Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 07.09.2006, Az.: 6 U 66/06

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
07.09.2006
Aktenzeichen
6 U 66/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 42134
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2006:0907.6U66.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - AZ: 4 O 475/05

Fundstellen

  • BB 2007, 560 (amtl. Leitsatz)
  • NZI 2007, 36
  • NZI 2006, IX Heft 12 (amtl. Leitsatz)
  • OLGReport Gerichtsort 2007, 497-499
  • WM 2006, 2278-2280 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZInsO 2006, 1269-1270 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 15. August 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht ####### als Vorsitzenden, die Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Amtsgericht ####### für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 2. März 2006 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim abgeändert und die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Der Streitwert wird festgesetzt auf 6. 056 €.

Gründe

1

Die zulässige Berufung ist begründet. Es kann nicht festgestellt werden, dass die zu Nr. 32 der Insolvenztabelle (50 IN 349/04 AG Hildesheim, Bl. 129 d. A.) festgestellte Forderung der Klägerin gegen den Beklagten wegen Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung für die Monate September und Oktober 2004 in Höhe von 6.056,74 € eine Verbindlichkeit aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung darstellt.

2

I.

1. Soweit der Beklagte die sachliche Unzuständigkeit des Landgerichts rügt, ist er mit seinem Einwand im Berufungsrechtszug ausgeschlossen (§ 513 Abs. 2 ZPO).

3

2. Anders als von dem Beklagten angenommen, hat die Klägerin auch ein Feststellungsinteresse (vgl. OLG Celle, ZInsO 2003, 280).

4

3. Allerdings hat die Klägerin keine vorsätzliche unerlaubte Handlung des Beklagten darlegen und beweisen können.

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a) Soweit es die restlichen Arbeitnehmerbeiträge für den Monat September 2004 betrifft, gilt Folgendes: Grundsätzlich gehört es zwar zu den Aufgaben eines Kaufmanns, der als natürliche Person Unternehmensträger ist, dafür Sorge zu tragen, dass sich sein Unternehmen nach außen rechtmäßig verhält und insbesondere die ihm auferlegten öffentlich rechtlichen Pflichten erfüllt. Zu diesen öffentlich rechtlichen Pflichten gehören vor allem die Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden steuerlichen Pflichten und die Abführung der Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge. Kommt der Unternehmensträger diesen Pflichten nicht nach, so ist er grundsätzlich, was die Sozialversicherungsbeiträge angeht, selbst dafür gem. § 266 a, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafrechtlich und auch haftungsrechtlich verantwortlich (BGH NJW 1997, 130, 131 = BGHZ 133, 370 ff).

6

Allerdings können interne Zuständigkeitsregelungen in der Geschäftsleitung, auch in einem mittelständischen Unternehmen, zu einer Beschränkung der straf und haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Das beruht auf dem Gedanken, dass der Kaufmann als Unternehmensträger den ihm zukommenden Handlungspflichten für sein Unternehmen als Ganzes auf unterschiedliche Weise nachkommen kann. Durch eine Aufteilung der Geschäftstätigkeit wird seine Verantwortlichkeit beschränkt, denn im allgemeinen kann er sich darauf verlassen, dass die zuständigen Mitarbeiter die ihnen zugewiesenen Aufgaben erledigen. Doch verbleiben dem Unternehmensleiter in jedem Fall kraft seiner Allzuständigkeit gewisse Überwachungspflichten, die ihn zum Eingreifen veranlassen müssen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der dem Unternehmen obliegenden Aufgaben durch den zuständigen Mitarbeiter nicht mehr gewährleistet ist (BGH NJW 97, 130, 132). Eine solche Überwachungspflicht kommt vor allem in finanziellen Krisensituationen zum Tragen, in denen die laufende Erfüllung der Verbindlichkeiten nicht mehr gewährleistet erscheint. Vor allem bei der Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung müssen die Anforderungen an die Pflicht zum Eingreifen des Unternehmensleiters besonders streng sein, da es sich bei den Beitragsanteilen um Gelder handelt, die nicht der freien Verfügung des Arbeitgebers, sondern seiner Pflicht zur pünktlichen Abführung unterliegen (BGH a. a. O.).

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Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann keine Pflichtverletzung des Beklagten festgestellt werden, da eine derartige krisenhafte Situation, in der sich der Beklagte nicht mehr auf eine pünktliche Abführung der Sozialversicherungsbeiträge durch seine Ehefrau an die Klägerin verlassen konnte, im vorliegenden Fall nicht gegeben war. Denn mit Schriftsatz vom 7. Februar 2006 hat der Beklagte vorgetragen, aufgrund der gewährten Kreditlinie sei sein Betrieb bis zum 5. November 2004 nicht zahlungsunfähig gewesen, sondern am 11. Oktober 2004, 26. Oktober 2004 und 8. November 2004 seien jeweils 2. 000 € an die Klägerin gezahlt worden. Wie mit den Firmenbetreuern H. und G. der Klägerin besprochen, habe seine Ehefrau "aufgrund der wirtschaftlichen Liquiditätssituation" die Beiträge nicht monatlich, sondern wöchentlich in Teilbeträgen gezahlt, wobei Zahlung und Abwicklung in der Weise erfolgt sei, dass zunächst Abschlagsbeträge auf den festen Lohnanteil und anschließend nach Berechnung der Zusatzstunden durch den Beklagten und der Sozialversicherungsanmeldungen durch den Steuerberater die Zahlung auf den variablen Lohnanteil bis etwa zum 20. des Folgemonats durch seine Ehefrau gezahlt worden seien. Schwierigkeiten bei der Abwicklung oder Zahlung seien ihm nicht bekannt geworden. Der Beklagte konnte sich also darauf verlassen, dass seine Ehefrau im Rahmen der gewährten Kreditlinie so verfährt, wie mit den Firmenbetreuern vereinbart, so dass die Zahlung vom 8. November 2004 und die Erklärung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2006, es seien "Abschlagszahlungen auf die Löhne bezahlt worden, allerdings nur vor der Kontosperrung" am 5. November 2004 (Bl. 51 d. A.), unerheblich ist.

8

Es ist also unstreitig, dass der Beklagte weder die Personalbuchhaltung noch die Einbehaltung und Abführung der Sozialversicherungsbeiträge persönlich vorgenommen, sondern seine Ehefrau als angestellte Mitarbeiterin in dem Unternehmen mit diesen Arbeiten betraut hat. Die Ehefrau des Beklagten führte die angemeldeten Sozialversicherungsbeiträge jeweils in wöchentlichen Teilbeträgen von zumeist rund 2. 000 € an die Klägerin und an andere Krankenkassen ab. Die Arbeitnehmer des Beklagten, zumeist Lkw Fahrer, erhielten variable Löhne, die monatlich neu ausgerechnet und dem Steuerberater des Beklagten mitgeteilt wurden. Von dem Steuerberater wurden Kopien der Sozialversicherungsanmeldungen an die Ehefrau des Beklagten zurück gesandt, die monatlich die Zahlungen des restlichen variablen Lohnanteils an die Arbeitnehmer auszahlte und entsprechend Sozialversicherungsbeiträge entrichtete. Arbeitnehmeranteile sind an die Klägerin ohne Rückstände bis August 2004 abgeführt worden. Rückständige Forderungen sind von der Klägerin zur Insolvenztabelle angemeldet worden überhaupt erst für die hier geltend gemachten Restbeiträge aus dem Monat September 2004. Der Beklagte arbeitete bis dahin mit laufendem Bankkredit. Mahnungen oder Beanstandungen waren ihm von der Klägerin bis dahin nicht mitgeteilt worden.

9

Er hatte also keine Veranlassung, an der Erfüllung der gegenüber der Klägerin bestehenden Forderung seines Unternehmens durch seine Ehefrau zu zweifeln. Wegen des Umstandes, dass sich das Unternehmen des Beklagten seit längerer Zeit am Rande der Zahlungsunfähigkeit bewegte, war die Absprache mit den Firmenbetreuern erfolgt. Der Umstand, dass die Forderungen der Klägerin trotz dieser "allgemeinen" Krisensituation bis zum Vormonat August 2004 ohne Beanstandungen gezahlt worden sind, und dass sich die mit der Zahlung an die Klägerin beauftragte Ehefrau des Beklagten noch am 8. November 2004 bereit und willens zeigte, die letzten Barreserven des Unternehmens an die Klägerin auszukehren, dokumentiert vielmehr, dass die vom Beklagten gewählte Organisation zur Abführung von Arbeitnehmeranteilen der besonderen Bedeutung dieser Verpflichtung durchaus gerecht geworden ist.

10

b) Soweit es die nicht abgeführten Arbeitnehmeranteile für den Monat Oktober 2004 betrifft, die am 15. November 2004 fällig geworden sind, war dem Beklagten die Zahlung tatsächlich unmöglich. Denn mit Schreiben vom 5. November 2004 forderte ein Gläubiger des Beklagten die KSK H. als Drittschuldnerin wegen bevorstehender Pfändung gem. § 845 ZPO auf, nicht mehr an den Beklagten zu leisten, worauf der Beklagte keine Zahlungen an Dritte über sein Geschäftskonto mehr bewirken konnte und am 22. November 2004 Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit stellte. Mit dem gegenüber der KSK H. ausgesprochenen vorläufigen Zahlungsverbot war ihm die Möglichkeit genommen, bei Fälligkeit der Oktober Rate die Arbeitnehmerbeiträge abzuführen.

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c) Der Beklagte hat auch nicht deshalb eine vorsätzliche unerlaubte Handlung begangen, weil er die Zahlungsunfähigkeit zum Fälligkeitszeitpunkt am 15. November 2004 herbeigeführt hat. Zwar kann einem Arbeitgeber die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit zum Fälligkeitszeitpunkt als pflichtwidriges Verhalten zur Last gelegt werden, wenn er es aufgrund der konkreten finanziellen Situation in erkennbar angespannter Wirtschaftslage versäumt hat, durch Aufstellung eines Liquiditätsplanes und unter Zurückstellung anderweitiger Zahlungspflichten ausreichende Rücklagen zu bilden (vgl. BGH NJW 1997, 1237, 1238 = BGHZ 134, 304ff). Doch sind keine Tatsachen vorgetragen oder ersichtlich, aus denen sich ein Fehlverhalten des Beklagten in diesem Sinn ergibt, er insbesondere mit der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit schon vor dem 5. November 2004 rechnen musste und nicht mehr auf die gewährte Kreditlinie vertrauen durfte.

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Im Übrigen ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Beklagte im Verhältnis zur Klägerin bis Mitte November 2004 keine Veranlassung hatte, die Gefährdung der Beitragsabführung überhaupt zu erkennen. Es war ihm trotz der erheblichen Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt und der Sparkasse bis dahin immer bemerkenswert zuverlässig gelungen, die Ansprüche der Klägerin zu bedienen. Dass dann der Zeitraum zwischen erstmaligem Ausbleiben der Beitragsabführung und Insolvenzantragstellung nur einen Monat betrug, bringt vielmehr zum Ausdruck, dass der Beklagte seinen Verpflichtungen gegenüber der Klägerin zuverlässig nachgekommen ist und keinesfalls leichtfertig die Gelegenheit zur Bildung von Rücklagen verspielte. Dass dem Beklagten andere Quellen offen gestanden hätten, aus denen er die Arbeitnehmerbeiträge vor allen anderen Verbindlichkeiten hätte zahlen können, ist von der Klägerin nicht dargetan und hätte vom Landgericht in Kenntnis des Umstandes, dass der Beklagte ohnehin mit seinem gesamten Vermögen haftete, nicht ohne weiteres unterstellt werden dürfen.

13

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus § 708 Nr. 10 und § 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO für die Zulassung nicht vorliegen.

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III.

Der Streitwert war nach den allgemeinen Vorschriften entsprechend dem Wert der Forderung auf 6. 056 € festzusetzen. Die Vorschrift des § 182 InsO findet in der vorliegenden Fallkonstellation keine Anwendung, weil der Beklagte als Schuldner lediglich den Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung bestritten hat. In diesem Falle richtet sich das Feststellungsinteresse des Gläubigers, also hier der Klägerin, darauf, die Forderung von der Restschuldbefreiung auszunehmen, um auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung gegen den Beklagten vollstrecken zu können (Frankfurter Kommentar/Kießner, § 182 Rn. 11 a).