Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 01.09.2006, Az.: 19 WF 285/06
Entzug des Aufenthaltbestimmungsrechts und weiterer Teilbereiche des Sorgerechts im Wege der einstweiligen Anordnung; Gefährdung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls der Kinder durch die Erziehungsmethoden der Antragsgegner als Grund für eine Inobhutnahme durch das Jugendamt; Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme zur Abwendung der für das Kindeswohl bestehenden Gefahr; Zeitliche Beschränkung der Entziehung (eines Teilbereichs) der elterlichen Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 01.09.2006
- Aktenzeichen
- 19 WF 285/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 28956
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2006:0901.19WF285.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Osterholz-Scharmbeck - 26.07.2006
Rechtsgrundlagen
- § 1666 BGB
- § 1696 Abs. 3 BGB
Fundstellen
- OLGReport Gerichtsort 2007, 481
- ZFE 2007, 78-79 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Elterliche Sorge für die Kinder
In der Familiensache
hat der 19. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxx sowie
die Richter am Oberlandesgericht xxx und xxx
am 1. September 2006
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die sofortige Beschwerde der beiden Antragsgegner gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Osterholz-Scharmbeck vom 26. Juli 2006 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die angeordnete teilweise Entziehung des Sorgerechts zunächst bis zum 28. Februar 2007 befristet wird.
- 2.
Den Antragsgegnern wird die nachgesuchte Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gerichtsgebührenfrei versagt, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
- 3.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 800 EUR festgesetzt.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Antragsgegnern durch den angefochtenen Beschluss, der nach mündlicher Verhandlung den zuvor ergangenen Beschluss vom 14. Juli 2007 aufrechterhalten hat, das Aufenthaltbestimmungsrecht und weitere Teilbereiche des Sorgerechts im Wege der einstweiligen Anordnung entzogen.
Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsgegner ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Das Amtsgericht hat alle Beteiligten ausführlich und gründlich angehört. Aufgrund dieser Anhörung ist es zu der Überzeugung gelangt, dass das körperliche, geistige und seelische Wohl der Kinder durch die Erziehungsmethoden der Antragsgegner ganz erheblich gefährdet ist, und der Gefährdung nicht anders zu begegnen ist als durch Entfernung der Kinder aus dem Haushalt der Antragsgegner und Inobhutnahme durch das Jugendamt.
Die Ausführungen im angefochtenen Beschluss sind in keiner Weise zu beanstanden; insbesondere sieht der Senat nach Aktenlage keinerlei Anlass, an der Darstellung der betroffenen Kinder zu zweifeln, zumal sie ihre prägnanten und detaillierten Schilderungen gegenüber mehreren sachkundigen Personen - Jugendamt, Gericht, Verfahrenspflegerin - gleichlautend und überzeugend abgegeben haben; darüber hinaus haben die Antragsgegner die Vorwürfe auch im Kern eingeräumt ("Wir geben unsere Fehler zu", Bl. 42). Auch besteht kein Zweifel, dass zur Abwendung der für das Kindeswohl bestehenden Gefahr angesichts der geschilderten Bedrohungen, die vor dem Hintergrund der allgemein bekannten abweichenden Vorstellungen des hier betroffenen Kulturkreises besonders glaubhaft erscheinen, keine weniger einschneidende Maßnahme zur Verfügung steht.
Von einer erneuten Anhörung hat der Senat abgesehen, weil davon - jedenfalls im Verfahren der einstweiligen Anordnung - keine neuen Gesichtspunkte zu erwarten sind und auch nicht geltend gemacht werden; eine eventuell erforderliche Untersuchung der Glaubwürdigkeit müsste im Hauptverfahren von einem Sachverständigen durchgeführt werden.
Eben wegen dieser möglicherweise erforderlichen weiteren Beweiserhebung war der angefochtene Beschluss jedoch ausdrücklich zu befristen. Die Entziehung (eines Teilbereichs) der elterlichen Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung ist zwar grundsätzlich nicht zeitlich zu beschränken (vgl. Palandt- Diederichsen, BGB, § 1666 RN 51; OLG Karlsruhe FamRZ 2005, 1272 [OLG Karlsruhe 04.10.2004 - 16 UF 81/04]), und zwar deshalb nicht, weil das Gericht auf § 1666 BGB gestützte länger dauernde Maßnahmen ohnehin gem. § 1696 Abs. 3 BGB in angemessenen Zeitabständen zu überprüfen hat. Eben diese Vorschrift wird das Amtsgericht zwar vor Augen gehabt haben, als es von einer Befristung abgesehen hat. Die Ausführungen im letzten Absatz der angefochtenen Entscheidung lassen allerdings völlig offen, auf welche Weise das Amtsgericht das Hauptverfahren künftig gestalten will; insbesondere bleibt offen, wann eine abschließende Entscheidung zu erwarten ist und ob bzw. welche weiteren Ermittlungsmaßnahmen (§ 12 FGG) das Amtsgericht in Erwägung zieht. Unter solchen Umständen wären die Eltern beschwert, wenn sie befürchten müssten, ihnen würden aufgrund einer vorläufigen Regelung in einem quasi kafkaesken Prozess Teile des Sorgerechts ohne vollständige Ausschöpfung der Erkenntnisquellen entzogen, ohne dass ihnen zugleich eine zeitliche Perspektive für eine abschließende Entscheidung unter Einbeziehung aller entscheidungserheblichen Erkenntnisquellen aufgezeigt würde.
Der Senat hat deshalb die angefochtene Entscheidung ausdrücklich zeitlich beschränkt, ohne dass darin ein Erfolg der Beschwerde zu sehen wäre; innerhalb der Geltungsfrist wird das Amtsgericht zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache zu kommen haben, soweit nicht aufgrund derzeit unabsehbarer Umstände eine Verlängerung der einstweiligen Regelung geboten ist. In diesem Zusammenhang wird auch das Amtsgericht zu prüfen haben, ob die Einholung sachverständigen Rates geboten ist. Wenngleich sich eine solche Entscheidung nach Aktenlage nicht aufdrängt, ist doch die Denkmöglichkeit nicht zu leugnen, dass die übereinstimmenden Angaben der Kinder nicht oder in wesentlichen Punkten nicht den Tatsachen entsprechen könnten. Im Rahmen dieser Abwägung wird das Amtsgericht zu prüfen haben, ob und in welchem Umfang die den Vorwürfen der Kinder entgegenstehenden Angaben der Antragsgegner substantiiert sind oder im Einzelnen auch belegt werden können; durch ihr Vorbringen, nach der Inobhutnahme der Kinder leide die Organisation des Haushalts in erheblichem Maße, bestätigen die Antragsgegner im übrigen genau einen der ihnen zur Last gelegten Vorwürfe, wonach nämlich in erster Linie der ältesten Tochter die Führung des Haushaltes und die Beaufsichtigung und Anleitung der jüngeren Geschwister auferlegt war.
Soweit die Beschwerdeführer im übrigen gegenüber dem angefochtenen Beschluss persönliche und gesundheitliche Beschwerden ins Feld führen, hat das Amtsgericht diese zutreffend nicht berücksichtigt; nach §§ 1666, 1666a BGB steht im Vordergrund das Kindeswohl, dem sich die Interessen der Eltern unterordnen müssen, etwa durch Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung.
Prozesskostenhilfe war deshalb zu versagen, weil die Beschwerde keinen Erfolg verspricht.
Streitwertbeschluss:
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 800 EUR festgesetzt.