Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 20.09.2006, Az.: 9 U 16/06

Rechtsschutzbedürfnis bei einem Klageantrag auf Verzichtserklärung gegenüber dem Kläger auf die Rechte gegenüber einem Lebensversicherungsunternehmen aus der Verpfändung von Lebensversicherungen; Verletzung der Pflicht eines GmbH-Geschäftsführers zur rechtzeitigen Stellung eines Insolvenzantrages als fristloser Kündigungsgrund; Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Geschäftsführers einer Gesellschaft bei von ihm zu verantwortender Insolvenzverschleppung; Wegfall der Versorgungsansprüche eines GmbH-Geschäftsführers wegen eines eine fristlose Kündigung rechtfertigenden Verhaltens

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.09.2006
Aktenzeichen
9 U 16/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 35616
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2006:0920.9U16.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - 10.01.2006 - AZ: 10 O 84/05
nachfolgend
BGH - 15.10.2007 - AZ: II ZR 236/06

Fundstelle

  • OLGReport Gerichtsort 2008, 245-247

In dem Rechtsstreit
...
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. S. sowie
die Richter am Oberlandesgericht S. und D.
auf die mündliche Verhandlung vom 30. August 2006
fürRecht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 10. Januar 2006 verkündete Urteil des Einzelrichters der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hildesheim geändert.

Der Beklagte wird verurteilt, zu erklären, dass er gegenüber der L. Lebensversicherung ... ,K. ... , M., bezüglich der Lebensversicherung (Rückdeckungsversicherung) Nrn. ... und ... auf seine Rechte aus der Verpfändung aus diesen Versicherungen gegenüber dem Kläger verzichtet.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

1

I.

Es wird zunächst auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils verwiesen, § 540 ZPO.

2

Mit seiner Berufung begehrt der Kläger nunmehr,

den Beklagten zu verurteilen, zu erklären, dass er gegenüber der L. Lebensversicherung ... , K. ... , M., bezüglich der Lebensversicherung (Rückdeckungsversicherung) Nrn. ... und ... auf seine Rechte aus der Verpfändung aus diesen Versicherungen gegenüber dem Kläger verzichtet.
3

Seinen auf Feststellung gerichteten Antrag hält er nur noch hilfsweise aufrecht.

4

Der Kläger meint, dass das Landgericht die Erlöschensklausel in der Versorgungszusage vom 20. Dezember 1989 unzutreffend ausgelegt habe. Entgegen der Ansicht des Landgerichts müssten die dortigen Voraussetzungen nicht kumulativ vorliegen. So reiche es für das Erlöschen der Zusage aus, wenn der Berechtigte (hier der Beklagte) ein Verhalten zeige, welches eine fristlose Entlassung rechtfertige. Nach dem Wortlaut der Versorgungszusage trete die Erlöschensfolge unabhängig davon ein, ob die Gesellschaft eine entsprechende Erklärung gegenüber dem Beklagten abgebe oder nicht. Ein die fristlose Entlassung des Beklagten rechtfertigendes Verhalten sei darin zu sehen, dass dieser erst im April 2004 einen Insolvenzantrag gestellt habe, obwohl die Gesellschaft seit Anfang 2003 stark überschuldet gewesen sei. Letztlich sei durch die verspätete Insolvenzbeantragung auch die Gesellschaft geschädigt worden, sodass auch die zweite Alternative der Erlöschensklausel (Handlungen, die Interessen der Firma in grober Weise beeinträchtigen oder schädigen können) erfüllt sei.

5

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung als richtig. Er meint, dass der Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Der Kläger sei darauf zu verweisen, die Ansprüche des Beklagten aus der Versorgungszusage im Insolvenzverfahren abzuwehren. Er habe seine Ansprüche zur Insolvenztabelle angemeldet; der Kläger habe sie bestritten.

6

Er meint ferner, dass Ansprüche aus Versorgungszusagen nur unter ganz engen Voraussetzungen entzogen werden könnten, an denen es vorliegend aber fehle. Ein wichtiger Grund zur Kündigung liege in seiner Person nicht vor, zudem könne zum Erlöschen der Versorgungszusage nicht jeder wichtige Kündigungsgrund herangezogen werden. Vielmehr sei hier sein Versorgungsinteresse in besonderem Maße bei der Abwägung zu berücksichtigen.

7

Der Beklagte hat schließlich der in der Antragsumstellung liegenden Klagänderung des Klägers widersprochen.

8

II.

Die Berufung des Klägers ist begründet. Da der Anspruch aus der Versorgungszusage vom 20. Dezember 1989 erloschen ist, stehen dem Beklagten keine Versorgungsleistungen zu. Er ist daher verpflichtet, auf seine Rechte aus der Verpfändung zu verzichten.

9

Im Einzelnen gilt das Folgende:

10

1.

Bedenken gegen die Zulässigkeit des Begehrens des Klägers in der zuletzt von ihm geltend gemachten Form bestehen nicht. Ob in der Antragsumstellung eine Klagänderung zu sehen ist - wozu der Senat allerdings neigt - kann letztlich offen bleiben, denn eine solche Klagänderung wäre jedenfalls - auch in der zweiten Instanz - als sachdienlich zuzulassen. Denn der Rechtsstreit ist auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes auch mit dem geänderten Antrag zur Entscheidung reif.

11

Für den Senat ist nicht ersichtlich, auf welchem anderen Weg der Kläger den Beklagten zum Verzicht auf seine Rechte aus der Verpfändung veranlassen könnte. Zwar wirkt - worauf der Beklagte zu Recht hinweist - das Urteil unmittelbar nur zwischen den Parteien, doch ist nach Überzeugung des Senats mit Sicherheit davon auszugehen, dass die auf das Urteil vom Beklagten abzugebende Verzichtserklärung von der Versicherung beachtet wird.

12

Dem Kläger steht für sein Begehren auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Er ist insbesondere nicht darauf zu verweisen, etwaige Ansprüche des Beklagten aus der Versorgungszusage im Insolvenzverfahren abzuwehren und dort die auch hier streitentscheidende Frage klären zu lassen, ob die Versorgungszusage erloschen ist. Aus § 87 InsO ist ein Vorrang für Ansprüche der Gemeinschuldnerin jedenfalls nicht abzuleiten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die insoweit maßgebliche Streitfrage zwischen den Parteien im hiesigen Prozess zur Entscheidung reif ist, mithin allein die Verfahrensökonomie die Bejahung des Rechtsschutzbedürfnisses rechtfertigt und es jedenfalls jetzt nicht mehr vertretbar wäre, den Kläger zur Klärung der nämlichen Frage auf einen neu beim Landgericht zu beginnenden weiteren Prozess zu verweisen.

13

2.

Die Klage ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sind die Voraussetzungen für ein Erlöschen der Versorgungszusage vom 20. Dezember 1989 erfüllt, sodass der Beklagte seine Ansprüche auf Versorgungsleistungen verloren hat.

14

a)

Der Senat vermag die Ansicht des Landgerichts, die maßgebliche Klausel sei so zu verstehen, dass sie nur bei Verstößen gegen Interessen der Gesellschaft, bei Schädigung der aktiven Gesellschaft oder bei Vorwürfen "im Rahmen der laufenden Gesellschaft" Anwendung finden soll, nicht zu teilen. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Klausel soll der Anspruch auf Versorgungsleistungen erlöschen, wenn der Berechtigte (mithin hier der Beklagte) durch sein Verhalten in grober Weise gegen Treu und Glauben verstoßen hat, wobei als derartiger Verstoß ein Verhalten gilt, das eine fristlose Entlassung rechtfertigt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob hierdurch die Interessen der Gesellschaft beeinträchtigt oder geschädigt werden (was allerdings regelmäßig der Fall sein dürfte). Andernfalls würde die Verwendung des Wortpaares "sowohl ... als auch" keinen Sinn ergeben.

15

b)

Ein Verhalten des Beklagten, das eine fristlose Entlassung gerechtfertigt hat, ist in der Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Stellung eines Insolvenzantrages zu sehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH ZIP 2005, 1365 ff.), der der Senat folgt, ist die Insolvenzverschleppung seitens eines Geschäftsführers geeignet, als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB die fristlose Entlassung eines Geschäftsführers zu rechtfertigen. Zwar genügt grundsätzlich für eine solche Entlassung die Verletzung von Organpflichten (hier § 64 Abs. 1 GmbHG) für sich allein nicht; maßgebend ist vielmehr, ob der Gesellschaft die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses wegen der Pflichtverletzung nicht mehr zugemutet werden konnte (BGH a.a.O.). Handelt es sich um eine Insolvenzverschleppung, so steht bei der erforderlichen Zumutbarkeits- und Interessenabwägung auf Seiten der insolvenzreifen Gesellschaft indessen ihr normatives Eigeninteresse im Vordergrund, ihre noch vorhandene Vermögensmasse im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten. Das zeigt z.B. § 64 Abs. 2 GmbHG, welcher der Gesellschaft einen Ersatzanspruch gegen ihre Geschäftsführer im Fall einer Masseverkürzung zugunsten einzelner Gläubiger zuweist. Aus dieser Sicht ist es der Gesellschaft im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB nicht zuzumuten, einen ihre Insolvenz schuldhaft verschleppenden Geschäftsführer weiter zu beschäftigen (BGH a.a.O.).

16

c)

Der Beklagte hat in vorwerfbarer Weise gegen die Pflicht zur Insolvenzantragstellung verstoßen, wobei der Vorwurf der Fahrlässigkeit insoweit ausreicht. Ob sein Vortrag zur vorläufigen Bilanzerstellung durch den Steuerberater und zur Gesellschafterversammlung vom 16. Januar 2003 zutrifft, mag dahinstehen. Denn jedenfalls mit der Feststellung des Jahresabschlusses per 31. Dezember 2002 zum 26. Juni 2003 musste der Beklagte, der zu einer Fortführungsprognose ebenso wenig vorgetragen hat wie zu - hier ohnehin nicht vorhandenen - stillen Reserven, um die Krise der Gesellschaft wissen. Es war ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag von nahezu 360.000 EUR ausgewiesen, der sich bis Ende 2003 weiter vergrößerte. Stellt man zugunsten des Beklagten seiner Behauptung nach mit einem Rangrücktritt versehene Gesellschafterdarlehen in Höhe von 221.598,40 EUR und seine stille Einlage in Höhe von 51.129,18 EUR in die Berechnung ein, verbleibt bereits zum Jahresende 2002 ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag von annähernd 90.000 EUR. Da der Beklagte spätestens am 26. Juni 2003 von der Krise der Gesellschaft Kenntnis erlangt hatte, durfte er mit der Stellung des Insolvenzantrages nicht bis zum April 2004 zuwarten.

17

3.

Dieses die fristlose Kündigung rechtfertigende Verhalten des Beklagten führt gemäß der Erlöschensklausel der Versorgungszusage ohne weiteres zum Wegfall der Versorgungsansprüche. Der Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, es müsse nicht nur ein wichtiger Grund vorliegen, der die fristlose Kündigung tragen könne, sondern dieser Grund müsse besonders schwer wiegen, um den Fortfall der Versorgungsansprüche zu rechtfertigen. Ein solches Verständnis lässt sich weder dem Wortlaut noch dem Sinn der Erlöschensklausel entnehmen. Gewollt war ein Gleichlauf zwischen Beschäftigungsverhältnis und Versorgung. Die Versorgungsansprüche sollten dann entfallen, wenn der Beklagte sich gegenüber der Gesellschaft in einer Weise verhielt, die der Gesellschaft seine Weiterbeschäftigung unzumutbar machte, mithin die fristlose Kündigung rechtfertigte. Hierdurch wird der Beklagte auch nicht unangemessen benachteiligt, wobei zu berücksichtigen ist, dass er die Versorgungszusage vom 20. Dezember 1989 mit sich selbst im Wege des Insichgeschäfts vereinbart und damit die hier maßgebliche Klausel selbst in die Zusage aufgenommen hatte.

18

4.

Schließlich kann offen bleiben, ob - was der Wortlaut der Erlöschensklausel nahe legt - die Versorgungsansprüche bei Vorliegen eines die fristlose Kündigung rechtfertigenden Grundes von selbst entfallen oder ob es einer nach außen erkennbaren, auf diese Rechtsfolge gerichteten Willensäußerung der Gesellschaft bedarf, wofür der Gedanke der Rechtssicherheit sprechen könnte. Denn vorliegend hat der Kläger dem Beklagten mit Schreiben vom 25. November 2004 den "Widerruf" der Versorgungszusage mitgeteilt. Diese Willensäußerung des Klägers war nicht etwa deshalb verspätet, weil die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten war. Diese Frist gilt im zur Entscheidung stehenden Fall weder direkt noch entsprechend. Als der Kläger von der Insolvenzverschleppung des Beklagten - also von dem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB - Kenntnis erlangt hatte (was Anfang Juli 2004 der Fall gewesen sein dürfte, wie sich aus dem Bericht zur Gläubigerversammlung ergibt), war eine fristlose Kündigung des Geschäftsführerdienstvertrages nicht mehr möglich. Der Kläger hatte sich - nachdem er zunächst am 17. Mai 2004 das Dienstverhältnis ordentlich gekündigt hatte - mit dem Beklagten am 9. Juni 2004 auf eine sofortige Aufhebung des Anstellungsvertrages geeinigt.

19

Der Beklagte seinerseits durfte nicht darauf vertrauen, dass er die Ansprüche aus der Versorgungszusage behalten durfte. Denn bei Abschluss der Aufhebungsvereinbarung wusste er - anders als der Kläger - um das Vorliegen eines die Kündigung rechtfertigenden wichtigen Grundes. Er musste daher damit rechnen, dass der Kläger - sobald er seinerseits hiervon Kenntnis erlangen würde - gegebenenfalls Konsequenzen in Bezug auf die Versorgungszusage ziehen und ihr Erlöschen geltend machen würde. Anhaltspunkte dafür, dass ein "Widerruf" der Zusage im November 2004 - wenn denn eine derartige Äußerung überhaupt zu verlangen wäre - etwa verwirkt gewesen wäre, vermag der Senat nicht zu erkennen.

20

5.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

21

Die Zulassung der Revision rechtfertigt sich aus § 543 Abs. 2 ZPO. Der Senat hält die Frage für klärungsbedürftig, ob die Verletzung der Organpflicht des § 64 Abs. 1 GmbHG auch dann als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB anzusehen ist, wenn hierdurch zugleich die Versorgungsansprüche des Geschäftsführers entfallen, oder ob bei der erforderlichen Zumutbarkeits- und Interessenabwägung in einem solchen Fall auf Seiten der insolvenzreifen Gesellschaft das Interesse, die noch vorhandene Vermögensmasse zugunsten der Gläubiger zu erhalten - ein also eher fremdnütziges Interesse -, hinter dem Interesse des Geschäftsführers am Erhalt seiner Versorgungsansprüche zurücktritt.