jeweils um verschiedene regionale Gesellschaften handelt. Die Antragstellerin ist nur eines der über eine Mediengruppe miteinander verbundenen Unternehmen. Diese sowie weitere nicht unter diesem Markennamen auftretende Unternehmungen sind u.a. über Kooperationsverträge miteinander verbunden (VK Niedersachsen, VgK-21/2018, Beschluss vom 25.07.2018). Die anwaltliche Vertretung erfolgt nicht einheitlich, Hinweise auf eine Koordination sind nicht erkennbar. Die Vergabekammer kann daher die Prozesserfahrung diverser anderer Gesellschaften nicht der Antragstellerin zurechnen.

IV. Rechtsbehelf

...

Gaus
Tiede
Kruse