Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 19.01.1999, Az.: 5 U 162/98

Rechtsseitige Mobilisierung eines Halswirbels als Behandlungsfehler; Schmerzensgeld bei nur untergeordneten Verursachungsbeitrag von Beschwerden auf Grund bestehender Vorerkrankung (Migräne); Unterlassen zumutbarer Behandlungsmaßnahmen

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
19.01.1999
Aktenzeichen
5 U 162/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 29116
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1999:0119.5U162.98.0A

Fundstelle

  • OLGReport Gerichtsort 1999, 174-175

Amtlicher Leitsatz

- Rechtsseitige Mobilisierung eines Halswirbels als Behandlungsfehler, - Schmerzensgeldbemessung bei Migränevorbelastung auf unterbliebener Nachbehandlung.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden nach einer chirotherapeutischen Behandlung durch den Beklagten.

2

Am 30.11.1995 begab sich die Klägerin wegen des Verdachts auf eine tiefe Bein- oder Beckenvenenthrombose in die Praxis des Beklagten. Nachdem dieser durch dopplersonographische Untersuchung einen Gefäßverschluss ausgeschlossen hatte, nahm er eine Behandlung der von ihm diagnostizierten Funktionsstörung im Becken-, Lendenwirbel- und Halswirbelbereich unter Einbeziehung der Finger- und Zehengelenke vor. Anlass, Indikation, Umfang und die behandlungsgerechte Durchführung der Mobilisation sowie der Wirksamkeit der dafür erforderlichen Einwilligung der Klägerin sind zwischen den Parteien im einzelnen streitig.

3

Die Klägerin hat dazu behauptet, der Beklagte habe ohne vorherige Ankündigung ganz plötzlich das Halswirbelgelenk C IV beidseitig mobilisiert. Seit diesem medizinisch nicht gebotenen und fehlerhaften Vorgehen leide sie an erheblichen Beschwerden - u.a. Spannungskopfschmerzen, Hör- und Sehstörungen, Schwindel, Muskelschmerzen und Lähmungserscheinungen im Bereich von Nacken, Arm und Oberkiefer -, wodurch ihre Lebensgestaltung und Haushaltsführung schwerwiegend beeinträchtigt sei.

4

Das Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und im Parteieinverständnis erfolgter Auswertung der mit dem Behandlungsgeschehen im Zusammenhang stehenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte der Klägerin ein Schmerzensgeld von 1.000,-- DM zuerkannt. Die lediglich als behandlungsfehlerhaft festzustellende beidseitige Mobilisation der Halswirbelgelenke habe angesichts der bestehenden Vorerkrankung einer "Migraine Cervicale" für die Beschwerden der Klägerin nur einen ganz untergeordneten Verursachungsbeitrag geliefert und die Klägerin habe zumutbare Behandlungsmaßnahmen zur Beseitigung der Beschwerden unterlassen.

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Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren insgesamt weiter.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

7

Es ist bereits fraglich, ob mit dem Landgericht davon ausgegangen werden kann, der damit belasteten Klägerin sei der Beweis eines Behandlungsfehlers bei der Chirotherapie der Halswirbelgelenke gelungen; die übrigen Kritikpunkte des Sachverständigen (siehe Seite 19 und 20 1 bis 6 des Gutachtens GA 96/97) lassen sich ohnehin nicht auf eine fehlerhafte Behandlung im Sinne der Unterschreitung des geschuldeten guten fachärztlichen Behandlungsstandards beziehen.

8

Der Sachverständige hält - unabhängig davon, dass ein Zusammenhang zwischen Funktionsstörungen des 4. Halswirbels und wiederholt aufgetretener Kopfschmerzen in der Fachliteratur nicht bekannt sei - die beidseitige Mobilisierung an der Halswirbelsäule in einer Sitzung für fehlerhaft ("Manipulationen an einem Wirbel in gleicher Technik in beide Richtungen in einer Sitzung sind falsch"). Er hat dazu ausgeführt, dass nach den Einlassungen des Beklagten zu diesem Thema davon ausgegangen werden müsse, dass dieser so vorgegangen ist.

9

Demgegenüber hat der Beklagte betont, dass er - auch wenn seine Dokumentation insoweit leider nicht eindeutig sei - nur einseitig therapiert habe, weil der Probezug auf der anderen Seite eine zu starke Verspannung ergeben hätte. Diese Darstellung findet ihre Entsprechung in der Aussage des Ehemannes der Klägerin in dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, wonach der Beklagte bei dem Versuch, die andere Seite einzurenken, feststellte, dass die Klägerin zu verspannt war. Ist die Mobilisation auf der zweiten Seite letztlich an der Verspannung gescheitert - womit sich das Landgericht nicht auseinandersetzt -, entfällt auch der darauf bezogene Behandlungsvorwurf und damit eine behandlungsbedingte Schadensersatzpflicht insgesamt.

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Denn die Klägerin hat - was sich zur vollen richterlichen Überzeugung des Senats gemäß § 286 ZPO den Zeugenaussagen der Arzthelferinnen in den Ermittlungsverfahren entnehmen lässt - nach ausreichender Aufklärung in die Chirotherapie wirksam eingewilligt. Selbst der Ehemann der Klägerin ist in seinen Aussagen dem nicht deutlich entgegengetreten, wenn er angibt, dass über die Behandlung "eigentlich" nicht gesprochen wurde, der Beklagte "wohl mehr zu sich selbst gesagt habe, dass er da auch mal nachsehen wolle", und bei der Behandlung im Lendenwirbelbereich "es ... eine stillschweigende Zustimmung gab". Das kann die Glaubhaftigkeit der in sich stimmigen und in wesentlichen Punkten auch übereinstimmenden Aussagen der Arzthelferinnen, soweit die Erinnerung noch reichte, nicht in Frage ziehen.

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Jedenfalls ist die Bewertung des Ursachenbeitrages der vom Landgericht angenommenen fehlerhaften Mobilisierung auf der einen Halswirbelseite bzw. des Halswirbels überhaupt und der darauf beruhende Umfang des zuerkannten Immaterialausgleichs nicht zu beanstanden.

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Die Vorerkrankung "Migraine Cervicale" i.V.m. den Funktionsstörungen der Halswirbelsäule bestimmen das Beschwerdebild der Klägerin. Der Beklagte hat mit seiner ihm zur Last gelegten Behandlungsmaßnahme allenfalls einen aktuellen kurzzeitigen Anfall ausgelöst und nur für den kann er auch verantwortlich gemacht werden und nicht etwa für auf die Grunderkrankung zurückzuführende Langzeitbeschwerden.

13

Angesichts der unterbliebenen vor allem physiotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen, die ihr zweifellos zuzumuten waren und sind, hält sich das zuerkannte Schmerzensgeld in angemessenem Rahmen.

14

Die Berufung geht fehl, wenn sie annimmt, therapeutische Maßnahmen seien nur zu verlangen, wenn der Behandlungserfolg feststünde; nur dann könne ihr Unterbleiben ein Mitverschulden begründen. Sind Beschwerden in zumutbarer Weise grundsätzlich therapierbar, was hier dem Sachverständigen zufolge der Fall ist, so muss der diese Maßnahmen ablehnende Patient seinerseits den Nachweis führen, dass sein Zustand dadurch nicht gebessert worden wäre.

15

Weitergehende Schädigungen bzw. Beschwerden, die auf die Behandlung des Beklagten zurückgeführt werden könnten, hat der Sachverständige auch infolge der Verweigerung der medizinisch unbedenklichen aktuellen Röntgenkontrolle nicht feststellen können, sodass solche Folgen dem Beklagten auch nicht angelastet werden können.

16

Beschränkt sich die Ersatzpflicht des Beklagten mithin auf den von der Klägerin angegebenen Anfall - wobei offenbleiben kann, inwieweit sie bei dem Beklagten über vorangegangene rezidivierende Kopfschmerzen geklagt hat -, so scheiden - wie das Landgericht zutreffend begründet hat - ein Ersatz für Haushaltsführungsbeeinträchtigungen und der Feststellungsanspruch aus.